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Der Marone – Die Auferstehung

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 25

Die Auferstehung

An der Hütte im Baumwollbaum angelangt, kroch der Myalmann – denn das war der Eingeborene – sofort durch die Tür, deren schmale Öffnung kaum seine breiten und noch dazu buckligen Schultern durchzulassen vermochte.

In befehlendem Ton forderte er das Mädchen auf, ebenfalls einzutreten.

Die Mulattin schien zu zögern. In der Hütte war es vollkommen finster, obgleich es auch draußen nicht gerade hell war, denn der Schatten der Ceiba und ihrer dichten Mooshülle hielt jeden Strahl des nun über den Baumspitzen glänzenden schimmernden Mondlichts ab. Der Myalmann bemerkte das Zögern des Mädchens.

»Komm herein!«, rief er befehlend mit derselben rauen und mürrischen Stimme. »Folge mir nur. Was fürchtest du denn?«

»Ich nicht bange, Chakra«, erwiderte sie, obwohl ihre zitternde Stimme der Versicherung offenbar widersprach. »Nur«, fügte sie noch zögernd hinzu, »es ist da so dunkel.«

»Nun, dann bleibe draußen«, sagte der andere nachgebend, »Bleib da, wo du bist. Ich will gleich Licht machen.«

Man konnte Tasten und Tappen hören und dann das Schlagen eines Stahls gegen einen Feuerstein, worauf Funken folgten. Ein Stückchen Schwamm fing diese auf. Damit wurde eine Art Lampe angezündet, die aus einer mit Schmalz vom wilden Schwein angefüllten Schildkrötenschale bestand, worin ein aus weicher Baumwolle gedrehter Docht befindlich war.

»Nun, komm herein, Cynthy«, wiederholte der Mann und setzte die Lampe auf den Boden. »Was, du furchtsam? Du, die Tochter von Juno Vaughan? Deine Mutter fürchtete den alten Chakra nicht. Ja, die fürchtete selbst den Teufel nicht!«

Die so angeredete Cynthya mochte leicht denken, dass in der Furcht vor beiden gerade kein bedeutender Unterschied vorhanden sei, denn der Teufel selbst hätte ihr schwerlich in hässlicherer und abschreckenderer Gestalt erscheinen können, als der nun vor ihr stehende Mann.

»O, Chakra!«, sagte sie, als sie in die Tür trat und all die Zauberapparate an den Wänden gewahrte. »Frauen mögen schon erschrocken sein. Dies ist ein fürchterlicher Ort!«

»Nicht so fürchterlich wie der Jumbéfelsen!«, war die Antwort des Myalmannes, von einem bedeutungsvollen Blick und einem grinsenden Lächeln begleitet.

»Wohl wahr!«, sagte die Mulattin, die nun allmählich das Gefühl der Furcht überwunden hatte: »Du Ursache haben, so zu sagen, Chakra.«

»Das gewiss, Cynthy.«

»Aber sage mir mal, guter Chakra«, fuhr die Mulattin fort, von einem weiblichen Gefühl, der Neugierde ergriffen. »Wie bist du nur vom Jumbéfelsen fortgekommen? Die Leute sagen, dein Skelett sei noch immer dort an den Palmbaum gekettet.«

»Die Leute sagen wahr. Mein Skelett ist noch dort.«

Das Mädchen warf auf den Redenden seinen halb verwunderten, doch noch mehr Furcht verratenden Blick.

»Dein Skelett?«, fragte sie leise murmelnd.

»Dieselben alten Knochen, ja. Der Schädel, die Rippen, die Keulen, alles miteinander. Wie, Jungfer Cynthy! Das scheint dir wunderbar? Weshalb? Da ist nichts Wunderbares dabei! Nicht für den alten Chakra! Du kennst doch den Myalmann? Wofür Myalmann, wenn nicht Toten lebendig machen kann? So Chakra nimmer sterben, solange er weiß, wie toten Körper zum Leben bringen. Alter Chakra all das wissen. Sie ihn nicht töten, niemals! Nicht die Weißen und nicht die Schwarzen! Die mögen ihn mit Flinten schießen, die mögen ihn beim Hals aufhängen, die mögen ihm den Kopf abschneiden, er doch zum Leben wiederkommen, wie die blaue Eidechse und die Glasschlange. Sie versuchten ihn zu töten, du weißt es ja. Sie ließen ihn Not leiden, bis er starb vor Hunger und Durst. Die Krähen und Klashähne pickten ihm Augen aus und fraßen altem Mann das Fleisch vom Leibe, ließen nichts übrig, als die bloßen Knochen! Ja, Chakra noch leben! Chakra neues Gebein haben, neues Fleisch! Mädchen, du ihn sehen? Er stark, er fett, wie er je gewesen! Ha, ha, ha!« Und während der hässliche Myalmann frohlockend lachte, hob er seine Arme in die Höhe und wandte seine Augen auf seine eigene Person, als rufe er diese zum Zeugen der Auferstehung an, die er vollbracht zu haben behauptete.

Die Mulattin stand wie versteinert bei der Erzählung des Myalmannes, von der sie jedes Wort blindlings glaubte. Sie war zu erschrocken, um reden zu können, und schwieg, offenbar tief ergriffen und gepackt vom Einfluss einer ehrfurchtsvollen Scheu vor dem Übernatürlichen und Wunderbaren.