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Edition Subkultur – Auf Pilgerfahrt mit Gevatter Tod

Auf-Pilgerfahrt-mit-Gevatter-TodDaniel Mosmann
Edition Subkultur
Auf Pilgerfahrt mit Gevatter Tod – Schauergeschichten

Subtiler Horror, Softcover, Periplaneta Verlag, Berlin, Juli 2015, 196 Seiten, 13,00 Euro, ISBN: 9783943412192, Covermotiv: Public Domain
www.subkultur.de

Etwas Eigenartiges lag über den Feldern. Dachte Else Knoche, ohne jedoch in der Lage zu sein, den genauen Grund für ihr merkwürdiges Gefühl benennen zu können. Ihr Blick folgte einem der Sonnenflecken, der zügig über Haus, Garten, über das Krautland und schließlich über den Kartoffelacker wanderte. Dann sah sie die Vogelscheuche. Sie stand in der ihr zugedachten Beharrlichkeit am oberen Ende der Felder, doch etwas an ihr war seltsam. Sie schien sich verändert zu haben.

(Aus: Zwischen Kraut und Kartoffeln)

Winterzauber

Als sie erwacht, wird ihr bewusst, dass wohl nur der Alkohol des vergangen Abends und der geringe Schutz einer Holzhütte, die an ihrem Fußweg nach Hause liegt, sie vor dem Kältetod gerettet haben. Während sie sich aufrafft, nun den Rest des Weges durch die verschneite Landschaft zurückzulegen, hängt sie ihren Erinnerungen nach. Gedanken an den Tod des Vaters, an ihren ersten Freund, den Schmerz des Erwachsenwerdens und an die letzte Nacht im Club, an die unscheinbare Klara. Und plötzlich erblickt sie einen Mann, den sie bereits lange tot wähnte.

In einem Landhaus

Nach dem qualvollen, von langer Krankheit gezeichneten Tod des Hausherrn bittet seine Witwe das Zimmermädchen Madeleine, das Bett des Verstorbenen wieder herzurichten sowie Bettzeug und Matratze zu entsorgen. Eine unbestimmbare Abscheu macht es Madeleine jedoch unmöglich. Und so geht ihr die Hausherrin zur Hand, die eine unangemessene Fröhlichkeit zur Schau trägt.

Oben auf dem Knochenberg

Erneut ist der namenlose Radfahrer unterwegs, mit seinem Fahrzeug auf eigene Faust den Schwarzwald zu erkunden (siehe Der Narrenbrunnen in Von Kastanien und Knochen, Edition Octopus, 2008). Eines seiner Ziele ist die Burgruine zu Zavelstein, wo er auch sein Nachtlager aufschlagen will, in der Überzeugung, die lokale Sage um das Gespenst eines Bauern, der hier einst lebendig eingemauert wurde, gehöre ins Reich der Legenden. Ein Unwetter lässt den nächtlichen Gast Schutz in den unterirdischen Gewölben der Ruine suchen. Da steigt plötzlich von oben eine weitere Gestalt in die Finsternis herab.

Biester

Der Sommer 1983 soll für Martin, Astrid und ihre Tochter Eileen alles verändern. Der Sommer, der durch eine ungewöhnlich hohe Anzahl, eine wahre Plage an Fröschen, gekennzeichnet war. Der Sommer, in dem die Regierung deswegen ein Experiment startete. Töne, die die Tiere dazu bringen sollten, ihren eigenen Nachwuchs zu verspeisen. Ein Experiment, das gründlich schief ging.

Das sonderbare Begräbnis des William M. Roth

Eine Serie pietätloser Pannen ging 1984 mit dem Begräbnis des pingeligen und auf extremer Regelkonformität bedachten Schreinermeisters Roth einher, bis hin zur Bestattung seiner Überreste auf der falschen Seite des Grabes. Nun, als seine Witwe beerdigt werden soll, erleben die Totengräber eine makabre Überraschung.

Das Exkrement Gottes

… im Volksmund auch »Gottes beschissene Scheiße«. Der richtige Kommentar zu einem Tag, an dem man die untreue Ehefrau samt Liebhaber umbringt und der Wagen, mit dem man die Leichen entsorgen will, eine Reifenpanne hat. Wenn just in diesem Moment zwei Polizisten zur Stelle sind oder der Wagen nicht gleich an der vorgesehenen Stelle im Sumpf versinken will.

Zwischen Kraut und Kartoffeln

Seit dem Tod ihres Mannes vor über dreißig Jahren bestellt Else Knoche ihre Felder alleine. Mehr schlecht als recht, wenn man ihren Nachbarn glauben möchte, die ein Auge auf das Land der Bäuerin geworfen haben. Unschlagbar sind jedoch Elses Kartoffeln, die ohne jegliche chemische Mittel gedeihen und ihr lukrativen Absatz in der Ökoszene bescheren. Als sich nun eines Morgens Saatkrähen auf dem Feld mit den frisch gesetzten Kartoffeln tummeln, gilt es zu handeln. Aus den alten Kleidern ihres verstorbenen Mannes baut sie eine Vogelscheuche, die diensteifrig ihre Aufgabe erfüllt. Doch häufen sich seit dem auch unerklärliche Fußspuren, ausgerissene Triebe und ein denkbar ungutes Gefühl bei Else, jedes Mal, wenn sie die Vogelscheuche anblickt.

Die vergessenen Kinder

Dass sich ausgerechnet nahe dem Friedhof, noch dazu in direkter Nachbarschaft der alten Kindergräber ein kleiner Spielplatz befindet, sorgt bei einigen verantwortungsvollen jungen Eltern für Unverständnis, dem sich der Ortsvorstand nicht verschließen kann. So entsteht – in ausreichender Entfernung zum Totenacker – ein großer moderner Spielplatz, der seinen Vorgänger schnell vergessen macht. Nur den alten Gerard Eickler sieht man bisweilen dort sitzen. Mit einem verzückten Lächeln um die Mundwinkel und scheinbar in Selbstgespräche vertieft, sieht er den Spielgeräten zu, die sich im auffrischenden Wind bewegen. Hier am alten Spielplatz, nahe dem Grab seiner kleinen Tochter.

Man hatte angeblich herausgefunden, dass Frösche besonders in der frühen Wachstumsphase sehr stark auf bestimmte Töne reagieren. Laut Zeitungsbericht sollte dies sogar so weit gehen, dass diese Tiere eine Art übersteigerten Appetit entwickelten und dadurch alles fressen würden, was sich ihnen an adäquater Nahrung bot. Da sich nun den Kaulquappen und Jungfröschen vor allem die nächsten Artgenossen als reichhaltige Nahrungsquelle anboten, würden sich die Kaulquappen möglicherweise dezimieren, weil sie sich gegenseitig auffressen würden.

(Aus: Biester)

Sieben Jahre hat sich Daniel Mosmann mit dem Nachfolgeband zu seiner Geschichtensammlung Von Kastanien und Knochen Zeit gelassen. Völlig zu unrecht ist der Autor aus dem Schwarzwald damals schon unter dem Radar selbst eingefleischter Fans deutscher Phantastik geflogen. Das mag zum einen daran liegen, dass Hr. Mosmann vorher noch nie als Autor in Erscheinung getreten ist, weder in Anthologien, Magazinen, etc., zum anderen, dass Von Kastanien und Knochen in keinem der einschlägig bekannten Kleinverlage erschienen ist. Von Amazon CreateSpace hatte damals noch niemand etwas gehört. Gepasst hätte das Buch ganz gut in Boris Kochs Edition Medusenblut oder in Jörg Kleudgens Goblin Press, die jedoch zu der Zeit im Winterschlaf lag. Auch für sein zweites Werk wählte Daniel Mosmann nicht den inzwischen naheliegenden Weg des Self Publishings, sondern brachte das Buch bei der Berliner Edition Subkultur unter, die sich als »zeitgemäßes Label für unabhängige Literatur und Musik« versteht, die »jungen und abseits des Mainstreams agierenden Künstlern eine einfache Möglichkeit bietet, ihre Werke zu veröffentlichen«.

Thematisch ist sich Daniel Mosmann weitestgehend treu geblieben. Geboten wird eine Art Regional-Phantastik, die trotz des düster-sperrigen Titels über einen unerwartet hohen Humorgehalt verfügt. Freilich sind das keine Schenkelklopfer, sondern eher erfrischende unterschwellige Spitzen, die sich gegen ungeschriebene Regeln, gewachsene dörfliche Gepflogenheiten und das Spießbürgertum im Allgemeinen richten. Der satirische Höhepunkt ist sicherlich Das sonderbare Begräbnis des William M. Roth, das man getrost als Groteske im Stil Gustave Meyrinks bezeichnen kann.

Die große Kunst, die Daniel Mosmann beherrscht, besteht nun darin, den Schrecken der Geschichten damit nicht zu unterminieren. Mein persönlicher Favorit Biester oder Zwischen Kraut und Kartoffeln sind eindrucksvolle Beispiele, dass es einem auch mit einem Grinsen im Gesicht kalt den Rücken hinunterziehen kann. So unerwartet wirkungsvoll und eiskalt kommen die Pointen hier am Ende um die Ecke. Selbst bekannte und oft gebrauchte Motive, wie das des ahnungslosen Toten (Ambrose Bierces Zwischenfall auf der Eulenfluss-Brücke lässt grüßen) oder das Subgenre des Vogelscheuchen-Horrors macht sich Daniel Mosmann auf eine Art zu eigen, dass es innerhalb der Sammlung absolut stimmig wirkt. In Thematik und Tonart kann man die Geschichten irgendwo zwischen Uwe Voehls Kurzgeschichten und Markus K. Korb einordnen. Deutlich gehoben – und bisweilen bewusst leicht antiquiert – ist auch die Sprache, die Mosmann verwendet; weit entfernt von der Mehrheit sonstiger Hobby-Horrorschreiber.

Ergänzt werden die acht Kurzgeschichten mit zwei Gedichten. Zur alten Linde wandelt sich von einer elegischen Jugenderinnerung zu einem Mordgeständnis; das titelgebende Auf Pilgerfahrt mit Gevatter Tod beschreibt den letzten Weg eines Sterbenden, den in einer Winternacht unvermittelt der Sensenmann besucht.

Fazit:
Der Untertitel Subtiler Horror aus dem finsteren Schwarzwald trifft es auf den Punkt. Empfehlenswerte Geschichtensammlung für alle Freunde deutscher Phantastik. Unheimlich, melancholisch, eiskalt, ausnehmend gut geschrieben und mit einer angenehmen Portion unterschwelligem Humor.

(eh)