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Gold – Kapitel 3

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 3
Auf kalifornischem Boden

Auf einer so langen Seereise, und in einen so engen Raum zusammengedrängt, gewöhnen sich auch natürlich die Passagiere aneinander. Man isst aus einem Topf, schläft unter einem Deck zusammen und wird zuletzt so gewöhnt, sich »guten Morgen« zu sagen, dass man sich ordentlich unbefriedigt fühlt, wenn man nicht mit jedem neuen Tage die verschiedenen Gefährten wieder begrüßt und gesehen hat. Unterwegs werden gewöhnlich Pläne gemacht, dass man nach der Landung sich zusammenhalten oder, wenn wirklich entfernt, schreiben wolle. Und was geschieht nach der Landung? Werft einen Tropfen Quecksilber auf den glatten Boden, und seht, was mit ihm geschieht. So eng eine Schiffsgesellschaft auch an Bord zusammengehalten haben mag: Der erste Schritt an Land, noch dazu, wenn das Land der Boden eines Golddistrikts ist – trennt alle Bande, löst alle Versprechungen und streut die Einzelnen wie Spreu im Wind umher.

Schon auf dem Überfahrtsboot existierte keine Gemeinschaft mehr. Jeder hatte auf sein eigenes Gepäck zu sehen, die teils in die, teils in jene Ecke geworfenen Gegenstände zusammenzusuchen oder wenigstens im Auge zu behalten, und wie das Boot nur festen Grund berührte, keuchte, was immer konnte, den ziemlich steilen staubigen, heißen Hang hinauf, so rasch wie möglich in das neue Leben einzutauchen. Wer dachte hier daran, auch nur den Reisegefährten Lebewohl zu sagen? Fanden sie diese zufällig wieder, desto besser. Wo nicht – nun so war hier Kalifornien, und jeder musste ja doch zusehen, dass er selber durchkam.

Mr. Hetson hatte mit seiner Frau in dem leichten Boot die Landung schon weit früher erreicht, dort zufällig einen leeren Karren getroffen, der Güter an den Strand geführt, und diesen augenblicklich gemietet, sein Gepäck in irgendein Hotel zu schaffen.

Der Karren hielt auch bald, durch die bunten Straßen dieser wunderlichen Stadt fahrend, vor einem Mittelding zwischen Zelt und Schuppen, denn die Wand rechts von der Tür bestand aus übereinander genagelten Brettern, die links aus Segeltuch. Über dem Eingang aber prangten mit großen schwarzen Buchstaben die Worte Union Hotel, und er durfte nicht daran zweifeln, den erfragten Platz erreicht zu haben.

Union Hotel – der Verschlag sah eher einer Jahrmarktbude ähnlich, in der Merkwürdigkeiten um ein geringes Eintrittsgeld gezeigt werden, als einem Hotel, aber lieber Gott, in solch einem neuen Land durfte man auch nicht hoffen, all die Bequemlichkeiten des alten Vaterlands wiederzufinden. Vielleicht hielt auch das Innere mehr, als das Äußere versprach, und Hetson wünschte deshalb vor allen Dingen zu erfahren, ob er hier Aufnahme und dann ein eigenes Zimmer für sich und seine Frau bekommen könne.

Eine Art Kellner – ein Individuum wenigstens, das in Ermangelung eines Besseren dafür gelten konnte, war auf des Kärrners Ruf in der Tür erschienen und zeigte sich hier auch insofern geschäftig, als es ohne Weiteres einen Koffer und eine Hutschachtel aufpackte und damit im Inneren wieder verschwinden wollte.

»Halt!«, rief ihm da Hetson nach. »Kann ich hier ein eigenes Zimmer bekommen?«

»Eigenes Zimmer? Gewiss«, sagte der Kellner. »Nr. 7.« Und tauchte damit wieder hinter der Leinwand unter.

Hetson blieb nichts weiter übrig, als ihm zu folgen, den bezeichneten Platz erst selber einmal in Augenschein zu nehmen. Selbst die geringsten Anforderungen aber, die er an dieses, dem Äußeren nach sehr bescheidene Hotel gestellt hatte, fand er nicht befriedigt. Ein »eigenes Zimmer« zeigte ihm der Kellner allerdings, aber es war das nur ein kleiner Verschlag, eine Art Zeltabteilung, die einfach durch ein Stück blauen Kattun hergestellt schien. Das ganze Hotel bestand aus acht oder zehn solchen oben offenen Abteilungen unter dem gemeinschaftlichen Dach, jenen engen Gefächer nicht unähnlich, deren man sich in Badeanstalten zum Aus- und Anziehen bedient.

Das mochte nun allerdings für Männer und auf kurze Zeit ein erträglicher Aufenthalt sein. Wenigstens ließ sich darin existieren, und man konnte es als eine Art Biwak betrachten. Hier aber eine Dame einzuquartieren, blieb ganz außer der Frage.

Der Karrenführer hatte indessen schon den größten Teil des Gepäcks heruntergegeben, als Mr. Hetson erklärte, hier unter keinen Umständen bleiben zu wollen. Irgendein passenderer Platz war wohl schon aufzufinden, schlechter wenigstens konnte er ihn nirgends treffen.

Rasch ging er deshalb wieder zu dem Karren hinaus, sich das Fuhrwerk jedenfalls so lange zu sichern, bis er ein ihm genügendes Absteigequartier gefunden habe, und blickte eben ziemlich ratlos die Menschen wogende Straße auf und ab, als ein, an dem »Hotel« gerade vorbeikommender Mann vor ihm stehen blieb, ihn einen Augenblick aufmerksam betrachtete, und dann ausrief: »Hetson! Bei allem, was lebt! Kamerad, welcher glückliche Wind hat dich nach Kalifornien getrieben?«

Der Mann war eine zu auffallende Persönlichkeit, ihn je, wenn einmal gesehen, wieder zu vergessen. Und doch konnte sich Hetson, als er überrascht zu ihm aufschaute, seiner nicht erinnern.

Um die hohe kräftige Gestalt hing ein bunter mexikanischer Poncho, in derselben Art, wie sie die Spanier und Kalifornier trugen, über die linke Schulter geschlagen. Den Kopf bedeckte ein breitrandiger brauner Filzhut, unter dem die kleinen stechenden schwarzen Augen aus einem Wald von Haupt- und Barthaaren vorschauten. Die Beine staken in schwarzsamtenen, an den Seiten offenen und am Schlitz reich mit silbernen Knöpfen besetzten Hosen, und an den Schuhen klirrten ein paar schwere mexikanische Sporen von polierter Bronze. Auch die, dem jungen Amerikaner entgegengestreckte weiße, fast zarte Hand funkelte von fünf oder sechs steinbesetzten Ringen – aber wer war der Mann?«

»Bester Herr«, sagte Hetson etwas verlegen, »Sie sind da jedenfalls im Vorteil, denn Sie scheinen mich zu kennen, während ich mich in der Tat nicht besinnen kann, wo …«

»Hahaha«, unterbrach ihn aber lachend der Bärtige. »Habe ich mich so verändert, dass mich selbst ein alter Kommilitone nicht wiedererkennt? Du erinnerst dich wohl gar nicht eines gewissen Bill Siftly, heh?«

»Siftly? Ist es denn möglich!«, rief Hetson jetzt erfreut, die noch immer dargebotene Hand ergreifend und schüttelnd. »Das ist allerdings ein wunderbares Zusammentreffen. Das Woher sollst du mir aber nachher erzählen, jetzt erlaube mir erst, dir meine Frau hier vorzustellen.«

»Deine Frau?«, rief der neugefundene Freund verwundert und drehte sich rasch nach der Dame um.

»Gentlemen«, unterbrach da der Karrenführer die Unterhaltung, » ich kann mir wohl denken, dass es ganz angenehm sein muss, in diesem blutigen verbrannten Land einen alten Bekannten zu treffen. Die Geschichte geht mich aber eigentlich nichts an, und ich kann deshalb nicht ein paar Stunden hier herhalten und meine Zeit versäumen. Zeit ist hier Geld, und wenn Sie mich nicht mehr haben wollen, so zahlen Sie mich, und ich fahre meiner Wege.«

»Was gibt es? Was hast du?«, fragte nun Siftly rasch. »Du kommst eben an?«

»Ja – und suche ein Hotel, in dem ich mich und meine Frau einquartieren kann. In dem Nest hier ist es unmöglich.«

»Ich sollt’s denken«, sagte der andere, »aber ich weiß ein Besseres. Dreh um, mein Bursche und fahr zu dem Parkerhaus.«

»Kein Platz mehr«, brummte der Fuhrmann, »war schon vorhin mit einer anderen Partie dort.«

»Ich mache Euch Platz«, sagte aber der mit dem Poncho vollkommen zuversichtlich. »Komm nur mit mir, Hetson, und ich stehe dir dafür, dass sie dich aufnehmen. Lad nur wieder auf, was da liegt, wir sind gleich dort.«

Der Mann gehorchte mit ziemlich mürrischem Gesicht.

»Fehlen noch zwei Stück«, sagte er dann, »die der Dings da in das Haus getragen hat.«

»Ah ja, ein Koffer und eine Hutschachtel«, rief Hetson. »Bitte, Kellner, bringen Sie die beiden Stücke einmal wieder heraus.«

»Mit dem größten Vergnügen, mein Herr«, erwiderte der Angeredete, ohne sich jedoch von der Stelle zu rühren. »Sobald Sie mir die fünf Dollar Miete für den heutigen Tag entrichtet haben.«

»Die Miete für den heutigen Tag?«, rief der junge Amerikaner erstaunt aus. »Ich habe noch gar nicht daran gedacht, mich hier einzumieten.«

»Sie haben von dem Zimmer mit Ihrem Gepäck Besitz genommen«, sagte achselzuckend der Kellner, »und ich hätte es seit der Zeit schon dreimal wieder vermieten können. Wenn Ihnen unser Hotel nicht gut genug ist, zahlen Sie wenigstens, was Sie schuldig sind, oder Sie bekommen Ihr Gepäck nicht eher wieder.«

»Nun, das ist aber doch zu arg«, rief Hetson entrüstet. »Ich will doch einmal sehen, ob …«

»Zahle um Gotteswillen«, beschwichtigte ihn jedoch der andere, »und lass die Gerichte hier in Frieden, wenn du nicht hundert Dollar für deine fünf loswerden willst. Du kannst noch froh sein, dass der junge Herr mit der weißen Schürze nicht unverschämt war und zwanzig forderte. Ich werde Euch empfehlen, Jack«, wandte er sich dann an den Kellner. »Doch nun schafft die Sachen heraus, denn unser Fuhrmann wird ungeduldig. Ihr sollt Euer Geld bekommen.«

Der Bursche nickte nur mit dem Kopf, verschwand dann in der Tür, und kam nach wenigen Minuten mit dem Gepäck zurück. Dieses wurde auf den Karren geworfen, Hetson zahlte, bot seiner Frau des Arm und wenige Minuten später erreichten sie den Hauptplatz der Stadt, die sogenannte Plaza, und mit ihr das Parkerhaus, ein mehrstöckiges hölzernes Gebäude. Siftly hielt übrigens Wort. Der Wirt machte Raum für die beiden Gatten, wenn er ihnen auch nur ein einziges Stübchen anweisen konnte. Mrs. Hetson fand sich bald, wenn auch nicht gerade wohnlich, doch wenigstens erträglich eingerichtet.

Hetson hatte übrigens seinen so zufällig gefundenen alten Universitätsfreund gebeten, unten auf ihn zu warten, da er ihn noch um einiges fragen wollte und Siftly ihn zu dem Zweck in den Schenk- und Spielsalon des Hauses bestellte.

Als Hetson seine Frau eben so gut es in der Eile gehen wollte, eingerichtet hatte, stieg er die schmale Treppe wieder hinab. Auf dem ersten Gang aber schon traf er Doktor Rascher von der Leontine, der eben seine Zimmertür hinter sich abschloss.

»Ah, sieh da, Mr. Hetson?«, sagte dieser, über das Begegnen sichtlich erfreut. »Haben Sie sich ebenfalls hier einquartiert? Das Haus ist wie ein Bienenstock, und Ihre Frau Gemahlin wird eine unruhige Zeit bekommen.«

»Ach Doktor«, rief Hetson, ihm die Hand entgegenstreckend. »Es ist mir lieb, dass wir Sie wenigstens in der Nähe haben. Gedenken Sie in San Francisco zu bleiben?«

»Fürs Erste, ja«, erwiderte der alte Mann, »dann aber werde ich hinauf in die Berge ziehen, mir das Leben dort einmal mit anzusehen.«

»Und Gold zu graben?«

»Nein, das nicht«, erwiderte der alte Mann gutmütig lächelnd. »Dazu reichten meine Kräfte doch wohl nicht aus. Aber der Hauptzweck, wegen dem ich hierhergekommen bin, ist, die Flora des Landes zu untersuchen. Ich will nicht im Mineralreich, sondern in der Pflanzenwelt meine Schätze sammeln, und glaube kaum, dass ich darin einen Missgriff machen werde.«

»Sie, mein lieber Mr. Hetson, werden sich wohl auch nach einer anderen Beschäftigung als Spitzhacke und Schaufel umschauen.«

»Wer weiß«, sprach der junge Mann düster vor sich hin. »In den Bergen drin – wenn sie so sind, wie ich sie mir denke, – entgeht man vielleicht mancher unangenehmen, unerwünschten Gesellschaft, die uns hier in der Stadt doch aufgedrungen wird. Ich habe große Lust in die Minen zu gehen.«

»Mit Ihrer Frau?«

»Und warum nicht? Wie ich aus den Zeitungen gesehen habe, sind gar nicht so wenig Frauen in den Bergen, und die Sommermonate über muss der Aufenthalt sogar reizend sein.«

»Das überlegen Sie sich doch vorher noch recht reiflich, mein guter Mr. Hetson«, sagte aber der alte Mann, bedenklich dabei mit dem Kopf schüttelnd.

»Für einen einzelnen Mann geht es wohl, ja. Aber eine so zarte Frau wie die Ihre hielte es am Ende nicht aus, und Sie machten sich nachher die bittersten Vorwürfe. Gold ist schon ein gut Ding, und wir brauchen es nun einmal zu unserem Leben. Aber wir dürfen dagegen nichts noch Kostbareres einsetzen, sonst bleiben wir immer die Verlierer, erbeuteten wir auch noch so viel davon.«

»Haben Sie keine Sorge, guter Doktor«, sagte der junge Mann, »das Gold hat mich nicht nach Kalifornien geführt und wird mich also auch nicht verleiten, einen törichten Streich zu begehen. Also auf Wiedersehen, Doktor. Sie tun mir aber einen Gefallen, wenn Sie nachher einmal nach meiner Frau sehen. Nr. 97. Ich bleibe vielleicht eine Stunde aus und sie klagte vorhin über heftigen Kopfschmerz.«

»Es wird mir ein Vergnügen sein, Mrs. Hetson auf festem Land zu begrüßen«, sagte der alte Herr.

Hetson sprang mit einer freundlichen Handbewegung die Treppe hinab, seinen Gefährten dort aufzusuchen.

Der Doktor folgte ihm langsam, um unten im Haus noch einige Abänderungen in seinem Zimmer zu verlangen. Die kalifornische Lebensart war ihm noch zu fremd – er hatte die deutschen Gasthöfe noch nicht vergessen. Außerdem sehnte er sich aber auch einmal wieder nach einer kräftigen Mahlzeit von grünem Gemüse und frischem Fleisch, was man auf einer so langen Seereise freilich entbehren muss, und zuletzt oft schmerzlich vermisst.

Der Speisesaal, ein großer, mit einer Menge von Tischen besetzter Raum war zu dieser Tageszeit noch ziemlich leer. Zwischen Mittag und Abend lag immer eine stille Zeit, die nur von geschäftig hin und her eilenden Kellnern benutzt wurde, die Tische wieder für das Souper in Ordnung zu bringen.

Das Schicksal der armen, hier nach Kalifornien geworfenen Dame ging dem alten Mann aber doch im Kopf herum. Er achtete deshalb weniger auf seine Umgebung, als dies sonst wohl der Fall gewesen wäre. Leise nickte er dabei vor sich hin, als er der heimlichen Beweggründe dachte, die den geängstigten Mann in die Minen trieben. War es denn gar nicht möglich, ihn von diesem Wahn zu heilen?

Der Oberkellner, eine dürre vertrocknete Gestalt, wie alle Übrigen in Hemdsärmeln, schneeweißer Wäsche, einer Granattuchnadel, und einem echt französischen, sonnengebräunten Gesicht, hatte den einzelnen Gast bemerkt, und sandte einen seiner dienstbaren Geister zu ihm, zu fragen, was er verlange.

Der Geschickte, ein schlanker junger Mann mit blondem Haar und blauen Augen, einem leichten lichten Schnurrbart und einer, für einen Kellner eben nicht passenden, tiefen Narbe auf der rechten Wange, trat zu dem Fremden, die Serviette unter dem einen Arm, den Speisezettel in der Hand.

Der Doktor sah langsam, noch ganz in seine Grübeleien vertieft auf, und starrte verwundert in die lächelnd auf ihm haftenden Augen des Kellners. »Und was bringt Sie nach Kalifornien, Doktor?«, sprach dieser lachend, indem er dem Doktor die Hand entgegenstreckte.

»Baron Lanzot?«, rief der Doktor aber in vollem Erstaunen von seinem Platz emporspringend. »Gütiger Gott, spielen Sie Komödie?«

»Wenn Sie wollen, ja«, lautete die leichtherzige Antwort des jungen Edelmanns, indem er des Doktors Hand ergriff und schüttelte. Für 200 Dollar im Monat spiele ich eine kurze Zeit Marqueursrollen, anstatt einem Phantom in den Minen nachzulaufen – dem Phantom des Millionärs.«

»Aber um Gotteswillen, Baron, wenn das Ihre Eltern erführen. Ihre Mutter grämte sich zu Tode.«

»Ich halte sie für eine weit vernünftigere Frau, Doktor. Sie wird mich lieber hier mein Brot in ehrlicher Weise verdienen sehen, als dass ich müßigginge und vielleicht Schulden machte. Wir, die uns das Schicksal an diese Küste geworfen hat, arbeiten nun alle einmal für unser Leben. Während ich einem Teil der Leute hier verlangte Speisen als garçon vorsetze, lasse ich mir von anderen als gentleman mein Gold aus den Minen graben. Ob das nun direkt oder indirekt in meine Tasche kommt, bleibt sich gleich – wenn es nur eben den Weg dahin findet.«

»Sie sind Philosoph, Baron.«

»Bitte um Verzeihung, ich bin Kellner«, sagte der junge Mann lachend, »und wenn Sie nicht bald etwas bestellen, werde ich von meinem französischen Vorgesetzten dahinten – ich nenne ihn immer mon capitaine, – wahrscheinlich eine Nase bekommen.«

»Aber ich kann mich doch, weiß es Gott, nicht von Ihnen bedienen lassen?«, rief der Doktor ordentlich verlegen aus.

»Sie werden Ihre Freude an mir haben«, unterbrach ihn der Kellner, indem er ihm mit einer leichten Verbeugung den Speisezettel vorschob. »Bitte, befehlen Sie: Beefsteak, Roastbeef, Mutton Chops, Eier, Kartoffeln, Bohnen – mehr Auswahl können Sie nicht verlangen. Nur unsere Weine sind vortrefflich und alle geschmuggelt.«

Der Doktor nahm den Speisezettel, schob ihn aber wieder von sich und rief: »Nein, wahrhaftig, Baron, die ganze Geschichte hier kommt mir wie ein toller Spuk vor. Sie, den ich zuletzt in der Soiree des Fürsten Lichtenstein mit Orden geschmückt, mit der Fürstin selber tanzend verlassen habe, finde ich jetzt, mit der Serviette unter dem Arm, mit dem Speisezettel in der Hand – oh -gehen Sie – Sie halten mich zum Besten.«

»Da ich sehe«, entgegnete der junge Mann lächelnd, »dass Sie Ihre, in Kalifornien höchst kostbare Zeit nur mit vollkommen nutzlosen Ausrufungen verschwenden, werde ich mich Ihrer annehmen und Ihnen selber etwas zu essen bestellen. Ich hoffe, Sie werden damit zufrieden sein. Wenn Sie nachher die Preise erfahren, werden Sie merken, dass wir hier keineswegs spaßen, sondern bitteren Ernst machen.«

Der junge Mann ging lachend zum Buffet zurück und ließ den Doktor, noch immer stumm und starr vor Staunen, an seinem Tisch, denn so hatte er sich Kalifornien doch eigentlich nicht gedacht.

Baron Lanzot – oder vielmehr Emil mit seinem Kellnernamen, kam indessen bald zurück, servierte äußerst geschickt, und blieb dann an der anderen Seite des Tisches vor dem Gast stehen.

»Aber bester Baron …«

»Emil, wenn ich bitten darf.«

»Es geht nicht, Baron, es geht wahrhaftig nicht«, rief aber der alte Mann in Verzweiflung aus. »Bedenken Sie, ich bin noch kein Kalifornier.«

»Das entschuldigt allerdings vieles«, erwiderte Emil. »Seien Sie übrigens versichert, dass Ihnen da noch manches zu erleben bevorsteht, von dem Sie sich im Augenblick nichts träumen lassen. Hier in Kalifornien sind alle Bande des gesellschaftlichen Lebens, die wir im alten Vaterland nur zu oft als unumgänglich notwendig für jede Existenz halten, gelöst. Jeder lebt für sich, so gut oder so schlecht er kann. Der Nebenmann kennt ihn nicht oder bekümmert sich nicht um ihn, und wenn er oben schwimmt, hat er’s nur allein sich selber zu verdanken. Wir leben allerdings unter Gesetzen einer zivilisierten Nation, aller auch nur dem Namen nach, denn keine Kraft ist genügend, sie aufrechtzuerhalten, und das Faustrecht blüht deshalb so wunderbar und herrlich wieder hier, wie je im Mittelalter, daheim im lieben Vaterland.«

»Aber weshalb sind Sie nach Kalifornien gegangen?«

»Fragen Sie das Jahr 48«, sagte achselzuckend der junge Mann. »Es gibt nichts Entsetzlicheres als einen Bürgerkrieg, und da ich die Wahl hatte, zog ich diese Verhältnisse vor. Ob sie mir auch auf die Länge der Zeit zusagen werden, ist eine andere Sache, mit der ich mir aber vor der Hand den Kopf noch nicht zerbreche. Jetzt bin ich einmal in Kalifornien und mit den Wölfen – Sie kennen wohl das alte Sprichwort. Wohnen Sie hier im Haus?«

Der Doktor nickte nur und arbeitete in die ihm vorgesetzten Speisen hinein, schüttelte aber fortwährend dabei mit dem Kopf und schmeckte in der Tat gar nicht, was er aß. Emil wurde aber in diesem Augenblick abgerufen, und das Gespräch war fürs Erste unterbrochen.

Hetson ging indessen unten in den Spielsalon, wohin ihn Siftly beschieden hatte, und vergaß im ersten Augenblick, als er den wunderlichen Raum betrat, wirklich ganz, was ihn da hergebracht hatte.

Es war ein nicht sehr hoher, aber wohl fünfzig bis sechzig Schritt langer und vierzig Schritt breiter Saal. Die Wände noch ziemlich kahl und nur hier und da mit schlechten Ölgemälden – schlecht sowohl was Ausführung als auch Vorwurf betraf – bedeckt, denn ich darf nicht sagen geschmückt. Nicht dem Schönheitssinn der Besucher sollten sie aber auch genügen, sondern nur ihre Sinne reizen, und sie eine Zeitlang fesseln, und das bezweckten sie denn allerdings.

Rechts war ein Buffet angebracht für geistige Getränke, und im Hintergrund ein hohes, noch ziemlich rohes Gerüst aufgebaut, auf dem eine Anzahl von Musik machenden Individuen – Musici konnte man sie nicht gut nennen – saßen. Sie bildeten zusammen allerdings eine Art Orchester, und ziemlich alle dazu nötigen Instrumente schienen vertreten. Zu ihrem Zusammenspiel blieb aber immer mehr guter Wille als wirkliche Kunst erkennbar, und wenn man ihnen nur wenige Minuten zuhörte, fand man bald, dass sie sich zusammen einzig und allein über ein zu spielendes Stück gütlich vereinigt hatten, und nun nach Gehör einander akkompagnierten. Wer dann einmal zufällig aus dem Takt kam, wartete nur einen Augenblick, bis er die anderen wieder erwischen konnte. Nachdem sie die verschiedenen Stücke solcher Art drei- oder viermal durchgearbeitet, ließ sich recht gut unterscheiden, was sie eigentlich spielen wollten.

Es kam aber auch wirklich nicht darauf an, hier ordentlich zu musizieren, es sollte nur »Musik« gemacht werden. Die wenigen amerikanischen Lieblingslieder und Nationalmelodien, die im Land überall bekannt waren, lernte das Orchester auch bald spielen. Dazu gehörte vor allen der Yankee Doodle, dann Washingtons Marsch, Das Sternenbanner und ein sehr mittelmäßiger Marsch, den sie wunderbarerweise Napoleons Rückzug nennen. Diese Melodien sang und stampfte das Publikum hier und da mit und war in seinen Ansprüchen bescheiden genug, sie wieder und wieder anzuhören, ob sie nun auf einem wirklich kunstvollen Instrument oder auf einer Maultrommel vorgetragen wurden.

Die Musik aber hatte denselben Zweck mit den Bildern, denen sie gewissermaßen vorarbeitete. Die Musik lockte die Vorbeigehenden in den Saal. Die Bilder hielten sie dort, damit sie ihr Geld an dem Trinkstand ausgaben und sich an den Spieltischen versuchten. Einmal das eigentliche Hasardspiel dann gekostet, war Musik und Bild nicht mehr nötig, sie zu halten.

Diese Spieltische bildeten deshalb auch das Zentrum des Saales, und Hetson blieb wirklich überrascht auf der Schwelle stehen, denn in dieser Ausdehnung hatte er sich die »Spielhöllen«, von denen er früher schon so viel gehört und gelesen hatte, doch nicht gedacht.

Etwa dreißig verschiedene Tische standen nämlich, nicht geordnet, sondern wie es gerade der Raum zwischen den Säulen gestattete, bunt durcheinander, nur überall den nötigen Platz für die hindurchführenden Passagen lassend. Jeder Tisch verfolgte dabei seine eigenen Interessen, hatte sein eigenes Kapital und spielte auch oft sein eigenes Spiel.

Zwischen den Tischen durch drängten sich aber die Müßiggänger der Stadt, deren es auch selbst in San Francisco zur Genüge gab, bis sie an einem von ihnen und den darauf angehäuften Goldstücken und Silberdollar hängen blieben. Amerikaner und Deutsche, Franzosen und Engländer, Mexikaner und Kalifornier, alles in buntem Gemisch. Einzelne elegant gekleidet, andere in zerlumpter, abgerissener Minertracht, mit zerknickten Hüten und schiefgetretenen Schuhen. Wer aber sah auf die Tracht? Das Gold, das auf den Tischen lag, ebnete alles, und wenn die heruntergekommenen Burschen – was sehr häufig der Fall war – nur tüchtige Lederbeutel mit Goldstaub unter den zerrissenen Kitteln trugen, war wahrlich hier niemand, der ihre Gemeinschaft beanstandet hätte.

Karten, Würfel, Roulette und alles, was nur sonst Glücksspiel hieß, fand sich hier vertreten. Bedeutende Summen wechselten fortwährend von einer Hand in die andere, ohne eine Äußerung der Leidenschaft hervorzurufen – einen leise gemurmelten Fluch manchmal ausgenommen.

Hetson wäre vielleicht noch eine Stunde dort stehen geblieben, denn zu viel des Neuen bot sich, wohin er auch immer schaute, seinem Blick, hätte ihn nicht Siftly selber aus seinen Träumen geweckt.

»Nun, bist du da?«, fragte dieser lachend. »Das ist recht. Hier kannst du nun auch gleich die Quintessenz kalifornischen Lebens und Treibens kennenlernen. Hier konzentriert sich das ganze wunderbare Schaffen in den Bergen draußen. Diese Tische hier sind unser Barometer in San Francisco, wie der Reichtum im Land drinnen steigt und fällt. Sind die Tische schlecht besetzt, dann darfst du auch sicher sein, dass die Ausbeute in den Minen, durch was auch immer für Umstände, nicht so günstig ausgefallen sind. Drängt sich dagegen, selbst über Tag, alles herein, wie das heute geschieht, so haben die Leute »vortrefflich ausgemacht«, wie sie sagen, und das Gold wandert lustig von Hand zu Hand. Hast du dein Glück schon an einem der Tische probiert?«

»Ich spiele nie«, sagte Hetson ruhig.

»Bah, das darf man hier in Kalifornien nicht verreden«, sagte aber sein Freund und lachte dabei. »Dass du selbst Gold graben willst, kann ich mir nicht gut denken, und dem Glück muss man eben selber ein Pförtchen öffnen, wenn es uns nicht ganz im Stich lassen soll. Ich zum Beispiel habe mir alles, was ich eigentlich besitze, an den Tischen da geholt, und mit einiger Vorsicht denke ich mir solcher Art ein kleines Vermögen zusammenzulegen und dann nach den Staaten als reicher Mann zurückzukehren.«

»Und wenn du wieder verlierst, was du gewonnen hast?«

»Dem Kühnen lächelt das Glück, Freund!«, rief der Amerikaner, den Kopf trotzig zurückwerfend. »Ja, es gibt sogar Mittel, das Glück zu zwingen, uns zu gehorchen, und hast du Lust, so lehre ich dich vielleicht einmal die Kunst. Jetzt aber wollen wir unsere Zeit hier nicht nutzlos versäumen, sondern einmal einen Gang durch den Saal machen. Ich muss dir doch Kalifornien erst vorstellen.«

Ohne auch weiter eine Antwort abzuwarten, zog er Hetsons Arm in den feinen und schleuderte mit ihm in einen der Gänge hinein, die zwischen den Tischen hinführten.

Einzelne von diesen waren augenblicklich unbesetzt, das heißt, es standen keine Fremden daran, denn zwei Spieler saßen an jedem, und zwar einander gegenüber, während zwischen ihnen ein größerer oder kleinerer Haufen Silberdollar, Goldstücke und Goldstaub in kleinen Lederbeuteln oder einzelnen Klumpen aufgehäuft lag. Die müßigen Spieler mischten dann gewöhnlich ihre Karten, hoben ab und probierten mögliche Erfolge, bis ein Vorbeikommender auf eine der Karten setzte, und dann auch gewöhnlich andere nach sich zog.

An verschiedenen Tischen standen dagegen die Spieler und Zuschauer so dicht gedrängt, dass man kaum vorüberkommen konnte. Dies war dann ein sicheres Zeichen, dass hohe Einsätze das Interesse der Leute erregt hatte. Kopf an Kopf drängte sich über-und nebeneinander, und sehr bedeutende Summen standen dort nicht selten auf dem Spiel.

An einem der augenblicklich nicht benutzten Tische saßen sich zwei Leute, ebenfalls nur mit Kartenmischen beschäftigt, stumm gegenüber, die vielleicht nur durch ihren Kontrast Hetsons Aufmerksamkeit erregten. Der eine von ihnen war ein kleiner rotbäckiger dicker Mann, mit ein paar entsetzlichen Vatermördern, die ihm selbst die Ohren halb bedeckten, und über die er, wenn er den Kopf auf eine oder die andere Seite wandte, nur eben hinwegsehen konnte. Der andere war gerade das Gegenteil. Lang und knochendürr zeigte er auch nicht die Spur von weißer Wäsche, die sonst im amerikanischen Anzug eine Hauptrolle spielt. Der enganschließende braune Rock war so fest zugeknöpft, wie er die schmalen Lippen geschlossen und die kleinen braunen Augen zusammengekniffen hielt. Auch den hohen schwarzen Hut, den er trug, und selbst im Saal nicht absetzte, hatte er sich tief in die Stirn gedrückt, und es war ordentlich, als ob der Mann nur so wenig wie irgend möglich von seiner eigenen Person wolle sehen lassen.

»Ein paar merkwürdige Gestalten«, flüsterte Hetson seinem Begleiter zu, indem er auf die beiden deutete. »Welch verschiedene Menschen das Schicksal doch oft zusammenführt!«

»Nicht wahr?«, sagte Siftly lächelnd. »Komm, wir wollen einmal an ihren Tisch treten. Ich habe den beiden übrigens schon manchen Dollar abgewonnen, und ich glaube fast, es sind eben nicht die durchtriebensten Spieler im Saal – scheinen auch gerade keine besonderen Geschäfte zu machen.«

Ohne weiter die Zustimmung des Freundes abzuwarten, blieb er neben dem Tisch stehen, nahm eine Handvoll Dollar aus seiner Tasche und setzte sie auf die nächste Karte. Ein weiteres Wort wurde dabei nicht gewechselt, die Spieler zogen ihre Karten ab, und Siftly hatte gewonnen.

»Versuch du es jetzt selbst einmal, Hetson«, ermunterte er diesen. »Wer weiß, was dir in Kalifornien noch für ein Glück blüht, und den ersten Tag an Land sollte man nicht ungenutzt vorübergehen lassen.«

Hetson zögerte. Er hatte bis dahin wirklich noch nie gespielt. Das viele Gold aber überall auf den Tischen, das lockende Klingen der Münzen. Der rasche Gewinn des Freundes vielleicht, das alles reizte ihn, der Aufforderung Folge zu leisten. Er nahm einen halben Adler – ein Fünfdollargoldstück – aus der Tasche, setzte es und gewann.

»Lass es stehen«, flüsterte sein Gefährte. »Die Sache geht …«

Es wurde wieder abgezogen, aber die Karte verlor dieses Mal.

»Ich würde auf das As setzen«, sagte Siftly.

»Ich habe zu der Sieben mehr Vertrauen«, meinte Hetson und setzte zehn Dollar auf diese Karte. Wieder und wieder verlor er aber, und fünfzig Dollar waren in wenigen Augenblicken aus seinem Besitz in den der beiden Spieler übergegangen.

»Das weiß der Henker«, flüsterte Siftly mit einem noch kräftigeren Fluch. »Ich glaube, die beiden Halunken betrügen doch. Aber warte, ich werde ihnen auf die Finger schauen. Setz jetzt fünfzig auf den Reiter – der hat dreimal hintereinander verloren, und muss gewinnen.«

»Ich danke«, erwiderte aber ruhig der junge Mann. »Ich habe dir jetzt den Gefallen getan und für mich selbst Lehrgeld genug gezahlt. Den beiden Herren dort gönne ich auch meine fünfzig Dollar, aber ich habe auch weiter kein Geld für sie und werde nicht mehr spielen.«

»Unsinn«, rief aber Siftly, »du wirst ihnen doch wahrhaftig nicht die fünfzig Dollar lassen, ohne wenigstens einen Versuch zu machen, sie wieder zu bekommen?«

»Gewiss, werde ich«, erwiderte Hetson, indem er sich vom Tisch wegdrehte, »denn der Versuch könnte mich mehr als das kosten. Aber was ist das für ein wunderbarer Ton, der auf einmal den Saal erfüllt? Erst noch dieses schauerliche Lärmen mit allen möglichen Blas- und Streichinstrumenten und jetzt plötzlich diese himmlische Melodie. Wie kommt diese Musik in solche Spielhölle?«

»Hm«, brummte Siftly, der indessen, ohne dass Hetson es merkte, mit dem mageren Spieler einen raschen und verstohlenen Blick gewechselt hatte, indem er verdrießlich mit den Silberdollars in seiner Tasche klimperte. »Das ist das spanische Mädchen, das hier alltäglich zwei Stunden spielt – eine Stunde nachmittags, und eine Stunde abends. Sie heißt, glaube ich, Manuela. Mir könnte ihr Gefiedel aber nicht besonders behagen, und unsere Landsleute machen sich auch nichts daraus. Die Señores sind jedoch wie toll dahinter her, und so wie sie anfängt, wird der Saal immer gleich bunt von ihren farbigen Ponchos. Siehst Du, wie sie dort schon hereinkommen? Denen zuliebe lässt man es sich also schon so kurze Zeit gefallen, denn die Burschen haben meist alle Gold und sind alle leidenschaftliche Spieler.«

Hetson blieb wie gebannt auf seiner Stelle, so mächtig ergriff ihn das Spiel des spanischen Mädchens, das er oben auf der Tribüne mit einer Violine stehen sah. Die übrigen Musici mochten auch wohl fühlen, dass ihre Instrumente nicht würdig waren, dieses seelenvolle Spiel zu begleiten, und lautlos horchten sie den Tönen, die wie aus den Saiten einer Äolsharfe die Luft durchzitterten.

Aber auch nur die da oben, in unmittelbarer Nähe der Künstlerin, konnten einen Genuss davon haben, denn unten im Saal wogte indessen die Menschenmasse eben so laut und lärmend durcheinander, wie vorher.

Was kümmerte sie die fremde Melodie.

Und wenn es Engelsharfen gewesen wären, das Klimpern des Goldes hatte für sie einen besseren Klang.

»Hetson«, sagte da endlich ungeduldig der Amerikaner, »ich glaubte, du hättest mir etwas sagen wollen. Dem Gefiedele da oben zu lauschen habe ich weder Zeit noch Lust, und wenn du doch einmal nicht mehr spielen willst, so rück heraus mit dem, was du hast, oder ich gehe meiner Wege.«

»Du hast recht«, sagte Hetson rasch, indem er seinen Arm ergriff und ihn dem Eingang zu zog. »Ich war ein Tor, mich nur so lange, wie ich es getan habe, diesen fremden Eindrücken hinzugeben. Komm mit mir ins Freie, und du sollst alles wissen.«

»Hoho, hast du schon Geheimnisse und kaum den Fuß auf unseren Boden gesetzt?«, entgegnete Siftly lachend.

»Geheimnisse gerade nicht, wenn ich dich auch bitten werde, mit niemandem weiter darüber zu sprechen«, sagte Hetson, während er mit einiger Mühe der Tür zu drängte und endlich das Freie gewann. »Aber ich brauche deinen Rat, und den wirst du mir nicht versagen.«

Die beiden Männer hatten die Plaza wieder betreten und schritten langsam Arm in Arm über den offenen Platz, das ärgste Gedränge der hier auf und ab wogenden Menschen an den Häusern und Zelten zurücklassend. Als sie etwa die Mitte desselben erreicht hatten, blieb Hetson stehen und sagte: »Existiert hier ein Platz, wo man die Fremdenlisten einsehen kann?«

»Fremdenlisten?«, fragte Siftly erstaunt. »Was willst du mit denen? Und wer bekümmert sich hier eigentlich um die, die kommen oder gehen?«

»Werden überhaupt Fremdenliften geführt?«

»Ich glaube, ja. Wenn man auch die Leute selber nicht mit Fragen belästigt, müssen wenigstens die Kapitäne, soviel ich gehört habe, ihre Passagierlisten einreichen. Nur über die Tausende, die aus den Staaten über die Berge kommen, wird aus dem einfachen Grund keine Kontrolle geführt, weil das unmöglich wäre.«

»Die Schiffslisten genügen«, sagte Hetson rasch, »und wo kann ich die einsehen?«

»Ich glaube im Courthouse, wo ein Fremdenbüro errichtet ist oder errichtet werden soll. Aber du fürchtest doch nicht etwa einen Gläubiger? Hahaha, der müsste viel Geld mit herbringen, wenn er in jetziger Zeit eine derartige Klage gegen einen Amerikaner durchsetzen wollte. Ja, wenn du ein Fremder wärst. Außerdem bist du, soviel ich weiß, Advokat, und …«

»Es ist kein Gläubiger«, unterbrach Hetson finster den Redenden, »und die Sache, in der ich dich um deinen Rat bitten wollte, betrifft weder Gold noch Goldes wert, sondern die Ruhe meines ganzen Lebens. «

»Was hast du?«, sagte Siftly erstaunt, »Du bist ja ganz außer dir. Wen erwartest – oder wen fürchtest du?«

»Fürchten – du hast das rechte Wort genannt«, rief Hetson rasch, indem er des Mannes Arm ergriff und scheu über seine eigene Schulter sah, als ob er das Schreckgebilde, das seine Ruhevergiftete, schon da, schon in seiner Nähe wähnte.

»Fürchten – pah!«, zischte aber der Amerikaner verächtlich zwischen den Zähnen durch. »Wenn es ein Wesen ist, dem sich mit Pulver und Blei oder kaltem Stahl beikommen lässt, was hast du da zu fürchten? Ich fürchte den Teufel nicht!«

Hetson sah wild und ausdruckslos in seine Augen. Es war, als ob ihm selber in dem Moment ein neuer Gedanke, ein Hoffnungsstrahl dämmere.

»Und wer ist es?«, fragte Siftly mit ruhiger Stimme, während das verächtliche Lächeln seine Lippen noch immer nicht verlassen hatte.

»Der Bräutigam meiner Frau!«, flüsterte da Hetson.

»Hahaha!«, gab der Amerikaner lachend von sich. »Das ist allerdings eine wunderliche Verwandtschaft. Bist denn du der nicht selber gewesen?«

»Höre mich an«, sagte Hetson mit vor innerer Aufregung fast heiserer Stimme. »Meine Frau war verlobt, ehe sie mich kennenlernte. Sie hielt ihren Bräutigam für tot, heiratete mich und erhielt erst nach unserer Trauung die Nachricht, dass er noch lebe und sie aufsuchen wolle.«

»Und woher weißt du das?«

»Sie hat es mir selber gesagt, mir den Brief gezeigt.«

»Sie selber? Hm, dann ist die Sache auch nicht so gefährlich. Sie mag dann jedenfalls nichts mehr von ihm wissen.«

»Ich fürchte, sie liebt ihn heißer als je zuvor«, flüsterte aber Hetson, »und tut nur das, was sie eben für ihre Pflicht hielt.«

»Und weiß er, wo sie ist?«

»Ich hoffe, nein. Ich habe ihn wenigstens auf eine falsche Fährte gesetzt, falls er ihr nachforschen sollte. Aber wenn er nun doch …«

»Du quälst dich mit einem Hirngespinst«, sagte da kopfschüttelnd der Amerikaner. »Wozu die vielen Wenn und Aber? Erst lass ihn kommen. Nachher ist immer noch Zeit, ihn beiseitezuschaffen, falls er gefährlich werden sollte. Es ist ein Landsmann?«

»Nein, ein Engländer.«

»Ein Engländer? Puh, und deshalb das Aufheben«, sprach der Mann, lachte laut auf und machte sich von Hetson, der seinen Arm gefasst hatte, los. »Ich hätte dich für vernünftiger gehalten. Ist er gescheit, so folgt er dir nicht nach, und käme er wirklich – wollten wir es ihm vertreiben, im fremden Revier zu jagen. Aber jetzt sag mir, was ist dir überhaupt eingefallen, mit einer Frau nach Kalifornien zu kommen? Was um Gotteswillen gedenkst du hier mit ihr zu tun und wo zu bleiben? In der Stadt?«

»Ich weiß es selbst noch nicht«, sagte Hetson. »Nur fort wollte ich – fort aus jener Gegend, wo ich jeden Augenblick fürchten musste, mit einem Nebenbuhler zusammenzutreffen, und da war Kalifornien …«

»Das unglücklichste Land der Welt, das du dir hättest aussuchen können«, unterbrach ihn Siftly. »In späterer Zeit mag es allerdings sein, dass auch Frauen und Familien hier herüberziehen. Jetzt aber ist das ganze Land nur ein rauer Staat für Männer. Wie eine Fürstin könntest du auch in jedem anderen deine Frau mit demselben Geld unterhalten, was es dich hier kosten wird, ihr nur die nötigsten Bedürfnisse zu verschaffen. Doch das ist eine Sache, die du mit dir selber auszumachen hast. Apropos, wie heißt denn jener englische Herr, vor dem du einen so heillosen Respekt hast – wenn ich ja einmal zufällig mit ihm zusammentreffen sollte?«

»Golway, Charles Golway.«

»Es ist gut, ich werde mir den Namen merken«, sprach Siftly.

»Und was soll ich jetzt tun?«

»Du? Nichts. Warte ab, bis er wirklich kommt, dann erklär ihm ganz einfach, dass Du ihm ohne weitere Warnung eine Kugel durch den Kopf schießen würdest, so wie er nur ein einziges Wort mit deiner Frau wechselt – und nachher mache deine Drohung wahr. Die Gesetze brauchst du nicht zu fürchten. Erstens schützen sie dich, wo du so auffallend in deinem Recht bist. Und zweitens, täten sie es nicht, so sind wir selber Manns genug, das zu besorgen. Jetzt aber muss ich fort. Ich habe überdies schon viel zu lange Zeit hier mit dir verplaudert. Heute Abend findest du mich wieder im Saal des Parkerhauses.«

»Aber das Courthouse?«

»Ist jenes lange Gebäude dort drüben«, sagte Siftly, mit dem Arm über die Plaza deutend, nickte Hetson zu, und schritt rasch die der Bay zuführende Straße hinab.