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Der bayerische Hiesel – Teil 31

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Die Erscheinung

Ermüdet von den Anstrengungen der Jagd, des weiten Marsches in tiefem Schnee, und den Mord angriffen, warf sich Hiesel in einer leicht zusammengefügten Bretterhütte im Wald auf sein Mooslager hin. Vor der Hütte brannte ein Wachtfeuer, um welches die Wildschützen, ihre Gewehre im Arm, teils halb schlummernd saßen, teils eben gebratenes Hirschfleisch verzehrten und fleißig ihren Schnapsflaschen zusprachen.

Dem Hiesel gegenüber lag Afra schlummernd auf Stroh, welches über Bretter gebreitet war, die auf Baumstämmen ruhten. Eine wollene Decke verhüllte die Leidende, und nur ihr schönes, aber blasses Gesicht wurde von den matten, zuckenden Strahlen eines alten Öllämpchens beleuchtet, das an einem Pfahl der Hütte mit einem krumm gebogenen Draht befestigt war.

Hiesel konnte nicht schlafen, tausend Gedanken durchstürmten sein Gemüt. Sanft schlummernd lag Afra vor ihm. Der Schmerz der Wunde hatte ihre Züge verschönert. Bisweilen wimmerte sie leise und stöhnte aus tiefer Brust.

Die Erinnerung an sein früheres Verhältnis zu Afra lebte wieder in Hiesels Gemüt auf. Er fühlte sich zu dem Mädchen hingezogen, ob mehr aus Sinnenreiz oder Mitleid, darüber konnte er sich selbst keine Rechenschaft geben. Er stand auf, und trat vor Afras Lager hin, mit aufmerksamen Blick sie betrachtend. Alle Abenteuer seit jener Zeit bewegten sich vor seinem Inneren vorüber.

Wäre aber auch das Mädchen nicht krank gewesen, er würde dennoch jeder Versuchung widerstanden haben, denn der Gedanke, die Konkubine seines Todfeindes zu berühren, überwog den Sinnenrausch. Er verachtete Afra, und dennoch konnte er das Mitleid nicht unterdrücken.

Also vor sich hinstarrend, stand er regungslos vor Afra, als sie plötzlich leise seufzend träumte.

»Hiesel, ach, warum hast du mich verlassen? Ich habe dich so sehr geliebt, ach so … weg, weg mit dem Mörder! Weh mir!«

Schon streckte er die Hand aus, um Afra sanft aus ihrem bösen Traum zu wecken, als hinter ihrem Haupt die Gestalt seiner geliebten Marie langsam aus der Erde auftauchte, bleich, mit trüben Augen, über die Schulter hängenden Haaren, und dem Hiesel mit dem tonlosen Hauch einer dem Grab Entstiegenen zuflüsterte: »Hiesel, hilf mir!« Dann schwebte sie langsam zur verschlossenen Tür hinaus.

Von seinem Schrecken sich ermannend, sprang Hiesel ihr nach und schrie den Kameraden zu: »Habt ihr sie gesehen? Wo ist sie hin?«

Die Wildschützen fuhren von ihren Sitzen auf, in der Meinung, Hiesel spreche von Feinden, die sich näherten. Als er nun hörte, alles sei ruhig und keine Meldung einer drohenden Gefahr von den ausgestellten Posten gemacht worden, auch Tiras verhalte sich ruhig, schüttelte er bedenklich den Kopf, ging in die Hütte zurück und schlief aus völliger Ermüdung ein, von bösen Träumen gequält.

Als er gegen 6 Uhr morgens erwachte, viel später, als er gewohnt war, sein Lager zu verlassen, näherte sich schon Afra demselben mit einer kräftigen warmen Biersuppe, die sie ihm ungeachtet ihren Schmerzen in der verwundeten Schulter, mit eigener Hand bereitet hatte.

»Iss, lieber Hiesel«, bat sie, »du hast dich gestern zu sehr angestrengt und vielleicht auch erkältet, denn heute Nacht warst du sehr unruhig und hast fortwährend im Schlaf laut gesprochen. Mir war recht bange um dich. Freilich mag dir jetzt nichts mehr daran gelegen sein, weil du mich nicht mehr liebst. Aber deswegen werde ich doch nie aufhören, für deine Gesundheit und dein Leben besorgt zu sein. Bleibe mein Bruder. Dass du mein Geliebter nicht mehr sein kannst, sehe ich recht wohl ein. Ach, es ist hart, dass es so kommen musste!«

»Wohl gesprochen, Afra, ich bleibe dein Bruder und verlasse dich nicht, solange ich lebe. Leben aber und Freiheit ist bei mir eins.«