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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 29

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 29

Wie Fritz doch noch zu erkennen war, und das Ganze ein gar freundliches Ende nahm

Ein zum Richter hinaufgesandter Bote kehrte noch vor dem Frühstück mit diesem zurück. Die Gefangenen wurden dem Sheriff übergeben, sie bis zu ihrem Verhör in dem dicht daneben liegenden Gefängnis zu halten.

Als sie gerade abgeführt werden sollten, trat Wildau auf den gefesselten Seemann zu, der sich von dem Schlag wieder erholt hatte, die blutige Stirn aber noch immer mit einem Tuch umwunden hielt. Mit untergeschlagenen Armen vor ihm stehen bleibend, sagte er finster zu ihm aufblickend: »Und Ihr kennt mich nicht mehr, Kamerad?«

»Kamerad?«, rief der Pirat, schaute wild und verstört in die zürnenden blauen Augen des jungen Mannes. »Kamerad?« Ihm war unheimlich zumute, denn der Fremde wusste mehr von ihm, als ihm lieb war. Aber er schüttelte den Kopf und brummte finster vor sich hin. »Auf der Welt laufen eine Masse Fratzen herum, die einander gleich sehen. Ich kenne Euch nicht.«

»Und hat Mr. Blighton so ganz seinen alten Steward vergessen?«

Der Räuber fuhr empor, als ob ihn eine Schlange gebissen hatte. Sein Blick haftete einen Moment in finsterem Entsetzen auf den Zügen des jungen Deutschen.

Jetzt schien auch in der Tat zum ersten Mal ein Gedanke an Flucht in ihm zu dämmern, denn er sah wild um sich her und riss an seinen Fesseln.

Der Constable klopfte ihm aber lachend auf die Schulter und sagte, mit dem Kopf schüttelnd: »Unnütze Mühe, mein Bursche, die Stricke halten, aber wenn dir die nicht genügen, kannst du noch bald einen besseren bekommen. Und jetzt fort – fort mit Euch, Ihr habt lange genug die Luft hier verpestet, denn da kommen die Damen und denen wollen wir den schönen Morgen nicht mit Eurem scheußlichen Anblick verderben. Fort mit Euch!«

Die Gefangenen wurden weggeführt, Blighton bald darauf durch den Strang, die anderen durch Gefängnis ihre Verbrechen zu büßen. Der Richter hatte den Damen die Gefahr, in der sie diese Nacht geschwebt hatte, ausführlicher erzählt und ihnen dabei versichert, wie sie wohl nur dem umsichtigen und entschlossenen Handeln eines jungen deutschen Pflanzers ihr Eigentum, ja vielleicht ihr Leben zu verdanken hätten. Scipio, der durch den Schuss nur leicht an der Schulter verwundet war, berichtete dabei seine eigene Rettung durch denselben. Die Frauen konnten es in der Tat kaum erwarten, ihrem Retter so recht aus vollem Herzen zu danken.

Auf der Veranda waren aber viele Leute. Sie ersuchten den Richter, ihn in den Saal hereinzurufen.

Fritz Wildau gehorchte dem Ruf mit klopfendem Herzen. Der Augenblick war gekommen, nach welchem er sich Jahre lang so heiß gesehnt hatte, so schön gekommen, da er sich als den Retter der ihm liebsten Wesen betrachten konnte. Doch fürchtete er jetzt sich zu erkennen zu geben, fürchtete den Moment, den er noch kurz vorher so gern mit allem erkauft hätte, was er sein nannte.

»Hochverehrter Herr!«, begann da die Matrone, als er sich ihnen näherte, und Helene hocherrötend ihm entgegen ging, ihm nicht mit kalten Worten, sondern mit warmem Händedruck für ihre Rettung zu danken. »Hochverehrter Herr, wir sind Ihnen, einem gänzlich Unbekannten, in dieser Nacht zu so großem Dank verpflichtet worden, dass ich in der Tat gar nicht weiß, wie ich mich dessen entledigen soll.«

»Und bin ich Ihnen denn in der Tat so gänzlich unbekannt?«, stotterte da der junge Deutsche, während er der Jungfrau dargereichte Hand ergriff. »Können Sie sich gar nicht mehr meiner erinnern, Mrs. Wolfram, Miss Helene?«

»Segne meine Seele«, sagte die alte Dame und schaute überrascht zu ihm auf. »Ich kann mich doch nicht besinnen …«

Helene fühlte, wie seine Hand, in der die ihre ruhte, zitterte. Aber es bedurfte nur eines Blicks. Das Blut, das ihr erst in die Wangen schoss, drängte mit einem Schlag zum Herzen zurück, während sie leise flüsterte: »Fritz Wildau!«

»Fritz Wildau?«, wiederholte die alte Dame in wirklich unbegrenztem Erstaunen. »Fritz Wildau? Ei wahrhaftig, unser alter lieber Fritz!« Den jungen Mann an sich ziehend fiel sie ihm um den Hals und herzte und küsste ihn, als ob es noch der Knabe gewesen wäre, den sie in seiner Kindeszeit liebgewonnen und seines harten Loses wegen ach so oft bedauern, ja später, als sie gar nichts wieder von ihm gehört und ihn untergegangen glauben musste, beweint hatte wie einen Toten.

Die alte würdige Frau war ihm stets eine Mutter gewesen. Auch Wildaus Tränen flossen ungehindert. Er schämte sich ihrer nicht. Es waren ja Freudentränen.

Mrs. Wolfram wollte den jungen Mann gar nicht wieder von sich lassen, und erzählen sollte er, nur immer erzählen, wie es ihm die Zeit gegangen war, wo ihn das Schicksal herumgeworfen und was er ausgestanden habe. Ach, sie wusste, was ihr verstorbener Mann an ihm, dem Knaben verschuldet und wie es eigentlich sein Erbteil gewesen, dem sie ihren Reichtum verdankten, denn das böse Gewissen hatte den Mann nicht sterben lassen, ohne sein Herz wenigstens der eigenen Frau gegenüber erleichtert zu haben. Aber jetzt war auch die Zeit gekommen, wo sich ihr die Möglichkeit bot, ihm wenigstens einen Teil des so unschuldig Ertragenen wieder zu vergüten. Sie zeigte sich fest entschlossen, diese nicht unbenützt vorübergehen zu lassen.

Wo aber finde ich nun Worte, das Glück unseres jungen Freundes jetzt zu schildern? Es war eine liebe, fröhliche Zeit, die von dem Tage an für ihn begann!

Vergessen war alles, was er in den langen schweren Jahren an Leid und Ungemach ertragen, vergessen das Weh, das ihm oft das Herz zusammengeschnürt hatte, wenn er allein und freundlos seine einsame Bahn verfolgen musste.

Das Ziel war erreicht, dem er mit bravem mutigem Herzen treu und wacker entgegen gestrebt war. Die lieben Menschen, die einzigen, die ihm auf der weiten Welt ja noch geblieben, standen gesund und glücklich vor ihm und sprachen Worte der Liebe zu ihm, die seinem Ohr ja so fremd und doch so teuer klangen. Ein neues Leben lag jetzt vor ihm, ein Leben voll Licht und Glück und Sonnenschein, wie er es wohl kaum für möglich gehalten hatte, dass es ihm noch jemals dämmern könne.

Madame Wolfram ging aber mit ihrer Tochter nicht nach New Orleans, wie sie noch am vorigen Tag beabsichtigte, und noch weniger nach Deutschland, wohin sie hatte zurückkehren wollen.

Noch an demselben Tag sprach sie offen und frei mit dem jungen Mann über die Vorfälle seiner früheren Heimat, die ihn damals zwangen, den Hudson zu verlassen, bekannte sich als seine schwere Schuldnerin und erklärte sich mit freudigem Herzen bereit, das alles wieder gutzumachen an ihm, dem ungerecht Verstoßenen, was noch in ihren Kräften lag, und mit Geld, mütterlicher Liebe und Treue vergütet werden konnte. Sie wurde nicht müde dabei, dem Wiedergefundenen, der sie ja noch mehr durch seine kühne Tat in seine Schuld gebracht hatte, zu versichern, wie glücklich sie das machen würde.

Aber auch Fritz war glücklich. Doch nicht des Geldes bedurfte er, der sich die eigene Heimat schon gegründet, aber wohl führte er wenige Monate später die Gespielin seiner Jugend als sein trautes Weib auf seine Plantage am Atchafalaya River. Die Familie Wildau gehörte von da an nicht allein zu den reichsten, nein auch zu den geachtetsten und geliebtesten des weiten und mächtigen Mississippitals.

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