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Die Macht der Drei – Teil 14

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Die Bedingung, an die Erik Truwor sein Versprechen geknüpft hatte, trieb Silvester zu fieberhafter Tätigkeit an Er achtete kaum der Zeiteinteilung und arbeitete die Tage und die hellen Nächte, nur getrieben von dem einen Wunsch, den neuen Apparat fertig zu haben und dann zu holen und zu sich zu nehmen, was ihm das Teuerste war.

In rastloser Arbeit schaffte er, bis das letzte Stück gegossen, die letzte Speiche geschmiedet, die letzte Schraube geschnitten war. Da ließ er den Drehstahl aus der Hand sinken und wandte sich zu Erik Truwor: »Wenn du wüsstest, in welcher Verzweiflung ich hier gestanden und gearbeitet habe, wenn du meine jetzige Freude verstündest. Doch du … du …«

»Du …? Du weißt nicht, was Liebe heißt, wolltest du sagen.«

Silvester hörte den bitteren Unterton, der in den sarkastischen  Worten lag.

»Du, Erik? Du, auch du …«

Silvester schwieg. Er sah die tiefen Falten, welche die Stirn Erik Truwors furchten. So hatte auch Erik Truwor, der gegen alle Anfälle des Lebens gefeit schien, ein Geheimnis, einen verborgenen Kummer.

»Verzeih, Erik, wenn ich ungewollt eine Wunde berührte, von der ich nicht wusste. Ich glaubte nicht, dass dein Stahlherz je Frauenliebe verspürte.«

»Kein Mann wird mit stählernem Herzen geboren. Der es besitzt, hat es nach bitterer Enttäuschung und Entsagung erworben. Die Wunde ist verharscht …«

Wie mit sich selbst sprechend, fuhr er leise fort: »Ganz verharscht und geheilt seit dem vorgestrigen Morgen. Ohne Bewegung und ohne Bedauern kann ich heute von einer Zeit erzählen, wo ich der glücklichste Mensch auf Erden war … und dann der unglücklichste … Es war während meines Pariser Aufenthalts.

Die Verleumdung wagte sich an mein Ideal heran.

Ich forderte den Verleumder und traf ihn tödlich.

Dann ging ich zu meiner Verlobten. Ich forderte Aufklärung. Ihre Rechtfertigung ging an meinem Herzen vorbei. Ich gab ihr den Ring zurück. Ging fort von Paris, durchirrte die Welt.

Es hat vieler Jahre bedurft, bis ich die Ruhe wiederfand. Heute denke ich anders darüber. Wenn ich heute … Warum davon noch sprechen.

Heute gilt es Mannestat! Was mich heute bewegt, was mir Herz und Hirn erfüllt, schaltet jeden Gedanken an eine Frau aus.

Es gilt einen Wurf, der unsere Welt umgestalten soll … Wenn du wieder zurück bist, wenn dein Herz frei von der Sorge ist, will ich dir sagen, wozu das Schicksal uns bestimmt hat.«

»Wenn ich zurück bin, Erik. Jetzt denke an dein Versprechen. Ich habe getan, was ich tun sollte.«

Bevor Erik Truwor zu antworten vermochte, sprach Atma: »Es ist nicht gut, das Mädchen in der Hand der Gewalt zu lassen.«

Atma saß zurückgelehnt. Seine Augen blickten weitgeöffnet in die Ferne. Die Pupillen zogen sich eng und immer enger zusammen. Seine Hände ruhten auf einem tibetanischen Rosenkranz.

»So sah er aus, als er mir riet … nein, befahl, nach Trenton zu gehen.«

Erik Truwor flüsterte es Silvester zu. Nach einigen Minuten erschütterte ein tiefer Atemzug die Brust des Regungslosen. Seine Pupillen bekamen wieder ihre natürliche Weite. Er sprach: »Die feindliche Kraft ist am Werk. Glossin hat den dritten Ring. Er sinnt auf Böses. Wir müssen den Ring holen … und das Mädchen.«

Erik Truwor widersprach. Was solle der Ring? Auf die Männer käme es an. Die wären zusammen!

»Welchen Auftrag gab dir Jatschu?«

Atma stellte die Frage tibetanisch, und Erik Truwor antwortete in der gleichen Sprache: »Er sagte: Suchet den dritten Ring!«

»Das sagte er? Also müssen wir ihn suchen. Die Wege des Lebens sind tausendfach verflochten. Was dir als Nebensache erscheint, wird zur Hauptsache, wenn das Rad sich dreht. Erst den Ring! Dann das Mädchen und dann … alles andere. So ist es bestimmt. So wird es geschehen.« Atma hatte es leise und monoton, noch unter der Einwirkung des kataleptischen Zustandes gesprochen. Aber ein zwingender Wille ging von den Worten aus. Unter dem Zwang gab Erik Truwor seine Einwilligung.

»So sei es denn. Ihr beide mögt gehen, den Ring und das Mädchen holen. Ich bleibe hier und baue den Strahler. Brecht morgen mit dem Frühesten auf. Tut, was ihr tun müsst …«

»Noch diese Nacht. In einer Stunde. Eile tut not.«

Soma Atma sagte es. Der Inder, der lange Tage und Wochen untätig verbringen konnte, der Stunden hindurch, in die Betrachtungen seiner Lehre versenkt, wie eine Bildsäule saß, während Erik Truwor und Silvester mit Anspannung aller Kräfte arbeiteten, der sonst so tatenlose Inder war jetzt ganz Willen und Tat.

»In einer Stunde brechen wir auf. Die Maschinen sind nachzusehen. Das Schiff muss hierhergebracht werden. Den kleinsten Strahler müssen wir mitnehmen. Wir könnten ihn brauchen.«

Atma befahl, und die Freunde gehorchten seiner Weisung.

In einer Stunde lässt sich viel tun. Was Menschenkraft zu tun vermag, geschah in dieser Zeit. Das Flugschiff lag auf der Wiese vor dem Truworhaus. Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Dann ein kurzer Händedruck, und ein silberner Stern schoss in die Wolken.

Die hohe Gestalt Erik Truwors blieb allein auf dem Feld zurück. Die Strahlen der Mitternachtssonne umströmten ihn. Er stand und sah, wie die Sonne vom tiefsten Stand ihres Bogens in Mitternacht sich hob und stieg.

Langsam schritt er seinem Haus zu und überdachte die alte Weissagung. Sie verhieß Gewaltiges. Sie gab ihm, der oft willens gewesen war, das Leben wie ein unbequemes Gewand abzutun, wieder Daseinszweck.

Er trat in das Haus und ging in die Bibliothek. Den alten Schweinslederfolianten ergriff er, der dort abseits von den anderen Büchern in einer Truhe lag.

Die Geschichte seines Geschlechtes. Auf vergilbtem Pergament die handschriftlichen Aufzeichnungen seiner Ahnen und Urahnen. Zurückgehend bis in das 10. Jahrhundert . Jede große europäische Bibliothek hätte diesen Folianten mit Gold aufgewogen Er schlug die alte so oft gelesene Stelle auf. In diesem Teil war der Foliant lateinisch geschrieben. Ein schwerfälliges, frühmittelalterliches Latein. Der Schreiber brauchte lateinische Worte, aber altnordischen Satzbau. Er schilderte die Ereignisse, die sich zweihundert Jahre früher, um die Mitte des 10. Jahrhunderts, begeben hatten.

»Da schickten die Slawen von Sonnenaufgang eine Gesandtschaft zum Stamm Ruriks. Die sprach: Sendet uns Männer, die uns beherrschen, denn wir können uns nicht selbst regieren. Keiner will dem anderen gehorchen. Zwietracht verheert das Land …«

Ein Truwor war damals nach Russland gegangen. Männer aus Nordland hatten das zwieträchtige Slawenvolk regiert und geeint. Vor tausend Jahren. Die Weltgeschichte wiederholt sich nicht wörtlich. Aber sie wiederholt sehr oft ein altes Thema mit freien Variationen.

Die Eintragungen in diesem Buch gingen bis in die Gegenwart. Als letzte Bemerkung stand dort, von Eriks Hand geschrieben, der Tod Olaf Truwors eingezeichnet. Seitdem stand das Geschlecht der Truwor auf zwei Augen. Auf den beiden Eriks, die jetzt suchend in die helle Nacht blickten, als wollten sie kommende Jahre durchspähen.

Je länger sich Erik Truwor in die Erfindung Silvesters vertiefte, desto gewaltiger erschien ihm die Macht, die sie gewährte. Immer wieder suchte er mit nüchternen Gründen gegen das Überwältigende der Idee anzukämpfen. Es schien ihm unmöglich, dass eine Erfindung einem einzigen Menschen die unbeschränkte Macht über die ganze Welt verleihen solle. Und doch gelang ihm die Widerlegung nicht.

Er griff sich an die Stirn, als wolle er einen Traum verscheuchen, der ihn narre. Er versuchte es zum zehnten und zwölften Mal von einer anderen Seite aus, und immer wieder brachte ihn die Schlusskette an das nämliche Ziel.

Er konnte der Welt seine Befehle mitteilen. Elektromagnetisch in Form drahtloser Depeschen. Der Strahler ersetzte jede drahtlose Station.

Die Welt konnte seine Befehle missachten. Er konnte Strafen auf die Missachtung setzen, und er war in der Lage, schwer zu strafen. Ganze Regierungen konnte er einäschern. Die Sprengstofflager feindlicher Staaten zur Explosion bringen. Eiserne Waffen elektromagnetisch unbrauchbar machen.

Alles konnte er. Nur einen schwachen Punkt hatte seine Macht. Er war ein einzelner, war ein sterblicher Mensch gegen Millionen anderer Menschen. Ein Schuss konnte ihn töten. Eine Bombe konnte ihn mit seinem Haus vernichten. Nie durfte er selbst an die Öffentlichkeit treten, nie durften seine Gegner seinen Aufenthalt erfahren. Seine Macht war übermenschlich, solange sie geheimblieb und vom unbekannten Ort aus wirkte. Sie wurde angreifbar, sobald die Gegner ihren Sitz und Ursprung errieten.

Erik Truwor ließ die vergilbten Pergamentblätter des alten Folianten durch die Finger gleiten. Kam vom Pergament zum Büttenpapier und schließlich zu einem Schuss glatten Maschinenpapiers, den Olaf Truwor dem Buch eingeheftet hatte.

Wenige Zeilen in der charakteristischen Handschrift seines Vaters: »Mit seltener Hartnäckigkeit hat sich in unserer Familie die Sage erhalten, dass ein Spross unseres Stammes der Welt noch einmal Gesetze geben wird. Ein Harald Truwor hat den Glauben an die Legende Anno 1542 mit seinem Kopf bezahlt. Ich habe es immer vermieden, von dem alten Spuk zu sprechen. Hoffentlich kommt die Sage jetzt endlich zur Ruhe.«

Erik Truwor musste trotz seiner ernsten Stimmung lächeln. Es war ihm schon klar, wie solche Sagen sich fortpflanzen. In den Dienerstuben wurde davon gesprochen. So hatte er selbst als Kind davon gehört, und die Erinnerung war bis heute haften geblieben. Auch ohne die Aufzeichnungen seines Vaters hätte er darum gewusst. Etwas anderes erschien ihm wichtiger. War die Sage begründet? Bestimmte das Schicksal die Taten und Leistungen des Einzelnen wirklich auf Jahrtausende im Voraus? Die Frage quälte ihm und er konnte die Antwort nicht finden.