Das Geisterschiff und der Fliegende Holländer Teil 19
Das Geisterschiff und der Fliegende Holländer
Lebendig im jüngsten Gericht oder Rache bis über das Grab hinaus
Eine höchst schaudervolle Geschichte höllischer Bosheit
Der Mörder
An einem herrlichen Frühlingsmorgen erblickte Philipp, über den Bord seines Schiffes gelehnt, zum ersten Mal wieder das heimatliche Ufer, nicht mehr mit den Wolken des Trübsinns auf seiner Stirn, sondern mit dem heiteren Antlitz der Hoffnung.
Obgleich noch immer bei dem Anblick des Geisterschiffes von furchtbarem Schauder erfasst, stieg doch bisweilen der Gedanke an die Versicherung seines Freundes Krantz in ihm auf, dass diese Erscheinungen nur haltlose, wenn auch unerklärliche Lustgebilde seien.
In Amsterdam hatte sich inzwischen die Kunde von dem gänzlichen Untergang der Schiffe verbreitet. Es war daher das Eintreffen der beiden geretteten Schiffe unter dem Kommando Philipps umso überraschender, weshalb denn auch die beteiligten reichen Handelsherren in Amsterdam den Zurückgekehrten ein glänzendes Festmahl veranstalteten. Alle Schiffe im Hafen flaggten, bunte Fahnen wehten vor den Pforten des hellerleuchteten Festhauses und ein lautes Lebehoch erscholl dem um Mitternacht scheidenden Vandendecken.
Nur von seinem Freund Krantz begleitet, drängte sich Philipp durch das unten auf der Straße gaffende Gewühl, um bald seine Herberge Zum Falken zu erreichen, weil er nach einer Ruhe von wenigen Stunden sogleich die Reise zu seiner geliebten Amine antreten wollte. Es war eine sternlose finstere Nacht.
Als beide die Mitte eines schmalen Ganges erreicht hatten, der zu der Herberge führte, stürzte plötzlich hinter einem steinernen Vorsprung ein Mann hervor, der mit den Worten »Zum Andenken an das heutige Fest!« einen kräftigen Dolchstoß auf die Herzseite Philipps führte, ohne Erfolg – da dieser in der linken Brusttasche seines Rockes eine Blechkapsel trug, in welcher er wichtige Dokumente für die Admiralität mitgebracht und ihr übergeben hatte.
Philipp packte mit starker Hand den Mörder am Arm. Krantz wollte jenem beistehen, aber der Mörder hatte sich im Ringen seinen Dolch zufällig in sein einziges Auge gestoßen, und war mit einem gellenden Jammerschrei zu Boden gesunken. Die herbeigeeilte Scharwache schleppte ihn fort. Philipp, der seinen Freund Krantz mit sich nehmen wollte, ließ ihn vorläufig zur Erkundigung nach dem ferneren Verlauf dieser Angelegenheit, in Amsterdam zurück und eilte mit einem raschen Gespann der Heimat zu.
Die gerichtliche Untersuchung ergab, dass der Mörder, welcher durch den Verlust seines noch einzigen Auges nun völlig blind war, an seiner Hand einen Ring mit den Buchstaben M.v.Z. trug. Er verweigerte jede Nahrung, und auch nur die kleinste Antwort auf irgendeine an ihn gestellte Frage. Am zweiten Tag starb er an einer Gehirnentzündung unter den schauderhaftesten Ausbrüchen seiner gefolterten Phantasien. Seine letzten Worte waren: »Treuebruch! Rache bis in den Tod, bis über das Grab hinaus!«
Von einem lang andauernden hitzigen Fieber seit Veitens höllischer Lüge von Philipps Tod wieder der vollen Genesung harrend, lag Amine in ihrem Bett und hörte die Tröstungen des Pater Seysen, der sie auch während ihrer Krankheit in jedem freien Augenblick besucht hatte. Er machte sie aufmerksam, dass eben jetzt die Sonne durch den starken Nebel breche, und dass so auch oft nach Leiden und Schmerzen die Sonne der Freude auf unsern Lebenspfad leuchte.
Da wurde an die Haustür geklopft und die Magd Dina empfing aus der Hand des Postboten einen Brief an Frau Amine Vandendecken, den sie aber aus Vorsicht dem Pater Seysen, als er fortging, aushändigte.
Es war Philipps Brief, den er mit jener Brigg der Ostindischen Compagnie, die seine geretteten Gefährten aufgenommen hatte, seiner geliebten Amine sendete, die Nachricht seiner glücklichen Rettung enthaltend.
Pater Seysen war über diese höchst willkommene Botschaft überaus erfreut und bereitete Amine mit der sorgfältigsten Schonung darauf vor. Mit Erlaubnis des Arztes durfte sie gegen Abend in der Laube des Hausgärtchens frische Luft schöpfen. So saß sie da, ihr liebes Kind auf den Armen. Der Pater Seysen sprach wieder von den wunderbaren Wegen der Vorsehung mit ihr und gab ihr, nach stufenweiser Vorbereitung auf eine freudige Kunde, den Brief.
Mit forschendem Blick den Brief überfliegend, sank sie, ihr Kind im Arm, auf ihre Knie nieder und blickte mit tränen vollen Augen und wortlosem Dank zum Himmel empor.
Nach wenigen Stunden rollte ein Wagen heran und hielt vor der Tür. Amine legte ihr Kind sanft auf den Rasen und erhob sich mit ausgebreiteten Armen.
Eine liebe teure Stimme im Haus rief: »Amine! Amine!«
Sie wollte hin, sie war wie gebannt. »Philipp, Philipp, mein lieber Philipp!«, schluchzte sie, und im nächsten Moment stürzte der glücklich Heimgekehrte in die Arme der von der höchsten Wonne fast überwältigten Amine.