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Das Harzmärchenbuch von August Ey Teil 33

Sagen und Märchen aus dem Oberharz
Gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862

Der Schneidergeselle und der Geist

Ein Schneidergeselle ging auf die Wanderschaft, denn Schneider müssen wandern, um ihr Glück zu machen. Gottesfürchtig wie er war und fromm, besuchte er die Kirche, wenn er Gelegenheit hatte. War er auch einmal in eine Kirche gekommen und eingeschlafen, denn er hatte schon einen ordentlichen Marsch gemacht, und der Pastor hatte es so schön gemacht, dass die Leute in seiner Kirche recht leicht anfingen zu nicken und den Kopf zu hängen. So war es auch unserem Schneider gegangen. Die Leute hatten aber gewusst, wie lang sie ungefähr schlafen konnten, bis dahin, dass die Kirche aus war. Das hatte aber der Schneider nicht gewusst, er hatte deshalb fortgeschlafen, als die Kirche aus war und auch zugemacht wurde. So schlief er bis Mitternacht. Da weckte ihn ein Geräusch in der Kirche unten. Er ging hinunter und wunderte sich nicht wenig, dass da mitten im breiten Gang ein Sarg mit einem Leichnam stand und zwei Männer dabei waren, die die Leiche aus dem Sarge zerren und ihr das Leichentuch vom Leib reißen. Es war nämlich an dem Ort Mode gewesen, dass alle Gestorbenen eine Nacht in die Kirche gesetzt werden mussten,. wo sie, wenn sie im Leben gut gewesen waren, bekränzt und belobt werden konnten. Wenn sie aber schlecht waren, so hatte man sie auch beschimpfen und beschämen können. Wie es denn mit dem Toten im Leben gestanden hatte, das hatte man dann am anderen Morgen gesehen.

Deshalb fragte der Schneider die beiden, die den Leichnam so lohnen wollten, was denn der tote Mensch Arges gemacht hätte, dass sie so arg ihm mitspielen wollten. Da antwortete der eine, er wäre ihnen mit achtunddreißig Taler hingestorben, und sie müssten nun den Bart drum wischen, deshalb rissen sie ihn aus dem Sarg und seine Kleider aus.

Der Schneider hatte gerade noch von seinem Erbteil achtunddreißig Thaler, das war sein ganzer Reichtum gewesen. Er besann sich kurz und sprach, er wolle für den Toten bezahlen, sie möchten dann aber den in Ruhe lassen. Damit waren die zufrieden, brachten alles wieder in Ordnung. Und so gingen die beiden mit dem Schneider aus der Kirche und dieser zum Tor hinaus. Kaum trat er aus der Stadt ans Freiem, so kam noch ein Handwerksbursche hinter ihm her. Sie begaben sich ins Gespräch und da erzählte denn der Erste seine Geschichte von der verflossenen Nacht, sagte aber nicht, was er für den Toten getan, sondern nur dass er die beiden von ihrem Vorhaben abgehalten hatte. Da antwortete der andere, das wäre recht gut, das könne einmal für ihn gut sein, denn so etwas, das bliebe nicht unvergolten. Er wolle ihm einen Rat geben. Wenn er den befolgte, so würde er glücklich werden zeitlebens. Erstens müssten sie Reisekameraden bleiben, wenn er (der zweite Handwerksbursche) auch einmal weg wäre, er käme gewiss bald wieder. Dagegen hatte der Schneider nichts. Dann, wer ihnen an dem Tag begegne, der müsse mit und am Glück des Schneiders mitbauen. Das war diesem auch recht. Nun gingen sie miteinander fort und erzählten sich etwas. Da kam ein Mann, der hatte zwei dicke Bäume unter dem Arm und einen beindicken Baum darum gewickelt. Der Handwerksbursche fragte, was er denn da hätte. Der Mann antwortete, er hätte nur ein bisschen Herdholz geholt. Wenn er so stark wäre, dass er so große Bäume tragen und so dicke umwickeln könne, so wäre es gut für sie, er möchte mitgehen. Der Mann tat dies. Es dauerte nicht lange, so lag einer am Weg, der hatte den Hut so schief auf. Den fragte der Handwerksbursche wieder, warum er den Hut so schief gesetzt hätte. Ja, sagte der Daliegende, wenn er den Hut gerad setzte, so würde es so kalt, dass vor Frost die Vögel aus der Luft herunterfielen. Das wäre gut, sagte der Handwerksbursche, er solle mitgehen. Der tat es auch. Bald darauf fanden sie einen, der hatte ein hölzernes Bein. Der Handwerksbursche fragte, ob er nicht gut fort könne. Ach, antwortet der andere, gerade mit seinem hölzernen Bein könne er schneller laufen als irgendein Mensch. Er möchte mitgehen, sprach der Handwerksbursche zu ihm. Der tat dies auch. Zuletzt begegnete ihm einer, der nur ein Auge hatte, mit dem anderen war er blind. Der Handwerksbursche fragte, ob er nicht gut sehen könne. Der aber antwortete, mit seinem einen Auge könne er meilenweit alles aufs Genaueste sehen. Das wäre gut, er solle mitgehen. Der tat es auch.

Als die sechs miteinander fortgingen, kamen sie in eine Stadt, da stand an allen Ecken angeschlagen, wer schneller laufen könnte als die Königstochter, der solle sie zur Frau haben. Da bekam denn der Schneider auch ein bisschen Lust, königlicher Schwiegersohn zu werden. Er fragte deshalb den Handwerksburschen, was er dazu sage, dass er einmal einen Wettlauf mit der Prinzessin machte. Der Handwerksbursche sagte, sie hätten ja den mit dem hölzernen Bein, der würde sie schon fertig machen. Gesagt, getan.

Der Schneider geht hin zum Schloss, ließ sich melden und sagte, was er wollte. Da ließ ihn der König aber in einen Garten führen und ihm eine Menge Gerippe zeigen, die alle an den Bäumen hängen und Prinzen gewesen waren, die mit der Prinzessin nicht fort gekonnt hatten und deshalb aufgehängt wurden. Der Schneider ließ sich aber davon nicht abschrecken und sagte, er käme besser fort, als die, die da aufgehängt wären und auch wie die Prinzessin. Wann es vor sich gehen solle? Der folgende Tag wurde zum Wettlauf bestimmt. Am anderen Morgen ging der Schneider wieder hin, nahm aber seine Gesellschaft, die anderen, mit. Die Prinzessin kam recht leichtfüßig herunter vom Schloss und hatte zwei Krüge in der Hand. Einen gab sie dem Schneider und sagte, dort, zwei Stunden von da, wäre ein Brunnen, daraus müssten sie die Krüge füllen und dem König bringen. Der Schneider sprach, es wäre gut. Sie solle nur losgehen.

Da lief denn das Mädchen fort, so schnell, wie ein Vogel stiegt. Der mit dem hölzernen Bein nahm aber den Krug und in ein paar Sprüngen war er bei dem Brunnen, legte sich hin, um ein bisschen zu ruhen und schlief ein. Das sah der mit dem einen Auge und sagte es dem Schneider. Denn die Königstochter war schon bald zurück, sie sahen sie immer näher kommen. Da musst der Starke einen Stein nehmen, hinwerfen und den Lahmen an das hölzerne Bein treffen, dass er aufwachte und schneller wiederkam als die Prinzessin. Der Lahme sprang auf, schöpfte den Krug voll Wasser und war im Nu also früher da als die Königstochter. Gab dann dem Schneider den Krug mit Wasser. Als die Prinzessin ankam, stand der Kleidermacher da und hielt ihr den gefüllten Krug entgegen.

Das wollte sie und der König nicht gelten lassen, und sie wollten sehen, wie sie den Schneider mit seiner Sippschaft auf gute Manier los wurden. Der König hatte für den Fall, dass er seine Tochter einmal verlor, denn sie hatte nie heiraten wollen, das hatte aber keiner wissen sollen, ein großes eisernes Zimmer machen lassen, das hatte rings mit Feuer umlegt werden können. In dieses Zimmer wurde der Schneider mit seiner Gesellschaft hineingeführt. Unser zweiter Handwerksbursche hatte aber einen Weg auszugehen gehabt. Eine lange Tafel mit den schönsten Speisen stand da. Die Gesellschaft wurde von der Dienerschaft gebeten, recht fleißig zuzulangen; was sie auch taten. Wein und Braten und allerlei Raritäten schmeckten ganz herzlich und sie taten sich alle bene.

Da wurde es aber nach und nach so warm in dem Zimmer – die Diener hatten nämlich Feuer darum herlegen müssen, damit die Gäste verbrennen sollten. Da sagte der Schneider zu dem mit dem schiefen Hut, er möge doch einmal seinen Hut etwas gerade setzen, es würde ja eine heillose Glut hier. Der tat es und da wurde es so kalt, trotz des unbändigen Einheizens, dass sie alle dasaßen und zu frieren anfingen und zu zittern, dass die Zähne klapperten. Der König kam dazu, meinte, sie seien verbrannt und sahn nun, wie sie alle stocksteif dasaßen und froren. Voll Wut ließ er die Bediensteten, die da hatten heizen sollen, hineinwerfen und den Schneider mit seinen Gesellen herauskommen. Da verbrannten die Diener. Der Schneider aber wurde der Schwiegersohn des Königs, denn dieser sah doch ein, dass er gegen diese Sippschaft nichts ausrichten konnte. Die Tochter hatte sich also auch bequemen müssen.

Auf der Hochzeit war der Handwerksbursche auch und sprach: »Sieh, jetzt bin ich wieder da und will dir nur sagen, dass ich dich glücklich gemacht habe. Dafür, dass du meine Schuld von achtunddreißig Talern damals bezahlt hast. Ich bin des Toten Geist. Sei glücklich.«

Danach verschwand er, und damit ist das Märchen aus.