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Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 18

Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 18

Eines Morgens wurde Hans Hauser von dumpfen Trommelwirbeln aus dem Schlaf geweckt. »Kressel, Fabricius, hört ihr die Trommeln?«, rief er, die Freunde aus dem Schlaf rüttelnd.

Die Aufhorchenden unterschieden deutlich, wie eine Trommel das Signal einer entfernteren aufnahm und an eine dritte weitergab. Auch ihre Wächter, die Guechas, horchten gespannt auf die Signale. Plötzlich gerieten sie in wilde Aufregung. »Krieg! Krieg!«, schrien sie.

Vom dicken Palastvorsteher erfuhren die Freunde Näheres.

Der Zaque von Tunsa war in das Land eingefallen und näherte sich bereits Zipaquira. Alle Vasallen hat der Zipa von Muikita zum Kampf aufgeboten. Bis in das kleinste Pueblo drangen seine Befehle, durch die rhythmischen Wirbel der riesigen Schlitztrommeln blitzschnell weitergegeben. Schon eine Stunde später brach Windhose an der Spitze seiner Guechas in den Norden des Reiches auf. Auf dem Marktplatz mitten unter dem Volk stehend, sahen die Freunde dem Auszug zu. Die Menge jubelte dem beliebten Führer zu. Den Soldaten wurden Mumien berühmter Krieger wie Feldzeichen vorangetragen, ihren Mut zu stärken und ihre Feinde zu schrecken.

Aber die ersten Nachrichten vom Kriegsschauplatz klangen nicht günstig, und eines Tages berichtete Weiße Termite mit bedenklichem Gesicht, dass die Truppen des Zaque Fortschritte machten und die Salinen von Zipaquira in größter Gefahr waren. Die Gefangenen wussten nicht recht, sollten sie wünschen, dass der Zipa siegt oder der Zaque. Aber würden sie nicht bestenfalls nur eine Herrschaft mit der anderen vertauschen? Nicht einmal ihre leise Hoffnung, dass ihre Bewachung in der Kriegszeit weniger scharf sein werde, erfüllte sich. Sie fühlten sich schärfer beobachtet als je zuvor.

Am anderen Morgen erwachte Hans Hauser von Geschrei vor der Hütte. Er stützte den Arm auf und horchte. Es klang gar nicht kriegerisch, viel eher wie fröhliches Gelächter. Die anderen schliefen noch. Leise erhob sich Hans und trat vor die Hütte.

Ein liebliches Bild bot sich ihm. Eine Schar Mädchen spielte Ball, zwei Parteien gegeneinander. Aber der Ball wurde nicht mit den Händen geworfen, sondern mit Schulter und Rücken fortgeschleudert. Hans musste unwillkürlich an ballspielende Kätzchen denken. Es galt, den Ball in einen der Steinringe zu treiben, die an den Schmalseiten des rechteckigen Spielplatzes auf abgestumpften kleinen Erdpyramiden ein wenig erhöht angebracht waren. Die Mädchen waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie den stummen Zuschauer lange Zeit gar nicht bemerkten. Plötzlich wies eines von ihnen mit einem erschreckten Schrei auf den jungen weißen Mann, der lächelnd herübersah. Sofort ergriff das ganze Rudel die Flucht, jedoch nicht allzu weit. Ein paar Mutige blieben zuerst stehen und drehten sich um, die anderen folgten zögernd ihrem Beispiel. Aus gemessener Entfernung, gedeckt durch eine Eukalyptushecke, bereit, sofort von Neuem die Flucht zu ergreifen, äugten sie nach Hans hinüber.

Eines von den Mädchen – es mochte fünfzehn Jahre alt sein – war nur ein paar Schritte fortgelaufen. Sie stand am Rande des Spielplatzes und richtete ihre schwarzen Augen gespannt, doch ohne Furcht auf Hans. Ohrläppchen, Nasenscheidewand und Lippen waren von Goldröhrchen durchbohrt, und ein schöner Smaragd hing an einem durch das Lippenröhrchen gezogenen Faden.

Hans ging zögernd auf das Mädchen zu. Es war mit einem zierlichen Angelhakenmuster um den Mund und auf den Wangen blau tätowiert. Die Backenknochen standen nicht allzu weit vor und die Nase hätte für hübsch gelten können, wäre sie nicht ein wenig platt gewesen. Das reiche blauschwarze Haar fiel auf die Schultern herab. Die Gesichtsfarbe war goldbraun.

Wie Herbstlaub im heimatlichen Wald, dachte Hans Hauser. Unwillkürlich versuchte er dem Mädchen die Hand zu reichen, aber sie verbarg ihre Hände scheu auf dem Rücken.

Da sagte Hans in der Chibchasprache (so viel konnte er längst): »Keine Angst haben, Kleine, Hübsche!«

Der scheue Ausdruck wich aus dem Gesicht des Mädchens. Es lächelte nun auch und eine Reihe weißer Zähne wurde dabei sichtbar. Dann rief und winkte die Kleine ihren Spielgefährtinnen, die langsam näherkamen. Hans sah sich plötzlich inmitten einer Schar kichernder Mädchen. Er hatte das etwas peinliche Gefühl, dass sie sich über ihn lustig machten. Unwillkürlich sah er an sich herunter. Nun, sein zerrissenes, fleckiges Wams sah nicht gerade festlich aus und stach gegen die blütenweißen Baumwollgewänder der Mädchen sehr ab.

Durch Worte und Zeichen gab Hans den Mädchen zu verstehen, dass sie sich durch ihn in ihrem Spiel nicht stören lassen sollten. Zögernd und ohne rechte Aufmerksamkeit, immer nach dem jungen Mann hinüberschielend, nahmen sie das Spiel wieder auf. Als dabei der Ball zufällig in Hans’ Nähe kam, versuchte er sich auch einmal. Aber der Sprung, den er machte, um mit seiner Kehrseite den Ball zu treffen, fiel ungeschickt genug aus und mochte einem Bocksprung verzweifelt ähnlich gesehen haben. Jedenfalls kreischten die Mädchen vor Vergnügen. Doch der Bann war gebrochen. Eine ganze Weile tollte Hans mit den Mädchen umher und setzte seinen Ehrgeiz daran, es ihnen an Geschicklichkeit gleichzutun.

Da wurde das Idyll plötzlich gestört. Eine scheltende Männerstimme ertönte. Aufsehend erkannte Hans den Herrn des Donners, der zu der Mädchenschar hinüberdrohte und ihr irgendwelche zornigen Worte zurief. Augenblicklich stoben die Mädchen auseinander. Nur die Kleine mit dem Goldschmuck ging zögernd auf den Herrn des Donners zu. Als sie dicht vor ihm stand, erhob er drohend die Faust über sie.

Schlägt er sie, so zerbreche ich ihm auf der Stelle alle Knochen im Leib, dachte Hans.

Der Herr des Donners aber ließ zu seinem und Hans Hausers Glück die schon erhobene Hand wieder sinken. Doch nun richtete er den Blick auf Hans. »Frauen der Chibchas nichts für weiße Männer«, rief er ihm wütend zu. Dann wendete er sich ab, von der kleinen Indianerin gefolgt. Doch blieb sie ein wenig zurück und kehrte sich noch einmal lächelnd nach ihrem Ritter um, bevor sie mit dem Oberpriester verschwand. Hans stand noch lange sinnend und betrachtete den Rasenplatz, der nun wieder still und verlassen dalag. Dann wandte er sich zum Gehen.

Als er die Hütte betrat, fragte ihn Fabricius, der gerade erwacht war, gähnend, was draußen für ein Lärm gewesen sei.

»Ach, der Lümmel, der Herr des Donners, zankte mit ein paar Pagen!« So log Hans Hauser, denn es gibt Dinge, die man auch dem besten Freund nicht gleich zu erzählen braucht.

Drei Tage später dröhnten die Fellpauken, gellten die Kürbishörner, Muscheltrompeten und Knochenpfeifen, und brausender Jubel erfüllte die Luft. »Windhose der Feldherr, kehrte an der Spitze des siegreichen Heeres heim. Vierhundert Köpfe erschlagener Feinde trugen die Guechas auf ihren Speeren, und Windhose selbst schwenkte wie eine Fahne die Haut in der Luft, die dem gefangenen Anführer der Feinde bei lebendigem Leib abgezogen worden war. Einige Gefangene wurden alsbald Sua geopfert. Der Lehmboden des gewaltigen Tempels war bedeckt von riesigen Blutlachen. Die Mehrzahl der Gefangenen aber bewahrte man als Opfer für die Kampfspiele auf, mit denen der Sieg gefeiert werden sollte.

Die ganze Stadt rüstete zum Siegesfest. Überall wurden Maiskuchen gebacken und Chicha in riesigen Mengen gebraut. Weiße Termite, dem die Vorbereitungen für das Fest oblagen, lief geschäftig hin und her. Der Faule hatte plötzlich alle Hände voll zu tun. Der Kampfplatz musste geebnet, die Tanzmasken, die in den Arsenalen von Termiten zerfressen worden waren, ausgebessert, neue angefertigt und für die Festmusik gesorgt werden. Überall sah man den Dicken, schwitzend vor Eifer, immer von Brüllaffenohr, dem Panchesklaven, begleitet.

Inzwischen waren die Läufer des Kaziken unterwegs, um das Volk der Chibchas in weitem Umkreis um die Stadt Guatavita zum Fest zu laden. Bis zu den blauen Bergen im Westen, bis auf die einsamen Höhen des Paramo brachten sie ihre Botschaft, die Schnüre aus den Fasern der Mauritiuspalme, in die so viele Knoten geknüpft waren, wie noch Tage vergingen bis zum Fest. Tag für Tag wurde nun ein Knoten gelöst. Kaum konnte die Jugend des Chibchavolks es erwarten, bis der letzte Knoten an die Reihe kam.

Selbst die Gefangenen in ihrer Einsamkeit merkten etwas von den Vorbereitungen zum großen Fest. Vor ihren Augen übten ihre Wächter für die Kampfspiele. Weit und treffsicher schleuderten die Guechas den kurzen Wurfspeer. Sie bedienten sich dazu des Wurfbretts, eines Holzstückes, an dem ein Handgriff aus Ton mit den zähen Fasern einer Agave festgebunden war. Andere übten sich im Wettlauf. Vorzügliche Läufer waren sie, diese mageren, sehnigen Gestalten, und sie gaben das Rennen niemals auf, ehe nicht ein paar völlig erschöpft, keuchend und röchelnd am Boden lagen. Am meisten aber staunten die Europäer über die Blasrohrschützen. Sie handhabten das doppelt mannslange, aus Palmholz hergestellte Rohr mit unglaublicher Geschicklichkeit. Kaum einmal verfehlte der kleine vergiftete Pfeil, den der Atem des Schützen durch das Rohr trieb, sein Ziel. Selbst den kleinen Kolibri holte er sicher vom Baum.

»Wir sollten uns nicht so viel auf unsere Armbrüste und Donnerbüchseneinbilden«, sagte Hans Hauser, nachdenklich den Schützen zuschauend.

Seit einigen Tagen wusste Hans den Namen der kleinen Indianerin, die er beim Ballspiel kennengelernt hatte. Er traf sie eines Morgens, wie sie nahe der Hütte im Gras saß und bunte Federn in ein Netz von Baumwollfäden knüpfte. Als sie ihn erblickte, legte sie blitzschnell die Hand vor die Augen und wandte sich ab, aber es war mehr eine Geste der Ehrerbietung als der Angst. Als Hans sich neben sie ins Gras warf, lächelte sie ihn freundlich an. Er versuchte sich ihr verständlich zu machen, und es gelang ihm überraschend gut. Die Lücken in der Unterhaltung füllte die Indianerin mit einem so fröhlichen und wohlklingenden Lachen aus, dass es Hans ganz warm ums Herz wurde.

»Wie heißt du?«, fragte er.

Die Indianerin sagte ein Wort in ihrer wohlklingenden Sprache – Hans verstand Kamaliá – und warf dabei aus ihrem Federvorrat ein paar Schwanzfedern einer Schwalbe in die Luft. Hans übersetzte Tochter des Schwälbchens und fand, dass der Name gut zu seiner Trägerin passte.

Sie erzählte ihm ihre Lebensgeschichte. Sie war die Tochter eines reichen Guechas – »viel geronnener Sonnenschein, viel Mais«, sagte die Kleine – der schon vor einigen Jahren gestorben war. Chia, die Mondgöttin, die Eulengestaltige, die Feindin Suas, des Sonnengottes, hatte ihn verhext, so flüsterte Tochter des Schwälbchens ängstlich. Dem Toten hatte man die Gattin, die Mutter der Kleinen, mit ins Grab gegeben. Tochter des Schwälbchens erzählte davon ernst, aber ohne Kümmernis. Das war nun einmal Frauenlos, vielleicht auch – wer weiß, wann – das ihre. Die Waise hatte der Oberpriester zu sich ins Haus genommen. Sie teilte die Hütte mit ihm und seinen Frauen. Sie waren dick und träge, die Frauen, und Tochter des Schwälbchens musste ihnen bei ihren häuslichen Geschäften, beim Reiben der Maniokwurzeln, beim Bereiten des Mahls, beim Backen des Kassavebrotes und der Maiskuchen zur Hand gehen.

»Doch wird das nicht mehr lange dauern«, sagte das Mädchen, »denn beim nächsten Fest der Maisaussaat wird der Herr des Donners mich zur Frau nehmen. Ich gehöre ihm ja schon. Er braucht mich nicht erst zu kaufen, ich habe keine Brüder und keine Verwandte.«

»Liebst du den Herrn des Donners?«, fragte Hans.

Tochter des Schwälbchens verstand ihn nicht recht.

»Freust du dich, die Frau des Oberpriesters zu werden?«

»Nein«, sagte die Indianerin hart und es zuckte um ihre Nasenflügel. »Der Herr des Donners mag euch nicht«, fuhr sie nach einer Weile nachdenklich fort. »Er betet.« Ihre Stimme stockte. »Er betet, dass Chia euch verderben möge. Ich aber bete für euch zu Bochica, dem Guten, dem Freund der Menschen, denn du bist schön und gefällst mir. Nie sah ich Haar wie deines, o Jüngling des Maises

Hans lächelte und schnitt sich mit einem winzigen Feuersteinmesser, das dem Mädchen als Arbeitsgerät diente, ein paar seiner langen blonden Haare ab. »Da«, sagte er, »ich schenke sie dir.«

Das Blut schoss dem Mädchen in die Wangen.

Hans sah es trotz ihrer dunkeln Hautfarbe.

»Oh, schön – schön!« Sie barg glücklich die Haare in dem Beutel, in dem sie ihren Vorrat an Kokablättern verwahrte. Denn selbstverständlich kaute auch Tochter des Schwälbchens den lieben langen Tag Kokablätter.

Dann erzählte Hans von sich und seiner Heimat. Das Mädchen hing an seinen Lippen. Es verstand wohl nicht alles, aber es schien Hans’ Sehnsucht und Leid zu spüren. Der arme Junge starb ja fast vor Heimweh, als er von dem großen See und den Bergen und dem riesigen Tempel aus Stein sprach, den die weißen Männer daheim in seiner Heimatstadt zu Ehren des einen und allmächtigen Gottes errichtet hatten.

»Warum willst du nicht bei uns bleiben, o Jüngling des Maises?«, fragte Tochter des Schwälbchens.

»Nein, nein!«, erwiderte Hans heftig. »Ich will heim zu meinem Volk, zu meinen Freunden. Ich kann nicht leben unter den Chibchas.«

»Sie werden euch nicht fortlassen, eher werden sie euch töten«, sagte Tochter des Schwälbchens nachdenklich.

Hans schüttelte die Faust. »Ich will lieber tot sein als euer Sklave!« Tochter des Schwälbchens sah betrübt vor sich hin. »Bleib doch hier!«, bat sie noch einmal leise. »Der Herr des Donners ist habgierig. Ein Mädchen gilt nicht viel. Willst du mich nicht kaufen, o Jüngling des Maises? Ich will das Feld bestellen für dich und spinnen und weben. Ich will singen und tanzen für dich des Abends.

Hans lächelte. »Süße kleine Indianerin!«, sagte er – er sagte es auf Deutsch – und strich ihr über das glänzende schwarze Haar.

Tochter des Schwälbchens erschauerte unter der Berührung. Dann blickte sie Hans plötzlich scheu und ängstlich an, erhob sich und ging ohne Gruß davon.

Hans sah, wie sie in der Hütte des Oberpriesters verschwand. »Arme kleine Indianerin!«, murmelte er.