Mit den Konquistadoren ins Goldland Teil 17
Gustav Dittmar
Mit den Konquistadoren ins Goldland
Eine Erzählung aus der Zeit der Welserzüge
Teil 17
Indes sie schliefen, fand im weitläufigen Palast des Kaziken von Guatavita beim Schein schwelender Kienfackeln eine Beratung der Großen des Landes statt.
Der Jüngling der Fische, Hauptmann und Kommandant der Feste, in der die Freunde Zuflucht gefunden hatten, erstattete mit abgewandtem Gesicht – so erforderte es die Ehrfurcht – dem Kaziken Bericht, der auf einem reich mit Goldblech beschlagenen Sessel Platz genommen hatte. Der Fürst trug eine Haube aus Gold, eine Art Tiara, quer über der Brust zwei gekreuzte Bandeliere aus Goldlamellen und in der durchbohrten Nasenscheidewand eine mit Ornamenten geschmückte goldene Scheibe. Er war noch jung, beinahe noch ein Knabe, und es sah aus, als erdrücke die schwere goldene Last den zierlichen Körper. Um den Thron standen Chiqui, die Priester, an ihrer Spitze der reichgeschmückte Oberpriester, und Guechas, die Geschorenen, Männer aus dem Kriegsadel des Landes. Die niemals gekämmten, niemals geschnittenen Haare der Priester waren schmutzig und verfilzt, und ihre Baumwollgewänder starrten vom schwarzen geronnenen Blut der Opfertiere, die sie täglich zu Ehren des Sonnengottes Sua, des Licht- und Maisspenders, schlachteten. Europäische Waffen lagen auf einer Matte vor dem Thron, die Waffen der Freunde.
»Scharf sind die Waffen der Fremdlinge«, schloss der Hauptmann seinen Bericht und wies auf Fabricius’ Rapier, »und biegsam wie ein Palmblatt. Dies aber«, er deutete auf Hausens Armbrust, »scheint mir eine furchtbare, zauberhafte Waffe zu sein. Unglaublich weit sendet sie den Pfeil mit der blinkenden Spitze. Mag Bochica, der gute Gott, uns schützen vor bösem Zauber!«
Schweigen herrschte im Raum, als der Hauptmann geendet hatte. Dann wandte sich der Kazike mit leiser Stimme an den Oberpriester. »Was rätst du zu tun, o Herr des Donners? Sind die Götter selbst, die unsterblichen und unverwundbaren, zu uns gekommen? Sollen wir den Fremdlingen opfern und sie wie Götter ehren?«
»Nein, o Herr der Koralschlange«, erwiderte der Priester finster, »nicht Götter sind sie! Nimmermehr sind sie unsterblich. Zu Tode erschöpft hat sie der Jüngling der Fische gefunden auf der Höhe des Gebirges. Nein, o Herr der Koralschlange, Söhne Chibchachums sind sie, des finsteren Erdgottes! Wie er einst das Land unter Wasserfluten begrub, so werden sie es in unserem Blut ertränken, wenn Bochica nicht den Stab gegen sie schleudert, der sie zerschmettert, wie er einst Chibchachum zerschmetterte. Töte die Fremdlinge, o Herr der Koralschlange, opfere sie Sua, dem Lichtbringer!«
Der Kazike senkte nachdenklich das Haupt. »Und wenn es doch Götter sind, werden sie uns nicht strafen, furchtbar strafen?«
»Die Bleichgesichtiger sind Menschen und unsere ewigen Feinde«, widersprach der Oberpriester heftig. »Ist nicht von Mittag Kunde zu uns gedrungen von Raub und Gewalttat der weißen Männer? Sie haben den Inka gemordet und sein Reich zerstört. Nun wohl, der Inka war unser Feind! Aber auch uns werden sie nicht verschonen, wenn wir uns nicht wehren. Töte sie, töte die weißen Männer!«, schloss der Oberpriester mit beschwörend erhobenen Händen.
»Aber er ist schön«, wandte ein jüngerer Priester schüchtern ein. »Ich sah ihn. Seine Haut schimmert wie das Licht Chias, der Mondgöttin, seine Augen sind wie der Himmel und sein Haar glänzt, o Herr der Koralschlange, wie der geronnene Sonnenschein auf deiner Brust. Ist uns nicht verheißen, dass Bochica, der Gute, einst wiederkehren wird aus den Ebenen gegen Sonnenaufgang, dahin er ging, nachdem er unsere Weiber das Spinnen und Weben gelehrt hatte? Kamen nicht der weiße Fremdling und seine Gefährten von Sonnenaufgang über die Berge zu uns? Wehe, wollt Ihr Bochica ermorden?«
»Wer weiß, ob es Götter sind oder Menschen!«, nahm Weiße Termite, der Palastvorsteher, achselzuckend das Wort, ein reich mit Gold behängter, wohlbeleibter Mann, dem die kleinen Augen im fleischigen Gesicht einen listigen, ja verschlagenen Ausdruck gaben. »Aber gesetzt, es sind Menschen, warum sollen wir sie töten? Wir sind viele und sie nur drei, den elenden Sohn der Savanne nicht gerechnet. Was sollen wir sie fürchten? Sie sind stark und ihre Hände kunstfertig. Sie sollen uns Sklavendienste tun. Tot nützen sie uns nichts.«
»Wir haben sie nicht im Kampf überwältigt«, sagte der Kazike mit seiner leisen, müden Stimme. »Bedenke das, o Weiße Termite! Als Hilfeflehende kamen sie zu uns. Noch immer haben die Chibcha dem Fremdling einen Platz im Haus gegönnt, der ihnen friedlich nahte.«
»Willst du sie freilassen, o Herr der Koralschlange?«, fuhr ein Guecha in goldener Rüstung, Windhose, der Feldherr, auf. »Sie werden wiederkommen, zahlreich wie Heuschrecken, und uns alle verderben.«
Ein zustimmendes Murmeln erhob sich. Es klang drohend und ängstlich zugleich.
»Frage, o Herr der Koralschlange, den Zauberer!«, riet Weiße Termite.
»Die Götter sollen uns sagen, was wir tun sollen!«
Das war ein tückischer Vorschlag.
»Was soll uns der Zauberer? Was soll uns der Herr des Schmutzes?«, brauste der Oberpriester auf, geradeso, wie es der Palastvorsteher erwartet hatte. »Er ist ein Narr!«
Eine Bewegung des Entsetzens ging durch die Versammlung. Unterdrückte Ausrufe des Schreckens wurden laut. Einige bedeckten das Gesicht mit den Händen und murmelten dumpfe Beschwörungsformeln. Was fiel dem Oberpriester ein? Den Zauberer, den Gewaltigen, den Begnadeten beschimpfen, hieß das nicht die Rache der beleidigten Gottheit mutwillig heraufbeschwören? Was für grauenhafte Zeichen: diese weißen Männer, die plötzlich erscheinen, wie vom Himmel gefallen, diese unerhörte Beschimpfung des Zauberers aus Priestermund! Wankten alle Stützen göttlicher und menschlicher Ordnung? Ging die Welt unter?
Auch der junge Kazike war auf das Tiefste erschrocken. »Der Herr der Koralschlange«, sagte er mit mühsamer Fassung, »wird tun, was ihm gutdünkt. Man rufe den Herrn des Schmutzes!«, gebot er dann.
Ein Höfling entfernte sich und kehrte bald mit einer abenteuerlichen, greisenhaften Gestalt zurück. Der Herr des Schmutzes trug ein Federwams, das aus Tausenden von bunten Federn zusammengesetzt war. Dürr und hager, mit einer scharf vorspringenden Hakennase, sah er in seinem Federkleid wie ein Papagei aus. Seine funkelnden Schlitzaugen trafen den Oberpriester mit unverhülltem Hohn. »Was willst du, o Herr der Koralschlange?«, fragte er krächzend. Auch er sah dabei den Fürsten nicht an.
»Du weißt, o Herr des Schmutzes, dass weiße Männer zu uns gekommen sind über die Berge aus den Ebenen gegen Sonnenaufgang«, sagte der Kazike. »Hat sie Bochica zu uns gesandt? Sind es unsterbliche Götter? Oder sollen wir sie Sua opfern, dass er sich nähre von ihrem Blut? Was, o Herr des Schmutzes, ist der Wille der Überirdischen?«
Aller Augen sahen gespannt auf den Zauberer.
»Ich werde sie fragen«, erwiderte der Zauberer mit seiner heiseren Stimme. Er winkte seinen Knaben. Sie brachten ihm einen Schemel, auf den er sich mühsam niederließ. Dann entzündeten sie in einer Schale Kopalharz. Ein starker, atemraubender balsamischer Geruch erfüllte den Raum. Dichter weißer Rauch stieg auf, in dem die Gestalten nur noch wie Schatten sichtbar waren. Nun reichten die Knaben dem Zauberer eine Schale mit Tabaksaft. Er leerte sie in großen Zügen. Eine Weile saß er stumm in sich zusammengesunken. Dann stieß er, leise zuerst, dann immer lauter, wilde tierische Laute aus, die allmählich in eine Art heulenden Gesang übergingen. Dazwischen klang es wie das Grunzen eines Wildschweins, das Zischen eines Jaguars. Alle horchten gespannt. Manchmal stieß der Zauberer ein Wort hervor. Es fiel der Name seines Widersachers, des Herrn des Donners. Dann folgte ein schrilles, höhnisches Lachen. Und schließlich vernahmen die atemlos Lauschenden deutlich die Worte: »Götter, Götter, weiße Götter!«
Der weiße Dampf verzog sich. Wie ein Toter lag der Zauberer am Boden. Die Knaben richteten ihn auf. Auf ihre Schultern gestützt, verließ er ohne Gruß den Saal.
Finster stand der Herr des Donners.
Der Kazike aber befahl, die weißen Götter vor ihn zu führen.
Am anderen Morgen geleitete ein Höfling die drei weißen Gefangenen durch die gaffende Menge zum Palast des Kaziken. Drei Palisadenzäune mussten sie durchschreiten, um zu dem Herrschersitz des jungen Fürsten zu gelangen. Auch diese Zäune waren mit bemalten, mumifizierten Menschenköpfen behangen. Sie umschlossen zahlreiche Gebäude, die mit Palm- oder Maisstroh gedeckt und deren Wände sauber verputzt waren. An den aus Rohr geflochtenen Türen hingen Goldplatten, die bei der leisesten Berührung erklangen.
Mit klopfendem Herzen folgten die Freunde ihrem Führer. Was würde die nächste Stunde ihnen bringen? Führte man sie zur Folterung, zur Richtstätte? Unter den Blicken, die sie unterwegs anstarrten, waren einige, die sie erschreckten, Blicke gereizter und furchtsamer wilder Tiere. Würden sie scheu in ihren Höhlen bleiben oder sich plötzlich auf die wehrlosen weißen Männer stürzen mit wildem Panthersprung?
Seit sie das Gebiet des Palastes betreten hatten, umfing sie tiefe Stille. Das Volk war draußen vor dem ersten Palisadenzaun zurückgeblieben. Niemand, der nicht zum Hofstaat oder zur Priesterschaft gehörte, durfte den geheiligten Bezirk des Palastes betreten.
Der Höfling führte die Freunde in den Audienzsaal. Halbdunkel erfüllte den Raum. Nur durch ein Oberlicht drang der Tag in das Gemach, in dessen Mitte ein wenig erhöht der Thron des Kaziken sich erhob. Priester und Höflinge umstanden ihn schweigend. Als die drei weißen Männer den Saal betraten, wandten manche das Gesicht ab, andere sahen sie aus undurchdringlichen Augen kalt, feindselig, drohend an. Keiner sprach. Stumm harrten alle der Ankunft des Fürsten.
In der Dämmerung, an die sich ihre Augen erst allmählich gewöhnten, erkannten die Freunde an den mit bunten Schilfmatten bedeckten Wänden große fratzenhafte Gebilde, die menschliche Figuren darstellten. Sie waren aus Holz geschnitzt, aber die Köpfe waren Menschenschädel und die Gesichter aus Wachs geformt. Einzelne Figuren waren sogar aus Menschenhäuten gebildet, die, anscheinend mit Sand gefüllt, Menschenkörper in schrecklicher Verunstaltung darstellten. Lanzen und Keulen hatte man den Gestalten in die Hand gegeben: eine schauerliche Kämpferschar.
Endlich erhob sich ein wildes Getöse. Unter dem dumpfen Dröhnen der Kürbistrompeten, Muschelhörner und Fellpauken betrat eine Schar Knaben das Gemach. Sie vollführten einen ohrenbetäubenden Lärm, indem sie Stöcke auf den Boden stießen, an denen mit kleinen Steinen gefüllte Kürbisse befestigt waren. Es klang wie prasselnder Hagelschlag. Dann erschien der Kazike auf einem reich mit Gold und Federn geschmückten Sessel, von vier Indianern getragen. Über dem nachschleppenden weißen Baumwollgewand trug er einen Goldharnisch. Sein Gesicht war in Streifen leuchtend rot und blauschwarz bemalt.
Alle wandten sich wie geblendet ab. Auch die Gefangenen folgten unwillkürlich dem Beispiel der Indianer. Augenblicklich verstummten die Instrumente. In die feierliche Stille tönte die leise Stimme des Kaziken. Er sprach langsam, würdevoll. Ein Priester übertrug seine Worte in die Sprache der Aruakstämme. Hans Hauser begriff den Sinn ohne Mühe.
»Der Herr der Koralschlange grüßt dich«, so sagte der Kazike, »Jüngling mit den Haaren, die gelb sind wie reifer Mais, dessen Augen glänzen wie der Spiegel des heiligen Sees, er grüßt dich und deine Gefährten. Bochica hat euch zu uns, zum Volk der Chibcha, geführt, in das Land des mächtigen Zipa von Muikita. Seid uns willkommen! Gaben bieten wir dir, wie sie das Auge und das Herz erfreuen, grüne Steine und Suas, des Sonnengottes geronnene Strahlen, die, so sagt man mir, die weißen Götter mehr lieben als selbst das Salz.«
Er winkte. Die Knaben breiteten auf einer Matte die Gastgeschenke aus: Maiskuchen und Salz, Feldhühner, Chicha, das berauschende Maisbier, in einem goldenen Gefäß, eine Tonschale mit Goldkörnern und fünf große Smaragde.
»Nimm, o Jüngling des Maises!«, sagte der Kazike, indem er dem jungen Deutschen nach Indianerart einen Namen gab.
Hans Hauser klopfte das Herz zum Zerspringen. Nun musste er antworten. Noch nie stand er an den Stufen eines Thrones, vor einem Fürsten. Und dieser Indianer mit den unbeweglichen Zügen, der Bemalung, die seinem Gesicht etwas Maskenhaftes gab, im reichen Goldschmuck inmitten seines finsteren, schweigenden Hofstaates, war von einer düsteren, beklemmenden Majestät. Er musste antworten, der junge Kommiss des Welserhauses, klug antworten wie ein Staatsmann, wie der Gesandte eines befreundeten Fürsten. Von der Geschicklichkeit, mit der er seine Worte setzte, hing vielleicht sein Leben und das seiner Gefährten ab. Wie seltsam waren die Worte dieses Fürsten der Indianer! Sie hielten ihn, Hans Hauser, und den Niedersachsen und Kressel, den braven Hessen, für Götter. Sollte er ehrlich sein und ihnen sagen, dass sie armselige Menschenkinder sind, die im Grunde ihres Herzens um ihr Lehen bangen? Nein, es wäre eine Torheit.
»Ich danke dir, o Herr der Koralschlange«, begann er zögernd. »Nimmermehr hegen wir böse Gedanken wider dich und dein Volk. Als Abgesandte des großen Kaziken des Ostens kommen wir zu dir. Reiche Schätze wollten wir dir bringen, aber auf dem Kamm des Gebirges überfiel uns der Nebel und trennte uns von den Sklaven, die sie trugen, und unseren weißen Gefährten. So gib uns, o Herr der Koralschlange, unsere Waffen wieder und lass uns zurückkehren zu den weißen Männern, die in der Ebene unser harren! Mit reichen Schätzen werden wir wiederkommen, wie du sie noch niemals sahst, denn groß und mächtig ist der Herrscher, dem wir dienen, und unermesslich der Reichtum seines Landes.«
Eine verhaltene Bewegung ging durch die Versammlung. Hans Hauser spürte deutlich die feindliche Stimmung.
Auch die Stimme des Kaziken klang verändert, als er wieder das Wort ergriff. »Nicht Waffen tun euch not. Niemand wird euch etwas zuleide tun. Was wollt ihr bei den weißen Männern? Wollt ihr sie rufen, dass sie kommen, unser Land zu verwüsten? Nein, o Jüngling des Maises, wir lassen euch nicht ziehen. Bleib bei uns mit deinen Freunden! Wir wollen euch Mais und Chicha geben, soviel ihr begehrt, und schöne Frauen. Nichts soll euch fehlen.«
Finster sah Hans Hauser vor sich hin. »Sie wollen uns nicht fortlassen«, erklärte er den Gefährten.
»Sag ihnen in drei Teufels Namen, dass wir bleiben werden!« flüsterte Fabricius in mühsam verhaltener Wut. »Aber sag ihnen auch, dass Hohermut sie zu Brei zerstampfen wird, wenn sie uns auch nur ein Haar krümmen!«
Hans Hauser fiel das Requirimiento ein, jenes seltsame Dokument des Indienrats in Sevilla, das den Indios Frieden versprach und sie zugleich mit den furchtbarsten Strafen bedrohte, wenn sie sich den Segnungen der Zivilisation zu widersetzen wagten, jenes Dokument, über das die Konquistadoren lachten und das die Indianer nicht verstanden. Trotzdem beschloss er in seiner Not, es einmal mit der Weisheit der spanischen Kolonialbehörde zu versuchen. »So werden wir bleiben, o Herr der Koralschlange!«, erwiderte er. »Aber wisse, dass der große Kazike des Ostens euch furchtbar bestrafen wird, wenn uns ein Leid geschieht!«
Der Kazike macht eine abwehrende, fast hochmütige Handbewegung. »Der Kazike des Ostens ist fern«, versetzte er, »aber die Guechas des großen Zipa von Muikita sind zahllos, und in einer Nacht ruft die Trommel sie zusammen.«
Hans Hauser schwieg. Wer immer dieser Zipa sein mochte und wie groß seine Macht. Dass er und seine Soldaten eher zur Stelle sein würden als Kaiser Karls des Fünften Heeresmacht, war wohl nicht zu bestreiten. Ja, wäre Hohermut da, nur zehn von seinen Reitern, er, Hans Hauser, würde diesen goldbehängten Heiden schon Achtung vor den Weißen beibringen!
Inzwischen hatte ein Höfling dem Kaziken einen Tonteller gereicht, auf dem eine schwärzliche Masse lag. Zugleich war ein schmutzstarrender Priester auf die drei zugetreten und schwang eine Schale mit brennendem Kopalharz dicht vor ihnen, dass ihnen der Dampf in die Nase stieg und sie heftig niesen mussten, was in ihren Augen die Feierlichkeit der Zeremonie nicht gerade erhöhte, die Indios aber nicht weiter zu berühren schien. Der Fürst hatte mit einer Art Spatel aus Gold ein Stück der schwarzen Masse zum Mund geführt und verzehrt. Dann reichte der Höfling Hans Hauser die Schale. Mit einiger Überwindung aß auch der Deutsche. Es war Erde, richtiger Dreck. Die Schale ging hierauf an Fabricius, von dem sie schließlich zu Kressel wanderte. Auch die beiden anderen aßen.
Dann war die Audienz beendet. Von Neuem dröhnten die Pauken, tönten Hörner und Trompeten. Unter Vorantritt der Pagen, die ihre Rasselstöcke auf den Boden stießen, verließ der Kazike auf den Schultern der vier Indianer den Saal.
Weiße Termite aber, der Palastvorsteher, näherte sich den Freunden, listig aus den kleinen Augen blinzelnd. Ehrerbietig und zugleich ein ganz klein wenig spöttisch begrüßte er sie, indem er mit der Hand den Boden berührte. Dann führte er sie in eine geräumige Hütte, die nicht weit vom Palast innerhalb der innersten Einfriedigung lag. Man brachte ihnen Maiskuchen, Früchte, Feldhühner und Chicha. Sie konnten in den bequemen Hängematten so lange schlafen, wie sie wollten. Es fehlte ihnen an nichts, aber sie teilten den Raum mit zehn Speere tragenden Guechas, die jeden ihrer Schritte bewachten.
»Sie halten uns für Götter«, meinte Fabricius grimmig. »Warum behandeln sie uns wie Verbrecher?«
Die Gefangenen bewegte nur ein Gedanke: Flucht. Sie durften in den Gärten des Palastes und in den Straßen der Stadt umhergehen, immer aber fühlten sie die Augen ihrer Wächter auf sich gerichtet. In ohnmächtiger Wut ballte Fabricius die Fäuste. »Satansbrut!« stöhnte er. Manchmal überfiel die beiden Jüngeren dumpfe Verzweiflung. Stundenlang brüteten sie vor sich hin. Kressel war ruhiger. Verständig erwägte er alle Möglichkeiten einer Flucht, so gering sie auch sein mochten. Der Xidehara war schweigsam wie immer, aber jede Faser seines Körpers war gespannt. Seine Augen funkelten. Nichts entging ihm, was die Wächter taten.
In den Straßen wich das Volk zur Seite, wenn die weißen Männer nahten, und manche wendeten in tödlichem Erschrecken die Augen von ihnen ab. Sie hörten es hinter sich flüstern. Es klang wie Beschwörungen und Gebete. Kein Zweifel, man hielt die drei Deutschen für übernatürliche Wesen. Aber sie fühlten sich höchst unbehaglich in ihrer Rolle als Götter der Chibcha.
Mit Muße konnten sie das seltsame Leben beobachten, das sich um sie entfaltete.
Zumal an Markttagen wimmelte die Stadt. Auf dem Marktplatz vor dem Tempel Suas lagen die Waren aus: bemalte Tongefäße, Baumwollstoffe, Steinäxte, wie man sie zum Roden des Waldes braucht, und Grabstöcke, daneben Wildgeflügel und Fische aus dem heiligen See. Landleute aus der Umgebung tauschten die Erzeugnisse ihrer Äcker gegen Handwerkerwaren. Es wurde gehandelt und gefeilscht, aber kein Wort fiel dabei. Nur mit Zeichen und Gesten wurde gefordert und geboten. Töpfer, Seiler, die Hängematten verfertigen, Goldschmiede saßen arbeitend vor den Türen ihrer Häuser neben Frauen, die spannen und webten, wie es einst Bochica ihre Urmütter lehrte, als er, ein langbärtiger Mann, aus den Llanos zu den Chihchas kam. Manche stellten kunstvolle Decken und Wämser aus Federn her, die sie in netzartige Gewebe einknüpften. Die buntgefiederte Vogelwelt der Tropen, der herrliche grüne Quetzalvogel, der blaue Kotinga, die bunten Araras und Reiher mussten das farbenprächtige Material liefern. Gern sah Hans einem alten Goldschmied bei der Arbeit zu. Mit großer Kunstfertigkeit stellte er Gefäße für die Chicha her, griechischen Amphoren nicht unähnlich, Schmuckstücke oder Opfergaben, kleine Goldscheiben, auf denen die Umrisse menschlicher Figuren aus Golddraht aufgelötet waren. Unerschöpflich schien der Goldreichtum dieses Volks zu sein.
Eines Tages schenkte der Indianer dem jungen Konstanzer ein Figürchen, die Göttermutter Bachue darstellend.
»Nimm, o Jüngling des Maises!«, sagte er demütig. »Nimm und schütze mein Haus vor allen Schlichen und Ränken Chibchachums, des bösen Gottes!«
Ein wenig beschämt nahm Hans das Geschenk an. Er konnte als Gegengabe dem Alten nur ein Stückchen Goldtresse von seinem Wams anbieten, das schon ganz schwarz und unansehnlich war. Doch der Chibcha schien nichtsdestoweniger hochbeglückt über das Geschenk.
Einmal kamen die Freunde auf ihren Erkundungsgängen in einen abgelegenen Stadtteil. Ein abscheulicher Geruch schlug ihnen entgegen. Sie waren in die Quartiere der Leichenbestatter geraten. Dort ließen die Chibcha von geschickten Händen die Leichen ihrer Verstorbenen mumifizieren, um sie beizusetzen oder als Hausgötter in ihren Wohnungen aufzustellen. Es war ein blutiges unappetitliches Geschäft. Man schnitt die Körper auf und stopfte Harzbrocken an Stelle der Eingeweide in die Körperhöhlen.
Sonst aber war die Stadt sauber, reinlicher als manches Bauerndorf daheim, was ja kein Wunder war, da es hier keinerlei Haustiere gab. Niemand schüttete Unrat auf die Straße, und man besprengte sogar an heißen, staubigen Tagen die Wege mit Wasser.
Inmitten der Stadt erhob sich der Tempelbezirk. Niemand hinderte die weißen Männer, die Tempel zu betreten und den wilden heidnischen Gebräuchen zuzusehen, mit denen die Chibcha ihre Götzen ehrten. Ein mächtiger Tempel war Bachue, der Göttermutter, geweiht. Ein Bildnis der Göttin stand inmitten des großen Raumes als ein Tongefäß mit mächtigem Maul, in das die Gläubigen ihre Opfergaben legten. Mais brachten sie und Salz, Früchte und Chicha, denn blutige Opfer verschmähte die Göttin. Daneben im Heiligtum Bochicas, des guten Gottes, des Patrons der Ackerbauer, Handwerker und Händler, war der Gott dargestellt, auf dem Regenbogen stehend, wie er den goldenen Stab gegen die berstenden Felsen schleuderte, damit die Wasserflut Abfluss fand, mit der Chibchachum, der Gott der Erde, im Zorn über das Menschengeschlecht das Land bedeckt hatte.
Der gewaltigste Tempel aber, ein mehrschiffiger, hallenartiger Holzbau, war das Heiligtum Suas, des Sonnengottes. Im Halbdunkel lag das riesige bemalte und mit reichen Goldzieraten behängte Holzbild des Gottes in einer Hängematte, die vier mächtige, fratzenhafte Holzfiguren trugen. Vor dem Götterbild stand der Opferstein, der immer vom frischen Blut der unzähligen Wachteln troff, die hier alltäglich zu Ehren des Gottes geschlachtet wurden. Der süßliche Blutgeruch vermischte sich mit dem betäubenden Duft des Weihrauchs. Priester mit verwildertem Haar, die Hände und Gewänder beschmutzt mit Opferblut, sangen dumpf und eintönig. Manche hatten sich durch Kokakauen und den Genuss von Tabaksaft in einen wilden, tierischen Rausch versetzt. Unablässig kamen und gingen die Gläubigen. Viele lagen in wilder Verzückung am Boden. Andere unterwarfen sich schweren Kasteiungen. Vom langen Fasten waren sie zum Skelett abgemagert. Schaudernd sahen die Christen, wie sie sich mit spitzen Knochendolchen Zunge und Ohren durchstachen. Unter Räucherungen und dumpfen Gesängen fingen die Priester das Blut auf und strichen es auf Agaveblätter, die sie sorgsam in Grasbündeln verbargen.
Allmählich lernten die drei Europäer die Kasten unterscheiden, in die das Volk der Chibcha zerfiel: die stolzen Krieger, die Guechas mit dem geschnittenen Haupthaar (sie allein und die Priester durften Gewänder tragen, die mit Ornamenten in roter oder blauer Farbe bemalt waren, die Handwerker, Landleute und Händler in ihrer schlichteren Tracht, die Sklaven, oft nur mit Lendenschurz bekleidet wie die Indianer der Llanos, Kriegsgefangene aus den Kämpfen mit den gefürchteten Nachbarn, den wilden, menschenfressenden Panches, oder aus den fortwährenden Kriegen der beiden Herrscher der Hochfläche – des Zipa von Muikita, der im Süden gebot und dem auch der Kazike von Guatavita lehenspflichtig war, und des Zague von Tunja, des Herrschers im Norden.
Den Chiqui, den Priestern, begegnete das Volk mit großer Ehrerbietung. Alle wandten das Gesicht ab, wenn ein Priester, besudelt mit Blut und Schmutz, über die Straße ging. Niemand aber, nicht einmal dem Kaziken, wurde so große Ehrfurcht gezollt wie einem schmächtigen, in weiße Tücher gekleideten Knaben, der allmorgendlich in Begleitung einiger Chiqui vom Haus der Priester in den Tempel Suas hinüberging, um dort zu beten. Alle warfen sich unter dumpfen Anrufungen des Licht- und Maisspenders vor ihm in den Staub.
Häufig erhielten die Freunde Besuch von Weiße Termite, dem Palastvorsteher. Seit sie ihm ein paar Sporen schenkten – Kressel hatte sie vorher mit Sand blitzblank geputzt – versäumte der Dicke nie, sich von Zeit zu Zeit nach dem Befinden seiner Schützlinge zu erkundigen und ein Stündchen mit ihnen zu verplaudern. Die Sporen trug er dabei stolz an einem Baumwollfaden um den Hals. Die Deutschen lernten im Gespräch mit dem Höfling nicht nur die Chibchaprache, die wohlklingend und viel wortreicher ist als das Aruak. Auch manches Interessante erfuhren sie von dem listigen Dicken, der fortwährend Koka kaute, wenn er nicht gerade seinen Lieblingstrank schlürfte, kalten Kakao, der mit Pfeffer, Vanille und Bienenhonig gewürzt war und den er ständig mit einem Stäbchen quirlte, sodass er mit einer dicken Schaumschicht bedeckt war. Ein schrecklich hässlicher Panchesklave, den er seiner Riesenohren wegen Brüllaffenohr nannte, musste ihm in einem mächtigen Gefäß stets das geliebte Getränk nachtragen.
Der Dicke erzählte behaglich vom Krieg des Zipa und des Zague, der gerade durch einen Sieg des Herrschers von Muikita beendet wurde, aber von Neuem auszubrechen drohte.
»Fieberhaft rüstet Windhose, der Feldherr, für den neuen Feldzug«, so berichtete er. Um Iraca, die Tempelstadt, ging der Streit. Alljährlich wallfahrtete das Volk der Chibcha zur Tempelstadt im Norden, während auf der ganzen Hochfläche Gottesfriede herrschte. Dieses Iraca musste, so schien es den Deutschen, eine Art Rom der Chibcha sein.
Weiße Termite wurde nicht müde, von dem Glanz und der Pracht der Stadt zu erzählen, wo soeben der Zaque dabei war, aus Steinen einen mächtigen Tempel zu Ehren Suas zu errichten, ein unerhörtes Unterfangen, denn bislang waren alle Gebäude der Chibcha, auch die größten Tempel, stets aus Holz erbaut worden.
Den Zaque dagegen gelüstete es von allem Besitz des Zipa am meisten nach den Salinen von Zipaquira, wo der größte Reichtum des Südreichs, das Salz, aus dem stark salzhaltigen Wasser der Lagune gewonnen wurde. Wertvoller waren dem Zipa die
Salinen als selbst die Minen im Tal des großen Stroms, wo man die herrlichen grünen Steine grub. Weithin brachten die furchtlosen Händler der Chibcha das begehrte Gewürz, gegen Sonnenaufgang bis tief in die Llanos, gegen Sonnenuntergang bis in das Tal des großen Flusses, wo vor einigen Jahren weiße Götter schrecklich unter den Indianern gewütet haben sollen. Die Freunde horchten auf. Weiße Termite hatte wohl von Ambrosius Ehingers Zug ins Tal des Magdalenenstroms gehört.
Gern erzählte der Palastvorsteher Hofklatsch. Am liebsten verbreitete er sich umständlich über den ewigen Streit zwischen dem Herrn des Donners und dem Zauberer, dem Herrn des Schmutzes. Nicht nur die beiden Alten taten sich Schabernack an, wo sie nur konnten, auch die beiderseitigen Frauen – jeder besaß ein gutes Dutzend davon – gerieten sich gelegentlich in die Haare und gingen mit Nägeln und Zähnen aufeinander los. Vom Zauberer sprach Weiße Termite immer nur im ängstlichen Flüsterton, wie daheim in Deutschland die Kinder von Hexen und bösen Geistern. Es war schlimm, den Zauberer zum Feind zu haben. Wo er sich zeigte, wich ihm das Volk voller Angst aus. Selbst der Kazike, der Sohn des Sonnengottes, fürchtete ihn. Nichts blieb dem Zauberer verborgen. Wenn er im Tabakrausch lag, bezeichneten die Zuckungen seiner Glieder unter den Verdächtigen, die ihm gegenübergestellt wurden, unfehlbar den Schuldigen, den Dieb, den Räuber, den Mörder, und als der Herr der Koralschlange einmal eine der Frauen des Zauberers, die eines Diebstahls verdächtig war, mit Pfeffer hatte füttern lassen, um sie zum Geständnis zu bringen, war monatelang der ersehnte Regen ausgeblieben, denn das Gebet des Zauberers konnte das Unwetter rufen und bannen, den Hagelschlag, der die Ernte vernichtet, die sengende Glut der Sonne, die Flut des Regens. Geheimnisvoll wirkte er in die Ferne, dass sein Opfer langsam dahinsiech, eine ganze Sippe, ein ganzer Stamm an Krankheit zugrunde ging oder von seinen Feinden vernichtet wurde. Das Gliederreißen, das den Herrn des Donners plagte, war sicher das Werk seines Feindes, nicht minder der Brand, der vor einigen Monaten das Haus des Oberpriesters eingeäschert hatte. Es war ein herrliches Gebäude, kaum erst fertig geworden, und man hatte nach altem Brauch die Eckpfosten in die Leiber unschuldiger Kinder gerammt, die man lebend in die Gruben geworfen hatte, damit das reine Blut in die Erde sickere und das Haus gegen jede Unbill feie. Trotzdem hatte das Hassgebet des Zauberers den Brand in das Haus geworfen, dass es bis auf den Grund eingeäschert wurde.
Mit der Bereitwilligkeit, mit der viele Leute ihren Mitmenschen etwas Unangenehmes sagen, erzählte Weiße Termite den Freunden, dass der Oberpriester, der Herr des Donners, sie hasste. »Denkt nur«, berichtete er eines Tages mit gut gespielter Entrüstung, »der Priester will nicht glauben, dass ihr Götter seid! Er meint, ihr wäret Menschen, nicht einmal Chiqui oder Guechas, sondern Menschen, wie draußen die Handwerker auf der Straße oder gar die Panchesklaven. Er will euch verderben und nennt euch Abgesandte Chibchachums. Aber – schon um den Oberpriester zu ärgern -der Zauberer, der Herr des Schmutzes, hält die Hand schützend über euch und dann natürlich ich, Weiße Termite.«
Es war keine angenehme Neuigkeit, die die Freunde da erfuhren, zumal der Höfling sie nicht im Zweifel ließ, dass sie am Hof noch einen mächtigen Gegner hatten, Windhose, den Abgott der Guechas, den Schwestersohn des Kaziken, der nach dem bei den Chibcha herrschenden Mutterrecht einmal Thronerbe sein und den man in einigen Monden feierlich als Kronprinz salben würde.
»Auch Windhose liebt euch nicht, o ihr Bleichgesichtigen!«, sagte Weiße Termite zwischen zwei Schlucken seines geliebten Kakaos. »Am liebsten würde er euch die Haut abziehen lassen bei lebendigem Leib.«
»Angenehme Aussichten«, brummte Kressel und schüttelte sich. »Ich habe nicht die geringste Lust, einmal ausgestopft in einem Chibchatempel zu stehen.«
»Ja, lieber Kressel«, versetzte Fabricius mit grimmigem Humor, »es wäre schade um deine ehrliche Haut.«
Von Weiße Termite erfuhren die Freunde auch das Geheimnis jenes Knaben im weißen Gewand, der, von Tag zu Tag magerer und schwächer werdend, von den Priestern zum Tempel Suas geführt wurde.
»Der Maisbringer ist es«, so erzählte der Höfling. »Im zarten Kindesalter ist er in den Llanos von Sklavenhändlern gekauft worden. Unter Kasteiungen und religiösen Übungen wurde er im Haus der Priester erzogen. Tagelang musste er fasten. Kein Stückchen Fleisch, kein Körnchen Salz werden ihm gegönnt, nur ein paar Früchte. Die Priester geißeln ihn, sie ziehen ihm einen rauen Strick aus Agavefasern durch Nase und Schlund und zerren ihn daran hin und her. Sie binden ihm ein Säckchen mit blutgierigen Termiten auf den Rücken an eine Stelle, die er mit den Händen nicht erreichen kann, dass ihn die Insekten elend zerstechen. Dann, zur Zeit der Maisaussaat, wird er in feierlichem Zug zum Tempel Suas geleitet. Der Kazike selbst wird an der feierlichen Prozession teilnehmen, in seiner Sänfte getragen, denn niemals dürfen die Füße des Geweihten, des Suasohnes, den Boden berühren. Priester werden unter dumpfen Gesängen mit Kopalharz räuchern, eine unübersehbare Menge wird folgen und jammernd und heulend nach Sua, dem Lichtspender, rufen. Am Heiligtum des Sonnengottes wird man den Knaben auf eine hohe Kanzel stellen, die an der Umzäunung des Tempels angebracht ist, dass alles Volk ihn sieht, und die Guechas werden mit ihren Wurfbrettern die Speere nach ihm schleudern, bis er, aus unzähligen Wunden blutend, tot zusammenbricht. Den Körper aber wird man vor dem Tempel liegen lassen, der Sonne zum Fraß, denn Sua, der Sonnengott, braucht frisches und reines Blut, damit seine Strahlen stark bleiben, unter denen der Mais reist. Das Volk aber, das eben noch verzweifelt klagt, wird um die Leiche des Maisbringers tanzen, Gesang und Fröhlichkeit werden herrschen die ganze Nacht und das Maisbier wird fließen, bis alle trunken sind.« Wochen vergingen, Monate. Die Gefangenen in ihrer Einsamkeit, im ewigen Einerlei der Tage, verloren allmählich das Gefühl für die Zeit, zumal die Jahreszeiten hier auf der Hochebene nicht so deutlich ausgeprägt waren wie im Tiefland. Einmal versuchten sie bei einem abendlichen Gang durch die Stadt zu entfliehen. Der Versuch misslang kläglich. Schon hatten sie das Weichbild der Stadt beinahe hinter sich, als ihnen plötzlich einige patrouillierende Guechas in den Weg traten, die eine Art Straßenpolizei auszuüben schienen. Man brachte sie in ihr Gefängnis zurück und verschärfte ihre Bewachung. Ihre Wächter aber, deren Lässigkeit die Flucht begünstigt hatte, traf furchtbare Strafe.
Weiße Termite erzählte ihnen mit sichtlichem Behagen davon. Einige wurden gepfählt, andere waffenlos mit einem hungrigen Puma eingesperrt. Die schlimmste Strafe aber erlitt der Anführer des Wachkommandos. Man zwang den unglückseligen, dem Sohn Suas, dem Kaziken, ins Gesicht zu sehen. Nur mit Gewalt konnte der in Qual und Verzweiflung Aufheulende dazu gezwungen werden. Danach war er verfemt, geächtet, vogelfrei, verseucht von den Göttern, ausgestoßen von den Menschen. Waffenlos irrte er in der Savanne umher, bis ihn ein qualvoller Hungertod von seinen Leiden erlöste.