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Der Teufel auf Reisen 41

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Neuntes Kapitel – Teil 1
Eine Jugendliebe

Einige Tage später trat Herr von Schwefelkorn eines Morgens in das Zimmer unseres Bekannten und sagte: »Mein lieber Doktor, es tut mir leid, dass wir uns auf einige Zeit trennen müssen.«

»Was ist denn vorgefallen?«

»Ich erhielt diese Nacht einen Courier.«

»Wieder durch den Schornstein?«

Der Baron nickte. »Immer auf dem kürzesten Wege«, bemerkte er gut gelaunt.

»Nun, um was handelt es sich denn?«

»Die Vermählung der Prinzessin Beelzebub mit dem Prinzen Luzifer war schon längst projektiert. Jetzt haben sich beide Höfe darüber geeinigt und es stehen große Festlichkeiten bevor, bei denen ich als Oberzeremonienmeister natürlich nicht fehlen darf.«

»Da wird es wohl prächtig dabei hergehen?«

»Das können Sie denken. Zunächst Parade unserer schwarzen Garde.«

»Wie, Sie haben auch eine schwarze Garde?«

»Das versteht sich. Alles prächtige, wohlgenährte Burschen, die hier auf Erden von der Dummheit der Leute lebten und sich dabei das Essen und Trinken bestens schmecken ließen.«

»So, so. Nun, und dann?«

»Dann folgen die Freudenschüsse. Wenn es in der nächsten Zeit heftig donnert und blitzt, so wissen Sie, was das bedeutet.«

»Danke bestens. Davon wird natürlich keiner unserer Meteorologen eine Ahnung haben.«

»Auch eine Amnestie erlassen die beiden Majestäten Luzifer und Beelzebub bei dieser Gelegenheit. Zwei Millionen arme Sünder kommen aus dem großen Feuer in das kleine. Am Tag der Vermählung dürfen sie sogar zur Abkühlung ein Bad nehmen.«

»Den Jubel kann ich mir denken. Am liebsten möchte ich Sie aber schon in Ihrer Staatsuniform sehen.«

»Oh, ich sage Ihnen, ich repräsentiere bei solchen festlichen Gelegenheiten auch eine teufelsmäßige Figur. Silberne, mit Rubinen besetzte Hörner, vergoldeter

Pferdefuß und einen mit Rosen und Vergissmeinnicht umwundenen Schweif. Mit dem Letzteren wedele ich dann höchst anmutig, wenn ich als Oberzeremonienmeister den Fackeltanz eröffne.«

Schwefelkorn lächelte bei diesen Worten sehr behaglich, woraus der Leser ersehen mag, dass es selbst dem Teufel nicht an Eitelkeit fehlt.

»Doch während ich hier mit Ihnen plaudere«, fuhr er fort, »müsste ich eigentlich schon unterwegs sein.«

»Aber Sie können doch nicht am hellen Tage durch den Schornstein fahren?«

»Das soll auch nicht geschehen, mein Bester. Als einfacher Reisender benutze ich die Eisenbahn, in der Nacht steige ich dann aus und verschwinde ganz unvermerkt. An einer gewissen Stelle erwartet mich dann schon ein Reitknecht mit dem Rappen, welchen ich ritt, als wir Ihrem Freund Gottlieb einen Besuch abstatteten, und fort geht es dann mit des Gedankens Schnelle den Regionen zu, wo das Feuer nie erlischt und der Duft von Pech und Schwefel einen behaglichen Wohlgeruch verbreiten.«

»Es ist alles Geschmacksache«, bemerkte Schwalbe sehr philosophisch, »es kommt alles auf die Gewohnheit an.«

»So leben Sie also wohl, lieber Doktor«, rief Herr von Schwefelkorn , indem er unserem Bekannten die Hand entgegenstreckte. »Es ist Zeit, dass ich abreise, denn wie Sie sehen, fangen mir die Krallen schon an zu wachsen.«

»Leben Sie wohl«, antwortete unser Philosoph, »vergessen Sie den Orden nicht, welchen Sie mir versprochen haben.«

»Sie sind notiert. Später, wenn Sie einmal einer der unseren sind …«

»Damit bleiben Sie mir ein für allemal vom Leibe«, schrie Schwalbe, »wenn Sie nicht augenblicklich davon schweigen, halte ich Ihnen den Backenzahn des heiligen Loyola unter die Nase.«

»Na, na, beruhigen Sie sich nur, ich bin ja schon still. Sie werden doch die Stunde des Abschieds durch einen Streit nicht trüben wollen?«

»Durchaus nicht! Auf Wiedersehen also, Baron.«

»Auf Wiedersehen! Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden, ehe Sie es sich versehen, bin ich eines Morgens wieder bei Ihnen.«

»Soll mir sehr angenehm sein. Die Umarmung erlassen Sie mir wohl. Also nochmals: Viel Glück auf die Reise und verderben Sie sich bei den bevorstehenden Festlichkeiten nicht den Magen.«

In der nächsten Minute befand sich unser Bekannter allein. Er öffnete das Fenster und sah kurz darauf Schwefelkorn mit seinem Gepäck aus dem Hotel treten. Noch einmal winkten sich die beiden Herren zu, dann bog der Oberzeremonienmeister Seiner höllischen Majestät um die Ecke und unser Philosoph zog sich in sein Zimmer zurück.

»Nie hätte ich geglaubt, dass man sich an den Teufel so gewöhnen könnte«, murmelte er, »es ist mir ordentlich, als wenn mir etwas fehlte, seitdem er fort ist. Nun, dass mein Seelenheil dabei nicht in Gefahr gekommen, davor habe ich mich wohl sorgfältig gehütet. Der Zahn des heiligen Loyola und der Splitter aus dem Tintenfass des Doktor Luther leisteten mir dabei treffliche Dienste. Doch nun will ich auch die Zeit der Muße dazu benutzen, um meine Notizen zu vervollständigen. Namentlich habe ich da noch einen hübschen Stoff nachzutragen, welcher der Mitteilung wert ist.«

Schwalbe arbeitete in den nächsten Tagen sehr fleißig und wir entnehmen aus seinem Tagebuch folgende Erzählung, welche wir den Lesern nicht vorzuenthalten glauben dürfen. Der Titel derselben lautet wie bereits erwähnt:

Eine Jugendliebe

Der Kämmerer Güldenstern war nächst dem Bürgermeister der angesehenste Mann im Städtchen Grünau. Er hatte seine Zeit wohl angewendet und außerdem vom Glück begünstigt, war es ihm gelungen, sich im Lauf der Jahre zu einem Mann emporzuschwingen, der in dem kleinen Ort, in welchem er lebte, unbedingt als reich gelten konnte.

Herr Güldenstern hatte schon früh seine Gattin durch den Tod verloren und als Ersatz dafür war ihm eine einzige Tochter geblieben, welche den Namen Flora führte und die zur Zeit, wo unsere Erzählung beginnt, ungefähr das Alter von zwanzig Jahren erreicht haben mochte. Da in Grünau noch ziemlich patriarchalische Zustände herrschten, so waren die Begriffe über das, was man eine feine und sorgfältige Erziehung nennt, auch noch nicht zu hoch geschraubt, und »des Kämmerers Flora« etwas auf dem Klavier herumzuklimpern und einige französische Worte zu plappern verstand, außerdem auch die Werke von Schiller und Goethe in ihrer kleinen Hausbibliothek besaß, so galt sie allgemein als ein Muster außergewöhnlicher Bildung und der Predigtamts-Kandidat Florentin, welcher seine besonderen Gründe hatte, sich mit Herrn Güldenstern auf gutem Fuß zu halten, bestätigte dies bei vorkommenden Gelegenheiten nicht allein in der bindendsten Form, sondern fügte auch im salbungsvollen Ton stets hinzu, dass Mademoiselle eine junge Dame sei, die alle Eigenschaften besitze, um einen Mann glücklich zu machen, zu welcher Behauptung er beiläufig erwähnt, im Hinblick auf die zwanzigtausend Taler, welche ihr einst zufielen, ebenfalls seine guten Gründe haben mochte.

Die Wahrheit war übrigens die, dass Flora eine ansehnliche Portion Eigendünkel besaß. Und gerade deshalb, weil es mit ihrem Wissen durchaus nicht weit her war, machte sich bei ihr die Meinung geltend, sie nehme wirklich einen höheren Standpunkt ein, als ihre übrigen Altersgenossinnen im Städtchen und sie sei demnach auch berechtigt, mit größeren Ansprüchen wie diese hervorzutreten. Hierin wurde sie von dem Herrn Papa, dessen Gesichtskreis in solchen Dingen ein äußerst beschränkter war, bei jeder Gelegenheit bestärkt, wenn er aber auch ein selbstständiges Urteil gehabt hätte, so würde er es doch nicht geltend gemacht haben, denn einmal erblickte er in seiner Tochter das Ideal äußerer und innerer Liebenswürdigkeit, und das andere Mal stand er vollständig unter deren Einfluss. Was nun die körperlichen Schönheiten Floras anbelangt, so möchte es wohl, mit Ausnahme des Kandidaten Florentin, niemand eingefallen sein, irgendeine Ähnlichkeit zwischen ihr und einer Psyche oder Hebe herausfinden zu wollen, denn trotz ihrer zwanzig Jahre hatte sie bereits einen erheblichen Ansatz zur Korpulenz, ihr großer Mund blickte eben nicht lieber reizend unter ein paar roten dicken Pustebacken hervor und ihre Augen zeichneten sich nur dadurch aus, dass dieselben einen Stolz und einen Hochmut zu erkennen gaben, welcher unwillkürlich an die zwanzigtausend Taler, die sie einst erbte, erinnerte.

Es mochte etwa zwischen zehn und elf Uhr des Vormittags sein, als sich der Kämmerer eines Tages mit diplomatischer Pfiffigkeit in seinem breiten, mit weichen Rosshaaren gefüllten Sessel wiegte, während er sich gleichzeitig mit einem jungen Mann von etwa dreiundzwanzig Jahren, der ihm gegenüber Platz genommen hatte, im Gespräch befand. Ein empfehlendes Äußere, unterstützt durch schöne klare Augen und eine intelligente Stirn, beides noch interessanter durch die ansprechende Offenheit und den milden Ernst, der sich darin aussprach, stand dem Fremden zur Seite. Wenn eben jetzt Flora in dem Nebenzimmer, dessen Tür bloß angelehnt war, unter Klavierbegleitung mit einer Stimme, die schmelzend und sehnsüchtig klingen sollte, welche aber in Wahrheit schreiend überschnappte, aus voller Kehle die Strophe

Oh wärest du mein eigen,

wie lieb sollt’st du mir sein

ertönen ließ, so mochte sie jedenfalls ihre guten Gründe dazu haben und im Stillen wünschen, dass die Anspielung, welche in diesen Worten lag, an die richtige Adresse gelangen möchte.

»Sie beabsichtigen also«, nahm Herr Güldenstern weiter das Wort, indem er das angeknüpfte Gespräch mit dem jungen Mann fortsetzte, »unser Städtchen wieder zu verlassen und nach der Universität zurückzukehren?«

»Ja«, lautete die Antwort, »der Zweck, welcher mich hierher trieb, alte Bekannte und Freunde nach langer Abwesenheit einmal wiederzusehen, ist erreicht, und ich wüsste nicht, was mich nun noch länger hier fesseln könnte.«

»Hm, hm«, meinte der Kämmerer und rückte dabei etwas aus seiner verschanzten Stellung heraus. »Ich kann natürlich Ihre innersten Gedanken nicht erraten. Es gibt Geheimnisse … na, ich liebe es bei einem jungen Mann, wenn er Ehrgeiz genug besitzt, nach einem hohen Ziel zu streben und übrigens … man soll freilich niemand in der Eitelkeit bestärken, aber als Ihr Vormund nehme ich ein besonderes Interesse an Ihnen. Kurz und gut, in zwei Jahren haben Sie ja Ihre Examina hinter sich und dann hindert Sie nichts, sich hier in Grünau niederzulassen und sich eine Gattin nach Neigung und Geschmack auszusuchen.«

Bei dieser Bemerkung schlug Flora im Nebenzimmer stürmisch auf die Tasten und

bei Männern, welche Liebe fühlen

glitt es schmetternd über ihre Lippen.

Ein leichtes ironisches Lächeln überzog die Züge des jungen Mannes, aber seine innersten Gedanken verbergend, antwortete er ruhig: »Nun, mit dem Heiraten hat es vorläufig wohl noch Zeit. Sollte später aber dieser Fall eintreten, so werde ich dann dabei gewiss nur der Neigung meines Herzens folgen.«

»Natürlich«, bemerkte zustimmend Herr Güldenstern, »und wenn ich Ihnen mit Rat und Tat dabei zur Hand gehen kann … meine Flora … ich weiß es bestimmt … ihre ästhetische Bildung … doch wie gesagt, kommt Zeit, kommt Rat …«

Herr Güldenstern hielt hier inne und blickte seinen Besuch höchst pfiffig an.

Dieser schüttelte aber diesmal sehr entschieden mit dem Kopf und sagte mit einem erneuerten feinen Lächeln: »Ich wünsche Mademoiselle Flora alles Glück und zunächst dereinst einen Mann, welcher ihre ästhetische Bildung gehörig zu würdigen versteht. Was mich betrifft, so bekenne ich indessen offen, dass ich mir ein solches Geschick nicht zutraue.«

Die Wirkung dieser Worte blieb nicht aus, denn während das Spiel im Nebenzimmer plötzlich aufhörte und statt dessen eine Tür mit Heftigkeit zugeschlagen wurde, zog sich die Stirn des Kämmerers in finstere Falten und ein drohender Blick traf den Sprecher.

»Ihre Vermögensverhältnisse sind Ihnen wohl gänzlich unbekannt?«, fragte er mit einem Hohn, dessen Verletzendes er gar nicht zu verbergen bemüht war.

Eine hohe Röte überflog die Wangen des Studenten. »Speziell habe ich mich bisher darum nicht bekümmert«, antwortete er, »doch ist mir allerdings bewusst, dass meine teuren Eltern mir nicht viel hinterlassen haben.«

»Nun, der Rest Ihres Vermögens wird gerade so weit ausreichen, um Ihnen noch für drei Jahre Ihren Unterhalt zu sichern«, bemerkte Herr Güldenstern, indem er sich mit einem gewissen Triumph in seinen Stuhl zurücklehnte. »Mit einer solchen Kleinigkeit von ein paar hundert Talern«, fuhr er höhnisch fort, »kann man keine großen Sprünge machen, und wenn man sich dabei noch aufs hohe Pferd setzt und da mit Prätensionen auftritt , wo man es sich zur Ehre anrechnen sollte …«

»Herr Vormund«, fiel ihm hier Hermann Dahlburg ins Wort, »ich muss entschieden darum bitten, sich aller überflüssigen Bemerkungen zu enthalten. Die paar hundert Taler, wie Sie sich auszudrücken belieben, werden gerade bis zu der Zeit ausreichen, wo ich imstande bin, mir mein Brot selbst zu verdienen.«

»Ihr Brot selbst erwerben? Nun, heutzutage wimmelt es von Ärzten und die Zeiten sind vorbei, wo solche Herren es bequem im Armsessel abwarten konnten, bis sich die Kranken bei ihnen einstellten.«

»Genug!«, rief Dahlburg, »auf welche Weise ich mir eine Stellung im Leben zu schaffen gedenke, dies ist meine Sache. Leben Sie wohl, Herr Vormund, ich erachte es am zweckmäßigsten, dass wir hier unsere Unterhaltung abbrechen.« Ohne eine Erwiderung abzuwarten, verbeugte sich der junge Mann und wenige Minuten danach trat er aus dem Haus des Kämmerers, indem er diesen mit einem Gesicht zurückließ, welches verletzte Eitelkeit und Zorn hochrot gefärbt hatte. Gleich hinterher trat aber auch Flora bei dem Papa ein, und in ihren Zügen sprach sich eine nicht minder große Aufregung aus.

»Ich hoffe doch, dass du dich eines so albernen Menschen wegen nicht erhitzen wirst?«, sagte sie, während ihre kleinem zwischen den Pustebacken herausleuchtenden Augen Funken sprühten. »Ich möchte ihn selbst dann nicht, wenn er in Gold eingefasst wäre. Er ist übrigens ein leichtsinniger Patron, dem jeder Umgang zusagt und welcher dem ersten besten Mädchen, das ihm in den Weg kommt, nachläuft.«

»Wie zum Beispiel der Helene Helmstädt, der Nichte der alten fürstlichen Kammerfrau«, bemerkte Herr Güldenstern wegwerfend.

»Nun, die kann es wahrhaftig noch einmal weit bringen«, antwortete naserümpfend die dicke Flora. »Mit den Herren kokettiert das siebenzehnjährige Ding schon, dass es eine Schande ist! … Gib Acht, Papa, an der werden wir beide noch etwas erleben!«

Das Gespräch zwischen Vater und Tochter wurde hier durch den Eintritt des Herrn Kandidaten Florentin unterbrochen. Herr Florentin, welcher stets im schwarzen Frack und in weißer Halsbinde einherging und jederzeit demütig-fromm die Augen verdrehte, war doch nach seiner Art ein Schlaukopf. Er hatte sich schon oft, wenn er in stillen Stunden träumend auf seinem Zimmer saß, herrlich in Amt und Würden prangend erblickt. Auch der Spruch Der Mensch soll nicht allein sein war ihm dann dabei frisch ins Gedächtnis getreten. Was lag dann wohl näher, als dass er dabei gleichzeitig an die Wahl seiner künftigen Lebensgefährtin dachte. Herr Kandidat Florentin ging aber auch hierbei durchaus praktisch zu Werke, und so kam er schließlich zu der Überzeugung, dass es viel angenehmer sei, sich in der Ehe mit einem behaglichen Komfort zu umgeben, statt sich, wie viele der Herren Landpfarrer, die er kannte, auf ein Dutzend Kinder und einige hundert bestaubte Bücher zu beschränken. Fräulein Flora erschien ihm in solchen Stunden stiller Betrachtung mit ihren zwanzigtausend Talern dann stets äußerst liebenswürdig. Von dieser Stimmung gehoben, war er gerade jetzt erschienen, um Vater und Tochter seine Aufwartung zu machen.

So lange die Letztere sich mit der stillen Hoffnung getragen hatte, dass der junge Dahlburg sie dereinst zur Frau Doktorin erheben würde, war Herr Kandidat Florentin in seinem schwarzen Frack mit der weißen Halsbinde ziemlich unbeachtet geblieben, oder er hatte doch häufig unter den Launen der ästhetisch-gebildeten dicken jungen Dame schmerzlich leiden müssen. Heute aber, wo der angehende Mediziner herausfordernd den Handschuh hingeworfen, zeigte sich sowohl Herr Güldenstern als auch Flora gegen den Kandidaten besonders wohlwollend gestimmt. Als schlauer Fuchs war von diesem bald herausgewittert worden, woher der Wind kam und als ein praktischer Mann vergaß er nicht, dass man das Eisen schmieden müsse, so lange es warm sei. Kaum hatte er daher Platz genommen, als er mit einem Gesicht und einer Stimme, denen beiden der Ausdruck warmer Teilnahme nicht fehlte, sich zu der Tochter des Hauses wandte und sie folgendermaßen anredete.

»Es schmerzt mich jedesmal tief, wenn ich auf Ihrer schönen geistreichen Stirn eine Wolke des Kummers erblicke. Irre ich nicht, so hat sich auf derselben gerade in diesem Augenblick eine solche gelagert?«

»Oh, es ist nichts – durchaus nichts«, antwortete wegwerfend Flora.

»Meine Tochter denkt viel zu philosophisch, um sich unnötigerweise über Dinge, die weit unter ihrem Gesichtskreis liegen, zu alterieren«, bemerkte Herr Güldenstern.

Obgleich man sich dadurch den Anschein gab, als wollte man einer bestimmten Antwort ausweichen, so war der Kandidat doch viel zu schlau, um deshalb sein eigentliches Ziel aus den Augen zu verlieren.

»Auf dem Wege hierher«, begann er, und schlug dabei fromm die Augen nieder, »begegnete ich auch den Herrn Dahlburg.«

Flora warf die Lippen auf und zuckte geringschätzend mit den Achseln. »Für mich hat dieser Mensch nicht das geringste Interesse«, bemerkte sie. »Mein Vater war genötigt, ihn hier zu empfangen, da er sein Vormund ist, und so gern er es auch gewollt hätte, so ließ sich dies doch nicht vermeiden.«

»Nun, in einem Jahr ist er mündig und dann bin ich ihn ja los«, sagte der Kämmerer.

»Als er Sie verließ, sah ich ihn in die Wohnung der Frau Helmstädt treten«, fuhr der Kandidat fort, indem er heimlich einen lauernden Blick auf das dicke Fräulein warf.

Diesmal blitzten dessen Augen zornig auf und dann verzog sich der große Mund zu einer höhnischen Grimasse.

»Was er dort sucht, ist ja bekannt«, sagte sie, »der Helene gilt sein Besuch, die, trotz ihrer siebzehn Jahre, schon mit allen Herren kokettiert. Nun, wenn sie so fortfährt, so kann sie es noch weit bringen, ja wahrhaftig – ha, ha, ha!«

»Hier kann man wohl auch in Bezug auf Herrn Dahlburg das Sprichwort anwenden: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich werde dir sagen, wer du bist«, bemerkte spöttisch Florentin.

»Sie sollten einmal diesen Gegenstand zum Thema einer Ihrer Predigten machen«, fiel der Kämmerer ein. »So ein Wort von der Kanzel herab, vor versammelter Gemeinde, verfehlt seine Wirkung nicht. Es lassen sich da ganz verständliche Seitenhiebe nach rechts und links anbringen.«

Florentin seufzte plötzlich und heftete mit sentimentaler Zärtlichkeit seinen Blick auf Flora.

»Da Sie eben vom Predigen sprechen«, lispelte er, »so fällt mir unwillkürlich ein, zu welcher reizenden Idylle man ein Pfarrleben auf dem Lande machen kann. Mit Ihnen, Mademoiselle, die Sie ein so zartes poetisches Gemüt besitzen, werde ich hierin gewiss sympathisieren.«

»Oh ja, ganz gewiss«, lautete die Antwort Floras, indem sie dabei ihren großen Mund nach beiden Seiten in eben nicht poetischer Weise zu einem Lächeln verzog.

»Wie schön muss es zum Beispiel sein«, fuhr Florentin fort, welcher aus diesem Lächeln für sich eine neue Hoffnung schöpfte. »Nach vollbrachtem Tagewerk unter der großen Linde des Pfarrhauses mit der Heißgeliebten, die man als Gattin heimgeführt hat, den Tee einzunehmen.«

Dem Kandidaten entschlüpfte ein zweiter sehnsüchtiger Seufzer. Zu seinem Entzücken traf ihn diesmal gleichzeitig ein Strahl aus Floras Augen, welcher sein liebeglühendes Herz mit neuen Hoffnungen erfüllte. Auch bei Papa Güldenstern schien der Kandidat plötzlich in der Gunst gestiegen zu sein, denn er lud diesen mit einem aufmunternden Lächeln ein, zum Mittagstisch zu bleiben. Während er beim Mahl darauf anspielte, dass der Magistrat von Grünau als Patron mehrere einträgliche Pfarrstellen zu vergeben habe, schälte ihm seine Nachbarin mit eigener Hand einen Apfel und kam nochmals auf die Dorfidylle, als deren Verfasser sich Florentin vorhin bekannt hatte, zurück.

Während sich dies in der Wohnung des Kämmerers zutrug, war unser Bekannter, der junge Dahlburg, in dem Haus verschwunden, welches Frau Helmstädt, die ehemalige Kammerfrau der Prinzessin Sophie, bewohnte. Mit strahlenden Blicken und hochklopfendem Herzen betrat er das Familienzimmer und stand einen Augenblick darauf einem reizenden jungen Mädchen gegenüber, dessen Schönheit sich eben erst im vollen Schimmer der ersten Jugendfrische zu entfalten begann.

»Hermann!«, tönte es von ihren Lippen, und im nächsten Augenblick sprang sie von ihrem Sitz auf, ließ die Stickerei, mit welcher sie gerade beschäftigt war, fallen und streckte mit heiterlächelndem Antlitz dem Eintretenden ihre beiden Hände entgegen.

Dieser ergriff dieselben, und Helene freudig bewegt anschauend, sagte er: »Ich komme, um Abschied zu nehmen, denn diese Nacht reise ich wieder nach der Universitätsstadt zurück.«

»Wie«, rief die reizende siebzehnjährige Fee und senkte dabei missmutig das Köpfchen, »wie, schon wieder fort?«

»Meine Studien machen mir diese Rückkehr zur Pflicht«, lautete die Antwort.

»Oh, wie langweilig und eintönig wird es dann wieder hier in Grünau werden«, seufzte Helene. »Ich hatte mich schon darauf gefreut, dass wir noch verschiedene hübsche Ausflüge mit der Tante machen würden, und nun zerfließt alles in Nichts.«

»Bald kehre ich ja zurück«, antwortete der junge Mann mit leuchtenden Augen, »und wenn Sie mir dann noch Ihr Andenken bewahrt haben …«

»Wie könnte ich Sie, meinen Jugendgespielen, vergessen?«, rief das schöne Kind mit strahlenden Augen. »Gewiss, Sie werden mir immer recht lieb und teuer bleiben und wenn wir uns einst wiedersehen, so sollen Sie sich bestimmt nicht darüber zu beklagen haben, dass in meinen Gesinnungen eine Änderung gegen sie eingetreten ist.«

»Es würde mich dies auch sehr unglücklich machen«, bemerkte Hermann, indem er schwärmerisch in die tiefblauen Augen Helenes schaute.

Diese errötete und schlug den Blick schüchtern zu Boden. Dann lachte sie hell auf und sagte: »Ich Sie unglücklich machen? Das wolle Gott verhüten, Herr Träumer! … Nein, nein, reisen Sie nur unbesorgt ab, machen Sie Ihr Examen und wenn Sie dann hierher zurückkehren, so …«

»Nun?«, fragte Dahlburg, und seine Augen leuchtete auf.

»Nun«, fuhr das junge Mädchen lachend fort, »wenn Sie einst zurückkehren, so werden Sie in mir noch immer dieselbe von früher finden, nur mit dem Unterschied, dass ich dann vielleicht etwas älter und vernünftiger geworden bin.«

»Gut, so wollen wir also einander gegenseitig vertrauen«, sagte der angehende Doktor, seine Hand Helene entgegenstreckend.

»Es gilt!«, antwortete diese einschlagend. »Ich wüsste auch nicht, was störend zwischen uns treten sollte.«

»Die Zeit und die Verhältnisse könnten dies tun. Doch ich hoffe und vertraue.«

Die eintretende Tante unterbrach hier das Gespräch. Ihre Redseligkeit verscheuchte bald den Ernst, welcher sich für einen Augenblick auf der Stirn ihrer Nichte gelagert hatte. Als Dahlburg sich entfernte, entließ ihn Helene mit einem munteren sorglosen Lächeln und tröstete ihn nochmals mit einem frohen Wiedersehen.