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Der Marone – Nach dem Ball

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 21

Nach dem Ball

Die Zeit rückte sehr schnell heran, wo der ehrgeizige Plan des Custos Vaughan entweder mit Erfolg gekrönt oder als verunglückt angesehen werden sollte. Das Letztere befürchtete er freilich gar nicht. Obwohl Smythje, nachdem er die schöne Gelegenheit bei der Sonnenfinsternis hatte entgehen lassen, sich bei Käthchen noch nicht näher erklärt hatte, so wusste Vaughan doch, dass es die feste Absicht des Ersten war, bei der ersten besten Gelegenheit seinen Antrag zu erneuern.

Die Erklärung war nur auf den eigenen Wunsch des Custos aufgeschoben worden, dessen Rat von seinem künftigen Schwiegersohn in Anspruch genommen war.

Dies geschah nicht etwa deshalb, weil Vaughan eine abschlägige Antwort Käthchens befürchtete, denn der stolze Vater wusste, dass seine Tochter dafür viel zu sehr in seiner Hand war und dass sein Wunsch bei ihr immer maßgebend sein würde. Hierüber hegte er nicht den geringsten Zweifel. Allein einige andere Gründe hinderten ihn, die Angelegenheit sofort zur Entscheidung zu bringen.

Herr Smythje selbst dachte gar nicht an die Möglichkeit eines Abschlagens von Käthchens Seite. Käthchens Benehmen auf dem Ball hatte ihm die feste Überzeugung beigebracht, dass sie ihm gänzlich angehöre, und dass ohne ihn ihre Zukunft nur eine elende und jämmerliche sein würde. Sowohl ihre bleichen Wangen als auch ihr düsteres, gedankenvolles Aussehen, als sie am nächsten Morgen am Frühstückstisch erschien, verkündeten es ihm zu deutlich, dass sie niemals unter einem anderen Namen als dem einer Frau Smythje glücklich sein werde.

Deshalb sollte noch an demselben Morgen der feierliche Antrag gemacht werden. Das würde dann auch ein höchst geeigneter Schluss des großen Festes der verflossenen Nacht gewesen sein.

Wie ein zweiter Antonius, mit glühender, von frischen Lorbeeren umwundener Stirn, wollte er sich seiner Kleopatra triumphierend und unwiderstehlich nähern.

Nach dem Frühstück zog Smythje den Custos in eine Ecke und gab ihm noch einmal sein entschiedenes Verlangen zu erkennen, so bald wie möglich sein Schwiegersohn zu werden.

Er fand ihn auch ganz bereit hierzu, nur wünschte er als Vater, zuvor noch einen Augenblick mit seiner Tochter zu reden, um sie auf die außerordentliche Ehre, der sie nun teilhaftig werden sollte, vorzubereiten.

Käthchen war in den Kiosk gegangen. Hier suchte Herr Vaughan sie auf, um ihr die vorgeschlagene Zusammenkunft anzukündigen. Auch Smythje war in den Garten hinab gegangen, aber anstatt dem Sommerhaus nahe zu kommen, schlenderte er etwas entfernter neben den Gartenmauern umher und pflückte gelegentlich eine Blume oder jagte Schmetterlinge, die glänzend und fröhlich wie seine eigenen Gedanken waren. Käthchens Gesicht zeigte noch das melancholische Aussehen, von dem es bereits den ganzen Morgen umschleiert gewesen war, und das Eintreten des Custos war nicht geeignet, es zu erheitern. Seine düsteren Wolken wurden nur noch trüber, gerade als ob die Ankunft des Vaters auch das letzte kleine in ihrem Herzen noch schimmernde Hoffnungslicht auslöschen sollte.

Nach dem, was sie diesen Morgen gehört hatte, setzte sie ganz richtig voraus, dass die Zeit gekommen sei, wo sie sich entweder den Wünschen ihres Vaters unterwerfen und sich auf ein unglückliches Leben gefasst machen müsse, oder wo sie durch Ungehorsam seinen Zorn erregen und dann vielleicht, sie wusste selbst nicht was, zu erdulden haben würde.

Sie war sich nur bewusst, dass sie Smythje nicht liebe und nie lieben könne. Sie hasste den Mann nicht, noch verabscheute sie ihn. Ihr Gefühl zu ihm trug den Charakter vollkommener, mit ein wenig Geringschätzung verbunden Gleichgültigkeit. Für harmlos und wohlgesinnt hielt sie ihn im Allgemeinen, und zweifelsfrei würde er auch ein ganz gutmütiger Ehegatte sein. Allein das war doch nicht ausreichend, um das Gemüt und den Geschmack der jungen Kreolin zu befriedigen. Der wirkliche Held ihres Herzens war hiervon ganz verschieden.

Sowohl der Liebende als auch sein künftiger Schwiegervater hätten kaum eine günstigere Zeit für ihre Absichten wählen können. Obwohl Käthchen gegen Smythje gleichgültiger als je zuvor gestimmt war, ja ihn vielleicht mehr als je geringschätzte, so war sie doch gerade jetzt in ihrem frühen Vorhaben, ihn auszuschlagen, schwankend geworden.

Liebhaber wie Vater hatten sich freilich beide ihr niedergeschlagenes Aussehen in ganz irriger Weise erklärt, denn es war ganz und gar nicht die Liebe zu Smythje, durch die sie jetzt litt, sondern durch Leidenschaft für einen anderen erzeugte Verzweiflung. Nur in dieser Verzweiflung lag die einzige Hoffnung, die der Herr von Schloss Montagu haben konnte.

Diese Verzweiflung war mit Groll und Zorn verbunden, jener stolzen Leidenschaft, die, das Herz mit Pein erfüllend, es zu verwegenen und verzweifelten Entschlüssen, ja selbst zur gänzlichen Vernichtung aller künftigen Hoffnungen treibt, als ob das Glück durch die Zerstörung des Lebensglückes, des einzigen Wesens, das es zu geben vermag, begründet werden könnte!

In der Tat, das Herz Käthchen Vaughans war bereits an jenem fürchterlichen Zustand angelangt, wo die von ihrer Nichterwiderung überzeugte Liebe ihren einzigen Trost in der Rache sucht.

Zweifellos hatte sie früher sichere Hoffnung auf Herbert Vaughan gesetzt, denn ohne diese hätte sich schwerlich eine Liebe bei ihr entzünden können. Sie war wohl zumeist auf jene beim ersten Abschied gesprochenen zärtlichen Worte gegründet. So schwach diese Begründung auch war, so hatte sie bis zur Nacht des großen Smythje-Balles angedauert, denn sie hatte sie trotz Abwesenheit, Verleumdung und falscher Berichte gepflegt und genährt.

Mit der Zeit war diese Hoffnung dennoch nach und nach schwächer geworden, bis zu jenem Tag, wo die unerwartete Begegnung mit Herbert auf dem Jumbéfelsen stattfand.

Jetzt, ungeachtet der mannigfachen Umstände, die wohl eine entgegengesetzte Wirkung hätten hervorbringen können, waren die Hoffnungen der jungen Kreolin, anstatt zu erlöschen, bedeutend größer geworden. Hatte es ihr hier eine innere Stimme gesagt, dass Herberts Zunge viel weniger aufrichtig war, als seine Augen? Oder war dieser Glaube etwa auf ihre eigenen Gefühle begründet, da sie eine ganz ähnliche Täuschung anwandte? Jedenfalls kann als sicher angenommen werden, dass sie bei dieser Gelegenheit weniger den Worten als den Blicken ihres Vetters traute, denn bei jener früher erzählten langen und beredten Begegnung ihrer Augen hatte sie etwas wahrgenommen, das ihre Hoffnungen aufs Neue wieder belebte.

So hatten diese Hoffnungen mit größerer oder geringerer Unterbrechung bis zu jener verhängnisvollen Nacht angedauert, jener Nacht des Smythje-Balles, wo sie sämtlich vollständig vernichtet und vertilgt wurden.

Die ganze Nacht war er nur ein einziges Mal nahe zu ihr herangekommen, und das eine Mal auch nur lediglich durch Zufall. Und die Verbeugung, die einzige Begrüßung, wenn sie auch wirklich freundschaftlich gemeint war, sie vermochte sie doch nur als höchst kalt, ja als rau und zurückstoßend zu betrachten.

Freilich vergaß sie dabei gänzlich, wie kalt und zurückhaltend ihre eigene Begrüßung gewesen war, wenigstens wie Herbert dies vorgekommen sein musste. Obwohl ihre Augen ihn oftmals unter der großen Gesellschaft gesucht und auch gefunden hatten, so wusste sie doch nicht, dass die seinen sie gleichfalls verfolgt und oftmals auf ihr geruht hatten. Beide vermuteten nichts von ihrem gegenseitigen Beobachten, da sie es sorgfältig vermieden hatten, ihre Blicke zu erwidern.

Die ganze Nacht hatte er die zarten Aufmerksamkeiten einer anderen erwiesen, die ihn offenbar mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln angezogen hatte. Und diese andere war ein kokettes, schönes Mädchen, ganz wie es Herbert lieben musste.

»Er liebt sie, ganz gewiss, er liebt sie!«, war der einzige Gedanke, der Käthchens Seele mit aller Bitterkeit getäuschter Liebe durchzuckte, wenn ihr Auge den dicht gefüllten Ballsaal durchschweifte.

Und dann kam zuletzt noch das Schlimmste, jenes halb geflüsterte Gespräch, das ihr Ohr erreichte und ihr wie Grabgeläute klang. Sie sollten sich heiraten, sie waren bereits sogar verlobt!

Mehr bedurfte es nicht. In jenem Augenblick wurden die Hoffnungen der jungen Kreolin zermalmt, so grausam und vollständig zermalmt, dass in der finsteren vor ihr liegenden Zukunft kein Lichtstrahl, auch nicht der geringste, zu ihrer Wiederbelebung aufstieg.

Kein Wunder daher, dass die Morgensonne eine bleiche, abgehärmte Wange beschien, kein Wunder, dass tiefe, traurige Niedergeschlagenheit das einst so heitere Antlitz des nun bis zum Tode betrübten, in ihrer Liebe betrogenen Käthchens dicht umzogen hielt.

In solcher schwermütigen Verfassung fand der Vater seine Tochter, als er in den Kiosk trat.

Sie machte keinen Versuch, ihre Stimmung zu verbergen, nicht einmal durch ein erzwungenes verstelltes Lächeln. Vielmehr empfing sie ihn mit einem finsteren, kummervollen Blick, und in dem Ausdruck ihrer Augen hätte man wohl eine leichte Anwandlung von Ärger wahrnehmen können. Und warum sollte sie nicht düster und kummervoll erscheinen? Erwartete sie doch jetzt einen Vorschlag, der sie auf immer von dem Geliebten ihres Herzens trennen musste!

Niemals, darauf musste sie sich gefasst machen, niemals sollte sie das höchste auf der Erde bekannte Glück kennenlernen. Niemals sollte sie sich dem Zaubertraum hingeben dürfen: einer jungfräulichen, auf Erwiderung hoffenden Liebe. Ihre Liebe sollte wie eine Blume verwelken, die ihren Duft verloren hatte. Für sie gab es keine süße Leidenschaft mehr, sondern nur noch eine einzige trübe und bittere Empfindung ohne Hoffnung und ohne Freude ihr ganzes Leben lang!

O, Custos Vaughan, stolzer, törichter Vater! Hättest du es begriffen, wie du jetzt behilflich bist, das Glück deines Kindes für immer zu zerstören, wie du dazu beiträgst, sein junges unschuldiges Herz zu zermalmen, du hättest, um das Opfer von ihr zu fordern, dich ihr sicher minder fröhlich und zuversichtlich genähert!