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Die Macht der Drei – Teil 11

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Lord Gashford, der englische Premier, hatte sein Kabinett zu einer Besprechung bitten lassen. Die Männer, welche vor dem Land und dem Parlament die Verantwortung für den gesicherten Fortbestand des britischen Weltreiches trugen, waren im kleinen Konferenzsaal in Downing Street versammelt. Lord Gashford blickte sorgenvoll und sah überarbeitet aus. Er eröffnete die Sitzung mit einem kurzen Überblick über die politische Lage.

»Die Politik Großbritanniens hat seit zwei Jahrhunderten auf dem Grundsatz geruht, Kräfte, die dem Reich gefährlich werden konnten, gegeneinander zu binden. Das Prinzip des Gleichgewichts, zuerst für Europa erfunden, konnte nach dem Weltkrieg erfolgreich auf die überseeischen Mächte angewendet werden. Der Streit zwischen Amerika und Japan setzte uns in die Lage, Afrika von den letzten Überbleibseln europäischer Kolonien zu säubern. Leider haben diese Streitigkeiten mit dem vollkommenen Sieg der nordamerikanischen Union geendet. Die Kraft der Union ist nicht mehr durch eine genügende Gegenkraft gebunden.

Das ist die Lage seit dem zweiten Frieden von San Francisco. Unsere Politik ist bestrebt gewesen, die romanischen Staaten Südamerikas in einen Gegensatz zur nordamerikanischen Union zu bringen. Die Erfolge sind leider nur gering. Unsere Bemühungen, Japan zu stützen, haben bedauerlicherweise beklagenswerte Folgen gehabt. Kanada ist in so enge Beziehungen zur Union getreten, dass es heute nur noch formell zum Reich gehört. Australien steht im Begriff, gleichfalls Anschluss an das Zollgebiet der Vereinigten Staaten zu nehmen. Diese Umwälzungen vollziehen sich mit der Macht elementarer Ereignisse. Wenn die Union weise wäre, ließe sie die Zeit ruhig für sich arbeiten. Aber an ihrer Spitze steht eine Person von unbezähmbarem Ehrgeiz.

Wir müssen stündlich auf den Ausbruch des Krieges gefasst sein. Wir stehen Erscheinungen gegenüber, die sich in keiner Weise irgendwie vorausberechnen lassen. Ich denke dabei an das Wort eines meiner Vorgänger vom politischen Alkoholismus. In jedem Fall müssen wir jeden Moment in der Lage sein, die Herausforderung anzunehmen und für den Bestand des Reiches zu kämpfen.«

Vincent Rushbrook, der Erste Lord der Admiralität, erhielt das Wort.

»Unsere maritimen Maßnahmen sind in erster Linie darauf gerichtet, den Seeweg nach Indien zu beherrschen. Eine Flotte von achthundert U-Booten liegt tiefgestaffelt auf dem Bogen von Lissabon nach Marokko. Ihre Basis wird durch unsere beiden großen Seefestungen von Gibraltar und Ceuta gebildet. Ihre Vorpostenboote haben auf der Länge von Island fremde U-Boote gesichtet. Seitdem … es sind jetzt drei Tage … sind unsere Boote und die Festungen in höchster Bereitschaft. Zwei Sekunden nach dem Alarm können die Rohre von Gibraltar und Ceuta feuern. Dieser Zustand lässt sich aber nicht monatelang aufrechterhalten. Die Nerven der Besatzungen leiden darunter. Meine Leute wollen lieber heute als morgen kämpfen. In vier Wochen werden sie zerrüttet sein, wenn es nicht zum Schlagen kommt.

Auf der Landenge von Suez liegt eine Flotte von 30000 Flugzeugen. Ich sehe nicht, wie ein Gegner in das Mittelmeer eindringen könnte.«

Der Premier ergriff von Neuem das Wort.

»Es ist gut, wenn die Flotte den Seeweg nach Indien sichert. Aber auch die Beherrschung des Landweges bleibt erwünscht. Warum haben wir Konstantinopel vor 20 Jahren genommen, wenn wir die Straße nicht benutzen? Die gerade Linie geht über Brüssel, Linz und Belgrad nach Konstantinopel.

Sie lieben uns nicht auf dem Kontinent. Der Russe hat leider die irrtümliche Meinung, dass wir an all seinem Unglück seit 1904 schuld gewesen sind. Der Deutsche wird immer noch von der eigenartigen Idee beherrscht, dass wir vor 16 Jahren nicht für die Heiligkeit der Verträge gegen ihn gekämpft haben. Der Franzose, der Spanier und der Italiener sind verstimmt, weil wir sie aus Afrika entfernt haben.

Ich muss leider sagen, dass wir in den letzten 30 Jahren zu wenig Wert auf die Bildung der öffentlichen Meinung in Europa gelegt haben. Wir haben es nicht ungern gesehen, dass Russland sich allmählich vom Bolschewismus säuberte. Es war uns bis zu einem gewissen Grad willkommen, dass Deutschland im Bündnis mit dem genesenden Russland den Versailler Vertrag revidierte.

Wir übersahen dabei, dass durch die Verständigung zwischen Deutschland und Russland eine Macht geschaffen wurde, die sich im Laufe der Zeit automatisch zu einer Übermacht Frankreich gegenüber entwickeln musste. Die Folge war die Verständigung zwischen Frankreich und den beiden Oststaaten. Es kam zu der Bildung der deutsch-französischen Industriegemeinschaft.

Vom ersten Tage meiner Amtszeit an habe ich es als meine wichtigste Aufgabe betrachtet, diese Gemeinschaft zu lockern. Wir haben es versucht, den Chauvinismus in den betreffenden Ländern nach Kräften zu fördern. Leider sind die Erfolge nicht sehr bedeutend.

Der große Vorteil der Industriegemeinschaft ist zu augenfällig. Immerhin müssen wir in dieser Richtung weiterarbeiten. Ich komme zu dem Ergebnis, dass England moralische Eroberungen auf dem Kontinent machen muss.«

William Chopper, der Presseminister, erbat sich das Wort.

»Für moralische Eroberungen braucht man eine gewisse Zeit. Außerdem … die kontinentale Presse ist in festen Händen. In Afrika und Asien können wir jeden Tag englische Zeitungen gründen. In Deutschland eine deutsche, in Frankreich eine französische Zeitung neu zu schaffen, ist sehr schwer für uns. Wir können nur den englischen Korrespondenten dieser Zeitungen durch unsere eigene Presse bestimmte Ansichten in solcher Weise einimpfen, dass sie dieselben schließlich für eigene und durchaus dem Vorteil des Kontinents dienende Ideen ansehen.«

Lord Gashford sprach weiter: »Jede feindselige Haltung des Kontinents muss verhindert werden. Wir brauchen die volle Kraft der europäischen Industrie für uns. Sie werden auf dem Kontinent bereit sein, für beide Parteien zu liefern. Auf dem kurzen Weg über den Pol werden die amerikanischen Lastflugschiffe aus Europa an Kriegsmaterial wegschleppen, was sie kaufen können. Das muss verhindert werden. Der Kontinent darf nicht an beide Parteien liefern. Er muss ein Interesse an unserem Sieg haben.«

Sir James Morrison, der Erste Lord des Schatzes, fiel seinem Kollegen ins Wort.

»Es gibt eine Möglichkeit … Alle Staaten des Kontinents schleppen die Kette amerikanischer Schulden hinter sich her. Wir müssen ihnen die Annullierung dieser Schulden versprechen. Dann haben sie ein Interesse an unserem Sieg. Es wird zu überlegen sein, was sich für diese Versprechen einhandeln lässt. Lieferung von Kriegsmaterial ausschließlich an uns. Durchzugsrecht für unsere Truppen. Wenn möglich direkte Unterstützung. Ich glaube, dass sich viel mit dem Versprechen erreichen lässt …«

Die Verhandlung löste sich in lebhafte Einzelgespräche auf. Der Plan des Finanzministers war einleuchtend. Er war genial und wie alle genialen Sachen verblüffend einfach.

William Chopper übernahm es, die Idee mit der nötigen Vorsicht in die europäische Presse gelangen zu lassen. Es war notwendig, dass von privaten Stellen gleichzeitig in tausend Zeitungen die Möglichkeit, aus der amerikanischen Verschuldung herauszukommen, in Europa ventiliert wurde. Von drei Monaten, die er ursprünglich für die Durchführung dieser Propaganda verlangte, ließ sich der Presseminister auf zehn Tage herunterhandeln.

Lord Gashford sprach: »Es ist widersinnig, die afrikanischen Rohstoffe und Bodenschätze erst nach England zu schaffen und hier zu verarbeiten. Wir müssen in Afrika eine Kriegsindustrie aus dem Boden stampfen. In der Umgebung der großen Kraftwerke des Sambesi und Kongo. Meine Herren, ich halte es sogar für möglich, dass die britische Regierung bei Kriegsausbruch nach Äquatoria übersiedelt.«

Betretenes Schweigen folgte dieser Mitteilung. Die englische Regierung sollte die britische Insel aufgeben, sollte London verlassen? Das war nach der politischen Tradition etwas ganz Unerhörtes.

Lord Gashford bemerkte es wohl und fühlte sich zu einer Erklärung verpflichtet.

»Es ist unseren Agenten gelungen, einen Plan unserer Gegner aufzudecken. Ich kann ihn nicht anders bezeichnen als eine Ausgeburt der Hölle. Der Diktator hat einen Teil seiner Luftflotte mit Bomben versehen lassen, durch die beim Aufschlagen Pest- und Cholerakeime in die Luft gewirbelt werden.«

Rufe des Abscheus und Entsetzens kamen aus aller Munde.

»Das ist Stonards würdig«, rief Vincent Rushbrook mit schneidender Stimme. »Möge ihn selbst die Pest befallen.« Erst nach Minuten konnte Lord Gashford fortfahren. »Der Plan verliert bei näherer Betrachtung an Gefährlichkeit. Wir wissen genau, welche Teile der Flotte mit den G-Bomben ausgerüstet sind. Unsere Luftstreitkräfte müssen sich bei Eröffnung der Feindseligkeiten augenblicklich auf diese Schiffe stürzen und sie vernichten, bevor sie die britische Insel vergiften können. Gelingt es trotzdem einigen, unser Land zu erreichen, so sind für den betreffenden Bezirk sanitäre Maßregeln in Aussicht genommen.

Noch eins, meine Herren!« Die Sätze wurden langsam unter Betonung jedes einzelnen Wortes gesprochen. »Es wäre in diesem Fall nicht zu vermeiden, dass die Krankheiten auf das Festland übertragen würden.«

»Right or wrong, my county«, kam es halblaut von den Lippen Rushbrooks, und andere Lippen flüsterten es nach. Lord Gashford sprach in der langsamem betonten Weise weiter: »Gemeinsames Leid knüpft feste Bande! Meine Herren … der Pfeil würde auf den Schützen zurückprallen … das war es, was ich noch mitzuteilen hatte.«

Drei Stunden später erschienen in einigen Blättern des Kontinents die ersten Betrachtungen über die Möglichkeit, die amerikanische Verschuldung loszuwerden. Der Apparat William Choppers arbeitete bereits.