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Das furchtbare Schloss

Die-Geister-Zweites-BuchChristoph Wilhelm Meißner
Die Geister
Zweiter Band
Berlin 1805, bei Oehmigke jun., überarbeitet 2016

Das furchtbare Schloss

In einer Nacht, wo alle Elemente miteinander zu kämpfen schienen, wo regenschwangere Wolken die Luft verdunkelten und den Mond bedeckten, wo die Wut der Winde durch die Gipfel der Bäume mit fürchterlichem Geheul brauste, wo flammende Blitze das grause Dunkel durchkreuzten, irrte Ritter Willibald, ein junger Abenteurer, dessen ganze Habe in seinem Ross und seinen Waffen bestand, von seinem einzigen Knappen Conrad begleitet, in einer undurchdringlichen Wildnis umher. Vergebens waren alle seine Bemühungen, irgendein schützendes Obdach zu finden. Weit und breit gewahrte er keine menschliche Spur, und nur Irrlichter tanzten in verführerischen Krümmungen vor seinen Augen auf und nieder.

Endlich entdeckte sein Knappe in einiger Entfernung eine Felsenkluft, die geräumig genug zu sein schien, beide Irrende mit ihren Rossen aufnehmen zu können.

Unbekümmert, ob hier irgendein reißendes Ungeheuer seine Wohnung aufgeschlagen oder eine Schlange genistet habe, schritten sie mutig darauf zu, stiegen vor dem Eingang ab, führten die Pferde an der Hand hinter sich her, immer tiefer in den vor ihnen liegenden Schlund der Kluft hinein, und wurden beim Schein der zur Vorsicht angebrannten Kerzen zu ihrer größten Verwunderung gewahr, dass dieser unterirdische Gang nicht bloß aus natürlich aufeinandergeschichteten Felsenstücken bestand, sondern dass er ordentlich gewölbt war. Endlich gelangten sie vor eine eiserne Tür, die aber durch viele Schlösser und Riegel verwahrt war.

Willibald brannte vor Begierde zu wissen, wo diese hinführte, und machte einige Versuche, die von Rost, wie es schien, ganz zerfressenen Schlösser mithilfe seines Schwertes zu öffnen; doch vergeblich. Endlich bemerkte er, dass die Angeln des einen Türflügels durch die Länge der Zeit viel gelitten hatten und ziemlich locker geworden waren. Er untersuchte sie genauer, fand, dass es ihm ohne große Anstrengung gelingen würde, sie vollends herauszusprengen, und machte sich daher unverzüglich an die Arbeit. Dieser Versuch lief glücklicher ab, als der vorige. Die Angeln wichen der Stärke des Ritters, und die Tür ließ sich so weit zurückbiegen, dass ein Mensch seitwärts hineinschlüpfen konnte. Fruchtlos aber blieb ihr Bestreben, die Öffnung so groß zu machen, dass auch die Pferde ihnen folgen konnten. Sie banden diese daher an die starken Riegel des anderen, noch in seinen Angeln anliegenden Torflügels und setzten ihren Weg, mit den brennenden Kerzen und Schwertern in den Händen, weiter fort.

Durch viele Krümmungen führte dieser sie endlich zu einer unansehnlichen hölzernen Tür. Sie war ebenfalls verschlossen, allein der Zahn der Zeit hatte so gewaltig daran genagt, dass sie beim ersten Fußstoß mit großem Krachen hineinflog.

Nun gelangten sie in eine Art von Zimmer. Die Wände desselben schienen von dem schönsten Marmor zu sein, hatten aber durch Alter und Feuchtigkeit so gelitten, dass nur hier und da noch Spuren von seiner ehemaligen Pracht wahrzunehmen waren.

Diese unvermutete Erscheinung brachte Willibald auf den Gedanken, dass hier der Wohnsitz einer weiland angesehenen und reichen Familie gewesen sein müsse, und er beschloss, dieses Denkmal der Vorzeit genauer zu untersuchen. Er näherte sich deshalb einer anderen Tür, welche der eingesprengten gerade gegenüber befindlich war, und bemerkte mit Vergnügen, dass dieselbe etwas auseinander stand, und nur ein einziges Schloss hatte. Dies wurde ohne Schwierigkeit geöffnet. Beide Flügeltüren dröhnten zugleich auf und verschafften dadurch die Einsicht in einen großen Saal, der zu beiden Seiten auf Säulen von weißem Marmor ruhte, und in dessen Mitte ein langer ovaler Marmortisch stand, der ringsum mit Stühlen umgeben war.

Die beiden Abenteurer sahen einander erschrocken an und waren unschlüssig, ob sie hinein- oder zurückgehen sollten. Willibalds Neugierde und sein von jeder Furcht entfernter Geist entschlossen sich endlich zu dem Ersteren. Er trat mit brennender Kerze in den Saal, beleuchtete Wände und Decke und fand, dass beide ebenfalls von dem schönsten Marmor waren. Mehr als alles setzte ihn jedoch der Umstand in Verwunderung, dass an jeder Säule ein silberner Wandleuchter mit einem noch nich angezündeten Wachslicht hing. Er dünkte sich plötzlich in eine Feenwelt versetzt und glaubte nichts Gewisseres, als dass dieses einer von jenen Zauberpalästen sei, wovon die Sage schon damals so viel zu berichten wusste. Seine Freude darüber, ein solches Wunder einmal mit Augen zu sehen, war um so größer, als er keinen Augenblick zweifelte, die Besitzerin werde sich ihm persönlich zeigen.

So dringend auch Conrad, der überhaupt etwas furchtsamer Natur war, und vom Hörensagen wusste, wie gefährlich es sei, sich mit dergleichen eben so mächtigen, als verliebten Wesen einzulassen, seinem Ritter riet, von seinem Vorwitz abzustehen und umzukehren, so beharrte dennoch Willibald unerschütterlich bei seinem Entschluss, die Nacht in diesem Saal zu verbringen. Indes stellte er ihm frei, ob er bei ihm bleiben wolle oder nicht. Conrad hielt jedoch das Erste für ratsamer, zündete einige Wachslichter an, löschte die Fackeln aus, warf sich auf den Boden neben seinem Herrn, hüllte sich tief in seinen Mantel, um nichts zu hören noch zu sehen, und schlief bald darauf ruhig und sanft ein.

Unterdessen warf sich Willibald rastlos auf seinem kalten und harten Lager herum und sann eben auf eine schöne Anrede, die er bei Erscheinung der Fee halten wolle, als plötzlich über seinem Haupt ein so fürchterliches Getöse entstand, als ob von allen vier Weltgegenden her der Donner über der gewölbten Decke des Saals hinrollte. Ein geheimes Beben durchfuhr seinen ganzen Körper. Er versuchte seinen neben ihm schlafenden Knappen zu ermuntern; aber vergeblich. Ein Todesschlaf schien ihn befallen zu haben.

Mit hochklopfendem Herzen lauschte er auf den Ausgang dieses donnerartigen Lärmens. Nach Verlauf von einigen Minuten ließ es endlich nach, wurde immer schwächer und schwächer, und schien sich endlich in den entferntesten Winkel gegen Osten zu verlieren.

In der angenehmen Hoffnung, dass alles vorüber sei, war Willibald eben im Begriff, sich wieder hinzustrecken, als zu seinem neuen Erstaunen ein blauer Blitz aus der Kuppel des Saales sich herabschlängelte und alle Lichter in weniger als einer Sekunde anzündete. Kaum war dies geschehen, so fielen – man denke sich des Ritters Schreck! – von eben dem Ort, in kleinen Pausen, die Glieder eines ganzen menschlichen Körpers herab, die sich aber augenblicklich zusammenfügten und endlich einen vollkommenen Menschen bildeten, der das Ansehen und die Kleidung eines Pagen hatte.

Die Gestalt nahm eines von den brennenden Wachslichtern, ging damit auf die Tür zu, die derjenigen, wo Willibald hereingekommen war, gegenüberlag, und die dieser, aller angewandten Mühe ungeachtet, nicht hatte öffnen können, schloss sie auf, und hinter sich sogleich wieder zu.

Nach Verlauf einiger Minuten kam sie in Begleitung mehrerer ähnlicher Gestalten zurück, welche mit der größten Geschäftigkeit die Tafel mit Speise und Trank, die sich in goldenen und silbernen Gefäßen befanden, deckten.

Kaum war dies Geschäft beendet, so verließen alle Pagen zugleich den Saal.

Nach einigen Augenblicken rauschte die Tür von Neuem auf, und es trat durch dieselbe eine Schar von Rittern mit voller Rüstung in den Saal. Auf allen Gesichtern lag ein fürchterlich schrecklicher Ernst, und keiner schien die Gegenwart des staunenden Willibalds und des laut schnarchenden Knappen zu bemerken. Ohne den geringsten Laut von sich zu geben, nahmen sie auf den rund um die Tafel stehenden Stühlen Platz und aßen und tranken dem Anschein nach mit so vielem Appetit, dass die zur Aufwartung bestellten Pagen nicht Wein und Speisen genug herbeischaffen konnten.

Plötzlich erhoben sie sich alle mit einem Mal von ihren Sitzen und begaben sich in eben der Ordnung, wie sie gekommen waren, in das Gemach zurück.

Die Pagen räumten die Tafel in Blitzesschnelle ab, bedeckten sie mit einem schwarzen Tuch – und siehe da, der Zug erschien von Neuem.

Sämtliche Ritter hatten die Visiere niedergelassen und nahmen abermals an der Tafel Platz, nur mit dem Unterschied, dass sie nun einen halben Mond bildeten, die andere Hälfte aber ganz leer ließen.

Kaum war dies geschehen, so brachte ein Page ein zwei Fuß hohes silbernes Kruzifix, setzte es mitten auf die Tafel, und zu dessen beiden Seiten, zwei Totenköpfe. Hierauf erhob sich einer von den Rittern, der in der Mitte saß, und wie es schien, der Vornehmste unter allen war, von seinem Stuhl, zog sein Schwert, murmelte einige feierliche, aber unverständliche Worte, steckte es, nachdem vorher alle Ritter ihre Finger darauf gelegt und ebenfalls einige unverständliche Worte gesagt hatten, wieder in die Scheide und nahm seinen vorigen Platz ein.

Ein an der Tür stehender Page erhielt von ihm einen Wink. Im Nu stürzte dieser zur Tür hinaus und kam in wenigen Minuten mit einem Frauenzimmer zurück, die ganz weiß gekleidet war, und in deren totenblassem Gesicht die Spuren der fürchterlichsten Leiden ausgedrückt waren.

Mittlerweile hatte man sie von der ungeheuren Kettenlast befreit, womit ihr Arm und ihre schwankenden Füße gefesselte waren. Sie näherte sich schüchtern der Tafel, an welcher ihre scheinbaren Richter saßen, beantwortete alle Fragen, die man an sie richtete, von denen aber der angstvolle Willibald keine Silbe verstand, mit der größten Offenherzigkeit und Unbefangenheit, und schien dann in Geduld ihr Schicksal zu erwarten.

Man ließ sie auch nicht lange darüber in peinigender Ungewissheit. Der Mittlere unter den Richtern sammelte leise die Stimmen und flüsterte dann dem, der die Dame hereingeführt hatte und eine Art von Kerkermeister vorzustellen schien, etwas ins Ohr. Dieser verließ sogleich den Saal, kam aber bald wieder zurück und brachte eine große Kohlpfanne mit glühenden Kohlen, und 12 breite, nebst 2 runden Eisenstäben mit.

Als er Erstere in den Kohlen ganz glühend gemacht hatte, befahl ihm, so schien es, der Präsident dieses fürchterlichen Gerichts, der Dame Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Allein sie verrichtete dieses Geschäft selbst und ging, wie man ihr befohlen zu haben schien, dreimal ganz langsam über die glühenden Eisenstäbe hinweg, ohne nur im Geringsten durch Worte oder Mienen Zeichen des Schmerzes von sich zu geben. Als dieses geschehen war, und einer von den Richtern die Fußsohlen der Dame genau untersucht und unverletzt gefunden hatte, schritt man zu einem zweiten Versuch, die Schuld oder Unschuld nach damaliger Sitte ans Licht zu bringen. Man machte nämlich auch die beiden runden Stäbe glühend, reichte der Dame in einem silbernen Waschbecken Wasser zum Waschen und ein weißes Tuch zum Abtrocknen, und gab ihr sodann mithilfe einer Feuerzange in jede Hand eine von den funkensprühenden Stäben.

Mit einer seltenen Standhaftigkeit hielt sie, zum größten Erstaunen Willibalds, in dessen Herzen Verzweiflung und Mitleid zugleich miteinander kämpften, die Stäbe fünf volle Minuten in den Händen und sah dabei ihre unbarmherzigen Richter mit einem Blick an, der nur zu sehr von der Schuldlosigkeit ihres Herzens zeigte.

Auf ein gegebenes Zeichen wurden ihr die Stäbe wieder abgenommen, und man fand bei genauer Untersuchung, dass das Feuer auch diesmal seine Natur verleugnet und in den Händen der Dame keine Spur zurückgelassen hatte.

Willibald glaubte daraufhin nichts gewisser, als dass die Richter die unschuldig Befundene nunmehr von dem angeklagten Verbrechen frei sprechen würden. Allein er musste bald erfahren, dass er sich in seiner Vermutung gar sehr geirrt hatte.

Die Richter schienen sich nicht versammelt zu haben, das Verbrechen, von dem die Rede unter ihnen war, zu untersuchen. Nein, sie schienen vielmehr bloß gekommen zu sein, es zu bestrafen! Sie kehrten sich deshalb nicht daran, dass Gott selbst in seinem Urteil die Dame freigesprochen hatte, sondern sammelten die Stimmen von Neuem und fanden sie, wie der Erfolg zeigte – des Todes schuldig!

Als man ihr dies bekannt zu machen schien, verließ sie auf einmal alle Standhaftigkeit. Sie fiel auf die Knie und bat mit Tränen um ihr Leben.

Vergeblich. Die hartherzigen Richter blieben unerbittlich und bestanden auf der Vollstreckung ihres Urteils.

Plötzlich raffte sich die Unglückliche auf, da sie sah, dass weder Bitten noch Tränen etwas vermochten, und der Tod ihr unvermeidliches Los sei, zog einen verborgenen Dolch aus ihrem Busen hervor, stieß ihn, ehe jemand es verhindern konnte, bis an das Heft in die Brust und sank mit einem matten Jesus Maria! leblos zu Boden.

Dieser schreckliche Anblick beraubte unseren Ritter seiner Sinne. Er sank ohne Bewusstsein neben seinem schlafenden Knappen nieder und lag eine lange Weile ohne Besinnungskraft.

Als er sich endlich von seiner Betäubung wieder erholte, waren Ritter und Dame verschwunden, die Lichter verloschen, und rund um ihn her herrschte eine feierliche Stille.

Die ganze schauerliche Begebenheit schwebte ihm zwar noch deutlich und lebhaft vor Augen. Er hielt jedoch alles für ein Spiel seiner erhitzten Einbildungskraft, für einen lebhaften Traum, veranlasst durch das Schauerliche dieses Ortes. Allein er wurde nur zu bald vom Gegenteil überzeugt.

Denn kaum hatte er sich in seinen Mantel gehüllt, kaum sich wieder niedergelegt, so entstand in dem Gemach, aus welchem die Gesellschaft gekommen war, ein so heftiges Gepolter, als ob das wütende Heer darin sein Wesen triebe.

Kurz darauf öffnete sich die Tür und eine lange, hagere, männliche Gestalt trat herein. Sie war in eine Kapuzinerkutte gehüllt, und trug in ihren Gesichtszügen unverkennbare Spuren der Verzweiflung.

Am Eingang blieb sie stehen und gab Willibald, der bei ihrem Anblick schnell aufgesprungen war und unwillkürlich das Schwert gezogen hatte, durch wiederholtes Winken zu verstehen, dass er folgen möchte.

Willibald trug anfangs Bedenken, zu gehorchen. Da aber die Gestalt zu winken fortfuhr, und er durch den vorigen Auftritt schon etwas beherzter geworden war, so ließ er sich endlich doch bewegen und folgte dem Geist, obschon mit dem Schwert in der Hand, durch verschiedene Zimmer über einen düsteren, engen Gang in eine kleine Kapelle.

Hier blieb die Gestalt unweit einem marmornen Leichenstein stehen, seufzte tief auf und redete dann unseren Ritter also an:

Geist.

Endlich scheint die Stunde meiner Erlösung zu nahen, endlich darf ich die freudige Hoffnung nähren, meine vielfachen Seelenleiden einmal geendigt zu sehen! Schon ist das menschliche Geschlecht auf diesem Erdenrund zweimal ausgestorben, und noch fand sich kein vom Weibe Geborener, der sich meiner Seele erbarmt hätte. Schon seufze ich ein langes Jahrhundert in den qualvollen, nie verlöschenden Flammen des Fegefeuers, und noch sind die Sünden, deren ich mich in den wenigen Jahren, die ich unter den Menschen verlebte, teilhaftig machte, nicht zur Hälfte getilgt. Noch manches Jahrhundert werde ich für meine Vergehen büßen müssen, wenn du dich meiner nicht erbarmst, werde vielleicht nie Gottes Angesicht schauen, wenn du mir deinen Beistand versagst! Nur du allein kannst mich von den unbeschreiblichen Qualen befreien, die meine Seele unaufhörlich foltern, denn du allein bist von der ewigen Vorsicht aus dem ganzen gegenwärtigen und künftigen Menschengeschlecht ausersehen, mir die ewige Ruhe und Glückseligkeit zu geben, nach der ich nun schon so lange vergebens schmachte. Wehe mir, wenn du meine Bitte nicht erfüllst!

Willibald.

Sei unbesorgt, armer Geist! Was ich zu deiner Ruhe beizutragen vermag, werde ich nicht unterlassen.

Geist.

Höre meine traurige Geschichte und urteile dann, ob ich deines Mitleids wert bin oder nicht.

Ich stamme aus einem edlen Geschlecht der Thüringer und bin der letzte Sprössling einer zahlreichen Sippschaft, die, aus Furcht vor den Einfällen der Wenden, in diesem unterirdischen Schloss hauste.

Meine Mutter starb frühzeitig, und mein Vater war ein rauer, aber biederer Mann, der die größte Zeit seines Lebens im Krieg und in den Wäldern zubrachte. Meine Erziehung wurde daher ganz vernachlässigt. Niemand zähmte den Willen des unbändigen Knaben. Niemand bildete sein Herz. Niemand zügelte seine wilden Leidenschaften. Außer den Lehrstunden, die mir ein Mönch in der Religion und im Schreiben erteilte, war ich mir völlig allein überlassen, tat, weil ich nie eine Züchtigung zu befürchten hatte, alles, was mir gut dünkte, und hielt alles für rechtens.

Dies verursachte mir in reiferen Jahren vieles Unheil. Wegen des geringsten Widerspruchs geriet ich sehr oft in Zwistigkeiten, und ward, weil Waffenübung von meinem frühsten Alter an mein Lieblingsgeschäft gewesen war, um eines einzigen Worts willen, der Mörder manches braven Jünglings. Mit einem Wort: Ich war der niedrigste Sklave meiner Leidenschaften, und nichts war mir zu teuer, dass ich ihnen nicht mit Freuden aufgeopfert hätte.

Doch, kurz ist die Zeit, die ich noch hier zu verweilen habe, und so manches noch übrig, dir mitzuteilen. Ich hebe deshalb aus der Geschichte meines Lebens nur den Umstand aus, der dies harte Urteil des Allmächtigen über mich verhängte.

Mir ward eine schöne und tugendhafte Gemahlin zuteil, und mehrere Jahre durchlebte ich mit ihr in der glücklichsten Ehe. Allein mein unglückliches Schicksal wollte, dass ich auch diesem Engel zum Teufel werden sollte.

Ich wär mit dem Kaiser nach Palästina gezogen, und bereits ein Jahr von meiner Heimat abwesend, als der unbedachtsame Wunsch in mir aufstieg, zu wissen, was wohl in eben diesem Augenblick mein Weib mache.

Ich wandte mich deshalb an einen sogenannten Zauberer. Dieser schien sich einige Augenblicke zu bedenken, versprach aber endlich doch, meinen Bitten zu willfahren, wenn ich ihm bei Ritterwort angeloben wolle, im Fall ich meine Hausfrau in einer unziemlichen Beschäftigung fände, keine Rache deshalb an ihr zu nehmen.

Kaum hatte ich dieses, ohne zu überlegen, ob ich es auch zu halten imstande sein würde, versprochen, so holte der Zauberer ein blauseidenes Tuch hervor, auf welchem lauter wunderbare Charaktere gezeichnet waren, und breitete es auf den Tisch. Auf dieses setzte er eine Schale von grünem Glas, die er mit einem anderen Tuch von gelber Farbe bedeckte, und in die er eine Kugel vom schönsten Kristall legte. Als er auch diese mit einem dünnen, weißen Tuch zugedeckt hatte, begann er einige magische Worte zu sprechen und gebärdete sich dabei wie ein Wahnsinniger.

Nach dieser Zeremonie zog er, wie es schien, mit tiefster Ehrerbietung das Tuch hinweg, nahm den Kristall in die Hand, hielt ihn gegen das Licht und ließ mich hineinsehen. Anfänglich sah ich nichts. Als die Strahlen der Sonne, die sich in den prächtigsten Farben darin brachen. Aber bald zeigte sich meinem Auge ein Zimmer, das ich sogleich für dasjenige erkannte, in welchem ich von meinem Weib Abschied genommen hatte. Da ich niemand darin erblickte, wollte ich eben dem Zauberer Vorwürfe darüber machen, dass er mir für mein Geld bloß Dinge zeige, die ich nicht zu sehen verlangt hatte. Als die Tür des Zimmers plötzlich aufging, und mein Weib an der Hand eines jungen, schönen Ritters hereintrat. Ihr Betragen dabei war so heiter, ihr ganzes Wesen so zärtlich, so freundlich, dass mein Blut schon bei diesem Anblick in Wallung geriet. Als er sich aber zuletzt gar mit ihr niederließ, ihr wonnetrunken um den Hals fiel, da war meine ganze Fassung dahin! Gleich einem Rasenden stürzte ich aus der Wohnung des Zauberers, und schwur, nicht eher zu ruhen, bis ich diesen Schmach mit dem Blut meines Weibes abgewaschen haben würde.

Sobald ich daher wieder in meiner Heimat angelangt war, dachte ich auf nichts, als mich an meinem treulosen Weib zu rächen. Ich ließ sie in das unterste Burgverließ werfen und versuchte alle Mittel, sie zum Geständnis ihrer Schande zu bringen. Allein vergeblich!

Sie beharrte auf ihrer Unschuld und beteuerte mit den heiligsten Schwüren, jener Ritter sei ihr eigener Bruder gewesen, der an dem Tag aus Palästina zurückgekommen und kurz vor meiner Ankunft in einer Schlacht gegen die Wenden geblieben sei.

Meine Leute bestätigten diese Aussage; allein ich hielt sie für bestochen und ruhte nicht eher, bis ich die Unschuldige meiner rasenden Eifersucht aufgeopfert hatte. Sie erstach sich selbst, als sie durch die Feuerprobe ihre Unschuld bewiesen hatte, und ich sie dennoch zum Tode verurteilte.

Das Gerücht von meines Schwagers Tod war unbegründet. Er kehrte kurz nach dem Tod meines unglücklichen Weibes zurück, und überzeugte mich völlig von der Wahrheit ihrer Aussage. Das Bewusstsein, sie schuldlos gemordet zu haben, zehrte jetzt an meinem Mark, und unter den peinlichsten Gewissensbissen trauerte ich mehrere Jahre. Ich bereute meine Tat von Herzen, verfiel endlich in eine stille Melancholie und legte zu einer Stunde, wo mein Gewissen gar zu heftig mich folterte, Hand an mich selbst. Ich wurde in dieser Kapelle beigesetzt und dazu verdammt, so lange alle Nächte auf diese Erde zurückzukehren, um ein Augenzeuge jenes fürchterlichen Berichts zu sein, das ich einst durch bestochene Richter über meine unschuldige Gattin halten ließ, und wovon du vor wenigen Augenblicken selbst Zeuge gewesen bist, bis ein Jüngling von 20 Jahren, in eben der Stunde geboren, wo ich mich entleibte, der noch nie die Gewalt der Liebe gefühlt, aus Mitleid und Erbarmen für mich, ins Gelobte Land wallfahren und am Grab des Erlösers Seelenmessen für mich lesen lassen würde.

Sag, edler Jüngling! Willst du dies verdienstvolle Geschäft übernehmen?

Willibald.

Ich will es!

Geist.

Der Allmächtige segne dein Vorhaben zur Rettung meiner armen Seele!

Doch die Zeit meines Scheidens ist da, und ich muss an den Ort meiner Pein zurück. Lebe also wohl und gedenke deines Versprechen!

 

Der Geist versank, und eine helle blaue Flamme schlug aus der Öffnung hervor. Die Erde bebte unter Willibalds Füßen, fürchterliches Geheul durchtönte die Lüfte, und ein heftiger Blitz und grässlicher Donnerschlag streckte ihn betäubt zu Boden.

Als er wieder zu sich selbst kam, befand er sich an der Seite seines noch immer sanft schlafenden Knappen. Er weckte ihn, sagte ihm aber nichts von dem, was er gesehen und gehört hatte, und beide begannen ihren Weg nach Palästina.

Es ist meine Absicht nicht, die mancherlei Abenteuer zu erzählen, die dem Ritter auf seiner Wallfahrt aufstießen. Ich versichere meinen Lesern nur so viel, dass er gesund und unverletzt an dem Ort seiner Bestimmung anlangte, seines Versprechens sich entledigte und manchen Sieg über die Ungläubigen erfechten half.

Auf seinem Rückweg in das geliebte deutsche Vaterland sprach er eines Abends auf der Burg eines alten Ritters ein, und bat, nach damaliger Sitte, um ein Nachtlager. Es wurde ihm mit Freuden gewährt, und ein kleines frugales Mahl, bereitet von den schönen Händen Blankas, brachte unter traulichem Gespräch unbemerkt die Mitternacht herbei. Willibald begab sich in sein Gemach. Aber vergeblich waren alle seine Bemühungen, auch nur eine Stunde zu schlummern. Die schöne, gefällige Tochter seines Wirts hatte ein Feuer in seinem Herzen entzündet, das nur sie allein wieder zu löschen vermochte. Unruhig warf er sich auf seinem Lager umher, ihr Bild schwebte ihm immer vor Augen. Sie zu besitzen, war sein einziger, sein höchster Wunsch.

Doch ich will keine Liebesgeschichte schreiben. Mit einem Wort also: Blanka wurde Willibalds Verlobte, die er bald darauf unter frohem Jubel zum Altar führte. Die ganze Nachbarschaft wohnte diesem frohen Fest bei, und eine allgemeine Freude verbreitete sich dabei über die fröhlichen Zecher und munteren Tänzer.

Nach Mitternacht schlich endlich ein Ritter nach dem anderen wohlbezecht in sein Kämmerlein, und auch Willibald verfügte sich in das Brautgemach, wo die schöne Blanka mit sittlichem Erröten seiner bereits harrte.

Eben wollte er sich ganz dem süßen Gefühl seines Herzens überlassen, als plötzlich die wohlverschlossene Kammertür aufrauschte, und eben die männliche Gestalt hereintrat, mit welcher Willibald in jener fürchterlichen Nacht die bekannte Unterredung gehabt hatte.

Langsam und feierlich näherte sie sich dem Bett, in welchem der Ritter mit seiner Geliebten lag, blieb einige Schritte davon stehen und redete ihn dann also an:

»Wer ich bin, weißt du, und warum ich komme, wirst du vielleicht erraten.

Du hast deine Zusage redlich gehalten, hast meine Seele befreit von ihren schmerzlichen Qualen! Ich bin seit dem Augenblick, als du am Grab des Heilands dich deines Versprechens entledigtest, nicht mehr gezwungen, in der Wohnung meiner Väter zur Nachtzeit umherzuwandeln. Ich walle bereits in der Vorhalle der Seligen und werde vielleicht bald den Grad von Vollkommenheit erreichen, den sie bereits erlangt haben.

Nimm daher meinen innigsten Dank und sei versichert, dass der, zu dessen Anschaun ich bald zu gelangen hoffe, dir reichlich vergelten wird, was du an mir getan und ich nicht zu vergelten vermag. Und nun – lebe wohl, lebe glücklich! – Jenseits des Grabes sehen wir uns wieder!«

Der Geist verschwand, und Willibald und Blanka sanken einander wonnetrunken in die Arme. Der Gott der Liebe wiegte sie bald in einen angenehmen Schlaf und streute reichlich Blumen auf den Pfad, den sie, Arm in Arm geschlungen, durch das Leben wallten!