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Der Marone – Verloren und gewonnen

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 20

Verloren und gewonnen

Fast die ganze Nacht tanzte Herbert mit der Jüdin, und zwar nicht mehr mit trüben, niedergeschlagenen Blicken, sondern mit dem Anschein lustiger und maßloser Freude. Noch nie bisher war Judith von dem jungen Engländer eine solche eifrige Aufmerksamkeit gewidmet worden. Zum ersten Mal seit ihrer Bekanntschaft fühlte sie, dass ein wirkliches Einvernehmen zwischen ihm und ihrer eigenen heftigen Liebe bestehe. Ihr stolzes, grausames Gemüt löste sich sogar, wenn auch nur für den Augenblick, ganz in eine wahrhaft weibliche Zärtlichkeit auf. In den Drehungen des Walzers ruhte ihre Wange manchmal selbstvergessen auf seiner Schulter, als wünsche sie dort ihre Seele im Augenblick höchster Wonne auszuhauchen.

Sie fragte durchaus nicht nach der Ursache von Herberts Ergebenheit. Ihr durch die Liebe erblindetes und einzig nach Gegenliebe verlangendes Herz empfing das ihr Dargebotene ohne alle Bedenklichkeit und ohne weitere Prüfung, ohne zu erwägen, ob es auf Wirklichkeit beruhe oder nur zum Schein sei.

Freilich würde sie wohl in die wildeste Angst und in den heftigen Zorn geraten sein, hätte sie geahnt, was in Herberts Brust vorging. Sie argwöhnte nicht, dass seine Hingebung, sein Bemühen um sie lediglich zur Schau gestellt würden, um auf eine ganz andere einzuwirken. Sie ließ es sich nicht träumen, dass wirkliche, wahrhafte und innige Liebe für eine andere die eigentliche Ursache und der Ursprung dieser scheinbaren, unechten und untergeschobenen Liebe sei, durch die sie nun getäuscht werde. Glücklicherweise für den Frieden ihres Herzens wusste sie nichts von allem.

Herbert wusste es ganz allein. Wie das Kaleidoskop des lebhaften Balles die Tänzer und Tänzerinnen nacheinander zu Gesicht brachte, so erschien auch zuweilen, wenn auch nur auf ganz kurze Zeit das Antlitz Käthchen Vaughans den Blicken ihres Vetters und umgekehrt. Bei solchen Gelegenheiten verriet der flüchtig ausgetauschte Blick lediglich eine gegenseitige trotzige Gleichgültigkeit, denn beide spielten hier ein geheimnisvolles verdecktes Spiel. Die kalte Begrüßung von ihrer Seite hatte ihn dazu aufgefordert, da er deren Grund nicht ahnen konnte. Sie hatte das Spiel dann ein wenig später begonnen, erst als sie die außerordentlich zufriedene und freudig aufgeregte Haltung gewahrte, die Herbert gegenüber seiner Tänzerin angenommen hatte. Ihr fiel es nicht ein, dass diese erkünstelt und bloß Verstellung sein könne. Obwohl sie Koketterie genug besaß, um den Schein der Gleichgültigkeit anzunehmen, war sie hierin doch nicht erfahren genug, um den bloßen Schein auch bei ihm wahrzunehmen. So täuschten sie sich gegenseitig und taten beide ganz, als wäre ihnen an ihrer Liebe nicht das Geringste gelegen.

Noch bevor sie den Ballsaal verließen, erhielt der Glaube an ihre gegenseitige Gleichgültigkeit, so falsch dieser auch eigentlich war, eine weitere Bestätigung, ja, er wurde durch einen besonderen Umstand zur vollkommenen und festen Überzeugung.

Aus dem leichten Geschwätz eines besuchten Balles ist oftmals manches Geheimnis zu erfahren. In diesen späten nächtlichen Stunden, wenn der Champagner die Zungen gelöst hat und die Tänzer sich einbilden, dass andere taub sind, mag der schweigend seinen Weg Verfolgende oder der ruhig in der dichten Gruppe Verweilende manches auffangen, was nicht darauf berechnet war, gehört zu werden und am wenigsten von ihm selbst. Das ist schon oft einem unfreiwilligen Horcher begegnet, und ereignete sich auf dem Smythje-Ball zumindest in zwei Fällen, und zwar gerade bei den zwei Personen, an denen wir wahrscheinlich den meisten Anteil nehmen.

Herbert war nämlich einige Zeit allein, denn Judith, nicht, weil sie ihres Tänzers überdrüssig war, sondern bloß des äußern Scheines wegen, tanzte mit einem anderen. Smythje war es nicht, denn diesen hatte sie den ganzen Abend absichtlich vermieden. Sie erinnerte sich der Umstände auf dem Jumbéfelsen und fürchtete, dass, wenn sie mit ihm tanze, dies vielleicht zu ähnlichem Zusammentreffen zweier anderer führen möge, wie damals bei der Sonnenfinsternis.

Herbert stand deshalb allein in einer dichten Gruppe. Zwei junge Pflanzer waren dicht neben ihm im Gespräch begriffen und sprachen, vom Trinken stark erregt, sehr laut. So musste Herbert, selbst wenn er nicht gewollt hätte, ihre Unterhaltung hören, und sie dann auch in Erwägung ziehen. Der Gegenstand der Unterhaltung war der Allgemeine auf dem Ball während des ganzen Abends und der Nacht, nämlich Smythje zusammen mit Käthchen Vaughan.

Als er diese beiden Namen hörte, blieb er freilich kein unfreiwilliger Zuhörer mehr und spannte die Ohren, um kein Wort zu verlieren. Den Anfang des Gespräches hatte er zwar nicht gehört, aber dennoch war das Verständnis leicht.

»Wann wird die Hochzeit stattfinden?«, fragte der am wenigsten Unterrichtete der Pflanzer den, der ihm bereits mehreres mitgeteilt hatte.

»Noch keine Zeit festgesetzt, wenigstens noch keine öffentlich genannt. Aber bald, vermute ich.«

»Da werden wohl bei der Gelegenheit allerhand Feierlichkeiten losgelassen werden, Frühstück, Dinner, Abendessen und Ball, nicht wahr?«

»Wahrscheinlich wohl. Der Custos ist nicht der Mann, um eine solche Feier ohne allen Glanz vorübergehen zu lassen.«

»Hochzeitsreise während der Flitterwochen?«

»Natürlich, er nimmt sie mit nach London, da werden sie wohnen, glaube ich. Herrn Smythje gefällt das Leben hier in der Kolonie gerade nicht sehr, ihm fehlt hier die Oper. Es ist schade, denn es wird die Insel nun um eine schöne Frau ärmer machen.«

»Nun, alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass Loff Vaughan seine Sklavin wirklich gut verkauft hat.«

»O, abscheulich! Solche Ausdrücke zu gebrauchen, wenn man von dem schönen, von dem gebildeten Käthchen redet. Komm, Thorndyke! Ich bin über dich empört!«

Thorndyke lief bei dieser Äußerung allerdings Gefahr, den Hirnschädel eingeschlagen zu bekommen, freilich nicht gerade von seinem Gefährten, sondern von einem nahe stehenden Fremden.

Allein Herbert zügelte seinen Unwillen. Was kümmerte ihn auch Käthchen? Vielleicht hätte sie ihn später gar nicht einmal als ihren Verfechter und Ehrenretter anerkannt.

Fast zur selben Zeit hörte auch sie ein ähnliches, ebenso peinliches Zwiegespräch mit an. Smythje konnte die ganze Nacht nicht fortwährend mit ihr tanzen, manche andere hatten gleichfalls diese Ehre. Deshalb war sie für einen oder zwei Tänze von ihm unter der Obhut ihres Vaters, des Custos, gelassen worden.

»Wer mag er nur sein?«, fragte eine von zwei hübschen Schwätzerinnen, sodass Käthchen es zu hören vermochte.

»Ein junger Engländer, hat man mir gesagt, ein Verwandter der Vaughans zu Willkommenberg, obwohl aus gewissen Gründen vom Custos nicht anerkannt.«

»Das kecke Mädchen da scheint bereit genug, ihn anzuerkennen. Wer mag sie sein?«

»Ein Fräulein Jessuron. Sie ist die Tochter des alten jüdischen Koppelhalters, der große Geschäfte in schwarzem Fleisch macht.«

»Pfui! Sie benimmt sich, als gehörte sie zu einem …«

Das letzte Wort wurde so leise geflüstert, dass Käthchen es nicht zu hören vermochte.

»Wahr genug!«, versicherte die andere. »Doch da sie verlobt sind, so geht das niemand etwas an, als sie nur allein. Er ist hier auf der Insel und kennt wahrscheinlich gewisser Leute Stellung gar nicht, wie es mir vorkommt. Wirklich schade um ihn! Er scheint gar kein übler junger Mensch zu sein. Allein, wie er sich bettet, so muss er dann auch liegen. Ha, ha, ha! Wenn man von Judith Jessuron wirklich richtig spricht, so wird er bei ihr gerade nicht auf Rosen gebettet sein. Ha, ha, ha!«

Was den einen zur Heiterkeit anregt, macht den andern elend. Das war jedenfalls von den eben gesprochenen Worten wahr. Der Sprecherin und ihrer Gefährtin entlockten sie ein fröhliches Lachen, Käthchen Vaughan aber trieben sie zu einem tiefen, schweren Seufzer.

Sie verließ den Ball mit gebrochenem blutendem Herzen.

»Verloren! Für immer verloren!«, seufzte sie gramerfüllt, als sie schlaflos die Wange aufs Ruhekissen legte.

»Gewonnen!«, rief Judith Jessuron triumphierend aus und streckte ihre majestätische Gestalt auf das Lager. »Herbert Vaughan ist mein!«

»Verloren! Für immer verloren!«, sagte Herbert in verzweifeltem Ton zu sich selbst, als er die Tür seines einsamen Schlafgemaches schloss.

»Gewonnen!«, rief der siegreiche Smythje, als er in seine elegante Kammer eintrat und in der Glut der Begeisterung sogar seinen hauptstädtischen Modeakzent vergaß. »Käthchen Vaughan ist mein!«