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Der Freibeuter – Spaziergang in den Hafen

Der-Freibeuter-Zweiter-TeilDer Freibeuter
Zweiter Teil
Kapitel 10

Der Hoftag war bestimmt, wo Lord Palmerston und Fräulein von Ove als Brautpaar vorgestellt werden sollten. Der Lord hatte ernstlich daran gedacht, sich eine bescheidene Existenz zu gründen. Zu diesem Zweck waren vertraute Boten nach Schweden und England abgegangen, und vom König Karl hatte er bereits tröstliche Zusicherungen erhalten. Aber am Hof hatte man auch durch geheime Kundschafter erfahren, dass Palmerston in Verbindung mit dem Schwedenkönig stehe. Ursache genug, um das Auge des Misstrauens, hinter der Maske der Freundlichkeit versteckt, auf ihn zu richten und ihn, wo er ging und stand, zu beobachten.

Während dem von neuer Lebenslust durchglühten jungen Mann die Schwingen erstarkender Gesundheit wieder wuchsen und sich ihm das Bild häuslichen Glücks auf dem Boden der Insel Rügen so lockend malten des Eilandes, welches er vor allen Erdstrichen so liebgewonnen, sodass er sich seine Christine kaum anders als eine Frau denken konnte, als in einem einfach stillen Haus am grünen Ufer eines der schönen Bodden, auf denen sein Auge oft in Entzücken schwelgend geruht hatte. Während dieser Zeit wurde er vom Geist der Lüge und des Verderbens umlauert, und die Bosheit ward nicht müde, hämische Gerüchte über ihn zu Ohren zu tragen, welche der Verleumdung stets offenstehen. Arglos wandelte er neben Feinden. Die rosafarbene Binde der Liebe hielt sein Auge gefesselt.

Ein reizender Frühlingstag lockte den Lord mit Braut und Freundin ins Freie, und sie gingen den Weg zum Hafen. Dort schien die Sonne am wärmsten, und das Treiben der Menge machte diese Gegend für müßige Wanderer besonders angenehm. Reiter, Wagen, Schiffer, Fuhrleute und allerlei Volk zogen ununterbrochen hin und her.

Auch Christines Laune war in die lachenden Farben des Frühlings gekleidet. Ihre Sonne war Palmerstons gesundheit- und freudestrahlendes Gesicht. Selbst Friederike war nicht so streng-ernst wie sonst. Der Frühling hatte seine magische Kraft an allen bewährt.

»Wenn meinen unglücklichen Augen nicht eine besondere Vorliebe für den liebenswürdigen Kammerjunker des Kronprinzen, den geschniegelten Gerd Raben, innewohnt«, sagte Christine, »sodass sie mir seine traurige Gestalt in jedem glatten Jüngling vorspiegeln, so sehe ich den zierlichen Kavalier hinter uns her auf einem Schweißsochs trottieren, der ebenso geleckt aussieht wie er selbst.«

»Er ist’s«, bestätigte Friederike.

Der Junker sprengte heran, grüßte freundlich, hielt an, stieg ab, übergab das Pferd dem ihm folgenden Reitknecht und schritt mit verklärtem Gesicht auf die drei Spaziergänger zu.

»Es ward mir noch nicht erwünschte Gelegenheit, Ihnen meinen Glückwunsch darzubringen, hochverehrtes Brautpaar. Ihr Haus, Mylord, gleicht einer Festung, in welche nur die Parteigänger befreundeter Mächte Zutritt haben.«

»Ich wüsste nicht, aus welchem Grund ich den Kammerjunker von Raben für den Parteigänger einer mir feindlich gesinnten Macht halten sollte. Können Sie mich darüber belehren, wohlan, so lassen Sie mich über Ihre Person nicht im Zweifel.«

»Sie verstehen den Kammerjunker unrecht«, sagte Christine, »er wird sich doch nicht zu den Parteigängern zählen? Er ist Mann genug, um selbst eine Macht zu repräsentieren. Und dass er eine befreundete Macht ist, beweist er uns ja jetzt. Es geht ihm nur wie den Feldscherern.«

 

»Wieso?«, rief der Junker verwundert. »Was hätte ich denn mit Feldscherern zu tun.«

»Ei, wie auch Sie mich falsch verstehen wollen, mein zuckersüßer Herr! Hab ich doch nicht behauptet, dass Sie etwas mit jenem schneidigen Volk zu tun hätten. Wahrlich, dann würden Sie stets zurückstehen müssen. Denn was man auch immerhin zu Ihrem Lob oder Tadel sagen könnte – obgleich ein so ausgezeichneter Hofmann mit Recht den Namen des Ritters ohne Furcht und Tadel verdient – es wäre in beiden Fällen zu viel gesagt, wenn man Sie schneidend oder stechend oder scharf nennen wollte. Nein, mein Teuerster, ich sagte nur, dass es Ihnen zu ergehen pflegte wie den Feldscherern.«

»Ich muss Ihnen bekennen, mein Fräulein, dass ich Sie nicht verstehe.«

»Das ist ein geringfügiger Zufall gewöhnlicher Art. Die Sache ist einfach. Je freundlicher die Feldscherer sind, desto tiefer schneiden sie, desto weher tut es.« »Christine!«, bat Friederike verweisend.

»Ach Gott!«, entgegnete diese, »ich bin hinsichtlich deiner jetzt im gleichen Fall. Also Freundschaft zwischen uns, Herr von Raben! Wir verstehen ja beide das Messer gut zu führen.«

»Sie sprechen in Rätseln, mein Fräulein. Ich kann nicht begreifen, was Sie mit dem Messer führen meinen.«

»Es gibt verschiedene Arten von Leuten, welche ein Messer führen, Doktoren und Barbiere, Metzger, Köche, Schuster und Bildschnitzer, und Sie zählen sich zu keiner derselben, denn es sind lauter nützliche und brauchbare Menschen. Aber gestehen Sie nur, dass in ganz Kopenhagen kein Barbier Sie so glatt und lieblich ums Kinn scheren kann als Ihre eigene weiche Hand. Nur sich selbst verdanken Sie diesen Vorzug vor allem Leben, dem Bart im Gesicht wächst.

Oder gäbe es wirklich ein solches Genie in der Hauptstadt des Dänenreichs, das mit schöpferischer Hand solchen Zauber auf ein männliches Antlitz mittels eines Schermessers auszugießen vermöchte? O, Mylord! Dann würde ich Ihnen nicht Ruhe gönnen, bis belobte Hand Ihnen täglich die Liebenswürdigkeit anrasierte, wie sie nur aus des Kammerjunkers, Herrn Gerd von Rabens glattem Gesicht strahlt.«

»Christine!«, rief Friderike mit Unwillen.

»Nicht wahr, liebes Mühmchen, auch du verspürst in deinem jungfräulichen Busen ein ungeheures abdominales Verlangen nach etwas, welches dem Kinn einer Jungfrau – ich kann nicht sagen unerhört, aber doch – unerfühlt vorkommen muss, nämlich die unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Barbiermesser des Kraftgenies, nach jenem wunderbaren Messer – so wunderbar wie Hüons Zauberhorn oder Circes Zauberstab – Du möchtest den zarten Flaum deines Kinnes von ihm hinweg genommen wissen, um dich unter seinen Streichen zu verjüngen, wie Adonis unter den Küssen der Venus. O, ich verstehe deine Sehnsucht. Klingt sie mir doch im eignen Busen wieder, und jetzt, Gerd von Raben, beschwöre ich Sie bei allen über- und unterirdischen Göttern und deren Vettern und Basen, sie mögen unter den Sternen wandeln selbst als Sterne, oder unter den Rinderherden, selbst als Rinder. Jetzt ist die Stunde gekommen, die über Friederikes und Ihr eigenes Leben entscheidend ist. Die Lose springen aus den Urnen. Ich beschwöre Sie, bedenken Sie Ihr Schicksal zum Besten! Es liegt in Ihrer Hand, in dieser Ihrer rechten Samthand, welche Sie soeben vom seidenen Handschuh entblößt, welche Sie mit den Meisterstücken aller Kopenhagenschen Goldschmiede befleckt haben. Gestehen Sie offen und freimütig, dass diese Hand es selbst ist, welche Ihrem freundlichen Antlitz solch unwiderstehlichen Liebreiz zu geben vermag. Gestehen Sie es, dass Sie das Schermesser meisterhaft führen, und beeilen Sie sich, die Gunst meiner Muhme dadurch wiederzuerlangen, dass Sie dieselbe zierlichst barbieren.

»Ich kann es nicht länger verhehlen«, sagte der Kammerjunker geschmeichelt, »dass ich mich täglich zwei, auch drei Mal selbst rasiere. Doch ist mein Messer noch nie in eines anderen Menschen Gesicht gekommen. Aber um die mir unendlich teure Gunst der Fräuleins von Gabel wiederzuerlangen, würde ich mich zu allem verstehen.«

»Christine, du bist unausstehlich!«, zürnte Friederike.

»Und damit haben Sie doch das Geständnis getan, dass Sie manches mit dem Feldscherer gemein haben.«

»Gewissermaßen, ja; doch muss ich mir meinen Adel vorbehalten.«

»Unbeschadet Ihres sehr ehrwürdigen Adels können Sie nun an meiner Muhme das Wiedervergeltungsrecht üben, und ihr ganz dasselbe tun, was sie Ihnen getan hat.«

»Und was könnte das fein, mein teuerstes Fräulein?«

»Sie barbieren sie über den Löffel, mein teuerster Junker.«

»Christine, du wirst mich zwingen, die Gesellschaft zu verlassen und allein nach Hause zu gehen«, sagte Friederike.

»O, zürnen Sie ihr nicht, mein Fräulein!«, winselte der Kammerjunker Friederike an. »Vielleicht gelingt ihrer heiteren Laune, was meinen ernsten und unablässigen Bitten nicht hat gelingen wollen, uns wieder zu vereinigen. O glauben Sie nur, der Kronprinz ist böse auf Sie, dass Sie sich weigern, mir Ihr Eheversprechen zu erfüllen.«

»Ist er böse, der arme überkluge Knabe? Nun sehen Sie, das ist das erste mir Angenehme, was Sie mir in Ihrem Leben gesagt haben.«

»Halten Sie ein, Verwegener! Welch unbedachtes Wort entfloh dem Zaun Ihrer Zähne! Zurück mit ihm! Jetzt ist nur von Ihrem Kinn die Rede, um welches voriges Jahr noch ein holder Bart flog, der durch seine deutsche Farbe Ihre altgermanische Abkunft unwidersprechlich dartat, von Ihrem Kinn – sag ich – welches Ihre edle Hand dieses Jahr so glatt rasiert, dass man es für einen Haubenstock halten könnte, zum Beweis, wie Sie verstehen, Ihre Nationalität zu verleugnen und sich die bessere französische Art und Weise anzueignen. Also nur von Ihrem kultivierten und von dem unkultivierten Kinn meiner Muhme soll zwischen Ihnen beiden jetzt die Rede sein; von nichts weiter. Sie sollen sich über die gemeinsame Kultur beider Kinne bereden, es soll Liebenswürdigkeit Sprödigkeit fesseln, das Zarte, das Spröde anziehen, das rasierte Gesicht sich mit dem unrasierten vereinigen.«

»Hören Sie, mein Fräulein«, bat Raben wieder Friederike, »Sie meint es gut mit all ihren Scherzen. Sie will uns wieder vereinigen. Sie will unser Glück befördern. Verkennen Sie doch die wohlmeinende Absicht Ihrer Muhme nicht! O Fräulein von Ove, wie bin ich Ihnen dankbar für Ihren trefflichen Willen, für Ihre edlen Bemühungen! Ich werde nie vergessen, was Sie an mir getan. Aber nun kommen Sie auch, und helfen Sie mir Ihre Muhme mit bestürmen, dass sie ihre eiserne Härte fahren lässt und mich wieder in Gnaden an- und aufnimmt, auch dazu tut, dass wir bald Hochzeit machen. Auch Sie, Mylord, nehme ich in Anspruch. Stehen Sie mir bei. Sie vermögen etwas über das Herz des Fräuleins. Ich weiß es.«

»Aber, mein Himmel!«, rief nun Friederike mit einem Gemisch von Ärger und Verwundung, »ist denn Ihr geistiger Sinn so ganz stumpf, dass Sie nicht zu verstehen imstande sind, dass meine ungezogene Muhme Sie mit einer Salzlauge von Spott übergießt ? Sehen Sie denn nicht, dass Sie der erbärmliche Gegenstand ihres ausgelassenen Witzes sind? Der Himmel vergebe Ihnen die Sünde, die Sie an mir begehen, so oft Sie mich nur anreden!«

»Ist es denn wahr, dass Sie mich verspotten?«, fragte der Kammerjunker das Fräulein von Ove einfältig zutraulich und mit einem Anstrich von dummer Befremdung, die ihm äußerst komisch stand. Aber bald veränderte sich sein Gesicht wieder und überzog sich mit jener glatten, nichtssagenden Freundlichkeit, die ihm die Hofdressur angepinselt hatte, und anständig lächelnd sagte er: »Nein, ich habe eine bessere Meinung von Ihnen, Fräulein. Ein Scherz ist ja nicht Spott, ein Witz kein Schlangenbiss. Wir verstehen uns besser, nicht wahr, Fräulein?«

Die unbeschreibliche Naivität, womit diese Worte gesprochen wurden, brachte nicht allein die launige Christine, sondern auch den Lord zum Lachen, und selbst über Friederikes ernstes Gesicht flog ein Strahl. Das Brautpaar konnte nicht gut ein Ende finden und den Kammerjunker verdross endlich doch dieses Benehmen. Er nahm die Sache jetzt wirklich, wie sie war und schickte sich eben an, seine Empfindlichkeit zu erkennen zu geben, als ihnen dicht am Hafen aus dem Volksgedränge ein gemeiner Mensch entgegen trat, der seinem Äußeren nach zu den Seeleuten gehörte. Mit einer ans Unverschämte grenzenden Dreistigkeit blieb er vor Palmerston stehen und starrte ihm unverwandt ins Gesicht. Dieser aber hatte nicht sobald den Kerl erblickt, als er zurücktrat und ihm ausweichen wollte.

»Nun sage keiner mehr, dass Ihr kein Zauberer und schwarzer Magier seid!«, rief der Seemann mit einer zudringlichen widrigen Verwunderung aus, »denn Ihr könnt sogar sterben und wieder auferstehen. Ihr seid tot gewesen und wandert wieder unter den Lebendigen am Arm zweier schöner Frauen? Aha, Ihr seid wohl jetzt ein Vampir, Herr Flaxmann, und die eine da ist Eure Braut?«

Alle waren mit Entrüstung zurückgewichen. Die letzten Worte hatten auch aus Christines Wangen das Blut verdrängt. Der Kammerjunker horchte auf und lächelte mit impertinenter Pfiffigkeit, die seinem flachen Gesicht einigen Ausdruck verlieh. Der Lord sammelte sich und sagte barsch: »Seid Ihr toll, Mensch? Was wollt Ihr von mir? Ich kenne Euch nicht.«

»Ihr kennt mich nicht? Ei, das ist zum Lachen«, versetzte jener. »Die Blässe Eures Gesichts und Eure verwirrten Augen strafen Euch Lügen. Ich dächte doch, wir hätten zu verschiedenen Malen unsere Bekanntschaft erneuert. Auch das große Weibsbild da kenne ich. Kam sie doch in Stockholm mit Euch zur Frau Ankarfield und wollte dort mit Euch zusammen wohnen. Da hattet Ihr freilich eine schlechtere Jacke an als ich. Auch in Hamburg trugt Ihr keinen so feinen Rock und auch auf der jütländischen Heide nicht, wo Ihr selig gestorben seid. Nun nach Eurer Auferstehung seid Ihr in so vornehme Kleider gekrochen und kennt Euern alten Freund nicht mehr. Soll ich Euch noch deutlicher an unsere Bekanntschaft erinnern?«

»Fort, unverschämter Mensch! Oder ich lasse Euch verhaften«, sagte der Lord, aber seine Stimme erstarb. Eine Art Ohnmacht wandelte ihn an. Er musste von den Damen fortgeführt und in das nächste Haus gebracht werden.

»Seid Ihr so mächtig geworden in Kopenhagen?«, höhnte ihn der Spion – denn kein anderer war es – nach. »Nun, was ist einem Schwarzkünstler nicht alles möglich. Aber ich fürchte mich vor solcher Macht nicht. Die Schwäche, die ihn überrumpelt, beweist mir, dass ich mich in seiner Person nicht geirrt habe.«

Der Kammerjunker von Raben blieb bei dem Spion allein zurück und beide wandelten im eifrigen Gespräch bald darauf der Stadt zu.

Als sich der Genesende etwas erholt hatte, gab er seinen Freundinnen Aufschluss über den Bösewicht, der ihn hier anzugehen sich erfrecht hatte. Christine schauderte, als sie vernahm, dass dieser Mensch der Mörder war, der ihren Geliebten schon in so schlimme Händel verwickelt hatte. Sie tat zwar den Vorschlag, ihn aufsuchen zu lassen und dem strafenden Arm der Gerechtigkeit zu überliefern, aber sie überzeugte sich bald, dass man ihm nichts beweisen konnte, und dass sonach jeder Schritt gegen die Person des Mörders unterbleiben musste. Verstummt langten die drei Spaziergänger zu Hause an und vermieden, von dem unangenehmen Vorfall zu sprechen.