Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Der Teufel auf Reisen 39

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Siebentes Kapitel – Teil 8
Des Teufels Anteil

Inzwischen hatte Jacobine an einem großen Haus halten lassen. Ohne zu fragen, eilte sie an dem Portier vorüber und flog hastig die drei breiten Treppen hinauf. An dem oberen Absatz blieb sie stehen und schöpfte Atem, dann zog sie ungestüm an einem Klingelzug.

Das Gesicht des kleinen Groom, welcher in der einen Hand einen Stiefel, in der anderen eine Bürste hielt, kam zum Vorschein.

»Ist dein Herr zu Hause?«

»Er sitzt soeben beim Frühstück.«

Ohne sich auf weitere Fragen einzulassen, drängte unsere Bekannte den etwas verdutzt aussehenden Diener zurück und schlüpfte rasch an ihm vorüber.

Inzwischen war aber auch der Freiherr aufgesprungen und trat ihr entgegen.

»Jacobine, meine angebetete Jacobine, was ist vorgefallen?«

Am liebsten hätte schon das verblendete Mädchen dem Herrn von Hahnenfeder gleich um den Hals fallen mögen, aber sie besann sich doch noch zur rechten Zeit.

Sie begnügte sich damit, auf einen Stuhl zu sinken und mit hinsterbender Stimme auszurufen: »Oh, Albert, sie beneidet mich um mein Glück, sie will mich von Ihnen trennen!«

»Ruhig, mein süßes Kind«, sagte dieser mit einer spöttischen Miene, die er jedoch geschickt in das Gewand zärtlicher Teilnahme zu kleiden wusste. »Ruhig, ich weiß bereits alles.« »Wie, Sie wissen?«

»Vor einer halben Stunde empfing ich diesen Absagebrief von Ihrer Stiefmutter. Er ist eben nicht fein abgefasst. Was nun?« »Oh, Albert, machen Sie mit mir, was Sie wollen, ich bin für jetzt und für die Ewigkeit die Ihre!«

Wieder blitzte es spöttisch in den Augen des Abenteurers auf.

»So müssen wir also einen Entschluss fassen, es bleibt uns keine andere Wahl.«

»Ja, Albert, fassen Sie einen Entschluss. Ich bleibe die Ihre, für jetzt und die Ewigkeit!«

»Wird Sie aber auch Ihre Entschlossenheit im letzten Augenblick nicht verlassen?«

»Die Liebe macht Mut!« Das verblendete Mädchen verzog dabei seinen breiten Mund und verdrehte dabei schwärmerisch die Augen. »Oh, teurer Albert, wenn Sie es wünschen, springe ich sogar mit Ihnen ins Wasser!«

»Das ist eben nicht nötig«, bemerkte dieser trocken, »es gibt noch andere Mittel, um unser Ziel zu erreichen.«

»Sprechen Sie, ich bin zu allem bereit, ich folge Ihnen, wohin Sie wollen, – eine Hütte und ein Stück Brot, was braucht man denn mehr, um glücklich zu sein, wie der Dichter sagt.«

»Das fehlte noch«, dachte der Hochstapler. Laut setzte er aber hinzu: »Sie haben recht, meine süße angebetete Jacobine, aber das wird nicht nötig sein, sie muss die fünfzigtausend Taler herausgeben.«

»Oh, wie ich diese Frau zu hassen anfange, welche aus Eifersucht mich um mein Glück zu betrügen sucht!«

»Nun, lassen Sie es gut sein, das wird ihr nimmermehr gelingen, dazu liebe ich Sie zu heiß und innig.«

»Ach, mein Albert«, rief das kopflose Mädchen wieder mit schmelzender Stimme, »wie glücklich machen mich diese Worte!«

»Verdienen Sie denn dieselben nicht? Doch nun lassen Sie uns überlegen.«

»Bestimmen Sie, ich bin zu allem bereit.«

»Hier sind wir von Feinden und Gefahren jeder Art umgeben. Wir müssen fort, um unsere Verbindung sobald wie möglich zu bewerkstelligen.«

»Ja, lassen Sie uns fliehen – eine Hütte und ein Stück Brot …«

»England ist das freie Land, wo man uns kein Hindernis entgegenstellen wird, dort finden wir einen Geistlichen, von dem wir uns trauen lassen können.«

»Um dann in nimmer endender Seligkeit gemeinsam durchs Leben zu wandern.«

»Natürlich. Bei jedem Schritt, den Sie tun, soll Ihr Fuß auf Blumen treten. Bereiten Sie sich also zur Flucht vor.«

»Ich bin jede Stunde dazu bereit.«

»In etwa acht Tagen denke ich mit meinen Anstalten fertig zu fein. Vergessen Sie ihre Pretiosen nicht und raffen Sie an Geld zusammen, was Sie bekommen können.«

»Oh, ich habe mir eine hübsche Summe gespart, für die erste Zeit wird es ausreichen.«

»Nun, ich komme auch nicht mit leeren Händen«, sagte der Schwindler , obgleich er sehr gut wusste, dass in diesem Augenblick in seiner Kasse bedeutende Ebbe war.

»Haben Sie jemand, auf den Sie sich verlassen können?«, fragte er weiter.

»Josephine , unsere Jungfer, ist mir unbedingt ergeben.«

»Gut , so lassen Sie dieselbe jeden Abend zwischen sieben und acht Uhr vor dem Haus auf meinen Diener warten. Derselbe wird ihr für Sie ein Billet aushändigen, in welchem dann das Nähere für unsere Flucht festgesetzt ist. Den Brief mit der Post zu senden, scheint mir zu gefährlich, er könnte abgefangen werden.«

»Von sieben bis acht hat Josephine auch gerade Zeit, das geht also.«

»Nun, noch einmal, meine teure Jacobine, es waltet doch wegen des Testaments kein Irrtum ob, denn des Lebens Sorgen müssen auch in Betracht gezogen werden.«

»Durchaus nicht, wir haben es ja beide gelesen. Fünfzigtausend Taler müssen mir bei meiner Verheiratung ausgezahlt werden, den Rest des Vermögens erbe ich nach dem Tod meiner Stiefmutter.«

»Es ist wirklich wunderbar, welche Gewalt die Liebe ausübt«, bemerkte der Abenteurer. »Seit ich Sie kennengelernt habe, (seit ich das Testament eingesehen habe, dachte er) bin ich ein ganz anderer Mensch geworden.«

»Oh, Albert, wie glücklich macht mich dieses Geständnis!«

»Es ist aber auch nun Zeit, dass Sie gehen, wenn man nicht Verdacht schöpfen soll.«

»Mein Gott ja, es ist die höchste Zeit!«

»Halten Sie sich also bereit, wenn ich Sie benachrichtige.«

»Ich werde bereit sein«.

Mit diesen Worten schlüpfte das von Liebe erfüllte Mädchen zur Tür hinaus, und Hahnenfeder begleitete es bis an die Treppe. Als er in sein Zimmer zurückgekehrt war, warf er sich in eine Ecke des Sofas und brach in ein helles Gelächter aus.

»Der ist wirklich der Verstand vollständig abhanden gekommen. Sie geht vor lauter Liebe wie ein Pfannkuchen auf! Ha, ha, bin ich nur erst im Besitz der fünfzigtausend Taler, dann werde ich der schieläugigen, breitmäuligen Närrin schon die Prosa des Lebens zu kosten geben! …«

In der besten Laune zog er sich an und flanierte siegesbewusst durch die Straßen. Er blieb vor dem Laden eines Goldschmiedes stehen und sah die ausgestellten Kostbarkeiten mit einem Blick an, als hätte er fragen wollen: »Was kostet der ganze Kram, ich kaufe ihn in Pausch und Bogen.« Dort betrachtete er wieder ein kostbares Geschirr im Magazin eines Sattlers in einer Weise, als sei er fest entschlossen, sich dasselbe zuzulegen, sobald er sich den neuen Wagen mit den prächtigen Schimmelhengsten angeschafft haben würde.

Mit klopfendem Herzen war inzwischen Jacobine zu ihrer Wohnung zurückgekehrt, ziemlich scheu schlüpfte sie ins Hans und stieg die Treppe hinauf. Wenn Frau Lagemann schon da war und sie vielleicht erwartete? Das wäre doch eine höchst fatale Situation gewesen. Doch plötzlich kam ihr ein Gedanke und sie richtete sich entschlossen empor.

»Ei, was«, murmelte sie, »nötigenfalls sage ich, ich hätte das Bedürfnis gefühlt, frische Luft zu schöpfen und übrigens böte sich mir auch dann die beste Gelegenheit, meine Selbstständigkeit zu zeigen.«

Oben trat ihr Josephine entgegen. »Wo ist meine Mutter?«, fragte sie diese.

»Ich erwarte sie jeden Augenblick.«

»Gut. Noch einmal. Du sagst nicht, dass ich fortgewesen bin.«

»Seien Sie unbesorgt, ich kann schweigen.«

Und doch erfuhr die Witwe schon nach einer Stunde, was vorgefallen war, nachdem sie ihrer Zofe zu deren nicht geringer Überraschung ein fast noch ganz neues seidenes Kleid geschenkt hatte.

»Leider bin ich zu solcher Handlungsweise gezwungen«, murmelte sie, »aber dieses Mal heiligt wirklich der Zweck die Mittel, und erkauft ist die treulose Person doch schon. Es besteht jetzt bei mir gar kein Zweifel mehr, dass ich von der Kopflosigkeit und der Verblendung Jacobines selbst das Schlimmste erwarten kann. Ich werde alle Vorsicht anwenden müssen, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.«

Einige Tage später klingelte es wieder an Herr von Hahnenfeders Tür, der kleine Groom steckte abermals den Kopf heraus.

»Befindet sich dein Herr zu Hause?«, fragte Rodenwald.

»Nein, Herr Baron, vor einer Stunde ist er ausgegangen.«

»So, so. Nun, wie behagt dir dein Dienst?«

Der Befragte zog eine Grimasse.

»Nun, was bedeutet das Gesichter schneiden?«

»Das halte der Kuckuck aus. Seit drei Monaten habe ich keinen Lohn empfangen und ich kann mich nicht einmal sattessen.«

»Schlimm, mein armer Junge. Aber weshalb gibst du denn dann nicht einen solchen Hundedienst auf?«

»Wenn ich fortlaufe, bekomm ich gar nichts, der hat weder Gewissen noch Geld.«

»Hm«, machte wieder der Baron. Dann sagte er nach einer Pause: »Ich wüsste wohl, wie du etwas verdienen könntest.«

»Wenn Sie mir dazu behilflich sein wollten . . . Hören Sie nur wie mein Magen knurrt.«

Herr von Rodenwald musste unwillkürlich lachen. »Wenn ich mich auf deine Verschwiegenheit verlassen könnte …«

»Oh, das dürfen Sie bestimmt.«

»So höre. Hier hast du ein Goldstück und es stehen für dich noch mehrere in Aussicht, wenn du mir treu dient. In einigen Tagen wirst du wahrscheinlich ein Billet zur Besorgung erhalten.«

»Ja, auf den Beinen erhält er mich immer, der schäbige Lump.«

»Dieses Billet wird an Fräulein Jacobine Lagemann adressiert sein.«

»Die vor zwei Tagen hier war?«

»So, war sie hier?« Der Baron spitzte die Ohren.

»Ei, freilich, ich konnte nur nicht recht verstehen, was sie zusammen sprachen.«

»Josephine hat also wahr berichtet«, dachte Rodenwald, »auch das weiß Frau Lagemann bereits von ihm, dass sie einen Brief in Empfang nehmen soll.«

»Nun also«, fuhr der Baron zu dem Groom gewendet fort, »mit dem Billet begibst du dich unverweilt zu mir. Ich werde dich in den nächsten drei Tagen erwarten. Vier Napoleondor sollen dein Lohn sein.«

»Dann gehe ich für Sie durchs Feuer.«

»Für einen anderen guten Dienst für dich will ich auch sorgen, wenn du dich treu zeigst. Du weißt jetzt, was ich will, im Übrigen kein Wort davon, dass ich hier war.«

Noch an demselben Tag sah Herr von Rodenwald die Witwe.

»Besorgt und aufgehoben!« rief er, »jetzt fragt es sich nur, ob Sie sich auch auf Josephine verlassen können?«

»Sie wird mir den Brief aushändigen.«

»Nun, in der einen Ecke desselben werden Sie ein kleines mit Bleistift verzeichnetes Kreuz finden. Das ist ein Zeichen, dass ich denselben gelesen habe.«

»Gut, so weiß ich Bescheid«

»Und wie steht es mit der Agnes Werner?«

»Sie ist angekommen und wohnt ganz in der Nähe, sodass sie jeden Augenblick erscheinen kann.«

»Charmant!«, sagte der Baron und rieb sich boshaft die Hände, »so schlau wie der Fuchs ist, so steckt er doch bereits sicher in der Falle. Wollen Sie wohl glauben, dass der Bursche sogar vor einigen Abenden den Versuch machte, mich im Spiel zu betrügen? Der Lehrjunge den Meister – das verdient Strafe und es ist Zeit, dass der Patron unschädlich gemacht wird!«

Jacobine zeigte inzwischen eine hartnäckige Entschlossenheit. Welche Unruhe sie auch in ihrem Innern empfinden mochte, sie verbarg dieselbe unter einem heiteren Lächeln, ja sie schmeichelte ihrer Stiefmutter sogar, um diese völlig sicher zu machen. Frau Lagemann tat auch, als ob sie darauf einginge, beobachtete indessen im Stillen ihre Tochter um so schärfer, zog sich aber jetzt immer schon sehr früh auf ihr Zimmer zurück.

Endlich am dritten Abend schlich Josephine wie eine Katze in ihr Kabinett.

»Hier ist der Brief«, sagte sie, »der Diener des Freiherrn hat mir denselben erst vor ein paar Minuten ausgehändigt.«

Die Dame nahm denselben und betrachtete ihn scheinbar unbefangen von beiden Seiten, das kleine Kreuz befand sich in einer Ecke des Kuverts.

Jetzt zuckte sie mit den Achseln. »Was wird darin stehen? Irgendeine Albernheit. Ich habe mich anders besonnen, gib ihn meiner Tochter, doch schweige darüber, dass du ihn mir gezeigt hast.«

Josephine schien damit sehr zufrieden, ein neues Goldstück war ihr gewiss.

Am anderen Tag in den Vormittagsstunden fuhr Frau Lagemann aus. Als sie zurückkehrte, sagte sie zu Jacobine: »Es wird diesen Abend eine neue Oper gegeben, ich beabsichtige der Vorstellung beizuwohnen. Willst du mich begleiten?«

»Nein, ich fühle mich nicht wohl, ich ziehe es vor, zu Hause zu bleiben.«

»Wie du willst. Vor zehn Uhr werde ich nicht zurück sein.«

Es war eine finstere Nacht, unruhig schritt Jacobine in ihrem Zimmer auf und ab. Draußen schlug eine Uhr, hastig blickte sie nach der ihren und sagte seufzend: »Es ist Zeit!«

»Oh«, murmelte sie, »es überkommt mich doch eine schreckliche Angst, aber es muss geschehen – die Grausame zwingt mich ja dazu. Sie hat es darauf angelegt, mein Lebensglück zu vernichten!«

Mit fester Hand ergriff sie den Leuchter und trat in die Stube ihrer Stiefmutter. Dort legte sie einen versiegelten Brief auf den Tisch, auf welchem nur folgende kurze Worte standen:

»Ich entziehe mich Ihrer Tyrannei, ich fliehe mit meinem geliebten Albert nach England, um dort durch Priesterhand für immer mit ihm vereinigt zu werden.«

Dann blickte sie zu dem Portrait ihres Vaters empor, welches über dem Sofa hing, und ihre Arme bittend erhebend, sagte sie mit tränengefüllten Augen: »Verzeih deiner Tochter diesen Schritt, aber du wolltest ja stets nur mein Glück und ich weiß, mein angebeteter Albert hat den festen Willen, mich glücklich zu machen!«

Es war klar, dass sich das verblendete Mädchen im höchsten Stadium eines bedauerlichen Liebesparoxismus befand. Scheu, als wollte sie sich vor sich selbst verbergen, schlüpfte sie die Treppe hinunter. Erst als sie sich im Freien befand, atmete sie tief auf. Die erste Angst war vorüber, ihr Mut kehrte allmählich zurück. Mit dem Kästchen unter dem Arm, welches ihre Schmucksachen enthielt, eilte sie an den Häusern entlang, bog in eine Straße und dann in eine andere und nun – dort auf jenem unbeleuchteten Platz hielt ein Wagen und jetzt – ja es war Hahnenfeder, welcher ihr entgegentrat und ihre Hand ergriff.

»Meine teure Jacobine! Geschwind, steigen Sie ein, in einer halben Stunde geht der Zug ab. Jenseits des Kanals winkt uns die Freiheit!«

Schon stand die junge Dame im Begriff, den Fuß auf das Wagenbrett zu setzen, als sie einen lauten Schrei ausstieß und bestürzt einen Schritt zurückfuhr.

Ein Mann hatte sich zwischen sie gedrängt, welcher ihr ziemlich boshaft ins Gesicht blickte.

»Was gibts?«, fragte der Abenteurer und trat nun ebenfalls rasch näher.

»Echauffieren Sie sich nicht«, rief Rodenwald hohnlachend, »wo soll es denn so eilig hingehen?«

Indem trat auch Frau Lagemann mit einer tief verschleierten Dame näher.

»Ei, Herr Baron«, sagte sie spöttisch, »Sie wollen reisen, ohne einmal Abschied zu nehmen?«

Jacobine hielt sich beide Hände vors Gesicht und stöhnte tief auf.

Herr von Hahnenfeder war anfangs wie niedergedonnert. Bald erholte er sich aber. Mit seiner gewöhnlichen Frechheit sagte er nun zu der Witwe gewandt: »Sie sehen jetzt, wie die Angelegenheiten stehen und das Beste wird sein, Sie bewilligen mir ohne Widerrede Jacobines Hand.«

»Zunächst ersuche ich Sie, mir in meine Wohnung zu folgen«, antwortete diese kalt.

Der Hochstapler stutzte, die Sache schien ihm doch nicht recht geheuer.

»Zieren Sie sich nicht, mein Bester«, bemerkte Rodenwald, »dort an der Ecke stehen zwei Polizeimänner, welche sich ein Vergnügen daraus machen werden, Sie in Empfang zu nehmen.«

»Überdies haben Sie nichts zu fürchten«, fügte die Witwe hinzu, »die Verhältnisse haben sich jetzt so gestaltet, dass ich die Entscheidung nunmehr in meiner Stieftochter Hand lege.« »Wie, Sie wären in der Tat geneigt? …«, rief überrascht Hahnenfeder.

»Verlassen Sie sich darauf, nur können wir selbstredend hier auf der Straße nicht verhandeln.«

»Aber weshalb sagten Sie denn das nicht früher, dann wäre ja die ganze Komödie überflüssig gewesen.«

»Nun, auch ich liebe mitunter die Überraschungen, doch genug, hier ist nicht unser Platz.«

Die Gesellschaft entfernte sich und eine Viertelstunde darauf befand sie sich in dem kleinen Salon der Witwe.

»Wollen Sie mich dieser Dame nicht vorstellen?«, fragte Hahnenfeder, welcher die Verschleierte schon längst misstrauisch betrachtet hatte.

»Später werde ich so frei sein, es ist eine Freundin von mir, die heute erst ankam.«

Der edle Freiherr stand wie auf Kohlen, Jacobine hatte sich in einer Ecke niedergelassen und bedeckte noch immer ihr Gesicht.

Zu dieser wendete sich nun Frau Lagemann. »Du hast es so gewollt«, sagte sie in einem ernsten Ton, »und mehr kann ich jetzt nicht tun, als dein Schicksal in deine Hand zu legen.«

»Wozu auch noch Rücksicht nehmen«, sagte diese, sich erhebend und ziemlich trotzig näher tretend.

»Wer will uns trennen?«, rief Hahnenfeld, sich in die Brust werfend, »der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme.«

»Oh, Albert!«, flötete wieder das überspannte Mädchen.

»Nun, Herr Freiherr«, begann Frau Lagemann, »von dem Testament meines verstorbenen Mannes haben Sie bereits Einsicht genommen?«

»Ich?«, stammelte Hahnenfeder.

»Ha, ha!«, sagte Rodenwald, »der Bursche besaß schon früher eine Gewandtheit darin, von Schlüsseln Abdrücke zu nehmen.«

»Not kennt kein Gebot«, stotterte der Schwindler.

»Nun gut, wir wollen darüber hinweggehen. Dass meine Stieftochter bei ihrer Verheiratung fünfzigtausend Taler mitbekommt, wissen Sie nun, aber eines ist Ihnen doch unbekannt geblieben.«

Der Abenteurer spitzte die Ohren.

»Hier ist noch ein kurzes Kodizill meines verstorbenen Mannes«, fuhr die Dame, ein Papier hervorziehend, fort. »Herr Baron, wollten Sie wohl die Güte haben, dasselbe zu verlesen?«

»Mit Vergnügen«, sagte Rodenwald höhnisch lachend, »dasselbe lautet also:

»Nachtrag zu meinem Testament. Möchte meine Tochter Jacobine einst die Neigung fühlen, sich zu verheiraten, so ist hierzu unter allen Umständen die Einwilligung ihrer Stiefmutter notwendig. Sollte sie dessen ungeachtet gegen deren Erlaubnis eine Ehe schließen, so verliert sie nicht allein die ihr ausgesetzten fünfzigtausend Taler, sondern geht auch ihres Erbrechtes an dem übrigen Vermögen verlustig.«

Der Hochstapler machte ein langes Gesicht, völlige Enttäuschung sprach sich in demselben aus.

»Oh, Albert«, rief in diesem Augenblick das alte dumme Mädchen, »einen Trunk Wasser und ein Stückchen Brot …«

Dieser zog geradezu eine Grimasse. »Ich danke bestens für so ein Anhängsel ohne Geld. Ich wüsste nicht, was ich mit solchem Ballast anfangen sollte.«

»In der Tat, ein sehr liebenswürdiger junger Mann«, höhnte der Baron.

Am meisten fühlte sich die arme Jacobine getroffen. Der Schlag war doch zu hart und kam zu unerwartet. Ihr Busen hob und senkte sich und krampfhaft atmete sie auf.

Frau Lagemann fühlte offenbar Mitleid mit ihm aber ihrer Rolle getreu, sagte sie ruhig: »Du hast jetzt über dein Schicksal zu entscheiden, sprich also.«

»Oh, Mama, du hörst es ja, nun, da er vernimmt, dass ich arm bin, will er mich nicht! … Er nennt mich ein Anhängsel und mein Herz war ihm doch so ergeben! … Nein, ich verachte ihn jetzt ebenso, wie ich ihn bisher geliebt habe. Er hat zwar mein Herz gebrochen, aber ich bin doch noch in der letzten Stunde vor einem großen Unglück bewahrt worden, denn unglücklich, das sehe ich ein, würde mich dieser Mensch gewiss gemacht haben!«

Das bedauernswerte Mädchen brach in ein heftiges Schluchzen aus, während Hahnenfeder, ein höhnisches Gesicht schneidend, frech in dem ihn umgebenden kleinen Kreis umherblickte.

»Ich denke, die Komödie hat nun lange genug gedauert«, sagte er mit dreister Stimme. »Ich bin der Meinung, es ist Zeit, dass der Vorhang fallen gelassen wird.«

»Wir alle wünschen gewiss sehnlichst, Sie loszuwerden«, bemerkte Frau Lagemann mit einem Blick unaussprechlicher Verachtung. »Allein ich halte es für eine Pflicht, meiner armen verblendeten Stieftochter Ihre schmutzige, gemeine Natur ganz unverhüllt zu zeigen, und so werden wir Sie hier wohl noch so lange dulden müssen, bis noch ein kleines Nachspiel abgespielt ist, dessen Stoff ebenfalls Ihrem tatenreichen Leben entnommen ist.« »Gnädige Frau«, rief der Schwindler mit dem Fuß stampfend und die Witwe drohend anblickend, »ich bin jetzt Ihrer Beleidigungen müde und wenn Sie damit nicht aufhören …«

»Still«, donnerte ihn aber Rodenwald an, »still, Sie Unverschämter! Wenn Sie noch ein Wort reden, so übergebe ich Sie den unten harrenden Polizeimännern und dann werden noch ganz andere Dinge an den Tag kommen!«

Der edle Freiherr senkte den Kopf, vor dem Meister verstummte der Lehrling.

»Kennen Sie diese Dame?«, fragte Frau Lagemann, indem sie plötzlich den Schleier der Verhüllten zurückschlug.

Hahnenfeder prallte wie vor einem Gespenst einen Schritt zurück und unwillkürlich entschlüpfte ihm der Ausruf: »Agnes!«

»Ja, ich bin es, Elender«, rief diese mit funkelnden Augen. »Und hier« – sie hielt ein Papier hoch empor – »hier ist das mir von Ihnen erteilte Eheversprechen! So wie Sie mich betrogen und verlassen haben, so würden Sie auch hier die junge Dame betrogen und sie ihres Vermögens beraubt haben! Gehen Sie, die Nemesis hat Sie erreicht, und ich wie alle anderen, die Sie so schmählich täuschten, kehren Ihnen mit Ekel den Rücken!«

»Was mir übrigens ziemlich gleich ist«, bemerkte frech der Abenteurer. »die Karten lagen für mich ungünstig und so habe ich mein Spiel verloren, das ist alles. Leben Sie wohl auf Nimmerwiedersehen!«

Unter lautem Hohngelächter verließ er den Salon, und während sich die Anwesenden, überrascht von solcher Unverschämtheit, erstaunt anblickten, schluchzte die arme Jacobine noch immer laut auf und klagte sich der bittersten Schuld an.

Aber schon eine Stunde darauf lag Sie an dem Herzen ihrer Stiefmutter, die sie nach Kräften durch milde versöhnende Worte zu trösten suchte.

»Ich habe deinem Vater«, sagte diese, »auf seinem Sterbebett feierlich versprochen, mit Liebe und Treue über dir zu wachen. Nicht umsonst hat er dein ganzes Schicksal in meine Hand gelegt, da er die schwachen Seiten deines Charakters kannte und wohl wusste, dass mir jeder Eigennutz fern lag. Dass ich diesem Hahnenfeder Zugang in meinem Haus gestattete, beruhte auf der völligen Unkenntnis seiner Vergangenheit. Als ich aber Verdacht gegen ihn zu schöpfen begann, sparte ich weder Mühe noch Geld, um hinter die Wahrheit zu kommen. Gott sei Dank, es ist mir noch rechtzeitig gelungen, ein großes Unglück zu verhüten. Hält einst ein rechtlicher und braver Mann um dich an, so sei überzeugt, dass ich die Erste sein werde, welche die Hand dazu bietet, dir eine behagliche und glückliche Zukunft zu begründen.«

Jacobine schüttelte abwehrend mit dem Kopf.

»Der Schlag war zu hart, die Enttäuschung zu groß, ich bin für immer geheilt, ich bleibe bei Ihnen.«

»Alles vergisst sich im Leben, mein Kind«, bemerkte Frau Lagemann, »und besonders hat es die Weisheit des Schöpfers so eingerichtet, dass wir den Schmerz zunächst vergessen. Wie vermöchten wir denn auch sonst das Leben zu tragen, wenn dem nicht so wäre! …

Richte dich daher wieder mutig empor und blicke von Neuem vertrauensvoll in die Zukunft. Ich hoffe, der heutige Abend hat uns einander näher gebracht und du wirst mir nun dasjenige Vertrauen schenken, welches ich nach meiner bisherigen Handlungsweise von dir zu fordern berechtigt zu sein glaube.«

Als der Baron von Rodenwald sich wieder auf seinem Zimmer allein befand, hielt er folgendes Selbstgespräch.

»Ich bin zwar ebenfalls ein schlechter Kerl, der im Spiel betrügt und es nimmt, wo er es bekommen kann, aber in Erwägung der guten Handlung, die ich soeben vollbracht, rechne ich mit Bestimmtheit darauf, dass Gott ein Einsehen haben und mir in meinem Sündenregister einige Posten in Gnaden abstreichen wird.«

Agnes Werner verweilte noch einige Zeit bei Frau Lagemann und wurde dann so reich beschenkt entlassen, das sie imstande war, in ihrer Heimat ein eigenes kleines Geschäft zu etablieren. Gewiss auch unter Teilnahme der Leser können wir übrigens mitteilen, dass das stetige und rechtschaffene Mädchen bald einen würdigen Bewerber fand, an dessen Seite sie, mit den besten Aussichten für die Zukunft, die Wanderung durchs Leben antrat.

Hahnenfeder führte sein Gewerbe als Hochstapler auch noch weiter fort und rupfte noch manchem Grünschnabel die Federn aus. Eines Morgens fand man ihn aber tot in seinem Nest. Sein Gesicht war blau, seine Augen traten aus dem Kopf, dieser selbst sah etwas verschoben aus. Nach dem Gutachten der Ärzte war er an einem Stickfluss verstorben.

Abergläubige und einfältige Leute dagegen meinten: »Er hat ein wüstes und unchristliches Leben geführt, wie er endete, ist ja unzweifelhaft: Er wurde des Teufels Anteil.«

Ende des zweiten Bandes