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Der Teufel auf Reisen 38

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Siebentes Kapitel – Teil 7
Des Teufels Anteil

Höchst verdrießlich begab er sich zu Bett, die Aussichten auf die Leibrente waren wieder um ein Bedeutendes in die Ferne gerückt.

Für Agnes Werner war es ein Glück, dass sie die Schrift, welche das Eheversprechen enthielt, nicht aus den Händen gegeben hatte. Etwa acht Tage nach dem Besuch des würdigen Herrn von Hahnenfeder erhielt sie nämlich ganz unerwartet einen Brief von Frau Lagemann aus Paris, in welchem eine ansehnliche Summe eingeschlossen war. »Man wisse«, so schrieb dieselbe, »sehr genau, auf welche Weise sie von dem Baron hintergangen worden sei. Eine andere junge Dame schwebe jetzt in der Gefahr, in ähnlicher Weise von diesem betrogen zu werden, ihre Gegenwart sei in Paris durchaus notwendig, um den Abenteurer zu entlarven, für Sie (Agnes) biete sich aber auch die Gelegenheit, sich volle Genugtuung zu verschaffen. Sie möge daher unverweilt abreisen, Frau Lagemann werde sie in einem Hotel (welches sie ihr näher bezeichnete) empfangen und dann das Weitere mit ihr verabreden.«

Eine Folge dieses Briefes war, dass das junge Mädchen, von Hass und Rache getrieben, sofort der Einladung Folge leistete und sich schon den anderen Tag auf dem Weg in die französischen Hauptstadt befand. Was aber die Stiefmutter Jacobines veranlasst hatte, unverweilt zu diesem Mittel zu greifen, findet seine Erklärung in Vorgängen, die wir den Lesern in aller Kürze mitteilen wollen.

So ganz verstand Frau Lagemann doch die Kunst der Verstellung nicht, dass sie fähig gewesen wäre, ihr früheres unbefangenes Benehmen gegen den Baron beizuhalten. Einige Mal hatte sie sich sogar verleugnen lassen, als er seine Aufwartung machen wollte. Von Jacobine war dies sehr übel genommen worden und das verblendete, verliebte Mädchen zeigte überhaupt jetzt einen Trotz und eine Widerspenstigkeit, die ihr sonst gar nicht eigen gewesen waren.

So war es eines Tages zwischen Mutter und Tochter zu einem sehr heftigen Auftritt gekommen.

»Ich weiß nicht, weshalb Sie Herrn von Hahnenfeder auf einmal so abstoßend behandeln«, bemerkte die Letztere und warf trotzig die Lippen auf.

»Dafür werde ich jedenfalls meine Ursachen haben«, lautete die Antwort.

»Aber ich will mich nicht mehr in der bisherigen Weise von Ihnen tyrannischen lassen, ich bin alt genug, um auf Selbstständigkeit Ansprüche machen zu können.«

»Du tust mir unrecht«, antwortete Frau Lagemann ruhig, »ich kann mir das Zeugnis geben, wie eine Mutter über dir gewacht zu haben und ich werde dies auch ferner tun.«

»Über mich wachen? Ha, ha, das klingt ja wirklich, als ob Sie mich noch nicht für mündig hielten.«

»Nun, du hast ja oft genug dies behauptet.«

»Aber Ihnen gegenüber behaupte ich es nicht. Das Testament meines Vaters …«

»Was ist mit diesem Testament?«, fragte die Witwe streng. Jacobine geriet in Verwirrung. »Nun, ich meine, dass ich als Tochter darin doch auch nicht leer ausgegangen sein werde.« »Keineswegs. Wenn du es wünschst, kann es dir zu jeder Zeit vorgelegt werden.« Die Witwe begleitete diese Worte mit einem scharfen Blick.

Ihre Stieftochter errötete abermals. »Dies ist nicht nötig, Sie haben mir ja den Inhalt oft genug mitgeteilt. Aber ich befinde mich in den Jahren, wo ich verlangen kann, dass man mich nicht mehr wie ein Kind behandelt.«

»Geschieht dies wirklich?«, fragte Frau Lagemann mit einem sanften Lächeln, »hast du nicht in allen Dingen deinen freien Willen?«

»In allen Dingen?«, rief das eigensinnige Mädchen. »Ja, in solchen Dingen, wo ich Ihnen nicht im Wege bin. Ha! ha!«

»Jacobine«, sagte nun auch die Witwe unwillig errötend, »du vergisst die Achtung, welche du mir schuldest.«

»Nun, weshalb verscheuchen Sie durch Ihr Benehmen den Freiherrn hier aus dem Haus?«

»Törichtes Kind, deine Fragen grenzen fast an Unbescheidenheit.«

»Er ist liebenswürdig.«

»Vielleicht nur eine Maske, um seine geheimen Zwecke zu verfolgen.«

»Sehen Sie, jetzt verleumden Sie ihn wieder! Sie können es nicht ertragen, dass sein Herz mit dem meinen sympathisiert, Sie würden es vielleicht lieber sehen …«

Hier hielt sie inne, sie wagte doch nicht die Beschuldigung, welche ihr auf den Lippen schwebte, laut werden zu lassen.

Frau Lagemann warf ihr einen zornigen Blick zu, aber sie bezwang sich noch immer.

»Der Unverstand spricht aus dir, ich halte nur dein Wohl im Auge. Es ist leicht möglich, dass ich diesem Herrn gänzlich mein Haus verschließe.«

Darauf hin verlor das von Leidenschaft verblendete Mädchen alle Besinnung.

»Dagegen protestiere ich, der Umgang mit Herrn von Hahnenfeder ist mir unentbehrlich!«

»So?«, fragte die Witwe gedehnt und sah ihre Stieftochter streng an.

»Ja«, erwiderte diese, »und da es einmal zu Erklärungen zwischen uns gekommen ist, so will ich mich auch noch weiter aussprechen.«

»Nun?«

»Sie sollen nicht glauben, dass ich ein Werkzeug Ihrer Interessen bin.«

»Meiner Interessen? Was verbirgt sich hinter diesen Worten?«

»Kurz und gut, es ist Zeit, dass ich endlich auch an meine Verheiratung denke.«

»Hast du dir vielleicht schon einen Mann ausgesucht?«, fragte etwas spöttisch die ältere Dame.

»Allerdings!«, platzte Jacobine, hierdurch gereizt, heraus.

»So? Nun, du bist dabei ja sehr geheimnisvoll zu Werke gegangen.«

»In dem Testament meines Vaters steht«, fuhr die Stieftochter, diese Worte überhörend, erregt fort, »dass …«

»Dass du bei deiner Verheiratung eine Mitgift von fünfzigtausend Talern erhälst, nicht wahr?«

»Allerdings, und dass ich nach Ihrem Tod auch das übrige Vermögen erbe.«

»Auch das ist richtig, was nun weiter?«

»Nun, auf keinen Fall will ich mich auch in Bezug auf meine Wahl von Ihnen bevormunden lassen. Mein Herz soll seiner Neigung folgen.«

»Du hast wahrscheinlich schon darüber bestimmt?«

»Das könnte wohl möglich sein.«

»So? Ist Herr von Hahnenfeder vielleicht der Glückliche?«

»Nun, wenn er um mich anhält, so werde ich nicht Nein sagen.«

»Aber desto entschiedener werde ich dieses Nein aussprechen.«

»Sie? Ich bin mündig.«

»Und dennoch bleibt es bei dem Nein.«

»Wer gibt Ihnen ein Recht dazu?«

»Dein verstorbener Vater, welchem ich versprochen habe, über Dir zu wachen.«

»Treiben Sie mich nicht zu einem verzweifelten Schritt!«

»Du drohst?«

»Und ich werde diese Drohung ausführen. Und damit Sie sich nicht damit entschuldigen können, dass Sie nicht vorher gewarnt worden sind, so frage ich Sie hiermit nochmals: Werden Sie Ihre Einwilligung versagen, wenn der Freiherr um mich anhält?«

»Auf das Entschiedenste, dieser Mensch würde dich nur unglücklich und elend machen.«

Jacobine lachte abermals höhnisch. »In Ihren Jahren …«

»In meinen Jahren folgt man der Überlegung und der Pflicht, und um dir gleich einen Beweis dafür zu geben, erkläre ich dir hiermit, dass ich diesem Menschen von morgen an den Zutritt bei mir versagen werde.«

»Diesem Menschen? Wie herabwürdigend! … Ein Mann, der in die feinsten Gesellschaften eingeführt ist …«

»Und der dennoch ein Abenteurer sein kann.

»Genug!«, rief Jacobine aufspringend, »handeln Sie, wie Sie wollen, aber auch ich werde tun, was ich will!«

»Du drohst?«

»Allerdings. Ich bin es müde, mich Ihrer Tyrannei länger zu unterwerfen.«

»Einst wirst du mir für diese Tyrannei noch danken.«

»Niemals! Nehmen Sie zurück, was Sie in Bezug auf den Baron gesagt haben.«

»Unter keinen Umständen!«

»Nun, dann machen Sie sich darauf gefasst, etwas zu erleben!«

»Jacobine!«, rief Frau Lagemann ihrer Stieftochter bittend nach. Aber diese eilte fort und warf trotzig die Tür hinter sich zu.

»Es ist die höchste Zeit, dass vorgebeugt wird, wenn kein Unglück geschehen soll«, murmelte die Witwe. »Die Verblendete! Ich zweifle nicht daran, dass sie sich bereits vollständig in den Händen dieses gewissenlosen Menschen befindet. Ich muss mich auf eine Katastrophe gefasst machen und darf nicht länger säumen, hiernach meine Maßregeln zu treffen.«

Sie setzte sich an ihren Sekretär und schrieb jenen Brief an Agnes Werner, den die Leser bereits kennen, dann einen zweiten an Herrn von Hahnenfeder, in welchem sie ihn ohne alles Zeremoniell ersuchte, ihr Haus nicht mehr zu betreten. Am anderen Morgen ließ sich Jacobine nicht blicken. Sie schützte Unwohlsein vor und blieb trotzig auf ihrem Zimmer.

»Was fehlt meiner Tochter?«, fragte die Frau des Hauses die Zofe.

»Ich weiß es nicht. Das Fräulein liegt noch im Bett, es klagte über Kopfschmerzen.«

»Für heute kommt mir dies ganz erwünscht«, dachte Frau Lagemann, »ich muss mit Herrn von Rodenwald noch eine letzte Rücksprache nehmen, und so bin ich doch sicher, dass sie während meiner Abwesenheit keine Torheit begeht.« »Josephine«, sagte sie zu ihrem Mädchen, »ich habe einige Besorgungen zu machen und werde vor zwei Stunden nicht zurück sein. Wenn meine Tochter nach mir fragt, so sagst du, ich befinde mich ebenfalls etwas unwohl und wünschte nicht gestört zu sein.«

»Schön, gnädige Frau, ich werde es besorgen.«

Kaum hatte Frau Lagemann das Haus verlassen, als Jacobine, die hinter den Gardinen gelauscht hatte, die Klingel in Bewegung setzte. »Ist sie fort?«, fragte sie die eintretende Josephine.

»Ja, gnädiges Fräulein, das heißt«, setzte sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu, »sie befindet sich ebenfalls unwohl.«

»Schon gut. Hier nimm dieses Goldstück und diene mir auch ferner treu, es soll dein Schade nicht dein. Jetzt hilf mir anziehen. Natürlich die tiefste Verschwiegenheit – in einer Stunde bin ich wieder hier.«

In einer Viertelstunde saß sie in einem Fiaker, der im schnellsten Trab die Richtung nach einem entfernten Stadtteil einschlug.

»Sie fährt zu dem Baron«, murmelte Josephine, »das steht außer allem Zweifel. Wenn ich dies nun der gnädigen Frau mitteile, so kann ich mich ebenfalls auf ein hübsches Geschenk gefasst machen und schlage so zwei Fliegen mit einer Klappe.«