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Der Marone – Die Augen begegnen sich

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 18

Die Augen begegnen sich

Während dieser Erwägungen Herberts begann das Licht wieder zu dämmern und umfloss auch Käthchens Angesicht wieder mit hellerem Glanz. Er konnte nicht umhin, er musste auf dieses Gesicht blicken.

Des jungen Mädchens Antlitz hatte sich während der Finsternis sowohl in Farbe als auch in Ausdruck sehr verändert. Herbert bemerkte die Veränderung ganz wohl und sie überraschte ihn. Vor und während des unheilvollen Gespräches hatte er eine glühende Wange, ein stolzes und trotziges Aussehen mit allen Anzeichen herausfordernder Gleichgültigkeit wahrgenommen.

Das war nun alles verschwunden. Käthchens Augen glänzten noch, aber in viel milderem Licht. Eine tiefe Blässe hielt ihre Wangen vollständig bedeckt, als hätte die Sonnenfinsternis sie aller ihrer Rosen beraubt. Das stolze Aussehen war gänzlich gewichen und hatte einem trüben, ja schmerzvollen Ausdruck Platz gemacht.

Dennoch war das Antlitz schön und lieblich wie immer, schöner, meinte Herbert, als je zuvor.

Woher kam diese plötzliche Veränderung? Was war die Ursache derselben? Woraus entsprang der schmerzliche Gedanke, der sich in der bleichen Wange und den zusammengepressten Lippen verriet. War es etwa das Glück eines anderen, das diesen Kummer verursachte?

Smythje schien glücklich zu sein, sehr glücklich sogar, nach seinem oft wiederholten Ha, ha, ha! zu urteilen.

War dies wirklich die Ursache des tiefen Trauerausdruckes?

Herbert legte es wenigstens so aus.

Während er hierüber nachdachte und seine innere Bewegung zu unterdrücken suchte, schwieg er still, obwohl er seinen Blick nicht von ihrem trüben und doch so lieblichen Antlitz abzuwenden vermochte.

So blickte er noch, da entschlüpfte ihm unwillkürlich ein Seufzer. Er mochte wohl kaum von ihr gehört worden sein, obwohl sie ganz nah bei ihm stand, und ebenso wenig ihre Seufzer von ihm, denn auch sie seufzte tief, ganz zur selben Zeit! Waren beide vielleicht doch von einem geheimen Trieb gegenseitigen Mitgefühls erregt?

Herbert war es gelungen, abermals einen zeitweiligen Sieg über die ihn bestürmenden Gefühle zu erringen. Er wollte gerade einige freundliche Worte vorbringen, als das junge Mädchen aufsah und seinen Blick erwiderte. Zum ersten Mal während dieses Zusammenseins begegneten sich ihre Blicke, denn bis zu jenem Augenblick hatte Käthchen ihren Vetter nur verstohlen angesehen.

Einige Augenblicke standen sie so und sahen sich einander in die Augen, wie von einem unwiderstehlichen Zauber ergriffen.

Nicht ein Wort wurde zwischen ihnen getauscht, und selbst ihr Atem war leise. Beide schienen die Zeit für zu kostbar und für zu ernst zu halten, um sie mit Reden zu verlieren, denn sie suchten in ihren Augen, diesen wahrhaften Spiegeln der Seele, diesen getreuen Erklärern aller Herzensgefühle, die Lösung des wunderbaren Rätsels ihres Daseins.

Dieses sprachlose Befragen war so unwillkürlich wie gegenseitig und von keiner Koketterie welcher Art begleitet; in gleicher Weise vertrauensvoll und sorglos, selbst um die Beobachtung des anderen.

Was kümmerten sie sich auch um die Sonnenfinsternis? Was um die Sonne selbst oder den Mond oder die verschiedenen Sterne? Weniger noch, viel weniger kümmerten sie sich um die Menschen, die ihnen zufällig so nahe waren!

Schöpften sie Trost, Befriedigung und Vergnügen aus solchen gegenseitigen langen Anblicken? Das mussten sie wohl, denn warum hätten sie es sonst so lange fortgesetzt?

Aber leider doch nicht lange, nicht gar sehr lange wurde ihnen dies gewährt. Ein Auge gewahrte und beobachtete sie, das durchdringende Auge des schönen jüdischen Dämons.

Ja, schöne Judith, deine Eifersucht, deine Koketterie erwiesen sich als gänzlich fehlgeschlagen, und alle deine Kunstgriffe fielen auf dich selbst zurück!

Das goldene Sonnenlicht umstrahlte den Jumbéfelsen wieder im hellen Glanz, aber es hatte Judith keine Freude gebracht, denn es verriet ihr jenen Blick gegenseitiger Verzauberung, den sie mit einem kurzen, scharfen, wenn auch nicht sehr lauten Aufschrei unterbrach. Ein bitteres Gefühl der Täuschung bemächtigte sich ihrer stolzen Seele und drückte sie in den Staub. Wohl bewundert in der stummen Sprache der Augen, hatte sie in Herberts Augen, als er diese auf seine Cousine so lange und ausdrucksvoll gerichtet hielt, einen Ausdruck erkannt, der sie tief verwundete und sie selbst dazu brachte, plötzlich einen leichten Schrei auszustoßen!

Von diesem Augenblick an hörte die Koketterie mit Herrn Smythje auf und der höchst vortreffliche und auserlesene Cockney wurde ohne alle Umstände höchst rücksichtslos aufgegeben und bei seinen teleslopischen Beobachtungen allein gelassen.

Die Unterhaltung war nun nicht mehr zu zweien, sondern zu dreien und zuletzt, wie sie es ursprünglich gewesen war, zu vieren. Dann aber wurde sie alsbald durch eine plötzliche und eilige Trennung abgebrochen.

Die Jüdin schlug zuerst ein Fortgehen vor und ging auch wirklich zuerst fort. Sie stieg vom Jumbéfelsen zweifelsohne in weniger heiterer Laune hinunter, als sie heraufgestiegen war, denn heimlich verwünschte und verfluchte sie die Sonnenfinsternis wie den Einfall, der sie auf die Wahl eines so unglücklichen Beobachtungsplatzes gebracht hatte.

Herbert Vaughan musste sie natürlich begleiten.

Gern hätte der junge Mann die schweigende Augenunterhaltung fortgesetzt, gern wäre er noch länger auf dem Felsen geblieben, aber die Teilnehmerin seines Ausfluges war, mindestens in einem Sinn, seine Herrin und deshalb war es noch etwas mehr, als bloße Höflichkeit, was ihn zur sofortigen Erfüllung ihrer Wünsche trieb.

Dennoch verriet ein unschlüssig zögerndes Wesen, als er vom Felsen hinabstieg, einen durch den plötzlichen Aufbruch bereiteten Missmut hinlänglich.

Hätte die Zusammenkunft noch etwas länger gedauert, so würden die beiden Verwandten sich vielleicht in besserem Einverständnis voneinander getrennt haben, als sich in dem kalten zeremoniellen Lebewohl kundgab, das sie in jenem Augenblick trennte.

Smythje und Käthchen waren wieder allein auf der Höhe des Felsens, und der hochmütige Liebhaber hatte erneut volle Freiheit, in seiner Erklärung fortzufahren.

Vielleicht möchte man glauben, er wäre nun sofort wieder auf die Knie gesunken und hätte die in so ärgerlicher Weise unterbrochene Vorstellung beendet. Aber dies war nicht der Fall. Auch Smythjes Stimmung war mittlerweile eine andere geworden.

Sein ungeheures Selbstvertrauen war bedeutend gesunken, gerade wie das Ereignis vorübergegangen war, auf dessen Unterstützung er gerechnet hatte, denn die Sonnenscheibe war wieder ebenso klar wie vor der Finsternis, und alle die schön gedrechselten, aber für eine leider ungenützt verflossene Zeit bestimmten Reden waren nun vollkommen unbedeutend und unpassend geworden.

Ob nun diese Erwägung solchen Einfluss ausübte oder ob es das Vorgefühl war, dass das Anerbieten seines Herzens und seiner Hand vielleicht einige Gefahr laufen möge, zurückgewiesen zu werden, kann mit Sicherheit nicht behauptet werden, da Smythje, der dies allein angeben könnte, hierüber nie etwas Genaueres verlauten ließ.

Soviel steht aber immerhin fest, dass der beabsichtigte Antrag nicht an dem Tag auf dem Jumbéfelsen stattfand, sondern auf eine künftige Gelegenheit aufgeschoben wurde.