Archive

Die Macht der Drei – Teil 8

Die-Macht-der-Drei

Die Schollen fielen auf den Sarg, der die sterbliche Hülle von Glady Harte barg. Ihr Leben war ruhig erloschen, wie die Flamme einer Lampe, der das Öl fehlt. Das Ende war seit Monaten vorauszusehen. Es war vielleicht durch die Aufregungen beschleunigt worden, die das Schicksal Silvesters in das stille Haus in der Johnson Street brachte.

Jane stand in einem kleinen Kreis Leidtragender an der offenen Gruft. Hier kam ihr erst ganz zum Bewusstsein, wie einsam sie in diesen letzten Jahren gelebt hatten. Nur wenige Personen gaben der Toten das Geleit. Freunde des verstorbenen Mannes, wie dieser in den Staatswerken angestellt. Einige Frauen dabei.

Jane war ihnen von Herzen dankbar, dass sie jetzt noch einmal gekommen waren, der Toten die letzte Ehre zu erweisen. Sie fühlte sich grenzenlos einsam und verlassen. Während sie Beileidsworte hörte und Hände drückte, dachte sie daran, dass sie jetzt allein in das leere Haus in der Johnson Street zurückkehren müsse, und dass … auch Silvester von ihr gegangen sei.

Ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihren Körper. Sie drohte umzusinken, als Dr. Glossin zu ihr trat, sie stützte und behutsam vom Grab fortführte. Sorgsam geleitete er sie durch die breiten Wege des Friedhofes, der in voller Junipracht grünte und blühte, als ob es keinen Tod und kein Sterben auf der Welt gäbe.

Willenlos ließ Jane es geschehen. Jeder Mensch, der sich ihrer annahm, war ihr in ihrem augenblicklichen Zustand willkommen. Um wie viel mehr Dr. Glossin, der solange in ihrem Haus verkehrte, der ihre Mutter genau gekannt hatte, der versprochen hatte, ihr über Silvester Nachrichten zu bringen!

Sie stieg vor dem Friedhof in seinen Kraftwagen und ließ sich von ihm in die Wohnung in der Johnson Street geleiten. Und hier im Anblick der altvertrauten und heute so ganz verwaisten Räume kam ihr Schmerz von Neuem zum Ausdruck. Fassungslos sank sie auf einen Sessel und drückte das Taschentuch vor die Augen.

Dr. Glossin ließ sie einige Minuten gewähren. Dann legte er ihr sanft die Hand auf das Haupt.

»Meine liebe Miss Jane, versuchen Sie es, sich zu fassen. Ich weiß, es hat wenig Zweck, Ihnen in dieser Stunde trostreich zuzusprechen. Haben Sie Vertrauen zu mir. Folgen Sie meinem Rat. Nehmen Sie meine Hilfe an, und alles wird gut werden.«

Jane ließ das Tuch sinken und blickte auf. Ein neues Gefühl durchrieselte sie. Ihre Tränen versiegten. Die Welt erschien ihr nicht mehr so vollkommen leer und trostlos.

»Sie sind der einzige nähere Bekannte, Herr Doktor, den wir hatten, den ich jetzt noch habe.«

»Sagen Sie: der einzige Freund! Lassen Sie sich von mir beraten. Sie müssen aus der alten Umgebung heraus. Aus den Räumen, in denen jedes Stück Sie an Ihren großen Verlust erinnert.«

Jane würgte tapfer die wieder aufsteigenden Tränen zurück und nickte zustimmend.

»Sie haben wohl recht, Herr Doktor! Doch wohin soll ich gehen?«

»Lassen Sie das meine Sorge sein. Die Hauptsache ist, dass Sie sofort für ein paar Wochen in eine andere Umgebung kommen. Ich besitze in Colorado am Ausgang des Gebirges eine Farm. Da haben Sie andere Lust, andere Gesichter und werden schneller das seelische Gleichgewicht wiedergewinnen. Sie sind dort mein Gast, solange es Ihnen gefällt. Mein Personal steht zu Ihren Diensten, und ich selbst werde gelegentlich . . . sooft wie möglich . . . hoffentlich recht oft die Zeit finden, Sie zu sehen, mich von Ihrem Wohlbefinden zu überzeugen.«

Dr. Glossin sprach langsam und eindringlich. Jane hörte ihm ruhig zu. Zuerst noch leise widerstrebend.

Ein Gedanke ging ihr durch den Sinn.

»Ich werde nicht hier sein. Silvester wird mich suchen und nicht finden.«

Dr. Glossin erriet den Gedanken auch unausgesprochen.

»Ich werde die Zwischenzeit benutzen, um über den Verbleib von Mr. Logg Sar etwas in Erfahrung zu bringen. Auch werde ich inzwischen alle Ihre Angelegenheiten hier ordnen. Briefe und was sonst hierherkommt, wird Sie in Reynolds-Farm erreichen. Dort wird die frische Bergluft des Felsengebirges Ihre blassen Wangen bald wieder röten.«

Für einen väterlichen Freund sprach Dr. Glossin ein wenig zu eifrig und lebhaft. Aber Jane achtete nicht darauf. Die Worte des Arztes hatten ihre letzten Bedenken besiegt. Ihr Aufenthalt würde bekannt sein. Alle Nachrichten würden sie an der neuen Stelle erreichen. Recht gute hoffentlich und auch recht bald. Sie nahm die Vorschläge und die Einladung Glossins an.

Der hatte es sich in der letzten Stunde reiflich und nach allen Seiten hin überlegt. Dass er Jane aus einer ganzen Reihe von Gründen mit sich nehmen und unter seinem Einfluss behalten wollte, stand bei ihm fest. Dass er zur Erreichung dieses Zieles seinen hypnotischen Einfluss auf Jane ausnutzen musste, war ebenfalls sicher. Nur wie weit er diesen Einfluss anwenden solle, darüber war er sich im Zweifel. Sollte er so weit gehen, ihr überhaupt jede Erinnerung an die tote Mutter weg zu suggerieren? Damit fielen auch für Jane das Gefühl der Verlassenheit und der Grund fort, ihm zu folgen und sich unter seinen Schutz zu stellen. Er musste dann noch einen Schritt weitergehen und sie durch die Hypnose ganz an sich ketten.

Es widerstand ihm, Jane als einen willenlosen Automaten mit sich zu nehmen. Er wollte aus einer eigentümlichen Stimmung heraus, dass Jane ihm freiwillig und in einem natürlichen Schutzbedürfnis folge. Aber er mochte auch keine ständig Jammernde und Klagende um sich sehen. So wählte er den Mittelweg. Durch seinen suggestiven Einfluss verstärkte er ihr Schutzbedürfnis und milderte ihren noch so frischen und heftigen Schmerz über den Todesfall.

Der Kraftwagen brachte sie zum Flughafen. Dem großen umfriedeten Platz, auf dem die Flugschiffe der verschiedenen Staatslinien ankamen und abfuhren. Jane kannte den Ort. Zu Lebzeiten der Mutter war sie öfters von hier nach Philadelphia oder Milwaukee gefahren. Hatte damals bemerkt, dass reiche Leute hier auch ihre eigenen Schiffe landen ließen. Jetzt führte sie Dr. Glossin zu einer kleinen, aber ansprechenden Privatjacht. Er bemerkte ihr Staunen.

»Steigen Sie ein, meine liebe Miss Jane. Wundern Sie sich nicht allzu sehr, dass wir ein besonderes Schiff zur Verfügung haben. Ich musste es in New York mieten, um noch rechtzeitig nach Trenton zu kommen.«

Jane dankte dem Arzt mit einem warmen Blick. Wie freundlich von ihm, dass er keine Unkosten scheute, um in dieser Zeit bei ihr zu sein, ihr helfen zu können. Von ihm geleitet, betrat sie die Kabine des Flugschiffes, welches sich sofort erhob, um die Fahrt nach Westen zu beginnen. Dr. Glossin ließ sich Jane gegenüber nieder.

»Gestatten Sie mir, meine liebe Miss Jane, dass ich Ihnen Ihren zukünftigen Aufenthaltsort ein wenig schildere. Reynolds-Farm heißt mein Besitztum in Colorado. In früheren Jahrzehnten war es auch wirklich einmal eine Farm mit ausgedehnten Äckern und Stallungen, mit Scheunen und Speichern. Eine richtige Farm, wie sie im Buche steht. Heute ist es ein ruhiges Landhaus in einem nach Osten offenen Tal der Felsenberge gelegen. Bergluft, Tannenduft und Ruhe. Vollkommene Ruhe, wie wir Großstadtmenschen sie bisweilen nötig haben, wie sie auch Ihnen wohltun wird.«

Jane hatte mit steigendem Interesse zugehört. Schon die Ortsveränderung, die schnelle Fahrt, die sie jede Stunde so viele Meilen von ihrem alten Aufenthaltsort entfernte, gab ihren Gedanken eine andere Richtung, ließ sie minutenlang ihren Schmerz vergessen.

»Aber Sie können selbst nur selten dort sein, Herr Doktor. Wer ist dort auf Ihrer Farm? Wer hält das Anwesen in Ordnung? An wen werde ich mich zu halten haben?«

»Vor allen Dingen an meine gute alte Abigail, ein altes schwarzes Faktotum, das dort das Haus in Ordnung hält.«

Jane nickte zustimmend. Als Amerikanerin war sie es gewöhnt, dass schwarze Dienerinnen es in den Häusern der Weißen zu angesehenen Vertrauensstellungen brachten. Als Amme kam solche schwarze Frau zu den Kindern, blieb als Wärterin bei ihnen, sah sie zu Männern heranwachsen und blieb in ihren alten Tagen immer noch die schwarze Mummy.

»Ein gutes, altes, anhängliches Tier! Ihre Schönheit lässt zu wünschen. Dafür ist sie treu und fleißig, sie wird Ihnen jeden Wunsch von den Augen ablesen …«

Es kam Jane nicht zum Bewusstsein, dass es dort vielleicht noch einsamer sein könnte als in Trenton. Der suggestive Einfluss des Doktors erstickte jedes aufsteigende Bedenken.

Das Schiff eilte der sinkenden Sonne nach, bis es sich selbst zu senken begann und die Kette der Felsenberge von Denver bis Cheyenne am gelbglühenden Westhimmel stand. Es landete auf einer freien grasbewachsenen Ebene. Dr. Glossin hatte wohl recht. Hier wehte eine andere Luft als in Trenton, wo die großen Werke trotz aller Fortschritte und Verbesserungen immer noch recht viel Ruß und Staub in die Atmosphäre warfen.

Frische, harzgetränkte Bergluft. Mit voller Brust sog Jane die leichte Brise ein.

Das Flugschiff war dicht neben der Farm gelandet.

Auf dem Weg zum Haus kam ihnen schon eine alte Negerin entgegen. Von jener abschreckenden Hässlichkeit, die alte Negerfrauen gewöhnlich auszeichnet. Dabei von einer unterwürfigen Vertraulichkeit, die auf langjährige Dienste schließen ließ.

»Guten Tag, Mister Doktor. Die alte Abigail hat alles fertiggemacht. Das Supper ist fertig. Die Zimmer sind fertig …«

Ein breites Grinsen ließ ihre Mundwinkel bis in die Nähe der Ohren wandern, während sie versuchte, dem Doktor die Hand zu küssen.

Dr. Glossin schob sie zurück.

»Gut, Abigail. Ich erwartete es nicht anders. Meine Nichte Miss Harte wird einige Zeit auf der Farm wohnen. Du wirst ihr genau so zu Diensten sein wie mir und dafür sorgen, dass sie sich wie zu Hause fühlt.«

Die Alte hatte während dieser Worte Jane prüfend betrachtet. Sie schien mit dem Ergebnis ihrer Prüfung zufrieden zu sein, denn sie wandte sich jetzt an Jane und versuchte, auch ihr die Hand zu küssen.

»Lass das, Abigail!«

Dr. Glossin sagte es mit einer eigentümlichen scharfen Betonung. Die Schwarze trat zurück und folgte dem Doktor und seiner Begleiterin die kurze Strecke bis zum Farmhof.

Jane fühlte sich nach dem schweren Leid der vergangenen Tage fast leicht und frei. War es der Einfluss des Doktors, war es wirklich die veränderte Umgebung, sie begann wieder mit Hoffnungen in die Zukunft zu blicken. In ruhigen Stunden hatte sie schon früher der Möglichkeit ins Auge geblickt, dass die Mutter ihr bald einmal entrissen werden könnte. Jetzt war es geschehen, und sie versuchte es, sich mit dem Geschehenen abzufinden.

So trat sie am Arm Glossins in das neue Heim. Der Doktor geleitete sie in den Empfangsraum, gab Abigail dann einen Wink, sie in ihre eigenen Räume zu geleiten. Ein Halbblutboy schaffte die Koffer aus dem Flugschiff dorthin. Wäsche, Garderobe, alle notwendigen Gegenstände für den täglichen Gebrauch. Jane hatte sich auf einem Stuhl am Fenster niedergelassen und blickte in die dämmernde Abendlandschaft hinaus. Ihre Gedanken weilten bei Silvester.

Die Nachricht von Sing-Sing war natürlich auch in das stille Haus nach Trenton gedrungen und hatte die beiden Frauen aufs Äußerste erschreckt. Wohl lasen sie, dass er gerettet worden war. Aber die Tatsache allein, dass er sich des Hochverrats schuldig gemacht haben sollte, dass er in voller Form zum Tode verurteilt worden war, wirkte niederschmetternd. Sowohl Jane als auch ihre Mutter hatten vollkommen den Kopf verloren, bis ein alter Freund des Vaters sie aufrichtete. Joe Miller war damals zu ihnen gekommen. Fand sie verzagt und lachte.

»Sorge um Logg Sar? … Vollkommen überflüssig … Alle Wetter, da hat was dazwischen gepfeffert und den Schleichern und Angebern das Konzept verdorben. Habe zwar keine Ahnung, was es gewesen ist. Bin aber sicher, dass es prachtvoll gewirkt hat. Angst brauchen Sie jedenfalls um Logg Sar nicht zu haben. Ich meine, der könnte jetzt sogar ganz ruhig in New York spazieren gehen. Seine Feinde würden sich bei einem neuen Angriff noch viel mehr blamieren.«

Diese Worte wirkten tröstlich auf Jane. Das Wunderbare des Geschehnisses nahm sie gefangen. Durch eine unbekannte mächtige Hilfe war Silvester der Gefahr im letzten Augenblick entrissen worden. Seitdem hoffte sie auf seine Wiederkehr, hatte das sichere Gefühl, dass die Macht, die ihn das erste Mal schützte, auch jeden weiteren Anschlag zunichte machen würde.

Die geschwätzige Abigail riss sie aus ihren Sinnen. Welches Kleid die Lady anziehen wolle. Ob sie sich zum Supper nicht schmücken wolle. Der Herr Doktor liebe geschmückte Damen beim Supper. Vielleicht würde er ihr sogar …

Die Mundwinkel der Schwarzen rückten wieder bis an die Ohren. Jane bemerkte das Mienenspiel nicht. Nur langsam kehrten ihre Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Anziehen … Das einfache schwarze Kleid, das sie trug, schien ihr das Richtige … Schmücken, am Begräbnistag ihrer Mutter … Sie gab ihr den Auftrag, die Garderobe in den Schränken unterzubringen, und verließ den Raum, um nach unten zu gehen.

Abigail machte sich daran, den Auftrag zu vollziehen. Stück für Stück nahm sie aus den Koffern. Dabei murmelte sie allerlei vor sich hin: »Hoho, mein Täubchen … sehr einfach, zu bescheiden. Keinen Samt, keine Seide. Nur so einfach … ist nicht der Geschmack von Mister Doktor … Liebt seine Damen … gelbe, rote Seide. Keine schwarzen Kleider …«

Sie begann die Wäsche in die Fächer zu legen und fuhr in ihrem Selbstgespräch fort: »Wirst dich ändern müssen, mein Täubchen! Waren schon andere vor dir hier. Haben es auch gemusst. Taten alles, was Mister Doktor wollte, wenn Mister Doktor sie anguckte … anguckte mit den großen, heißen Augen.«

Ihre Worte gingen in ein Kichern über, während sie die letzten Stücke in die Kasten einräumte.

Inzwischen war Jane in den Speiseraum gekommen. Der junge Halbblutdiener servierte. Glossin wartete, bis er den Raum verlassen hatte, bevor er die Unterhaltung begann.

»Meine liebe Miss Jane, meine Kur beginnt schon zu wirken. Sie sehen viel besser aus als heute früh.«

»Sie mögen recht haben, Herr Doktor. Die Reise hat mich auf andere Gedanken gebracht. Ich könnte beinah zufrieden sein, wenn ich … Gewissheit über das Schicksal unseres Freundes Silvester hätte.«

»Seien Sie zufrieden, meine liebe Miss Jane, dass unser Freund der Gefahr entronnen und jetzt nach menschlichem Ermessen in Sicherheit ist. Wenn Sie ihm etwas bedeuten, wird er gewiss von sich hören lassen.«

»Er wird … er muss … er soll …«

Jane stieß die Worte heftig hervor. Dr. Glossin schwieg, als ob ihn dieser Gefühlsausbruch erschreckt hätte.

»Verzeihen Sie meine Heftigkeit, Herr Doktor. Ich sorge mich um das Schicksal eines Abwesenden und habe Ihnen noch nicht einmal für Ihre Güte gedankt.«

Wenn Dr. Glossin bei allen diesen Reden etwas empfand, so verstand er es jedenfalls meisterhaft, seine Gefühle zu verbergen. Kein Muskel in seinen Zügen zuckte, während er die Konversation ruhig weiterführte. Er sprach von Janes Zukunftsplänen. Eine längere Erholung hier, dann eine Reise nach Europa. Dort müssten so auch noch Verwandte ihres Vaters leben.

»Ich hörte, Herr Doktor, wir sollen Krieg mit England bekommen. Da kann doch niemand nach Europa fahren.«

Dr. Glossin nickte abwesend.

»Zeitungsgeschwätz, meine liebe Miss Jane. Wir denken nicht an Krieg. Ich selbst fahre morgen wieder nach Europa. War vorgestern erst in England. Man spricht allerlei vom Krieg, weil die Zeitungen uns nervös machen. In Wirklichkeit denkt kein Mensch daran.«

»Ich entdecke immer neue Seiten an Ihnen, Herr Doktor. Ich dachte, dass Sie nur zwischen New York und Trenton zu tun haben. Dann haben Sie plötzlich noch dies schöne Besitztum in Colorado, und jetzt höre ich gar, dass Sie zweimal in der Woche nach Europa fahren. Es muss schön sein, so in der Welt herumzukommen.«

»Wenn man zu seinem Vergnügen reisen kann. Nicht, wenn man es wie ich als Pflichtmensch von Berufs wegen tun muss.«

Ein leichter Seufzer entrang sich den Lippen des Arztes.

»Ich hoffe, Miss Jane, in kurzer Zeit werde ich auch etwas Ruhe finden. Dann fahren wir gemeinsam nach Europa, und ich zeige Ihnen die Schönheiten der Alten Welt.«

Er hob sein Glas mit altem schweren Kaliforniawein und trank Jane zu.

»Auf baldige gemeinsame glückliche Fahrt.«

Das Mahl ging seinem Ende entgegen. Dr. Glossin benutzte die letzte Viertelstunde, um Jane ihr Leben für die nächsten Tage auszumalen.

»Wir haben hier Pferd und Wagen. Sie können Ausfahrten unternehmen. Bobby …« – er wies auf den Diener – »kann nicht nur servieren, er ist auch ein geschickter Fahrer. Er kennt die schönsten Wege in der Umgebung. Benutzen Sie die kleine, aber gute Bibliothek im Herrenzimmer … Ich vergaß, Sie ist verschlossen. Darf ich Ihnen den Schlüssel … nein, noch besser. Ich werde sie Ihnen an Ort und Stelle zeigen.«

Er geleitete Jane in das anstoßende Zimmer und schloss selbst die verglasten Regale auf, welche mehrere hundert mit gutem Geschmack ausgesuchte Werke enthielten.

»Das ist die Hauptsache, meine liebe Jane, dass Sie sich nicht in den müßigen Stunden von Gedanken und Erinnerungen übermannen lassen.«

Dr. Glossin hatte bei den letzten Worten ihre Hände ergriffen. Ohne dass er ein Wort weitersprach, spürte Jane, dass er für heute Abschied von ihr nahm, fühlte gleichzeitig, wie in verstärktem Maße Ruhe und Wunschlosigkeit über sie kamen.

Dr. Glossin schritt durch den Vorraum des Hauses, um zu seinem Flugschiff zu gehen. Wenn er am nächsten Morgen wieder in England sein wollte, hatte er Grund zur Eile. Abigail trat ihm in den Weg. Verschmitzt grinsend.

»Darf die neue Lady ausgehen, Mister Doktor?«

Es lag eine ganze Geschichte in dieser Frage. Wie viele mochten hier gewesen sein, denen man den Ausgang verweigert hatte. Glossin warf der Negerin einen Blick zu. Ganz langsam hob er den rechten Arm. Die Schwarze krümmte sich vor dem drohenden Schlag.

»Ich sage dir, du schwarzes Vieh, die junge Dame ist meine Nichte. Wehe dir, wenn du …«

Er ließ den Arm sinken und schritt hinaus.