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Die Totenhand – Teil 28

Die-TotenhandDumas-Le Prince
Die Totenhand

Fortsetzung von Der Graf von Monte Christo von Alexander Dumas
Zweiter Band
Kapitel 8 – Der Schiffbruch

Von Staunen ergriffen durch dieses unerwartete Ereignis stürzte die ganze Mannschaft der Jacht auf Deck. Danglars hielt in seinen kalten bebenden Händen fest den Griff des Steuers und sah voll Entsetzen auf Benedetto, welcher aufgeregt, die Arme über der Brust gekreuzt, der Geist des Bösen zu sein schien, dessen Umrisse dunkel gegen den feurigen Horizont abstachen, von dem alle sich bedroht sahen.

Der Kapitän ergriff diese Gelegenheit, um Danglars bei dem Herrn der Jacht herabzusetzen. Gewöhnt an dieses furchtbare Schauspiel der entfesselten Elemente, fürchtete dieser Mensch sich nicht davor und verlor die Hoffnung nicht, solange noch der letzte Schimmer derselben glänzte. Er eilte rasch zu dem Steuer, riss den Knopf desselben aus den Händen Danglars und rief mit der ganzen Kraft seiner Lunge: »Auf Eure Posten, Kameraden! Dieser Elende ist von Entsetzen ergriffen! Er will uns verderben!«

»Gnade!«, rief unbedachtsam Danglars, denn er bemerkte mit Entsetzen, dass, um seine Züchtigung vollständig zu machen, hier ein Mensch war, der ihm seinen Posten streitig machte, wie er einst Edmund Dantès dessen Posten streitig gemacht hatte.

»Ha! Du rufst nach Gnade!«, erwiderte der Kapitän, indem er sein Messer zog und das Steuer fahren ließ.

»Gnade, Gnade, mein Gott!«, rief aufs Neue Danglars, indem er entsetzt vor dem drohenden Gesicht seines Nebenbuhlers zurückwich.

»Auf ihn, Kameraden! Drauf! Auf ihn, der so ganz zur unrechten Zeit Euch durch sein Geschrei erschreckt!«, fuhr der Kapitän fort. »Drauf! Er zittert wie ein Hund, weil er rings um sich her das Feuer mit dem Wasser spielen sieht!«

Bei diesem Ruf ergriff der Kapitän ein Beil und stürzte sich auf Danglars.

In der Mitte des Kampfes der Elemente entstand jetzt ein anderer Kampf, nicht minder entsetzlich als der erste.

Bei dem wechselnden Licht der Blitze erblickte man einen Menschen, der auf dem Gipfel der Verzweiflung sich gegen den Mast des Schiffes lehnte, sich mit dem linken Arm an das Tauwerk klammerte und mit der rechten Hand, die ein Beil schwang, sich gegen die Streiche verteidigte, welche zwei andere Menschen auf ihn führten, von denen der eine der Kapitän war, der andere Peppino, genannt Rocca Priori.

Die Matrosen rannten wie außer sich von einer Seite zur anderen, schrien, gestikulierten, flehten den Himmel um Gnade an und überließen sich dem Entsetzen, welches der erste Angstschrei Danglars ihnen eingeflößt hatte.

Die Jacht wirbelte ungesteuert auf den Gewässern umher, solange dieser Auftritt der Verwirrung dauerte.

Endlich ertönte ein durchdringender Schrei, ein Angst- und Todesschrei, der alles andere Geräusch überbot.

Nach diesem Schrei verstummten alle Stimmen. Bald darauf vernahm man die des Kapitäns, der rief: »Achtung, Kameraden! Die Focksegel angezogen, denn es ist möglich, dass der Sturm ausbricht! Mut! Es ist nichts! Es steht einer am Steuer, der ein ganzer Seemann ist!«

Die Matrosen gehorchten, und die Jacht, welche durch eine geschickte Hand gesteuert wurde, blieb während des Sturmes beigelegt, da sie sich demselben aus Mangel des Windes nicht zu entziehen vermochte.

Benedetto stand noch immer an demselben Platz, als ob eine höhere Macht ihn abhielte, sich davon zu entfernen. In seiner Umgebung ging etwas Grässliches vor, das er mehr erriet, als er es verstand, denn sein Geist harmonierte mit dem Sturm und wurde durch einen einzigen Gedanken in Anspruch genommen.

»O, mein Gott,« murmelte er, »ich erkenne die grenzenlose Macht deines Willens, welche die Elemente aus der Tiefe des Abgrundes bis zu der Höhe des Himmels aufwühlt! Ich hatte noch nie diesem fürchterlichen und dennoch so schönen Schauspiel beigewohnt, in welchem sich die Kraft deines Armes offenbart! Verzeih mir daher, wenn ich nur allzu oft die Existenz deines wesenlosen Seins geleugnet habe! Wenn du den Menschen nicht verurteilst, den ich verfolge, wenn er deinen Schutz verdient, ungeachtet des unschuldigen Blutes, mit welchem er seine Hand besudelte, dann zerschmettere und vernichte in diesem Augenblick diese zerbrechlichen Bretter, auf denen ich mich über dem Abgrund erhebe! Aber die Feuerstrahlen, welche rings um mich her in das Wasser niederschießen, scheinen mich zu meiden! Ich bin also der furchtbare Erwählte deines gerechten Willens, unbarmherzig die Gottlosigkeit zu züchtigen, die dich in einem Kind verletzte, welches das Schwächste deiner ganzen Schöpfung auf Erden war, wie du das mächtigste aller Wesen im Himmel bist! Eduard – Eduard! Mein Bruder, ich habe dich nie gekannt, noch umarmt, aber dein Blut, ja dein Blut war auch das meine! Ha! Du rufst nach Rache? Gut! Gott wird deinen Mörder nicht ungestraft lassen!«

Als Benedetto darauf von seiner erhöhten Stellung niederschritt, um zu prüfen, was dort in geringer Entfernung zu seinen Füßen vor ihm lag, das heißt, die Leiche des unglücklichen Danglars, trat ein anderes Ereignis ein.

Wie der Kapitän es vorausgesehen hatte, peitschte der Wind die Wellen auf und vermehrte dadurch das Entsetzen des Sturmes.

Die Jacht, deren kleines Focksegel bis auf die letzten Falten eingezogen war, schaukelte auf den Wogen, die sich um seinen Kiel bildeten, und wurde wechselweise vorwärts und zurück getrieben, ein trauriges Spielzeug der Wut des Sturmes.

Der Kapitän, der fest auf seinem Posten stand, lauschte seit einigen Augenblicken mit besorgtem Ohr auf ein undeutliches Geschrei und Gestöhne, welches die Windstöße ihm aus der Ferne zuzutragen schienen. Dieses Geschrei, das zuweilen schwach und kaum hörbar war, glich den Klagen von Menschen in Todesangst. Dann wieder wurde es kräftig, schneidend, durchdringend und verriet die äußerste Verzweiflung derer, welche zum letzten Mal Hilfe von den Menschen erflehten, ehe sie dieselben von Gott erbitten wollten.

Das scharfe Ohr des Kapitäns erfasste die geringsten Töne, welche ihn über die bestimmte Richtung belehren konnten, in der die Katastrophe stattfand, denn er wusste bereits mit Gewissheit, dass es sich hier um ein Unglück handelte, welches irgendeinem Schiff begegnet war.

Seinen verständigen Blick auf den Kompass richtend, erteilte er den Befehl, die Focksegel etwas unter Wind zu brassen, und wartete dann mit Besorgnis darauf, ob das Schiff dem Steuer gehorchen würde.

Plötzlich wiederholte sich das Geschrei, welches er gehört hatte, stärker und deutlicher in der Richtung, von wo der Wind kam, und der Kapitän erkannte sogleich die gefährliche Nähe eines großen Schiffes.

In der Tat bemerkten alle bei dem grellen Schein eines Blitzes mit Entsetzen eine finstere Masse, und nun wurden ganz deutlich eine Menge klagender Stimmen vernehmbar, die um Hilfe flehten.

Benedetto, der sich an den Mast seiner Jacht geklammert hatte, vernahm voll Rührung einen Schrei, der alle anderen übertönte. Er hörte eine Stimme, welche mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes die Worte ausstieß: »Meine arme Mutter! Gott gestattet nicht, dass wir uns wiedersehen und umarmen können!«

Diese Worte erweckten ein schmerzhaftes Echo in dem Herzen Benedettos. Das Wort Mutter ließ ihn erbeben! Es war ohne Zweifel ein Sohn, der nach langer Abwesenheit in die Arme einer zärtlichen Mutter zurückkehren wollte und der, vielleicht dem Ziel seiner Reise nahe, den Schlag, der ihn vernichten sollte, auf sich niederfallen sah.

»Ach«, flüsterte er, »das Geschick hat auch mir nicht gestattet, die Frau zu sehen, die mir das Leben gab! Ach! Gott möge mir das Glück gewähren, nicht zu sterben, ohne sie kennengelernt zu haben, und wäre es auch nur für einen Augenblick! Wer doch diesen Unglücklichen der Drohung seines Schicksals entreißen könnte!«, fuhr er fort.

Mit jener unwandelbaren Kaltblütigkeit und jener mutigen Geistesgegenwart, welche den Seemann charakterisieren, der daran gewöhnt ist, beständig mit der Gefahr zu kämpfen, erkannte der Kapitän die Unmöglichkeit, sein Schiff vor dem nahen Schiffbruch zu bewahren, und arbeitete deshalb nur daran, den furchtbaren Zusammenstoß der beiden Schiffe zu vermeiden, indem er mit Geschicklichkeit und Schnelligkeit ein Manöver ausführte. Gleichwohl war dieses nutzlos, denn das Schiff, welches die Wogen über die Jacht erhoben hatten, stürzte plötzlich in den Abgrund, der sich zwischen den beiden beweglichen Bergen gebildet hatte, hinab, und die gebrechlichen Bretter zerschmetterten mit furchtbarem Gekrach.

Alle die Unglücklichen stießen einen Schrei aus – ihren letzten! Dann war es eine Zeit lang still.

Alle auf der Jacht schienen sich schweigend den traurigen Betrachtungen zu überlassen, welche dieser entsetzliche Auftritt in ihnen erweckte, als die gebieterische und kräftige Stimme Benedettos die Matrosen dem Zustand der Betäubung entriss, in welchen das Schauspiel der Vernichtung sie gestürzt hatte.

»Die Schaluppe in das Meer!«, schrie er, indem er hastig mit eigener Hand die Taue durchhieb, welche das Boot befestigten.

»Die Schaluppe in das Meer!«, wiederholte der Kapitän mit spöttischem Gelächter. »Sehen Sie denn nicht die Wogen?«

»Wer spricht hier?«, rief Benedetto mit drohendem Ton, indem er den Kopf nach jener Richtung wendete, von wo diese Bemerkung kam.

Niemand antwortete.

»Auf, Peppino!«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. »Der Augenblick ist erschienen, den Mut der Leute auf die Probe zu stellen! Wer ein Mann ist, springt in die Schaluppe und rudert ohne Furcht! Ha, es erscheint keiner? Das sind also deine unerschrockenen Menschen? Schwach und feige wie die Kinder! Nun wohl, ich gehe hinab in die Schaluppe, denn mich erschreckt das Meer nicht, mich setzt die Finsternis nicht in Furcht! Rocca Priori, folge mir! Lass uns hinab – hinab – noch höre ich das herzzerreißende Geschrei eines Menschen, der nach Hilfe ruft.«

Peppino sprang, ohne zu zögern, mit seinem Hauptmann in die Schaluppe und ergriff das Ruder, mit dem er über die empörten Wogen zu triumphieren hoffte.

Die übrige Mannschaft sah das kleine Boot mit den beiden Männern, die darin saßen, verschwinden, ohne die geringste Hoffnung, sie wiederzusehen, denn das Meer ging entsetzlich hoch, und der Kapitän rief den Himmel zum Zeugen an, dass eine solche Verwegenheit einem sicheren Tod gleichkomme.

Unermüdlich und schön in seinem Mut ruderte Benedetto, unterstützt durch Peppino, in der Richtung vorwärts, aus welcher er das unterdrückte Geschrei eines sinkenden Schiffbrüchigen vernommen zu haben glaubte.

Weder das Feuer, welches die Wolken mit unwandelbarer Wut aus ihren zerrissenen Schleiern sprühten, noch die Ströme von Regen, noch das rasende, tobende Meer, schüchterten Benedetto ein, der inmitten des Sturmes, beinahe allein, stolz und erhaben dastand.

Peppino bemerkte mit Staunen die Verwegenheit dieses Menschen und fühlte sich durch ihn zu dem gewaltigsten Kampf gegen die Wut der Elemente begeistert.

Wechselweise zu dem Gipfel der schäumenden Wogen hinaufgeworfen oder in den Abgrund derselben hinab geschleudert, ruderten sie ohne Unterlass in der Richtung, von woher noch fortwährend das Geschrei ertönte. Die Hilferufe wurden immer schwächer, immer unverständlicher.

Benedetto antwortete mit lauter Stimme dem Unglücklichen, der nach Hilfe rief: »Mut! Gott sendet dir seinen Beistand!«