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Der Freibeuter – Liebessegen

Der-Freibeuter-Zweiter-TeilDer Freibeuter
Zweiter Teil
Kapitel 9

Der bewusstlose Engländer wurde von Tagelöhnern gefunden und zum Pfarrer des Ortes gebracht. Hier fiel er in ein hitziges Fieber und lag mehrere Wochen lang mit dem Tode ringend darnieder. Erst als der Frühling seinen segenbringenden Odem über die Erde hauchte, durfte er daran denken, seinen Wanderstab weiterzusetzen. Während der Zeit seiner Genesung hatte er sich oft mit seinem teilnehmenden Wirt, dem Pfarrer, unterhalten, und dieser hatte auf unschuldige Weise des Engländers Liebe und den Namen seiner Geliebten entdeckt. Von der Dürftigkeit des Wiedergenesenden gerührt und von der Sorge um sein ferneres Wohl bewogen, hatte der würdige Mann heimlich an Christine von Ove geschrieben. Eines Tages fuhr ein Wagen vor dem Pfarrhaus vor. Ein Mann stieg aus und kündigte sich als Haushofmeister im Hause des Statthalters von Gabel und als Christines Abgesandter an. Er brachte von Christine Briefe an den Pfarrer und an Palmerston. Der Letztere, höchlichst überrascht, verschlang die Zeilen, deren Geist sich ihm wie ein lebenspendendes Fluidum mitteilte. Sie schrieb ihm, wie sie von seinem treuen Begleiter Courtin das Etui mit der Nachricht seines wahrscheinlichen Todes erhalten und sich der stillen Trauer über ein so trübes Geschick überlassen habe, aus welcher sie nun des Pfarrers Brief umso angenehmer gezogen und ihr die Hoffnung des Wiedersehens umso süßer bereitet haben. Ferner, dass der Statthalter sein in der Nähe der Stadt liegendes Gartenhaus zu seinem Empfang einrichten lasse. Dort habe er Muße, im Schoße des Frühlings, frei von kleinlichen Sorgen, seine Genesung abzuwarten. Palmerston sah in der ersten Aufwallung der Freude nicht die schüchterne Feinheit, womit jedes Wort des Briefes abgewogen war. Er nahm gerührt von dem Pfarrer Abschied, dessen Wohltätigkeit durch die Hand des Haushofmeisters vergolten ward und eilte viel tausendmal auf Amors Flügeln der Geliebten zu, ehe der Wagen über den Kattegat gesetzt wurde und Kopenhagen erreichte.

Verblichen waren nun wieder alle Bilder von Schlachten und Siegen, Macht und Größe, die schimmernden Geburten der Nachtseite der Phantasie vor den Strahlen der Liebessonne, die rein und stark am blauen Himmel seiner Zukunft aufgegangen war. Es waren wieder die zarten weichen Fäden der Hoffnung auf ein stilles, häusliches Glück, die ihn, den vor wenigen Wochen noch an allem Bezweifelnden, von Neuem an das Leben und seine edlen Freuden banden.

Die schönen Gegenden der Insel Rügen schwebten ihm wieder vor, oder er dachte daran, in einer der heimlichen Buchten an den Ufern Schwedens oder Norwegens ein stilles Haus zu bewohnen und mit seiner Christine darin glücklich zu sein und sich nie mehr zu bekümmern um den Streit der Könige der Erde. Dieser Wechsel der Gefühle und Überzeugung und die Heftigkeit, mit welcher er das eben Erfasste gleichsam umstrickte, entsprang teils der Wankelmütigkeit seines Charakters, teils seinem bösen Schicksal, das ihn anfangs in eine andere Bahn warf, für die ihn weder Recht noch Gesetz, noch seine eigene Neigung bestimmten. Und da auch die Letzteren miteinander im schroffsten Widerspruch standen, und das Schicksal nie müde ward, ihn aus einer Lebenslage in die andere zu schleudern, so beherrschte diese Unbeständigkeit endlich sein Gemüt so sehr, dass man ihn heute wie ein Kind sanft und weich, morgen wie einen Krieger rau und hart, heute von Schlachten träumend, morgen sich nach der friedlichen Flur unter Lämmer sehnend, fand.

Glücklich kam er im Landhaus des Vizestatthalters an, desselben Mannes, in dessen Haus er schon Gastfreundschaft genossen, dessen Tochter er zu lieben gewähnt, die er hatte rauben lassen, um sie zur Liebe zu zwingen, oder um sich wegen vermeintlichen Hohns an ihr zu rächen, dessen Pflegetochter er wirklich geliebt hatte, nach deren Kuss er nun schmachtete. Er fühlte sich wohl, als er wahrnahm, dass die Hand zarter Teilnahme alles für seinen längeren Aufenthalt bequem und freundlich eingerichtet hatte. In zwei prächtig ausgestatteten Zimmern fand er eine auserlesene Bibliothek, eine Laute und eine Flöte mit den besten Musikalien, in seinem Wohnzimmer duftete manche Blume, und sein Auge las manche schöne Bedeutung aus ihrer Zusammenstellung. Ein junger Mann hatte ihn aus dem Wagen gehoben und sich ihm als sein Diener vorgestellt. Im Zimmer selbst empfing ihn ein vornehm gekleideter Mann, den er als den Hausarzt des Statthalters wiedererkannte. Dieser erkundigte sich nach dem Befinden des Lords, verordnete und sagte seinen täglichen Besuch zu. Aber weder der Vizestatthalter noch dessen Mündel erschienen, ihn zu begrüßen. Als er am anderen Morgen erwachte, fiel es ihm schwer aufs Herz, dass er Christine noch nicht gesehen hatte, und er fragte den Diener mit einer nicht zu überwindenden Schüchternheit nach ihr. Er zitterte, als er ihren Namen aussprach.

»Das gnädige Fräulein erwartet nur Eurer Lordschaft Befehl«, versetzte der Diener, und diese Antwort erregte in Palmerstons Brust ein wehes Gefühl.

»Sag ihr, dass ich ihrer mit Sehnsucht harre«, versetzte er, und der Diener ging.

Nach zwei quälend langen Stunden erschien der Diener wieder und meldete, Fräulein von Ove ließe um Erlaubnis bitten, Sr. Gnaden aufwarten zu dürfen. Ihm war, als würde ihm ein Stück vom Herzen geschnitten. Der Augenblick war da, nach welchem sich seine Seele gesehnt hatte. Die Liebliche sollte ihm gegenüberstehen, die er als den Eckstein betrachtete, auf welchen er den festen Bau seines stillen Glücks aufzuführen gedacht hatte, und diese Kälte, welche die jungen, sorgsam gepflegten Sprösslinge seines neuen Lebensmutes für immer mit eisigem Hauch zu verderben drohte! Er eilte ohne ein Wort zu erwidern hinaus. Christine stand im Vorzimmer.

»Mein Fräulein …«, stammelte er und vermochte nicht, weiterzureden.

»Sie haben befohlen, Mylord«, versetzte sie, sich verbeugend, und wusste nicht, wohin sie vor Verlegenheit die Augen wenden sollte.

„O Gott, Christine! Welche Sprache!«, rief er schmerzlich. »Wollen Sie mir die kaum verharschten Wunden aufreißen? Ach, wozu mich erst heilen, um mich dann dem Tode zu weihen! Will der Arzt meiner Seele der Mörder meines Lebens werden?«

»Ich bitte Sie, Mylord, fassen Sie sich! Sie verdammen mich, ehe Sie mich gehört haben. Kommen Sie!« Sie zog ihn ins Zimmer.

»Christine«, sagte er hier ruhiger, und nahm beide Hände der Dame mit wehmütiger Herzlichkeit. »Ich habe Ihnen das stille Geheimnis meiner Liebe verraten. Sie wissen es, dass ich nur in Ihnen lebe, und doch treten Sie mir so kalt entgegen.«

»O welcher Vorwurf! Gott ist mein Zeuge, dass ich ihn nicht verdiene.«

»Aber warum eilen Sie nicht, den bräutlich zu empfangen, den Sie dem Leben wieder gewonnen haben? Ich bin Ihr Geschöpf, fühlen Sie als meine Gottheit nicht das Bedürfnis, Ihr Werk zu krönen, Ihr Geschöpf ganz glücklich zu machen? Was hält Sie so fern von mir?«

»O Himmel!«, seufzte Christine. »Haben Sie mir nicht selbst Ihr Etui gesandt? Betrauerte ich Sie nicht als einen Toten und das Etui als ein mir gehöriges Vermächtnis? Und durfte ich es denn als solches nicht durchblättern? Ich habe alles gelesen. Ich weiß, welch ungeheures Schicksal Sie verfolgt hat. Ich weiß, wer Sie sind, und nun, da ich, die Glückliche, Sie noch unter den Lebenden sehe, nun darf ich ja nicht, wie … wie mir mein Herz geboten hätte!«

»Ist es das?«, sagte Palmerston erfreut. »Die Gewohnheit hat mich annehmen lassen, der Inhalt jenes Büchleins sei nur mir bekannt. Aber vermag Sie mein Geheimnis von mir zurückzuscheuchen? Christine, ich habe allen Ansprüchen entsagt, zu welchen diese Papiere mich berechtigen.«

»Das dürfen Sie nicht! Der Schwedenkönig ist Ihr mächtiger Freund. Die Kraft seines Armes kann Sie in Ihre Rechte einsetzen.«

»Ich bedarf seines Armes nicht. Ich bedarf nur dieser Hand, um glücklich zu sein. Werden Sie sie mir entziehen, Christine?«

»Großer Gott! Ich darf ja nicht. O hätte ich die unseligen Papiere nicht gelesen!«

»Was würden Sie dann getan haben , wenn ich vor Ihnen gestanden und gefleht hätte: Christine, ich liebe dich. Werde meine Frau! – Was würden Sie getan haben?«

Das Fräulein kämpfte mit sich.

»Lassen Sie Ihr Herz allein reden. Ich beschwöre Sie!«

Da entwölkte sich ihre kleine Stirn. Die Natur siegte über Menschensatzungen und Vorurteile. Die lachende Blüte ihres Frohsinns entfaltete sich auf ihrem milden Gesicht. »Ich würde Ihnen an die Brust gefallen sein und froh gerufen haben: Ich bin dein! Ich liebte dich still und innig, seit ich dich zuerst sah. Ich will dein treues Weib sein.«

»Komm in meine Arme, süßes Mädchen!«, rief Palmerston entzückt. »Fort mit diesen unseligen Dokumenten! Jeder Buchstabe derselben stellt sich als ein Dämon zwischen uns, um uns zu trennen. Wo sind sie? Gib mir das Etui, Christine! Ich will sie vertilgen«

»Nimmermehr, Mylord«, rief das Fräulein, »ich würde mir es nie verzeihen, Ihnen den Weg versperrt zu haben, der Sie zum Gipfel der Macht und des Glückes führt, auf welche Ihre Geburt und Ihre Talente die heiligsten Ansprüche haben. Mylord, Sie sind geschaffen, ein Volk zu beglücken, nicht ein armes unbedeutendes Mädchen, welches nie zu träumen gewagt hat, Ihnen zu gefallen, selbst als ich noch nicht wusste, wer Sie sind, und deren Leben ferner das süße Bewusstsein, Gnade vor Ihren Augen gefunden zu haben, mit dem Rosenlicht einer stillen Glückseligkeit überstrahlen wird.«

»Nichts von solch kalter Entsagung, Christine! Sie dürfen so nicht fühlen. Sie fühlen auch nicht so. Ich weiß, dass Sie mich heiß und innig lieben. Ich liebe Sie rein und wahrhaftig. Von meinen Ansprüchen weiß die Welt nichts. Wer kann behaupten, dass ich sie jemals würde haben geltend machen können? Vor dem Allmächtigen gilt gewiss ein reines Herz mehr als eine Krone, und auch mir gilt es mehr, wenn dies Herz mit edlen Trieben sich zum reinen Herzen neigt. Christine, lass mich nicht vergeblich stehen, gib mir deine Hand und vergönne, dass uns priesterlicher Segen auf ewig verbinde. Die Papiere meiner Schreibtafel sollen uns als Hochzeitfackel leuchten.«

»Die Stunde der Reue könnte früh oder spät diese Voreiligkeit furchtbar bestrafen. Ich gebe Ihnen das Etui nur für das heiligste Besprechen zurück, dass Sie auch das kleinste Papier als ein unverletzbares Heiligtum bewahren. Schwören Sie mir, Mylord, diese Dokumente in Ehren zu halten, komme es mit uns auch, wie es wolle.«

»Und Sie wollten mich aus missverstandener Großmut, mit vorurteilsvoller Resignation um mein Lebensglück betrügen? Christine! Von Stürmen gepeitscht wollte mein leckes Schifflein in deinem Hafen einlaufen, ich wollte mir eine friedliche Hütte auf dem Boden deines Herzens bauen und die fernen Reiche und Inseln vergessen, von denen mich früh schon ein Orkan vertrieb, und du wolltest mir den Hafen verschließen, wolltest mich wieder hinaus jagen in das empörte Meer? Ach, die Wasser werden mitleidiger sein als du: Sie werden über dies glühende Herz hinfluten, und niemand wird etwas von dem unglücklichen Jüngling wissen, der ein Spielball des Schicksals, einst sich an ein liebendes Herz anklammern wollte, das ihn aber von sich stieß mit den grausamen Worten: Ich liebe dich, aber mir ist nicht Macht gegeben, dich von deinem Verhängnis zu befreien.«

»Halten Sie ein, Mylord!«, unterbrach Christine den Fluss seiner Rede. »Ich sprach diese Worte nicht. Ich verlangte, dass Sie mir zuschwüren, niemals die Dokumente zu vernichten, welche dieses Etui enthält. Schwören Sie mir und hören Sie dann die Erklärung meines Herzens.«

»Ich schwöre es bei meiner Liebe.«

»Die Liebe kann vergehen. Sie ist in Männerherzen dem Wechsel der Zeiten unterworfen. Nur das edle Weib liebt treu und ewig.«

»Ich werde dich treu und ewig lieben. Doch ich schwöre bei meinem wunderbaren Geschick.«

»Ihr Schicksal kann sich ebnen und zu Ihrer vollkommensten Zufriedenheit führen.«

»Nun so schwöre ich bei Gott, in dessen Vaterschoß wir alle ruhen.«

»Gott ist ewig und unwandelbar. Sei es so Ihr Schwur. Hier ist das Etui. Und hier ist meine Hand, deren unumschränkte Herrin ich bin. Sie ist von dieser Stunde an die Ihre. Christine wird Ihr Weib, Mylord, doch unter der einen Bedingung – und diese ist unerlässlich – dass ich zurücktreten darf, sobald ich Ihrem höheren Beruf im Wege zu stehen glaube. Nein, wenden Sie mir nichts ein! Die politischen Verhältnisse können sich ändern, das Unwahrscheinliche kann wahr werden, dann will ich nicht wie das Zentnergewicht des Fluchs an Ihren Fersen hängen und Sie in den Staub zurückziehen, wenn Sie mit neuem Fittich den glücklichen Flug nach dem schönen Ziel beginnen. Ich weiß es, Ihre Großmut und Ihr Edelsinn würden die Stützen Ihrer Liebe sein, allein Sie würden sich doch nie verhehlen können, dass ich das hemmende Gewicht sei, und mir, mir wäre der Gedanke schon unerträglich. Ich würde namenlos unglücklich sein, denn ach! Ich liebe Sie zu sehr, Mylord, als dass ich einen Augenblick anstehen könnte, Ihrem höheren Lebensglück alles zu opfern. Lassen Sie dann das Herz Ihres Weibes den Göttern ein Opfer sein, um ihren Segen auf Ihr Haupt herabzuflehen.«

»Christine!«, rief Palmerston schmerzlich.

»Versprechen Sie!« rief sie, »oder nie kann ich die Ihre werden.«

»Ich verspreche!«, sagte er wehmütig und reichte ihr die Hand. »Es wird sich alles finden«, setzte er dann, sich gleichsam selbst beruhigend hinzu.

»Und nun bin ich die Ihre«, schmeichelte das sanfte Mädchen, mit einem liebenswürdigen Anflug von neckischer Schelmerei und dem schämigen Erröten einer jungfräulichen Braut. »Hier haben Sie mich. Was wollen Sie doch mit einem so kleinen eigensinnigen Ding anfangen?«

Er schlang beglückt seinen Arm um ihren Hals und sah ihr tief in die klaren Spiegel ihrer Augen.

»Ich will, dass du mich glücklich machst«, entgegnete er. »Sieh, also hat mein Eigennutz dich nur an mich gefesselt.«

»Als ob ich nicht unaussprechlich glücklich wäre! Als ob ich die Größe des Opfers nicht zu schätzen wüsste, was du mir bringst.«

»Nichts mehr davon!«, rief er launig und schloss ihr den Mund mit Küssen. Die reine Flamme der Liebe loderte nicht mehr zurückgedrängt von dem seitabgewälzten Felsen menschlicher Vorurteile, der störend, eine widrige Last, zwischen zwei für einander geschaffenen Herzen gelegen hatte.

Palmerston erfuhr von seiner Geliebten, dass Friederike von Gabel wieder im Haus ihres Vaters lebe. »Kaum«, erzählte das Fräulein von Ove, »hatte ich durch den französischen Schiffsmann Nachricht von Ihrem Unfall erhalten, als ich sichere Leute nach Jütland sandte, um Sie zu suchen. Aber sie waren noch nicht mit der traurigen Kunde zurückgekehrt, dass keine Spur von Ihnen zu entdecken sei und Sie wahrscheinlich erschlagen und begraben wären, als Friederike plötzlich in unserer Mitte erschien. Sie war still und würdevoll. Über ihr Verschwinden im vergangenen Herbst gab sie nur ungenügenden Aufschluss. Mir eröffnete sie heimlich und mit Leidenschaftlichkeit, was ich bereits durch den Bootsmann Courtin in Bezug auf Sie erfahren hatte. Friederike wusste ihre Nachrichten von Ihrem zweiten Gefährten, dem Kammerdiener Ankarfield, welcher glücklich in Stockholm angelangt war. Diese Nachrichten waren es, welche sie wieder nach Kopenhagen getrieben hatten. Sie hatte nicht sobald von meinen zurückgekehrten Boten erfahren, dass allerdings Leichname in jenem Raub- und Mordnest gefunden worden seien, worunter aber Lord Palmerston sich nicht befände, als sie auch – dieser Aussage misstrauend  – ohne Verzug aufbrach, um sich an Ort und Stelle zu überzeugen. Sie kehrte zurück, aber obgleich sie die Leichen alle wieder hatte ausgraben lassen, obgleich sie in der Nachbarschaft Nachforschungen nach Ihnen angestellt hatte, so hatte sie doch keine Spur von Ihnen entdeckt. Natürlich – der Pfarrer, bei welchem Sie wohnten, hatte, nachdem er Ihnen angemerkt, dass Sie eine Person von Bedeutung feien und sich auf feindlichem Grund und Boden befänden, jene Nachforschungen, Schlimmes für Sie fürchtend, irregeleitet. So hat er mir selbst geschrieben. Friederike lebte zurückgezogen und verschlossen, und ich vermutete, Liebe zu Ihnen habe in ihrem Herzen gekeimt. Da wir beide Sie als tot betrauerten, so nahm ich keinen Anstand, offen mit ihr darüber zu reden. Aber mit Bestimmtheit erklärte sie, nie mehr als Freundschaft und Hochachtung für Sie gefühlt zu haben. Es ergab sich durch gegenseitige Herzensergießungen, dass Friederike ebenso gut in Ihr Geheimnis eingeweiht war wie ich, und sie erzählte mir die Geschichte ausführlich. Sie sprach auch viel von Ihrer Liebe zu mir, Mylord, ach! Und dann flossen meine Tränen. Auch Friederike vergoss oft Tränen, wenn wir allein waren – so sehr hatte sich ihr Charakter geändert. Als ich in sie drang, verhehlte sie mir nicht, dass sie einen Mann mit der heftigsten Leidenschaft liebe, den sie nie besitzen könne.«

»Kapitän Norcroß!«, rief der Lord. »Er war schon mit einem Fräulein Broke verlobt.«

»Sie hat den Gegenstand ihrer glühenden Liebe nicht genannt, aber geschworen hat sie hoch und teuer, nie einem anderen Manne anzugehören, und ich weiß, sie wird Wort halten. Ich kenne die Stärke ihres Charakters.«

»Und wie befindet sie sich jetzt?«, fragte Palmerston mit Teilnahme.

»Ihr Stolz ist gebrochen, aber sie bewahrt noch die unbeugsame Charakterfestigkeit. Streng meidet sie die Gesellschaft aller Leute, die zum Hof gehören, mich ausgenommen. Als der Kammerfunker Raben, ihr sonstiger Bräutigam, es wagte, sich zu ihr zu drängen, bat sie ihn kalt und höflich, ihr Zimmer zu verlassen, weil sie mit ihm nichts gemein habe. Als er darauf nicht ging, stand sie ruhig auf, fasste ihn beim Arm und schleuderte ihn mit solcher Kraft hinaus, dass er fast ein Unglück genommen hätte. Der Kammerjunker ist seitdem bemüht, die schmählichsten Gerüchte über sie auszubreiten, in welchen jener Engländer, der sie uns im vorigen Herbst entführte, eine sie kompromittierende Rolle spielt. Auch sagt er allgemein, sie sei nicht bei Verstand. Er hat es wirklich so weit gebracht, dass sie in Kopenhagen für verrückt gilt. Sie aber kümmert sich um nichts, sondern reitet allein aus, liest, spielt die Laute und beschäftigt sich mit weiblichen Arbeiten.«

»Möge der Himmel auch ihr günstig sein. Sie verdient es!«, sagte Palmerston, und seine sanftmütige Braut stimmte von Herzen diesem Wunsch bei.

Spät verließ die glückliche Christine ihren glücklichen Geliebten, und eine Nacht mit gesundem Schlaf und seligen Träumen stärkte ihn. Gesund stand er auf und ließ seine erste Sorge sein, dem Freiherrn von Gabel, Christines Pflegevater, seine Verbindung mit dieser zu melden und um seine Einwilligung zu bitten.

Friederike überbrachte sie mit Christine. Über Friederikes Wesen lag ein düsterer Ernst. In schwermütig gefärbter Unterhaltung verstrich ihnen der Tag.

Die Verbindung des Lords Palmerston mit dem Fräulein Christine von Ove wurde nach erlangter Einwilligung der Königin dem Hof gemeldet und war ein paar Tage das Gespräch desselben. Man zerbrach sich den Kopf, wo doch der Lord die Zeit über, wo man nichts von ihm gehört noch gesehen hatte, gewesen sein mochte. Er war verschwunden wie ein Geist und hatte sich bei niemandem beurlaubt. Er war wieder erschienen wie ein Geist und hatte sich bei niemandem gemeldet. Man wusste nur zu gut, mit welcher Leidenschaft er Friederike den Hof gemacht hatte. Und nun heiratete er Christine, während doch Friederike, Zeit seines Ausseins, ebenfalls auf eine rätselhafte Weise abwesend gewesen und kurz vor ihm wiedergekehrt war. Überdies ruhte auf diesem Verschwinden ein Schleier, der lockte und reizte. Und wie verändert war Friederike wiedergekommen! Wie deutlich legte sie ihre Verachtung des Hofwesens an den Tag! Das alles waren Dinge, die einen Hof einige Tage in Alarm bringen konnten, und mit Spannung erwartete man den Tag, an welchem das Brautpaar dem Hof vorgestellt werden sollte.

Wenn die Frühlingssonne Blätter und Blumen hervorlockte, sehnte sich der bleiche junge Mann in die freie Natur, um auch sich Rosen des neuen Lebens auf die Wangen zu sammeln. Von zwei ihm befreundeten Genien begleitet, trat er dann in die zum Hochzeitfest geschmückten Gemächer. Es war seine Braut, an der sein Leben nun so innig hing, gefesselt von den sanften Banden einer herzlichen Liebe. Es war das Mädchen, welches er einst mit der Glut hoher Leidenschaft geliebt hatte, und dem er nun mit den Gefühlen aufrichtiger Freundschaft zugetan war. Auch wenn Friederikes Ernst auf diesen Spaziergängen nur Molltöne in des Genesenden Brust goss, so belebte sie Christines Heiterkeit und zog seine Seele auf die bunten Wellen der Freude. So wurde ein vollendetes Ganze, eine heiter-ernste Einheit der Gefühle daraus, die den Geist zugleich kräftigte und ergötzte und wohltätig auf Palmerstons geistige und körperliche Stimmung wirkte.