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Der Teufel auf Reisen 36

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Siebentes Kapitel – Teil 5
Des Teufels Anteil

Am anderen Tag ging die Witwe in den Vormittagsstunden aus. Fern von ihrer Wohnung nahm sie einen Fiaker und befahl dem Kutscher nach einer Straße, die fast schon außerhalb der Barriere lag, zu fahren. Vor einem vierstöckigen Haus hielt sie an und trat in dasselbe.

»Wohnt hier der Baron von Rodenwald?«, fragte sie den Portier.

»Ja, Madame, in der dritten Etage, rechts.«

»Ist er zu Hause?«

»Ich glaube bestimmt, wenigstens habe ich ihn noch nicht herunterkommen sehen.«

»Wollen Sie ihm diese Karte geben?« Frau Lagemann ließ gleichzeitig in die Hand des Mannes ein Zweifrankenstück gleiten.

»Zu Ihren Diensten, Madame, haben Sie die Güte für einen Augenblick in meine Loge zu treten.«

Der Baron hatte gerade seine Toilette beendet, als der Portier eintrat.

»Was bringen Sie?«, fragte er in seinem gewöhnlichen vornehmen Ton.

»Eine Dame wünscht Sie zu sprechen. Sie beauftragte mich, Ihnen diese Karte zu überbringen.«

Kaum hatte Rodenwald einen Blick auf dieselbe geworfen, als er einen leisen, gedehnten pfeifenden Ton ausstieß.

»Große Ehre«, bemerkte er, »gehen Sie und berichten Sie, dass ich sogleich selbst erscheinen würde.«

»Das hat etwas zu bedeuten«, murmelte er, indem er die Treppe ziemlich rasch hinunterstieg. »Wie kommt Frau Lagemann dazu, mir einen Besuch abzustatten?… Also die Ohren gespitzt, alter Fuchs, vielleicht gibt es dabei etwas zu verdienen und Geld könnte ich gerade in diesem Augenblick dringend gebrauchen!«

Tief und unter allen Formen der Galanterie verbeugte er sich vor seinem Besuch.

»Welche unerwartete Ehre, gnädige Frau – wie, Sie selbst bemühen sich hierher, während es ja Ihrerseits nur eines Winkes bedurfte, um Ihren untertänigen Diener zu sich zu bescheiden?«

»Dies lag aber eben nicht in meiner Absicht«, antwortete die Dame, »ich zog es vor, Sie selbst aufzusuchen.«

»So?«, stieß der Baron ziemlich gedehnt heraus und blickte dabei die Witwe mit seinem verschmitzten Gesicht pfiffig an. »Haben Sie Zeit, mich auf einige Minuten anzuhören?«

»Einen ganzen Tag, wenn es sein muss. Darf ich mir erlauben, Ihnen meinen Arm anzubieten?«

Galant führte er Frau Lagemann die Treppen hinauf und öffnete sehr chevalereske sein Zimmer.

»Darf ich bitten, einzutreten. Ich hoffe, Sie verzeihen es einem alten Junggesellen, wenn Sie es hier etwas unordentlich finden.«

»Große Geister sehen nicht viel auf das Äußerliche«, lautete die scherzhafte Antwort.

»Was steht nun zu Ihrem Befehl?«, fragte Rodenwald, nachdem er seinem Besuch einen Sessel angeboten und sich diesem gegenüber selbst niedergelassen hatte.

»Ich werde gerade auf mein Ziel losgehen«, antwortete die Witwe. »Sie kennen ja den Freiherrn von Hahnenfeder?«

»Allerdings. Ein charmanter, liebenswürdiger Kavalier.«

»Von was lebt er denn eigentlich?«

Der Baron horchte hoch auf. »Nun, doch wahrscheinlich von seinen Renten.«

»Hat er denn Vermögen?«

»Meine gnädige Frau, Sie verlangen von mir mehr zu wissen, als ich selbst weiß.«

»Halten Sie mich nicht für zudringlich, indem ich so frage. Ich rechne dabei auf Ihre Freundschaft und Nachsicht.«

»Erst muss sie ein Gebot machen, und dann werden wir ja sehen«, dachte der alte geriebene Industrieritter. »Nun, darf ich hoffen?«, fragte Frau Lagemann.

»Was denn?«

»Dass Sie mir über diesen Hahnenfeder reinen Wein einschenken.«

»Ich gerate wirklich in Verlegenheit.«

»Aber mir ist doch bekannt, dass Sie seine Vergangenheit ziemlich genau kennen«, bemerkte etwas ungeduldig die Dame.

»Und wenn diese mir gerade jetzt zufällig entfallen wäre?«, entgegnete Rodenwald lachend.

»Man sagt, der Freiherr lebe vom Spiel?«

»Wohl möglich. Von etwas muss der Mensch leben.«

»Sein Vater …«

»Oh, ein höchst achtenswerter, respektabler Mann, dieser Vater«, rief spöttisch der Baron.

»Nun, ich sehe wohl, ich muss es anders anfangen, um von Ihnen etwas herauszubekommen«, meinte Frau Lagemann. »Nennen Sie also die Summe, welche Sie verlangen, um mir über diesen Herrn von Hahnenfeder volle Aufklärung zu geben.«

Rodenwald grinste. »Das ändert die Sache«, bemerkte er mit unverwüstlicher Dreistigkeit.

»Nun also, die Summe?«

»Tausend Franken werden nicht zu viel sein, denn aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich hierbei doch um eine Familienangelegenheit?«

»Allerdings. Ich nehme keinen Anstand, Ihnen dies zu bekennen und rechne sogar, wenn dies erforderlich sein sollte, später auf ihren Beistand.«

Da der alte Fuchs sah, dass sein Besuch Anstalten machte, die geforderte Summe in Bankbillets aufzuzählen, so nahm sein Gesicht den Ausdruck eines sehr höflichen Entgegenkommens an. Mit einer geschmeidigen Verbeugung erwiderte er: »Sie können zu jeder Zeit auf meine Bereitwilligkeit rechnen, Ihnen zu dienen. Inzwischen bleibe ich Ihr Schuldner, das heißt, wohl verstanden, Ihr moralischer Schuldner.« Dabei strich er sehr gemütlich die geforderte Summe ein.

»Nun, was wissen Sie also über diesen Herrn, welchen ich schwach genug war, in meinem Haus Eingang zu gestatten?«

»Die Sache ist die, gnädige Frau«, erwiderte der Baron in einem höchst salbungsvollen Ton, »dass Hahnenfeder als Industrieller einen hervorragenden Platz einnimmt.«

»Wie, besitzt er denn Fabriken?«

Rodenwald zuckte mit den Achseln. »Es gibt eine gewisse Industrie, welche im Landsknecht, Pharo, Tempeln und anderen freien Künsten lebhafte Geschäfte macht. Natürlich muss man das Biegen und Volteschlagen dabei etwas verstehen, aber darin ist der edle Freiherr auch wirklich Meister.«

»Also ein Spieler von Profession?«, rief Frau Lagemann mit dem Ausdruck der Verachtung.

»Ihnen zu dienen. Bevor er hierher kam, plünderte er einen jungen Menschen vollständig aus und verließ hinterlistig ein Mädchen, dem er ein Eheversprechen gegeben hat.«

Die Witwe schauderte. »In welchen Abgrund blicke ich«, sagte sie.

»Jedenfalls in einen bodenlosen«, antwortete der Baron lachend. »Nun, ich darf doch mit Bestimmtheit auf Ihren Rat und Ihren Beistand rechnen, wenn ich denselben bedürfen sollte?«, fragte die Dame.

»Das ist selbstredend. Sie haben mich ja nunmehr gewissermaßen angeworben.«

»Dieses junge Mädchen, mit dem Hahnenfeder früher in einem näheren Verhältnis stand, sollte es nicht möglich sein mit demselben in engere Verbindung zu treten?«

»Oh, weshalb denn nicht. Bei all seiner Schlauheit ist er doch nach mancher Seite hin ein dummer Teufel. Es kostet mich höchstens eine Flasche Sekt, um die Adresse des Gegenstandes seiner früheren Neigung zu erfahren.«

»Können Sie mir dieselbe bis übermorgen besorgen? Natürlich werde ich mich auch hierfür nicht undankbar zeigen.«

»Gewiss, gnädige Frau, Sie dürfen sich darauf verlassen.«

»Aber wie sieht es denn mit dem Vater von diesem Freiherrn? Ich kannte ihn früher als einen Mann, der in guten Verhältnissen lebte. Auf seine Empfehlung habe ich seinem Sohn Zutritt bei mir gestattet.«

»Der Baron Hahnenfeder von Hahnenfelde«, erwiderte Rodenwald in seiner spöttischen Weise, »hat sich gegenwärtig von der Welt zurückgezogen. Er lebt in einem alten baufälligen, mit Stroh gedeckten Haus, welches jeden Augenblick ein tüchtiger Windstoß umwerfen kann, borgt, wo ihm etwas geborgt wird, und liebt seinen Sohn so zärtlich, dass er nicht den geringsten Anstand nehmen würde, gegen die Summe von etwa fünfzig Talern seinen wohlgeratenen Sprössling zu verraten oder zu verkaufen.«

»Mein Gott, welches Bild entwerfen Sie da!«, stöhnte Frau Lagemann.

Rodenwald zuckte sehr philosophisch mit den Achseln. »Es muss auch Schattenbilder geben«, bemerkte er trocken, »und ich glaube, dieser alte Hahnenfeder bildet schon den Mittelpunkt zu einem recht anziehenden Nachtstück.«

»Nun, ich darf also auf die Adresse rechnen?«, fragte die Witwe sich erhebend.

»Was ich verspreche, das halte ich auch.«

»Und mich sollen Sie nicht undankbar finden. Für jetzt empfehle ich mich Ihnen.«

»Ich weiß die Ehre Ihres Besuchs zu würdigen, gnädige Frau.« Der alte Fuchs verbeugte sich tief.

Als die Witwe sich entfernt hatte, stieß er wieder den früheren pfeifenden Ton aus.

»Kein Zweifel«, murmelte er, »es handelt sich um das alte alberne Mädchen, die über und über in diesen Hahnenfeder vernarrt ist und welche keinen Anstand nehmen wird, die erste beste Dummheit zu begehen, sobald er sie dazu auffordert. Frau Lagemann hat sich aber nobel gegen mich benommen und so will ich denn einmal eine Ausnahme machen und der Moral huldigen, indem ich dem edlen Freiherrn, welcher seit einiger Zeit gewaltig dicknäsig gegen mich tut, seine Beute abjagen helfe.«

Während Frau Lagemann im Stillen ihre Vorbereitungen traf und mehr wie sonst ein wachsames Auge auf Jacobine hatte, saß der alte Freiherr Hahnenfeder von Hahnenfelde in seinem mit Stroh ausgeflickten Haus und schickte seinem in Paris lebenden Sohn die schönsten väterlichen Grüße in der Form einer Flut der ausgesuchtesten Verwünschungen zu. »Der Ungeratene!«, rief er, »es ist herzbrechend, es ist unnatürlich, es ist haarsträubend, wenn man erwägt, wie dieser unnatürliche Sohn seinen alten ehrwürdigen Vater darben lässt, während er im Überfluss schwelgt! … Unter Larven hier die einzige fühlende Brust, keine vertrauungsselige Seele, die auf den Leim geht und mir einen Kredit eröffnet! . . . Enterben würde ich das Ungeheuer, wenn hier überhaupt noch etwas zu erben wäre. Aber mit meinem Zorn will ich wenigstens den herzlosen Bösewicht heimsuchen. Und wenn sich mir eine Gelegenheit darbietet, so soll er dafür büßen, dass er es sich herausnahm, mir trocken zu schreiben, ich möge ihn künftig ein für allemal mit meinen Anzapfungen verschonen.«

Ganz unerwartet ging übrigens dem alten Freiherrn wenige Tage darauf ein heller Stern auf. Der Postbote, welcher sich nur von Zeit zu Zeit zu ihm verirrte, um ihm eine gerichtliche Vorladung zu überbringen, erschien eines Tages und hielt schon von Weitem unter den gewagtesten Armschwenkungen einen Brief in die Höhe, an welchem der Baron, als der Diener Merkurs näher kam, die bedeutungsvollen fünf Siegel erkannte.

Sogleich schmolz die Eisrinde, welche sich in Erinnerung an den undankbaren Sohn um das Herz des würdigen alten Herrn gelegt hatte, und so wie dasselbe früher voll Bitterkeit erfüllt gewesen war, ebenso neigte es sich nun zur Milde und Versöhnung hin.

»Endlich«, murmelte er, »ist er doch in sich gegangen und sucht das verübte Unrecht wieder gut zu machen! … Nun, ich will ihm verzeihen, es ist nicht christlich, dass man jemand einen Fehltritt so hoch anrechnet. Im Grunde fühle ich doch in diesem Augenblick, dass ich ihn mehr liebe als ich mir eingestehen will!«

»Was bringen Sie, mein Lieber?«, fragte er den Postboten, welcher sich bereits genähert hatte.

»Ein mit Geld beschwerter Brief, Herr Baron, er kommt aus Paris«, antwortete dieser.

»Endlich! Ich erwartete ihn schon lange! Eine alte Schuld, die ich von einem säumigen Gläubiger eintrieb – geben Sie her und da, nehmen Sie, ich habe jetzt gerade kein großes Geld, aber das nächste Mal soll ein desto reichlicheres Trinkgeld für Sie abfallen.«

Er suchte mit vieler Mühe einige Kreuzer zusammen. Als der Briefträger sich entfernt hatte, betrachtete er nochmals mit leuchtenden Augen das mit fünf Siegeln verschlossene Schreiben.

»Fünfzig Taler!«, rief er, »das übersteigt meine Erwartungen! Edler Sohn, so zeigst du dich also doch dankbar, für die sorgfältige Erziehung, welche ich dir erteilt habe! Ja, ja, das Gute bleibt nicht unbelohnt und – na, es freut mich, ich ersehe daraus, dass der Landsknecht etwas abwirft.«

Er hatte inzwischen den Verschluss des Kuverts gelöst und brach nun in ein neues Staunen aus, als er nach der Unterschrift des Schreibens sah.

»Wie, von meinem Freund Rodenwald? Hat sich denn der alte Sünder so plötzlich bekehrt? Welcher Edelmut! Nun, ich bin doch neugierig.«