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Der Teufel auf Reisen 35

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Siebentes Kapitel – Teil 4
Des Teufels Anteil

Einige Wochen später erblicken wir den kühnen Abenteurer, der Schwalbe auf so unbarmherzige Weise ausgeplündert und seine Geliebte in nicht minder unedler Weise verlassen hatte, mitten im bewegten Pariser Leben. Er hatte bei Frau Lagemann seinen Empfehlungsbrief abgegeben und war von dieser mit Freundlichkeit empfangen worden. Herr von Rodenwald war ebenfalls kein Unmensch und nahm sich seiner, wohl hauptsächlich deshalb, weil der alte Hahnenfeder so manches aus seinem Leben wusste, was er nicht aufgedeckt zu sehen wünschte, mit Wohlwollen an. Durch dessen Empfehlung wurde er sogar bei dem Gesandten seines Landes eingeführt. Frau Lagemann war wirklich sehr reich, sie bewohnte in einem eleganten Haus den ersten Stock. Als ehemalige Tänzerin zeigte sie sich gar nicht unempfänglich gegen die Schmeicheleien eines eleganten jungen Mannes, dessen ansprechendes Äußeres nun noch mehr durch die geschmackvolle Toilette, welche er machte, hervorgehoben wurde. Der gewandte Hochstapler brachte es binnen Kurzem sogar so weit, dass er sich einen Groom halten konnte. Wenn er bei einem Ausflug zu dem Gehölz von Boulogne neben der Equipage der Dame galoppierte, spielte er gar keine üble Figur.

Wer weiß, was für Gefühle sich bei der noch immer lebenslustigen sechsundvierzigjährigen Witwe gegen den Freiherrn zu regen begannen … Aber wenn solche vorhanden waren, so verbarg sie dieselben sorgfältig und spielte vorläufig unter der Maske der Harmlosigkeit die stille Beobachterin. Und so entdeckte sie denn bald, dass Herr von Hahnenfeder ihrer Stieftochter Jacobine sehr eifrig den Hof machte und dass das Herz des bereits ziemlich alten, schiefen, schieläugigen Mädchens mit dem Verstand davonzulaufen begann. Unter den heftigsten Zuckungen ihres in Flammen stehenden Innern machte sie alle Stadien einer verspäteten Liebe durch. In ihrer Verblendung nahm sie es sogar als bare Münze, wenn der Baron ihre seelenvollen Augen zum Entzücken schön und ihren Mund reizend fand. Bei jeder Gelegenheit, wo er mit ihr allein war, wusste er das Feuer, welches er bei ihr entzündet hatte, in geschickter Weise immer heller anzufachen. Längst schon stand er mit ihr im geheimen Briefwechsel und lachte höhnisch, wenn sie ihm in ihrer kopflosen Schwärmerei versicherte, dass sie entschlossen sei, sich der Tyrannei einer sie wegen ihrer Liebe hassenden und verfolgenden Stiefmutter durch heimliche Flucht zu entziehen, dass sie nötigenfalls auch bereit wäre, sich heimlich trauen zu lassen und dass sie überhaupt den Mut in sich fühle, für den teuren Mann, welcher sich ihr Herz für immer, ja für die Ewigkeit zu eigen gemacht habe, die größten Opfer zu bringen, denn die Entbehrungen, welche sie sich beide vielleicht auferlegen müssten, würden ja reichlich durch ihre gegenseitige Liebe belohnt werden.«

Der Baron zuckte, wie gesagt, über diese Ergüsse einer überspannten erhitzten Phantasie spöttisch die Achseln und fragte sich hohnlachend, was er wohl mit dem alten schiefgewachsenen Mädchen anfangen sollte, wenn er sie entführte, ohne zugleich die fünfzigtausend Taler mitzunehmen. Dennoch beantwortete er ihre Briefe immer ebenso zärtlich und ebenso überspannt, denn seine Politik zu ändern, fand er durchaus nicht angemessen, solange er sich nicht über die Vermögensverhältnisse Jacobines Klarheit verschafft hatte. Was nun die Tyrannei der Stiefmutter anbelangt, so bestand dieselbe lediglich in ruhigen Ermahnungen und in einer etwas strengeren Beaufsichtigung der liebessüchtigen jungen Dame, denn wenn sie vielleicht auch selbst nicht ganz gleichgültig gegen die körperlichen Vorzüge des Freiherrn von Hahnenfeder war, so wusste sie doch als eine besonnene Frau das, was sich in ihrem Innern regte, sorgfältig zu verbergen. Schließlich verstand sie es auch, bei ruhiger Überlegung, wieder die Schattenseiten desselben herauszufinden. Verschiedene Gerüchte, welche ihr zu Ohren gekommen waren, erregten bei ihr immer mehr den Verdacht, dass die Rolle des Barons eigentlich nur eine einstudierte sei und dass die Quellen, aus denen er seine Existenzmittel bezog, mehr als verdächtig erschienen. Dieser dagegen würde gewiss keinen Anstand genommen haben, Jacobine gänzlich fallen zu lassen und sich dagegen um die Hand der Witwe zu bewerben, wenn er nicht durch die Erstere in Erfahrung gebracht hätte, dass ein Testament vorhanden wäre, durch welches sie nur unter der Bedingung zur Universalerbin eingesetzt sei, keine zweite Ehe mehr einzugehen. Er schloss daraus ganz richtig, dass der sorgsame Vater, außer dem Legat von fünfzigtausend Talern, seiner Tochter auch den übrigen Teil des großen Vermögens hatte erhalten wollen.

Aber wie gesagt, das waren alles bisher nur Gerüchte, die Herrn von Hahnenfeder zu Ohren gekommen waren. Erst durch genaue Einsicht des Testaments konnte er sich von der wirklichen Sachlage der Verhältnisse überzeugen. Hierzu die erste passende Gelegenheit zu benutzen, zeigte er sich daher entschlossen. Inzwischen fand er es seiner Politik angemessen, seine Bewerbungen bei Jacobine fortzusetzen und sie in einer solchen Stimmung zu erhalten, dass er dieselbe jeden Augenblick als willenloses Werkzeug zur Ausführung seiner Pläne benutzen konnte.

Das, was bei ihm häufig in stillen Stunden ein finsteres Stirnrunzeln hervorrief, waren die Anzapfungen, mit denen ihn sein liebenswürdiger Vater heimsuchte.

»Er preise den Himmel«, hieß es in diesen Briefen, »dass er ihn mit einem so braven Sohn gesegnet habe, der gewiss keinen Anstand nehmen werde, seinen alten darbenden Vater von seinem Überfluss etwa hundert oder zweihundert Gulden mitzuteilen. Er zweifle gar nicht daran, dass sein musterhafter Sohn, auf den er mit dem größten Stolz blicke, seinem Verlangen entsprechen werde, denn man wisse nicht, zu was die Verzweiflung den Menschen treiben könne. Auch die Vatergefühle hätten ihre Grenzen, und nun, wo er im Begriff stehe, durch eine reiche Heirat den früheren Glanz der Familie wieder herzustellen, würde es ihm gewiss sehr unangenehm sein, wenn gewisse dunkle Punkte aus seinem Leben zweien gewissen Damen zu Ohren kämen, was aber unfehlbar erfolgen werde, wenn er seinen alten Vater dem Hungertod preisgebe.«

»Mit dem Epitaph ›der alte Spitzbube‹ warf er dann diese Ergüsse eines zärtlichen Herzens beiseite und bequemte sich schließlich dazu, die ihm auferlegte Kontribution zu zahlen. Als aber dieselben immer häufiger wurden, wünschte er dem ›alten Halunken‹ die Pest auf den Leib und erklärte ihm kurz und bündig, dass von nun an alle weiteren Anzapfungen gänzlich erfolglos sein würden.«

Eines Abends befand sich Hahnenfeder mit der Stieftochter der Frau Lagemann allein. Diese war in die Oper gefahren.

»Meine himmlische Jacobine«, begann der Abenteurer, mit den dazu gehörenden Augenverdrehungen, »wenn ich mir das Glück denke, mit Ihnen dereinst für immer vereint zu sein, so fließt mein Herz vor Wonne über.«

Dem alten Mädchen waren diese Worte Sphärengesang, sie schwamm in einem Meer von Seligkeit und mit einem hinsterbenden Blick erwiderte sie den feurigen Händedruck ihres Verehrers.

»Oh, Albert, nie hätte ich geglaubt, dass eine Frau imstande sein könnte, so zu lieben.«

»Welches süße Geständnis für mich. Ja, es gibt kein reineres und edleres Gefühl als eine uneigennützige Liebe!«

Jacobine verzog ihren unschönen Mund zu einem schmelzenden Lächeln und verdrehte ihre schielenden Augen, indem sie ihrem Anbeter einen hinsterbenden Blick zuschickte.

»Geliebter Freund, wie wahr sind die Worte des Dichters:

Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein liebend, treues Paar …
«

»Zwei Seelen und ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag …
«,

fügte Hahnenfeder schwärmerisch hinzu, wobei er sich jedoch in Wahrheit über die verblendete und von ihm so arg getäuschte Dame lustig machte.

Es entstand nun eine kleine Pause. Jacobine schien sich immer mehr in ihre schwärmerischen Narrheiten zu vertiefen.

»Oh, Albert«, seufzte sie, »fast ertrage ich nicht mehr die Tyrannei dieser unnatürlichen Stiefmutter.«

Die Wahrheit war nämlich die, dass Frau Lagemann sich immer äußerst liebevoll gegen Jacobine benommen, dass sie dieselbe aber in der letzten Zeit verschiedene Male in sehr ernster Weise ermahnt hatte, ein vorsichtiges und zurückhaltendes Benehmen gegen den ihr immer zweideutiger vorkommenden Baron zu beobachten.

Dieser, welcher fürchtete, dass Frau Lagemann Verdacht gegen ihn schöpfen könnte, bevor er seine heimlichen Pläne gegen deren verblendete Tochter ausgeführt hätte, ergriff daher die sich ihm nun darbietende Gelegenheit, um etwas näher hinzuhorchen und zugleich einen Schritt weiter zur Verwirklichung seiner Absichten zu tun.

»Meine arme Taube«, sagte er daher so einschmeichelnd wie möglich. »Was hat denn wieder meine arme Taube zu leiden gehabt?«

»Oh, Albert (und Jacobine verdrehte hier abermals krampfhaft die Augen), – oh, Albert, ich glaube, sie beneidet mich um mein Glück! …«

»Sie glauben? …«

»Ich glaube, sie ist eifersüchtig und liebt Sie selbst im Stillen.«

»Das wäre Wahnsinn«, rief der schlaue Betrüger in gut gespielter Verstellung, »selbst einer Armida würde es mit allen Zauberkünsten nicht gelingen, mich von meiner himmlischen Jacobine zu trennen.«

Dem alten verliebten Mädchen entschlüpfte ein sehnsüchtiger Seufzer. Man sah es ihm an, es hätte sich am liebsten ohne Weiteres in die Arme Hahnenfeders gestürzt.

»Es ist übrigens unglaublich«, bemerkte dieser, »wozu die Rache einer eifersüchtigen Frau fähig ist. Wenn ich nicht irre, meine süße Jacobine, müssen Sie schon längst volljährig sein.«

»Oh nein«, lispelte diese sehr verlegen, »ich glaube in der Tat zu wissen, dass ich dies noch nicht bin.«

»Und ich weiß es sehr genau«, dachte der Abenteurer, ging aber natürlich schweigend über diesen Punkt hinweg und rückte dagegen in anderer Weise seinem Ziel näher.

»Ganz gleich«, bemerke er, »jedenfalls scheinen mir Ihre Interessen bedroht. Haben Sie jemals von dem Inhalt des Testaments Ihres verstorbenen Vaters Einsicht genommen?«

»Bis jetzt nicht, ich kenne dasselbe nur aus den Mitteilungen meiner Stiefmutter.«

»Oh, unschuldsvolle Vertrauensseligkeit!«, rief bewegt der Freiherr, »darüber können Sie aber zugrunde gehen. Auch über Ihre materiellen Interessen zu wachen, habe ich mir zur Pflicht gemacht. Und darum, meine teure Jacobine – nun, Sie erinnern sich wohl, was ich Ihnen bereits mehrere Male so warm ans Herz legte?«

»Sie meinen das Testament?«

»Ja, Sie müssen mich durchaus von dem Testament Einsicht nehmen lassen. Sie als Frau sind in derartigen Sachen zu unerfahren, Sie bedürfen eines treuen und uneigennützigen Ratgebers.«

»Ich habe auch bereits mehrere Male versucht, zu demselben zu gelangen, aber Mama bewacht es ja so eifersüchtig und hält es fest verschlossen.«

»Sie kennen den Ort, wo es aufbewahrt wird?«

»Ja, es ist ein kleines Kästchen von Rosenholz, welches sich in ihrem Schreibsekretär befindet.«

»Aber ich erteilte Ihnen doch die Weisung – nun, Not kennt kein Gebot und Sie sind sich zunächst selbst schuldig, mithilfe eines jeden Mittels hinter die Wahrheit zu kommen.«

»Oh, Albert …«, stotterte wieder das verliebte Mädchen.

»Nun, haben Sie einen Abdruck des Schlüssels genommen und einen zweiten anfertigen lassen?«

»Ich tat es«, hauchte die Verblendete hin, »weil Sie es wünschten und weil meine Liebe Ihnen nichts abschlagen kann. Aber nur mit schwerem Herzen ist es geschehen und mein Gewissen macht mir bereits die bittersten Vorwürfe.«

Die Augen des Abenteurers leuchteten auf. Nun hatte er die Mittel in den Händen, sich von dem Inhalt des Testaments zu überzeugen und konnte hiernach seine weitere Handlungsweise gegen sein verblendetes Opfer bestimmen.

»Nun«, rief er lachend, »wegen einer solchen Sünde erteile ich Ihnen im Voraus Absolution. Man muss es mit gewissen Dingen in der Welt nicht so genau nehmen. Wenn man Pflichten gegen sich selbst zu erfüllen hat, schwinden alle anderen Rücksichten. Geben Sie mir den Schlüssel.«

»Mein Gott!«, stöhnte Jacobine, »hier, nehmen Sie, aber mich überfällt eine so große Angst.«

»Bekämpfen Sie diese Schwäche im Hinblick auf unser gemeinsames Glück. Und nun kommen Sie, wir wollen das Dokument zusammen einsehen.«

Er ergriff den Armleuchter und durchschritt mit seiner Begleiterin zwei elegant möblierte Zimmer, bis er in ein drittes gelangte, dessen ganze Einrichtung sich sogleich als das Boudoir der Dame vom Haus kenntlich machte.

»Leuchten Sie, meine angebetete Jacobine.«

»Oh, was ich zittere! … Lassen Sie uns zurückkehren.«

»Ist dies der Mut, welchen Ihnen Ihre Liebe eingibt?«

»Ach, ich bin ja zu allem bereit, aber eine solche Handlung …«

»Pah!«, machte der Hochstapler, »soll an einer derartigen Schwäche unsere ganze Zukunft scheitern? Ich wiederhole Ihnen: Die Einsicht des Testaments ist für mich eine Notwendigkeit.«

»So machen Sie schnell.«

»Es wird sogleich geschehen sein.«

Mit diesen Worten hatte Hahnenfeder bereits den Schlüssel ins Schloss gesteckt, und in der nächsten Minute öffnete sich der Sekretär. Mit einem einzigen Blick überflog er das Innere desselben. Befriedigt leuchteten seine Augen auf, als er nicht allein das gesuchte Kästchen erblickte, sondern bei näherer Betrachtung desselben auch gewahrte, dass der Deckel bloß angelehnt war.

»Der Himmel steht uns selbst bei«, flüsterte der mit allen Schlichen und Ränken vertraute Schwindler. »Ihre Mutter hat vergessen, nach dem Verschluss zu sehen.«

»Sie schien heute sehr zerstreut. Aber beeilen Sie sich, denn meine Angst ist unbeschreiblich.«

»Kindische Schwäche«, entgegnete Hahnenfeder lachend. »In fünf Minuten ist die Operation vollendet.«

Er entfaltete das Dokument und fand ein rechtsgültiges, von einem Notar abgefasstes Testament. Aufmerksam überflog er die einzelnen Paragraphen. Nur zweimal hielt er inne und lächelte sehr befriedigt, denn an der einen Stelle waren Jacobine wirklich im Fall ihrer Verheiratung fünfzigtausend Taler ausgesetzt, die ihr sofort bar oder in geldwerten Papieren ausgehändigt werden sollten. Ein anderer Paragraph enthielt die Bestimmung, dass ihr nach dem Tod ihrer Stiefmutter der übrige Teil des gesamten Vermögens zufalle.

»Jetzt steht unserem Glück nichts mehr im Wege«, sagte der Baron, die Papiere in das Kästchen zurücklegend und den Schreibtisch wieder verschließend. »Es geschah ja lediglich aus Besorgnis für Sie, geliebtes, teures Wesen, dass ich mir über diese Verhältnisse Klarheit verschaffte. Ihre Zukunft musste unter allen Umständen sichergestellt sein. Sie durften meinetwegen später nicht in die Gefahr kommen, vielleicht Sorgen preisgegeben zu werden. Das würde mir das Herz gebrochen haben.«

»Oh, Albert, welche edle Gesinnung!«, hauchte die verblendete, leichtgläubige Jacobine und lehnte schwärmerisch ihren Kopf auf die Schulter des Abenteurers. Dieser lachte im Stillen über das alberne alte Mädchen.

»Lassen Sie uns nach dem vorderen Zimmer zurückkehren«, sagte er, »das Theater muss bald aus sein und natürlich, ich rechne auf Ihre unbedingte Verschwiegenheit.«

»Fordern Sie von mir, was Sie wollen, ich bin zu allem bereit.«

»Ich werde jetzt förmlich bei Ihrer Stiefmutter um ihre Hand anhalten. Verweigert sie mir dieselbe, nun, so entschließen wir uns kurz und …«

Er konnte nicht vollenden, denn es wurde von außen an der Klingel gezogen.

»Es ist Frau Lagemann«, flüsterte Hahnenfeder, »nochmals empfehle ich Ihnen die größte Verschwiegenheit, das Übrige findet sich.«

Die Witwe schien sich in einer besonders heiteren Stimmung zu befinden.

»Ich durfte wohl erwarten, Sie hier zu treffen«, sagte sie. »Jacobine zieht es seit einiger Zeit vor, lieber zu Hause zu bleiben, und Ihre Gesellschaft scheint ihr wirklich fast unentbehrlich geworden zu sein.«

»Oh, Mama …«, fiel diese ein.

»Nun, Herr von Hahnenfeder weiß ja auch recht gut zu unterhalten. Darf ich fragen, womit sich die Herrschaften die Zeit vertrieben haben?«

Die Stieftochter wurde feuerrot, Frau Lagemann schien dies indessen nicht zu bemerken.

»Wir blätterten die neuesten Journale durch«, antwortete der Baron mit seiner unverwüstlichen Dreistigkeit. »Eine sehr ansprechende kleine Erzählung erlaubte ich mir dem Fräulein vorzulesen.«

»Nun, ich lese es aus Ihrem Gesicht heraus, dass Sie sich wirklich von der Lektüre recht befriedigt fühlen«, bemerkte die Dame des Hauses.

Unser Bekannter stutzte doch und blickte sie forschend an. Jacobine wurde wieder feuerrot.

Als aber Frau Lagemann ganz unbefangen zu plaudern fortfuhr und schließlich den Freiherrn in sehr liebenswürdiger Weise fragte, ob er nicht den Tee bei ihnen einnehmen wollte, erholten sich beide wieder von ihrem Argwohn. Der Letztere erhob sich gleichzeitig und machte Anstalt sich zu empfehlen.

»Sie wollen uns also verlassen?«, fragte die Witwe.

»Zu meinem Leidwesen bin ich dazu genötigt. Ich habe mir mit einigen Freunden um zehn Uhr ein Rendezvous gegeben.«

Nie hatte sich der Baron so tief und höflich vor den Damen gebückt wie dieses Mal, als er aufbrach, nie lächelte ihm aber auch Frau Lagemann so wohlwollend zu wie heute, sodass Jacobine von Neuem Eifersucht fühlte und der Abenteurer in der Ansicht bestärkt wurde, er habe nicht nur bei der Tochter, sondern auch bei der Mutter eine heftige Leidenschaft für sich angefacht.

Diese Letztere behielt auch während des Tees die heitere Laune bei, welche sie mitgebracht hatte. Sie scherzte und lachte, schützte aber doch bald Müdigkeit vor und zog sich, gute Nacht sagend, in ihr Zimmer zurück.

Etwa eine halbe Stunde saß sie, in die Ecke des Sofas gedrückt und las scheinbar aufmerksam in einem Buch. Endlich legte sie dasselbe aber weg und lauschte. Als sie sich überzeugt hatte, dass alles still sei, trat sie an ihren Sekretär, öffnete denselben und zog das Kästchen von Rosenholz hervor, dessen Deckel sie mit einer unverkennbaren Ungeduld aufklappte.

»Meine Vermutung bestätigt sich also«, sagte sie mit finster zusammengezogener Stirn, »und es ist Zeit, dass ich diesem Treiben ein Ende mache! … Die Papiere liegen nicht mehr so, wie sie gelegen haben. Ich hatte mir ein heimliches Zeichen gemacht. Ich bin jetzt überzeugt, dass man mit einem zweiten Schlüssel das Schreibpult geöffnet hat … Wer aber so etwas tut, ist auch imstande noch mehr zu tun … Freilich bin ich über diesen Menschen getäuscht worden, aber noch ist es Zeit, meinen Irrtum wieder gut zu machen. Zum Glück sind mir die Mittel und Wege bekannt, wie ich hinter die Wahrheit kommen und erfahren kann, ob sich mein Verdacht bestätigt. Jacobine scheint völlig den Verstand verloren zu haben, mit dem sie freilich niemals reichlich bedacht war. Von ihr ist jede Torheit zu befürchten, die zu verhindern mir schon das Andenken an meinen verstorbenen Mann als eine heilige Pflicht auferlegt.«