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Slatermans Westernkurier 03/2016

Plains-IndiansDie Story vom Pferd

Eine geschichtliche Abhandlung über die Rolle von Pferd und Feuerwaffen im Wilden Westen von Ulrich Raulff, Journalist, Historiker und Direktor des deutschen Literaturarchivs Marbach

Auf ein Wort, Stranger, wenn du der Meinung bist, das der Erste Weltkrieg den Untergang der Kavallerie besiegelt hat und damit einhergehend auch das Ende des Pferdezeitalters, dann irrst du dich.

Fakt ist nämlich, dass der Niedergang der Kavallerie nicht auf den Schlachtfeldern von Flandern und Frankreich  begonnen hat, sondern schon ein halbes Jahrhundert früher in der Neuen Welt.

Es war der amerikanische Bürgerkrieg, anfangs noch integraler Teil der späten Pferdeära, der ihr Ende einläutete. Bereits vor der Mitte des 19. Jahrhunderts brachte die ständig weiterentwickelte und immer effizienter werdende Feuerkraft der Infanteriewaffen die Kavallerie um ihren Status als die Schlacht entscheidende Offensivwaffe. Gegen Trommelrevolver und Schnellfeuergewehre waren große, weiche Ziele wie Pferde und Menschen praktisch chancenlos. Auf den Schlachtfeldern der Moderne verlor der Schock einer Kavallerieattacke immer mehr an Wirkung. Solange noch Kavallerie gegen Kavallerie kämpfte, waren die Gefechte ausgewogen, aber sobald sie gegen die Infanterie mit ihrer neuen Ausrüstung anritt, wandte sich fortan das Blatt.

Die Fußsoldaten, lange Zeit das Jagdwild der Kavallerie, die früher niedergeritten wurden, wenn sie nicht schnell genug flohen, erwiesen sich plötzlich als übermächtiger Gegner.

Mit der neuen Feuerkraft waren die Sicherheit und ihr Selbstbewusstsein gestiegen.

Die Armeen des Bürgerkrieges waren gezwungen, ihre Taktik zu ändern.

Sie erhöhten die Geschwindigkeit und Wendigkeit der Kavallerie, wechselten flexibler zwischen der Position des Reiters und Fußsoldaten und setzten die Kavallerie nur noch in vermindertem Umfang als Sturmwaffe ein.

Gleichzeitig stieg der Verbrauch von Pferden in der bespannten Artillerie, in der Aufklärung und Verbindung sowie bei Überraschungsangriffen.

Nach dem Ende des Sezessionskrieges setzte im Hauptquartier der Armee auch bei den Indianerkriegen ein Umdenken ein.

Die Vernichtung der Pferde wurde zu einem integralen Bestandteil des Krieges gegen die indianischen Reiterstämme. Pferdemassaker entwickelten sich zu einem probaten Mittel, die Indianer um ihre Existenz und Resistenz zu bringen.

Die Armee hatte aus dem Bürgerkrieg die Lehre mitgenommen, dass die wirkungsvollste Form des Krieges jener Krieg war, der die Ökonomie des Gegners nachhaltig zerstörte.

Am 27. November 1868 begann der endgültige Niedergang der Bedeutung des Pferdes. Nicht nur in der Geschichte Amerikas, sondern weltweit.

In dieser Nacht, es war die Nacht von Thanksgiving, griff George Armstrong Custer eine kleine Stammesgemeinschaft von Cheyenne am Washita River an.

Einhergehend mit der fast vollständigen Auslöschung des Stammes erfolgte auch die seiner Ponys. Beinahe 900 Tiere wurden zusammengetrieben und, nachdem sich die Tiere vehement dagegen wehrten, dass Custers Soldaten ihnen die Kehle durchschnitten, mit beinahe unvorstellbarer Brutalität kaltblütig erschossen.

 

***

 

In der Vorstellung der meisten Europäer ist der Indianer ein Reiter. Undenkbar, sich ihn als Fußgänger vorzustellen. Seinen Ruf der wilde Adel Nordamerikas zu sein, hat sich der Indianer nicht auf Mokassins erworben, sondern hoch zu Ross.

Wie seine legendäre Gegenfigur, der Cowboy, ist der Indianer mit seinem Pferd verschmolzen.

Das Epos, dass die Taten von Cowboys, Indianern und Soldaten feiert, der Wilde Westen, mutet an wie ein Mantel-und-Degen-Stück eigener Art, eine Reiter- und Pferdegeschichte, in welcher der Colt und das Gewehr den Degen ersetzen. Umso erstaunlicher die Tatsache, dass der reitende Indianer eine historisch späte Figur ist, die keineswegs sämtliche Stämme Nordamerikas repräsentiert. Die Waldindianer des Ostens, aber auch die Stämme des Mittleren Westens und des Südens waren keine horse tribes und wurden auch nie dazu. Sie jagten zu Fuß und beschritten den Kriegspfad als Infanteristen.

Auch die Stämme, die irgendwann das Pferd für sich entdeckten, wurden nicht von selbst zu wilden Reiterkriegern. Zu Pferde und aus dessen Bewegung heraus zu kämpfen, lernte bloß ein Teil von ihnen. Selbst die berühmten Apachen ritten nur bis zum ersten Feindkontakt, den Kampf selbst führten sie abgesessen.

Dieses Phänomen findet sich in verschiedenen Zeiten und Kulturen. Nicht jedes Volk, das reiten lernt, vollzieht auch den Schritt zum Reiterkriegervolk. Dieses historische Pensum blieb denen vorbehalten, die von Anfang an in die Schule der großen Weite gegangen waren, den Jägern und Nomaden der Steppe und der Prärie.

Bis zum Eintreffen der spanischen Konquistadoren war Amerika ein Kontinent ohne Pferde. Erst die Spanier brachten die Pferde in die Neue Welt – zunächst im 16. Jahrhundert nach Mexiko und von da aus im Verlauf des 17. weiter nach Norden.

Die erste größere Pferdeherde kam 1598 mit Don Juan de Onate nach New Mexiko.

Die Puebloindianer, mit denen die Spanier leichtes Spiel hatten, lernten Pferde zu hüten und zu pflegen, ohne sich selbst für sie zu interessieren.

Ganz anders die im selben Gebiet lebenden Apachen.

Sie stahlen die Pferde der Spanier und lernten sie zu reiten, indem sie nachahmten, was sie bei ihnen gesehen hatten, bis hin zu der spanischen Sitte, das Pferd immer von rechts her zu besteigen. Es dauerte nicht lange und die indianischen Reitschüler begannen damit, ihren ehemaligen Lehrern das Leben schwer zu machen. Sie griffen deren Niederlassungen in New Mexiko an, stahlen die Pferde und verschwanden in den Weiten der Prärie. Aber anders als später die Comanchen lernten die Apachen nie, Pferde zu züchten und beritten zu kämpfen. Sie waren allerdings die ersten Indianer Amerikas, die ihr Arsenal um eine Waffe bereicherten, über die zu ihrer Zeit kein anderer Stamm verfügte: Geschwindigkeit.

Der Aufstand der Pueblos gegen die Spanier im Jahr 1680 und ihre zeitweilige Vertreibung aus New Mexiko brachte den Umschwung in der Pferdekultur Nordamerikas. Als die Puebloindianer, die sich nichts aus Pferden machten, zu ihrer Kultur des Ackerbaus und der Töpferei zurückkehrten, ergoss sich ein Strom von Pferden in die Prärien des mittleren Westens. Die Tiere, die dort auf ähnliche Lebensbedingungen stießen, wie sie ihre Vorfahren auf den Hochebenen Andalusiens gekannt hatten, vermehrten sich sprunghaft und erzeugten binnen kurzer Zeit riesige Herden wilder Mustangs, auf die, dem Beispiel der Apachen folgend, die meisten Indianerstämme der Great Plains zugriffen. Die große Pferdeverstreuung nach 1680 führte im geographischen Zentrum von Nordamerika zu einer nachhaltigen Veränderung sowohl von der Lebensweise als auch von der Machtstruktur jenes Gebietes. Ein Prozess, der rasend schnell verlief.

Um 1630 hatte noch kein Stamm zu Pferd gesessen, um 1700 ritten sämtliche Indianervölker auf den Ebenen von Texas und um 1750 betrieben Stämme bis in die kanadischen Ebenen hinein die Bisonjagd zu Pferd.

Der nachfolgende Schritt von der Jagdtechnik zur berittenen Kampfweise war nicht mehr sonderlich groß. Alle taten ihn, Sioux, Cheyenne, Kiowa, Arapaho, Blackfoot, Cree und Crow, aber am gründlichsten und effektivsten die Comanchen.

Sie wurden die unbestrittenen Meister im Umgang mit Pferden und dem Krieg der Geschwindigkeit und stiegen im Lauf des 18. Jahrhunderts zum Schrecken der Spanier zur indigen Vormacht des Südwestens auf. Ihr Besitz an Pferden und ihr Umgang mit den Tieren gegen Ende jenes Jahrhunderts sind heute noch legendär.

 

***

 

In den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts bedrohten die Comanchen die nach Texas einströmenden amerikanischen Siedler, ohne dass die mexikanische Armee ihnen hätte Einhalt gebieten können. Auch die 1823 von Stephen F. Austin ins Leben gerufene Miliz zum Schutz der Siedler, die Texas Ranger, brauchten lange, bevor sie es mit den wilden Herren der Prärie aufnehmen konnten. Ihre Kavalleriepferde waren schwerfällig, ungelenk und zu schnell erschöpft, um es mit den pfeilschnellen und zähen Mustangs der Indianer aufnehmen zu können. Ihre Bewaffnung bestand aus einschüssigen Pistolen und langläufigen, klobigen Gewehren, die vielleicht als Duell- oder Jagdwaffen brauchbar waren, aber nicht im Gefecht mit einem Feind, der aus dem vollen Lauf seines Pferdes heraus bis zu zwanzig Pfeile pro Minute abschießen konnte. Im offenen Gelände, von keiner Palisade geschützt, waren die Rangers den Comanchen hoffnungslos unterlegen. Wie hoffnungslos, zeigt die Überlebenserwartung eines Rangers im Kampf gegen die Indianer. Sie lag durchschnittlich bei knapp zwei Jahren.

Das Ganze nahm erst eine Wendung, als John Coffee Hays, genannt Jack Hays, ein Heißsporn von 23 Jahren, das Kommando im Standort San Antonio übernahm. Hays sorgte dafür, dass seine Einheit leichtere Pferde erhielt, eine Züchtung aus wilden Mustangs und Vollblütern, er brachte seinen Männern bei, wie die Indianer zu leben und zu kämpfen und unterrichtete sie in der Art der Comanchen zu reiten, was er sich von den Indianern abgeschaut hatte. Hays Ranger näherten sich innerhalb kürzester Zeit im Reitstil und Gefechtstaktik immer mehr den Comanchen, bis sie lediglich nur noch nach Schussfrequenz und Feuerkraft hinter ihren indianischen Gegner lagen.

Aber das änderte sich schlagartig, als Hays Männer über Modelle des Trommelrevolvers von Samuel Colt verfügten, der die bis dahin bestehende Asymmetrie gegenüber dem indianischen System von Mensch, Pferd und Waffe aufhob.

Das war der Anfang jenes Kreises, der sich nach dem Bürgerkrieg seinem Ende zuneigte und sich endgültig auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges schloss.

Die Bedeutung des Pferdes fiel jener der Waffe gegenüber ins Bodenlose, jedenfalls was die Kriegsführung anbelangte. Aber auch in allen anderen Bereichen wurde das Pferd spätestens mit dem T-Modell von Henry Ford zum Nebendarsteller degradiert, und das nicht nur in Amerika.

Euer Slaterman

Quellenhinweise:

  • Kolumne Die Brücke zur Welt. Stuttgarter Zeitung vom Samstag, den 18. Januar 2014
  • Vortrag von Ulrich Raulff im Stuttgarter Literaturhaus
  • Archiv von C.C. Slaterman
  • Foto: Sioux Plains Indians. 1905 by Edward S. Curtis. www.old-picture.com