Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Felsenherz der Trapper – Teil 6.7

Felsenherz-der-TrapperFelsenherz der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922

Band 6
Die Goldgräber der Jicarilla-Berge

Siebentes Kapitel
Der unterirdische Fluss

An einem klaren Herbstmorgen näherten sich vier Reiter, die am linken Ufer eines Flüsschens dahintrabten, den östlichen Ausläufern der Jicarilla-Berge. Es waren dies die Señora Frontera, Felsenherz, der Skalpierte und der Comanchenhäuptling.

Edward Barnley, dem einst Wacco-Indianer nicht nur den Skalp, sondern auch die Ohren geraubt hatten, sah mit seinem schwarzen Vollbart recht finster aus, war aber ein überaus gutmütiger Mann, der hier im wilden Westen, insbesondere zwischen Rio Grande del Norte und Pecos, sehr gut Bescheid wusste und den drei anderen als Führer äußerst wertvoll war. Er ritt mit Felsenherz etwa zwanzig Schritt voraus und sagte, als das Flüsschen in einer scharfen Biegung die erste Felsgruppe umfloss und die Reiter zu einem kurzen Umweg zwang: »Gewiss, es gib hier in den Jicarilla-Bergen eine ganze Menge Indianer, die aus ihren Stämmen ausgestoßen sind, zumeist Apachen. Es ist eine böse Bande, Felsenherz, dieses heimatlose Gesindel! Als ich noch Indianerhändler war, habe ich häufig mit diesen roten Banditen Geschäfte gemacht, denn sie sind reich, diese Ausgestoßenen, sehr im Gegensatz zu den anderen Indsmen. Gerade weil sie hier in den Jicarilla-Bergen hausen, in denen alten Indianersagen nach ungeheure Schätze verborgen sein sollen, kennen sie wohl so manche Goldfundstelle. Doch, worauf meine Rede nun, eigentlich hinauskommen sollte: Ich habe niemals von den Ausgestoßenen gehört und auch nie sonst wie nur die geringsten Beweise dafür erhalten, dass gerade in dieser Bergwildnis seit Jahren ein Weißer gefangen gehalten wird! Trotzdem, ich gebe zu, dass das Geständnis des sterbenden Buschkleppers fraglos auf Wahrheit beruht! Nur wird es überaus schwierig sein, den Gatten der Señora Frontera zu finden. Wir haben ja als einzigen Anhaltspunkt für den Ort, wo er gesucht werden muss, die Worte des Sterbenden. ›… dort, wo der Rio Lincoln aus den Felsen …‹ Mehr konnte jener Satervo nicht verraten. Nun, der Rio Lincoln ist dieses Flüsschen hier. Das betonte ich schon. Alle Trapper und Rothäute nennen ihn seit Jahren so, weil hier an seiner Quelle einmal ein Weißer ganz allein sich angesiedelt haben soll, der Lincoln hieß und der mit den Roten auf freundschaftlichem Fuße lebte, weil er so allerlei Kenntnisse besaß, die ihn den Indianern unheimlich machten. Ihr wisst ja, Felsenherz, dass die Rothäute jeden, der einen kleinen geistigen Klaps hat, ungeschoren lassen. Und so wird es auch wohl mit Lincoln gewesen sein.«

»Ganz interessant«, meinte der junge Trapper, der ununterbrochen seine scharfen Blicke umherschweifen ließ. »Was mag aus Lincoln geworden sein? Und wart Ihr schon mal an der Quelle des Rio Lincoln, Barnley?«

»Beide Fragen muss ich mit Nein beantworten, Felsenherz. Wo und wie Lincoln endete, entzieht sich meiner Kenntnis. Und die Quelle des Rio Lincoln ist mir bis heute gleichfalls unbekannt. He – was gibt es denn, Felsenherz?«

Dieser hatte nämlich mit einem Ruck das Pferd des Skalpierten hinter einen großen Felsblock zurückgerissen, hatte auch seinen eigenen Braunen ebenso schnell in den Schutz des mächtigen Steines gedrängt, flüsterte, indem er gleichzeitig dem Schwarzen Panther und der Señora Frontera warnend zuwinkte.

»Dort vor uns in der steil ansteigenden Schlucht sah ich soeben zwei durch Büsche halb verdeckte Gestalten. Ob es Indianer waren, kann ich nicht sagen. Wartet hier! Ich werde mich zu Fuß näher heranschleichen.«

»Seid vorsichtig!«, warnte der Skalpierte ernst. »Die Ausgestoßenen, die so etwas wie einen eigenen Stamm bilden, sind die einzigen Indianer, die ihre Pfeilspitzen vergiften!«

Felsenherz war schon durch die Büsche weitergeschlüpft.

Der an dieser Stelle nur fünf Meter breite Rio Lincoln schoss schämend und gurgelnd aus der breiten, mit Gestrüpp bewachsenen Schlucht hervor und verursachte ein Getöse, das stetig zunahm, je mehr sich der junge Trapper der Schlucht näherte.

Dieser durfte sich hier also lediglich auf seine Augen verlassen. Das Gehör war ausgeschaltet.

Er wand sich deshalb auch ziemlich rasch durch die Büsche, kroch dann auf einem Wildpfad zwischen Dornen- und Distelstauden dicht am Ufer des Flüsschens hin und hatte schnell den breiten Schluchteingang erreicht. Hier machte er eine Weile halt und schaute nach den Gestalten aus. Er wusste genau, wo er sie zuerst bemerkt hatte. Nun jedoch war die Stelle leer.

Die Schlucht zog sich etwa in einer Länge von dreihundert Metern nach Westen zu in die Berge hinein. Die Wände waren überall steil und glatt, förmlich wie poliert, und an den niedrigsten Stellen gut zwölf Meter hoch, flachten sich dann erst terrassenartig ab und gingen in die Bergabhänge über. Noch nie hatte Felsenherz bisher do merkwürdig glatte, steile Schluchtwände gesehen. Selbst der Hintergrund der Schlucht wurde durch einen ungeheuren Abhang gebildet. Es gab hier also fraglos nur diesen einen Weg in dieses abschüssige Tal hinein, durch das der Rio Lincoln mit seinen schäumenden Wassern einen gegen das Grau-Schwarz des Gesteins und das Grün des Gestrüpps sich scharf abhebenden weißen Strich zu ziehen schien.

Der junge Trapper schlich weiter, blieb wieder stehen, schaute sich um.

Nichts … nichts … keine lebende Seele, kein Mensch!

Nur dort vor ihm hatten sich gerade fünf Wildtauben auf eine Tanne niedergelassen. Und dass war der beste Beweis dafür, dass sich an jener Stelle weder ein Indianer noch ein Weißer befinden konnte. Es gibt ja keine scheueren Vögel als Wildtauben. Das war Felsenherz sehr gut bekannt, und das erfuhr er auch nun wieder, als er mit äußerster Behutsamkeit seinen Weg fortsetzte, die Tauben ihn dennoch bemerkten und pfeilschnell davon strichen.

Er wusste nun mit aller Bestimmtheit, dass sich in der Schlucht außer ihm kein Mensch weiter aufhalten könne. Aber wo waren dann die beiden Gestalten geblieben? Sie konnten unmöglich an ihm vorüber gekommen sein, auch nicht jenseits des Flüsschens!

Dieses Verschwinden der beiden erschien Felsenherz recht rätselhaft, mahnte ihn aber gleichzeitig auch zu doppelter Vorsicht. Er dachte an die Warnung des Skalpierten, an die vergifteten Pfeile. Deshalb spannte er auch beide Hähne seiner Büchse. Bereits in dieser Situation etwa einen Indianer zu schonen, wäre leichtfertig gewesen!

Schritt für Schritt strebte er, immer wieder Ausschau nach allen Seiten haltend, dem Hintergrund der Schlucht zu.

Der Boden der Schlucht wurde flacher. Ein halbes Dutzend mächtige Tannen wuchsen hier am linken Ufer des Flüsschens. Von ihren abgestorbenen unteren Ästen hingen dicke Vorhänge von Schlinggewächsen herab.

Als Felsenherz nun diese Tannen umgangen hatte, lag die hintere Schluchtwand keine zwanzig Schritt entfernt von ihm. Und in dieser Granitmauer gähnte in der Mitte, grottenartig gewölbt, ein von ausströmendem Wasser fast völlig ausgefülltes Loch, gut zwei Meter hoch und unten ebenso breit.

Die Quelle des Lincoln!, dache Felsenherz froh. Es konnte ja nur die Quelle sein! Mithin musste sich hier in der Nähe auch der Gefangene befinden!

Der junge Trapper bewunderte noch das eigenartige Bild der aus dem Loch hervorquellenden Wassermassen, als plötzlich zwischen dem oberen Rand der breiten Wasserflut und dem höchsten Punkt des Felsenloches der Kopf und die Brust eines Menschen auftauchten.

Rasch arbeitete der noch rechtjunge Weiße, der einen völlig durchnässten Lederanzug trug, sich aus dem Loch hervor und stürzte taumelnd vorwärts. In seinem linken Arme steckte ein langer gefiederter Pfeil, den er nun herauszuziehen versuchte.

Felsenherz rief ihn an. »Wer seid Ihr, he?«

Der junge Weiße griff sofort nach dem Messer. Als er dann sah, dass er offenbar einen Trapper vor sich hatte, kam er rasch näher, stieß atemlos hervor. »Ich heiße Juan Frontera! Helft mir, Master! Schneidet mir den Pfeil heraus. Mein Bruder und ich wollten dort durch den Tunnel …«

Felsenherz ließ ihn nicht aussprechen. »Juan, eilt die Schlucht abwärts! Eure Mutter befindet sich dort drüben! Der Comanchenhäuptling wird Euch beistehen! Macht schnell, ehe das Gift wirkt! Ich werde zusehen, ob ich Euren Bruder noch retten kann!«

Juan lief bereits davon.

Kaum war er hinter den Tannen verschwunden, als aus dem Felsloch zwei Rothäute herauskamen. Beim Anblick des Trappers stutzten sie. Dann hatte der eine schon einen Pfeil auf die Bogensehne gelegt, zielte …

Felsenherz sprang zur Seite, riss die Büchse hoch …

Der Donner zweier Schüsse hallte in den Bergen wider, und der Schütze warf die nun nutzlose Büchse weg, legte auch das Pulverhorn ab und stieg über die Leichen der Indianer in den dreiviertel mit Wasser gefüllten Schlund hinein.

Die Kraft der herausdrängenden Strömung zu bewältigen, war nicht leicht. Felsenherz stemmte sich mit aller Macht dagegen, schritt nun in das Dunkel hinein, hielt die Arme halb erhoben vorgestreckt, um nicht irgendwo mit dem Kopf anzustoßen. Er hatte damit gerechnet, dass der unterirdische Kanal sich sehr weit hinziehen würde, und war daher recht überrascht, als er nach etwa hundert Metern vor sich einen Lichtschimmer gewährte und auch spürte, dass die Kraft der Strömung nachließ, da der Kanal breiter und die Wassermasse flacher wurde. Er hatte dann noch eine Biegung zu passieren, sah nun durch eine keilförmige Spalte in ein Tal hinein, das den Namen Felsenkessel mit Recht verdiente. Die Talwände waren hier womöglich noch steiler als drüben in der Schlucht. Der Durchmesser dieses fast kreisrunden Bergkessels mochte etwa 500 Meter betragen. Kleinere Baumgruppen, üppiger Graswuchs und frischgrüne Büsche waren wohl der Feuchtigkeit zuzuschreiben, die das Flüsschen spendete, das in der Mitte des Tales sogar einen kleinen Teich bildete.

Das Erste, was der junge Trapper hörte, als er aus dem Wasser hinter die nächsten Büsche sprang, war ein gellendes Geheul und der nervenaufpeitschende Angstschrei eines Menschen.

Er stürmte daher auch ohne zu zögern weiter, stutzte dann jedoch noch im letzten Augenblick, da er dicht am Ufer der kleinen Wasseransammlung gegen dreißig Rothäute bemerkte, die mit den Tomahawks nach einem an eine dicke Buche gefesselten jungen Weißen warfen – freilich so, dass die Streitäxte das Opfer nicht berührten, sondern nur dicht neben ihm in den Stamm fuhren.

Noch etwas anderes bemerkte Felsenherz: einen älteren Mann mit verwildertem Bart und völlig zerfetzten Kleidern, der etwas weiter nach links an eine Erle gebunden war.

Felsenherz ahnte sofort, dass diese beiden Europäer der Señor Frontera und dessen anderer Sohn waren. Er sagte sich jedoch auch, dass er allein gegenüber diesen vertierten menschlichen Bestien, die ihr Versteck durch das junge Bleichgesicht entdeckt sahen und sich bereits in einem wahren Blutrausch befanden, nichts ausrichten könne. Während er noch die grauenvolle Szene dort vor sich beobachtete, fühlte er eine leise Berührung an der Schulter. Er fuhr herum und erblickte die Señora Frontera und den Skalpierten hinter sich. Wortlos drückte der Skalpierte ihm seine Büchse in die Hand. Felsenherz schaute auf das Gewehrschloss. Es steckten frische Zündhütchen auf den Pistons. Die Büchse war also geladen. Auch die Señora hatte ein Gewehr mit, das des Schwarzen Panthers.

»Lasst mich mal mit der Bande erst unterhandeln«, flüsterte der Skalpierte. »Sie kennen mich ja von früher her, diese Ausgestoßenen!«

Furchtlos trat er hinter den Büschen hervor und schritt auf die Rothäute zu, rief laut und befehlend: »Werft eure Waffen weg und flieht! Wer auch nur eine Hand gegen mich erhebt, wird erschossen!« Er deutete dabei auf die Büsche, vor denen die Señora und Felsenherz mit angeschlagenen Büchsen standen.

»Schießt!«, brüllte der Señor Frontera. »Schießt! Die Halunken haben mich hier wie einen …«

Die rote Bande hatte nun die erste Erstarrung abgeschüttelt. Einer schwang schon seinem Tomahawk, ein anderer spannte den Bogen … Felsenherz wollte und musste es ihnen beweisen, dass sie es mit Gegnern zu tun hatten, deren Kugeln nicht fehlgingen. Zweimal drückte er ab. Auch die Señora feuerte.

Und gleichzeitig ertönte auch der schrille Schrei des heranstürmenden Comanchenhäuptlings.

Da gab es für die Bande kein Halten mehr. In wirrem Knäuel stürzten sie davon, erklommen in wilder Hast eine an der Talwand stehende Riesentanne und sprangen von ihr auf einen schmalen Felsen, von dem aus sie die Berglehne höher hinaufkletterten.

Der Comanche war ihnen gefolgt. Seine Büchse holte noch acht der Ausgestoßenen herab. Der Rest entkam.

Am selben Tag noch geleitete der Skalpierte die Familie Frontera zu seiner Behausung in der Llano Estacado, wo der jüngere Sohn Juan dank guter Pflege von den Folgen des Pfeilschusses genas. Die Fronteras erreichten später auch wohlbehalten ihre Hazienda an der Grenze von Mexiko. Dem Trapper Felsenherz und seinem roten Bruder bewahrten sie stets ein dankbares Andenken.

Weshalb Felsenherz und der Schwarze Panther in den Jicarilla-Bergen zurückblieben, soll im nächsten Band erzählt werden.