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Der bayerische Hiesel – Teil 17

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Hiesel als Brautwerber

Nach diesem für Hiesel allerdings schon bedeutenden Feldzug war er lange Zeit in der besten Laune, weil er ihn so glücklich geführt hatte. Einige Wochen hindurch wurde er nicht mehr beunruhigt, und benutzte diese Zeit, die ihm noch fremden Wälder ganz allein, nur von seinem treuen Tiras begleitet, zu durchstreifen.

Da traf sich’s, dass er eines Morgens, da kaum noch die Dämmerung den Tag verkündete, in seiner Nähe, in einem dichten Gebüsch, lautes Weinen und Schluchzen vernahm. Darauf wurde es eine kurze Zeit ganz still. Schon wollte er in das Gebüsch dringen, als er eine weibliche Stimme ängstlich beten hörte. Wiederum Stille! Rasch teilte Hiesel mit seinem rechten Arm das durch Efeuranken geschlossene Gebüsch und erblickte zu seinem größten Erstaunen ein recht hübsches, aber bleiches und verweintes Mädchengesicht. Das Mädchen war eben beschäftigt, in die Schlinge ihres an einen Ast befestigten Halstuches ihr Köpfchen zu legen, in der Absicht, sich zu erhängen.

»Wetterhexe, was treibst du da für Teufelszeug?«, fuhr er sie zürnend an.

Vor Schrecken fiel das Mädchen auf die Knie und konnte vor Weinen nicht zu Worten kommen.

»Was bewegt dich zu einer so schrecklichen Tat? Du willst dir das Leben nehmen?«

»Ach, Herr, ich weiß meines Leids kein Ende. Ich liebe einen Jägerburschen im Dienste meines Vaters, des Försters Reindler von Trafing, eine halbe Stunde von hier. Mein Liebhaber ist hübsch und gut, aber sehr arm. Die Eltern dulden die Liebschaft nicht und wollen von einer Heirat gar nichts wissen. Nun hat mein Vater den Liebhaber davongejagt und mich mit der Hetzpeitsche durchgehauen. Ich kann ohne meinen Liebhaber nicht leben und springe ins nächste beste Wasser, weil ihr mir jetzt in den Weg gekommen seid. Ich will und mag nun einmal ohne meinen Franz nicht leben!«

»Du hast ein sauberes Christentum im Leibe. Denkst du denn nicht daran, dass du ewig verdammt bist und in die Hölle kommst, wenn du dir selbst das Leben nimmst?«

»Der Herr Pfarrer hat’s freilich oft gesagt, aber ich glaube, der liebe Herrgott wird’s nicht so genau nehmen, sondern mit mir armen Mädchen, das die eigenen Eltern unglücklich machen, Erbarmen haben.«

»Sündige nicht auf Gottes Barmherzigkeit! Ist es möglich, dass du deinen Eltern dieses Herzenleid antun könntest?«

»Was bleibt mir sonst übrig?«

»Was gibst du mir, wenn ich mache, dass du deinen Franz bekommst?«

»Das ist der Herr gar nicht imstande.«

»Kommt drauf an! Wenn ich es aber doch imstande wäre, würdest du mir dann wohl einen Kuss geben?«

»O, gewiss nicht, darauf kann sich der Herr verlassen. Ich werde meinem Franz um keinen Preis der Welt untreu!«

»Närrisches Mädchen, ein Kuss ist ja keine Untreue!«

»Nein, nein, lieber sterben, als einen Kuss geben, den nicht mein Franz bekommt.«

»Wenn’s aber Franz erlaubt?«

»Ja, dann, dann geb’ ich dem Herrn, so viel er mag, und so viel Franz erlaubt!«

»Topp, der Handel ist geschlossen. Geh jetzt nur nach Hause und sag deinem Vater, du hättest im Wald einen Jägermeister getroffen, der heute Mittag sein Gast zu sein wünsche. Er soll nur auf mich antragen.«

»Wie heißt denn aber der Herr Jägermeister, wenn ich fragen darf?«

»Meinen Namen nenne ich dem Vater schon selbst, wenn ich komme. Wir haben oft miteinander zu tun.«

Hiesel begleitete das Mädchen bis zum Ausgang des Waldes, drückte ihr freundlich die Hand und versprach ihr wiederholt, die Heirat mit ihrem Franz zustande zu bringen. Seelenvergnügt eilte Dorchen dem väterlichen Haus zu.

Ein halbe Stunde mochte Hiesel etwa, in Gedanken versunken, durch den dichten Wald seitwärts gegangen sein, als Tiras anschlug.

Hiesel machte sich schussfertig. In demselben Augenblick rief eine Stimme: »Steh’, Hiesel, oder ich schieße!«

Vierzig Schritte von ihm, durch einen Baum gedeckt, stand ein Jäger, die Mündung des Gewehrlaufes auf Hiesel gerichtet.

»Franz!«

Hiesel lachte laut auf.

»Also du bist der unglückliche Bräutigam, der aus Verzweiflung, weil er sein Dorchen nicht bekommt, den Hiesel erschießen will.

Franz legte sein Gewehr auf den Boden und ging vertrauend auf Hiesel zu.

»Um Gotteswillen, lieber Hiesel, woher wisst Ihr dies?«

»Von deinem Dorchen. Sie hat sich eben aufhängen wollen, als ich dazukam.«

»Heiliger Gott!«

»Ja, sieh, solche Geschichten kommen bei den verdammten Liebschaften heraus. Sei nur ruhig, sie ist schon wieder nach Hause. Heute Mittag speise ich bei dem Förster und mache den Brautwerber. Er muss sie dir zur Frau geben, so wahr ich Hiesel heiße!«

Franz fiel ihm vor Freuden zu Füßen und umfasste seine Knie.

»Lass es nur gut sein und halte dich mittags in der Nähe des Försterhauses auf. Wenn ich pfeife, kommst du. Lass dir’s aber ja nie einfallen, auf mich zu streifen oder mir etwas in den Weg zu legen, sonst sollst du der Erste sein, dem ich eine Kugel durch den Kopf jage.«

Franz gelobte, ewig sein Freund zu bleiben. Beide schieden friedlich voneinander.

Der Förster Reindler konnte sich nicht entsinnen , einen Jägermeister zu kennen, ließ aber ein Gedeck für ihn auf den Tisch legen, und erwartete am Fenster neugierig und ungeduldig seine Ankunft.

Plötzlich ging die Tür auf, und Hiesel trat mit seinem Tiras ein, mit den Worten: »Guten Mittag, Herr Förster, da bin ich, nicht unangemeldet, so viel ich weiß!«

Der Beschreibung nach erkannte ihn dieser sogleich. Persönlich hatte er ihn nie gesehen. Er war in äußerster Verlegenheit.

»Wen hab’ ich die Ehre …«

»Ohne viel Umstände, Herr Förster, setzt Euch nur zu Tisch.«

In diesem Augenblick trat die Försterin mit ihren drei Kindern ein, worunter auch Dorchen war, und erschrak nicht wenig, als sie den fremden Gast und ihren bleichen und zitternden Mann sah.

»Nur Platz genommen, Frau Försterin. Ihr speist heute zum ersten Mal mit dem bayerischen Hiesel. Erschreckt nur nicht, ich bin ja die gute Stunde selbst, wenn man mir nichts zuleide tut.«

Die Försterin wäre beinahe vom Stuhl gefallen. Dorchen hatte Lust, davonzulaufen.

Hiesel führte zuerst, indem er wacker in die Schüssel griff, das Gespräch auf seinen letzten Sieg und schwur hoch und teuer, jeden zu erschießen, der daran teilgenommen habe. Unter den Teilnehmern war auch der Förster gewesen, dem natürlich kein Wissen mehr schmeckte.

»Keine Regel ohne Ausnahme,« fuhr Hiesel fort. »Ihr seid auch dabei gewesen, Herr Förster. Euch tu ich aber nichts, wenn ihr mir eine kleine Gefälligkeit erweisen wollt.«

Der Förster äußerte, er schätze sich glücklich, dem Herrn Hiesel dienen zu können.

Nun ersuchte Hiesel den Förster, er möge seine Tochter, Dorchen, dem braven, mutigen Franz zur Frau geben. Er verdiene sie, und das Mädchen ihn. Diese Bitte sei umso leichter zu erfüllen, da er selbst keinen Sohn habe, und der Franz ihm von Jahr zu Jahr, bei steigendem Alter immer nützlicher sein werde.

Der Förster suchte mit ruhigem Ton dem Hiesel seine Gegengründe auseinanderzusetzen, wagte es aber nicht, über Franz einen anderen Tadel zu äußern, als dass er von seinen Eltern aus gar nichts habe.

»Der braucht nichts«, unterbrach ihn Hiesel, »ein Jäger, der den Mut hat, ganz allein den bayerischen Hiesel und seinen Hund mitten im Wald anzugreifen, und zum Stehen aufzufordern, ist mehr wert als alle anderen Jäger des ganzen Schwabenlandes.«

Endlich willigte der Förster ein, Hiesel pfiff mit durchdringend gellendem Ton zum Fenster hinaus, und Franz trat furchtsam und demütig in die Stube.

»Da, geh hin zum Herrn Förster und bedanke dich, Franz. Er gibt dir Dorchen. Aber führ dich ordentlich auf, ehre deine braven Schwiegereltern, liebe dein gutes Dorchen, sonst schickt dir der Brautwerber alle Donnerwetter auf den Hals.«

Franz weinte vor Freude. Dorchen verbarg ihre Tränen an seinem Busen. Auch dem Förster und seiner Frau gingen die Augen über.

»Wann ist die Hochzeit?«, fragte Hiesel.

Die Försterin meinte, vor zwei Monaten könne die Hochzeit nicht wohl sein, weil die Ausfertigung erst zustande kommen müsse.

»Nun, Franz, vergiss nicht, mich vom Hochzeitstag in Kenntnis zu setzen. Ich werde dein Gast sein.«

»Apropos, Dorchen, wie steht’s jetzt mit meinem Kuss?«

»Darf ich?«, fragte Dorchen ihren Franz, indem sie ihm flüchtig von dem versprochenen Kuss erzählte.

»So viel der Herr Hiesel will«, antwortete Franz.

Dorchen näherte sich schüchtern dem furchtbaren Wildschützenhauptmann und spitzte schon das Mäulchen zum Kuss.

Hiesel aber trat mit vorgehaltener Hand, ersten Blickes, einen Schritt zurück.

Ich danke dir für den guten Willen, Dorchen, doch den Kuss behalte. Es möchte eine Zeit kommen, wo ich durch Henkershand sterben muss, und der Gedanke, einst einen Mann geküsst zu haben, der späterhin eines schimpflichen Todes auf dem Rabenstein starb, würde für dich eine trübe Erinnerung sein. Gebt mir einen Bogen Papier, Feder und Tinte!«

Hiesel setzte sich und schrieb: »Wer dem Förster Reindler zu Trafing oder seiner Familie, seinem Haus, im Wald oder auf dem Feld etwas zuleide tut, ausgenommen im Falle der Notwehr, den soll der Teufel holen, so wahr Gott im Himmel lebt!

Der bayerische Hiesel.«

»Verwahrt dies zu eurem Schutz und betet manchmal ein Vater unser für mich!«

Somit verließ Hiesel des Försters Haus, das Bewusstsein, zwei Menschen glücklich gemacht zu haben, in seinem Herzen tragend.

 

***

 

Eine wundersame Fügung des Himmels führte Hiesel an den Ort, wo ein Mädchen aus hoffnungsloser Liebe sich das Leben nehmen wollte. Wie oft ist nicht schon ein Selbstmord aus Liebe geschehen! Zu einer so schrecklichen Tat kann nur ein schwaches Herz schreiten, das keine wahre Religion, kein festes Vertrauen auf Gott hat, und das höchste Glück in die Erfüllung leidenschaftlicher Wünsche setzt.

Möchte doch die Jugend beiderlei Geschlechtes in der Liebe nicht so leichtsinnig wählen, und dabei immer auch in die Zukunft schauen! Möchten aber auch die Eltern nicht ohne wichtige Gründe der Wahl ihrer Kinder entgegen sein, wenn nur die gewählten Personen moralisch gut und fleißig sind! Geld macht in der Ehe nicht immer glücklich, aber die Not kann auch den Frieden der besten Ehe stören, darum vorsichtig! Es gibt nichts Schöneres, als wenn Eltern und Kinder in guter Eintracht miteinander leben. Die Eltern müssen von ihren Kindern geliebt werden, nicht gefürchtet. Die Liebe tut alles gerne, bringt freudig jedes Opfer. Wenn sich die Eltern so benehmen, dass ihre Kinder sie für ihre besten Freunde halten, dann werden ihnen diese jeden Gedanken, jede Neigung schon noch zur rechten Zeit anvertrauen, wodurch manches Übel, das außerdem über Hand nimmt, abgewendet werden kann.