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Die Macht der Drei – Teil 3

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Wie griechischer Marmor glänzten die Mauern des Weißen Hauses zu Washington in der grellen Mittagsonne. Aber ein dunkles Geheimnis barg sich hinter den schimmernden Mauern. Lange und nachdenklich hafteten die Blicke der Vorübergehenden auf den glatten, geraden Flächen des Gebäudes. Die politische Spannung war bis zur Unerträglichkeit gestiegen. Jede Stunde konnte den Ausbruch des schon lange gefürchteten Krieges mit dem englischen Weltreich bringen. Die Entscheidung lag dort hinter den breiten Säulen und hohen Fenstern des Weißen Hauses.

In dem Vorzimmer des Präsident-Diktators saß ein Adjutant und blickte aufmerksam auf den Zeiger der Wanduhr. Als diese mit leisem Schlag zur elften Stunde ausholte, erhob er sich und trat in das Zimmer des Präsidenten.

»Die Herren sind versammelt, Herr Präsident.«

Der Angeredete nickte kurz und beugte sich wieder zum Schreibtisch, wo er mit dem Ordnen verschiedener Papiere beschäftigt war. Ein Mann mittleren Alters. Eine Art militärischen Interimsrockes umschloss den hageren Oberkörper. Auf einem langen, dünnen Hals saß ein gewaltiger Schädel, dessen vollkommen haarlose Kuppel sich langsam hin und her bewegte. Aus dem schmalen, durchgeistigten Aszetengesicht blitzten ein Paar außerordentlich große Augen, über denen sich eine zu hohe und zu breite Stirn weit nach vorn wölbte.

Das war Cyrus Stonard, der absolute Herrscher eines Volkes von dreihundert Millionen. Als er sich jetzt erhob und langsam, beinahe zögernd der Tür zuschritt, bot er äußerlich nichts von jenen Herrscherfiguren, die in der Phantasie des Volkes zu leben pflegen. Nur das geistliche Kleid fehlte, sonst hätte man ihn wohl für eine der fanatischen Mönchsgestalten aus den mittelalterlichen Glaubenskämpfen der katholischen Kirche ansehen können.

Er durchschritt das Adjutantenzimmer und betrat einen langgestreckten Raum, dessen Mitte von einem gewaltigen, ganz mit Plänen und Karten bedeckten Tisch ausgefüllt war. In der einen Ecke des Saales standen sechs Herren in lebhaftem Gespräch. Die Staatssekretäre der Armee, der Marine, der auswärtigen Angelegenheiten und des Schatzes. Die Oberstkommandierenden des Landheeres und der Flotte. Sie verstummten beim Eintritt des Diktators. Cyrus Stonard ließ sich in den Sessel am Kopfende des Tisches nieder und winkte den anderen, Platz zu nehmen.

»Mr. Fox, geben Sie den Herren Ihren Bericht über die auswärtige Lage.«

Der Staatssekretär des Auswärtigen warf einen kurzen Blick auf seine Papiere.

»Die Spannung mit England treibt automatisch zur Entladung. Seitdem Kanada sich mit uns in einem Zollverband zusammengefunden hat, sind die Herren an der Themse verschnupft. Die Bestrebungen im australischen Parlament, nach kanadischem Muster mit uns zu verhandeln, haben die schlechte Laune in Downing Street noch verschlechtert. England sieht zwei seiner größten und reichsten Kolonien auf dem Wege natürlicher Evolution zu uns kommen. In Australien geht die Entwicklung langsamer vor sich, seitdem der japanische Druck verschwunden ist. Aber auch dort ist sie unaufhaltbar, wenn es der englischen Macht nicht vorher gelingt, uns niederzuwerfen …«

Ein spöttisches Lächeln glitt über die Züge des Flottenchefs.

»In Asien und Südamerika stoßen unsere Handelsinteressen schwer mit den englischen zusammen. Der letzte Aufstand im Jangtsekiangtal war mit englischem Geld inszeniert. Die afrikanische Union hält bei aller Wahrung ihrer politischen Selbständigkeit wirtschaftlich fest zu England und lässt nur englische Waren hinein. Unser letzter Versuch, einen Handelsvertrag mit der afrikanischen Union abzuschließen, ist gescheitert. Meines Erachtens treiben die Dinge einer schnellen Entscheidung entgegen. Die Entführung von R.F.c.1 gibt einen geeigneten Anlass. Seit zwei Stunden tobt unsere Presse gegen England.«

Cyrus Stonard hatte während des Vortrages mechanisch allerlei Schnörkel und Ornamente auf den vor ihm liegenden Schreibblock gezeichnet.

»Wie denken Sie über die Entführung des R.F.c.1?« Er heftete seinen Blick auf den Flottenchef Admiral Nichelson.

»In der Nähe der Station sind zwei englische Agenten ergriffen worden. Sie leugnen jede Teilnahme.«

»Es gibt Mittel, solche Leute zum Reden zu bringen.«

»Sie hatten den Strick um den Hals und schwiegen.«

»Es gibt wirksamere Mittel … Wie lange kann sich R.F.c.1 in der Luft halten?«

»Die Tanks waren für zwölf Stunden gefüllt. Genug, um in voller Dunkelheit zu landen, wenn es nach Osten geht. Unsere Kreuzer über dem Nordatlantik sind avisiert. Eine Landung in England müsste noch bei Helligkeit erfolgen und würde gemeldet werden.«

»Sie halten es für sicher, dass die Entführung auf Betreiben der englischen Regierung erfolgt ist?«

»Ganz sicher!«

»Hm! … der Gedanke liegt nahe … vielleicht zu nahe … Und die anderen Herren? … meinen dasselbe … hm! Hoffentlich, nein sicherlich haben sie unrecht.«

Die Staatssekretäre sahen den Diktator fragend an.

»Der letzte Gamaschenknopf sitzt noch nicht! Ich werde erst losschlagen, wenn ich weiß, dass er sitzt. Das heißt, meine Herren …« Die Stimme des Sprechenden hob sich. »R.F.c.1 mag in Gottes Namen in England landen. Für unser Volk wird es verborgen bleiben, bis es so weit ist.«

»Wie weit ist die Verteilung unserer U-Kreuzer durchgeführt?«

»Die ganze Kreuzerflotte liegt auf dem Meridian von Island vom 60. bis zum 30. Breitengrad gleichmäßig verteilt.«

Admiral Nichelson erhob sich, um die Lage der Kreuzerflotte an einem großen Globus zu demonstrieren.

»Wo stehen die Luftkreuzer?«

»Die leichte Beobachtungsflotte zwischen Island und den Färöer. Die Panzerkreuzer liegen seit drei Tagen auf dem grönländischen Inlandeis.«

»Die G-Flotte …«

»Die Schiffe auf Grönland sind damit ausgerüstet.«

Nur dieser Staatsrat wusste um das Geheimnis, dass die neuen Luftkreuzer mit Bomben versehen waren, die nach dem Abwurf Milliarden und aber Milliarden von Pest- und Cholerakeimen in die Luft wirbelten. Man hatte noch keine Gelegenheit gehabt, den Bakterienkrieg im Großen auszuprobieren. Aber die amerikanischen Fachleute versprachen sich viel davon.

»Die P-Flotte …«

Ein sardonisches Lächeln lief über die sonst so unbeweglichen Züge des Diktators, als er das Wort aussprach. Seit mehr denn Jahresfrist lagen englische Banknoten im Betrag von Hunderten von Milliarden Pfund Sterling in den geheimen Gewölben des amerikanischen Staatsschatzes. Von der Tausendpfundnote an bis hinab zu den kleinsten Beträgen. Alles so vorzüglich gefälscht und nachgedruckt, dass die Bank von England selbst diese Noten für echt halten musste. Die Aufgabe der P-Flotte war es, sofort bei Kriegsausbruch diese Unmengen englischen Papiergeldes über die ganze Welt zu zerstreuen, wo Engländer Handel trieben und englisches Geld Kurs hatte. Die Tätigkeit dieser Flotte musste das englische Geldwesen in wenigen Tagen vollkommen zerrütten. Aber die P-Flotte war noch ein schwereres Staatsgeheimnis als die G-Flotte. Die englischen Agenten hatten nur herausbekommen, dass sie für Propagandazwecke bestimmt sei und im Falle eines Krieges in großen Massen die zuerst von Woodruf Wilson in die Kriegführung zivilisierter Nationen eingeführten Traktätchen über den feindlichen Linien abzuwerfen hätte.

»Die P-Flotte übt zwischen Richmond und Norfolk«, sagte Admiral Nichelson trocken.

Jedermann im Saal wusste, dass dieser Standort fünfzehn Flugminuten von den Gewölben des Staatsschatzes entfernt war.

Cyrus nahm das Wort von Neuem auf.

»Wie lange wird es noch dauern, bis unsere Unterwasserstation an der afrikanischen Küste vollkommen gesichert ist? Die Frist ist bereits seit einer Woche abgelaufen.«

Bei diesen nicht ohne Schärfe gesprochenen Worten erhob sich der Flottenchef unwillkürlich.

»Die Schwierigkeiten waren größer als vorauszusehen war, Herr Präsident.«

»Können Sie ein bestimmtes Datum angeben?«

»Nein. Doch dürfte es auf keinen Fall länger als bis zum Ablauf dieses Monats dauern.«

»Hm … dann also, meine Herren … dann wird man R.F.c.1 zur geeigneten Zeit in England landen sehen.«

Ein Adjutant trat ein und flüsterte dem Präsidenten ein Wort ins Ohr.

»Gut, ich komme.«

Der Präsident erhob sich, die Sitzung war beendet.