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Der Teufel auf Reisen 32

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Siebentes Kapitel – Teil 1
Des Teufels Anteil

»Wollen Sie nun selbst einmal eine kleine Rolle in den Luftspielen und Dramen, welche sich hier auf Erden täglich abspielen, übernehmen?«, fragte eines Abends Schwefelkorn den Doktor, als sie, in ein elegantes Restaurant tretend, an einem der leeren Tische Platz genommen hatten, um mit aller Ruhe das Treiben in demselben zu beobachten.

»Das wäre so übel nicht“, antwortete dieser, »nur weiß ich nicht, wo sich mir gerade jetzt dazu die Gelegenheit bieten sollte.«

»Dafür lassen Sie mich sorgen. Sie sollen übrigens nur im ersten Akt tätig sein, dem zweiten wohnen Sie als Zuschauer bei.«

»Meinetwegen. Wann beginnt also das Stück?«

»Das kann schon morgen geschehen.«

»Es darf aber mit keiner Gefahr verknüpft sein, denn das wäre mir ein zu teurer Spaß. Vor allem mache ich die Bedingung, dass mir kein Degen oder keine Kugel durch den Leib gejagt wird.«

»Dafür stehe ich Ihnen. ›Es sollen Ihnen nur etwas die Federn ausgerupft werden‹, um mich einer bekannten Redensart zu bedienen.«

»Nun, darauf kommt es mir nicht an, wenn die Summe nicht zu hoch ist.«

»Wir tragen die Kosten gemeinschaftlich«, entgegnete lachend der falsche Baron. »Mein Geld ist auch nicht von Stroh, es wird auch nicht zur Kohle, wie die Leute mir fälschlich nachsagen, es hat nur die Eigenschaft, dass es denen, welche es durch meine Vermittlung beziehen, wie Wasser durch die Finger fließt und ebenso leicht zerrinnt, wie es gewonnen wurde.«

»Na«, stellte Schwalbe lachend fest, »mit soliden Leuten machen Sie allerdings keine Geschäfte, so viel ist mir schon klar geworden.«

»Die können wir bei uns zu Hause auch nicht brauchen«, fügte Schwefelkorn grinsend hinzu. »Nun, es würde Ihnen also Vergnügen machen, handelnd mitzuwirken? Ich habe soeben einen ganz interessanten Stoff in Bereitschaft.«

»Ich sage Ihnen ja, ich nehme Ihr Anerbieten an. Aber wo sind die übrigen Schauspieler, welche mitspielen sollen?«

»Oh, den Haupthelden des Stücks kann ich Ihnen gleich zeigen.«

»Was, hier?«

»Allerdings. Betrachten Sie sich einmal dort jenen jungen Herrn, welcher soeben eine Partie Billard spielt.«

»Nun, der sieht ja ganz anständig aus.«

»Äußerlich. Innerlich ist er aber um so mehr mit Schmutz bedeckt. Sehen Sie nur, gerade jetzt legt er den Queue fort. Er hat seinen Gegner zwei Partien gewinnen lassen, um ihm hinterher sechs abzunehmen. Diese Art von Leuten suchen sich mit einem merkwürdigen Scharfblick diejenigen heraus, welche ihnen ihre Einnahmequellen liefern müssen.«

»So ist es also ein Glücksritter?«

»Ein Glücksritter, ein Schwindler, ein Betrüger, wenn es sein muss, kurz ein völlig gewissenloser verdorbener Mensch. Von meinem Standpunkt aus«, fügte Schwefelkorn hinzu, »beurteile ich ihn natürlich ganz anders, da ist er ein charmanter, liebenswürdiger Mann, den ich früher oder später mit Bestimmtheit in der Hölle wiederzusehen hoffe. Allein wenn ich mit Ihnen spreche, muss ich mich den Ansichten fügen, welche bei Euch Menschenkindern, in allerdings sehr verkehrter Weise, über Tugend und Laster herrschen.«

»Schon gut«, erwiderte Schwalbe, »in dieser Beziehung kenne ich Ihre Schwäche und bei dem philosophischen Standpunkt, auf dem ich stehe, nehme ich Ihnen dies auch weiter nicht übel. Indessen, der Herr macht ja einen ganz vorteilhaften Eindruck.«

»Äußerlich. Er ist auch nicht ohne Erziehung und Bildung und stammt aus einer guten Familie. Aber das einstige Vermögen derselben wurde längst verschwendet, und sein Vater ist nicht besser wie er. Beides sind ein paar Glücksritter.«

»Das heißt, sie nehmen es, wo sie es kriegen können?«

»Ohne die geringsten Gewissensbisse«, merkte Schwefelkorn schmunzelnd an.

»Jetzt eben befindet sich hier der liebenswürdige Herr, für den ich ein besonderes Interesse hege, dem Ertrinken nahe. Das Wasser geht ihm bereits bis an den Mund und seit acht Tagen lebt er nur von kleinen Geschäften, sozusagen aus der Hand in den Mund.«

»Nun, und ich soll ihn wieder flott machen?«

»Es wird wohl nicht anders sein«, sagte der Baron, »wenn wir den Burschen auch noch weiter im Auge behalten und uns mit ihm eine Weile die Zeit vertreiben wollen. Für Ihre ›psychologische Studien‹ wird er Ihnen jedenfalls von Nutzen sein.«

»Nun, im Interesse der Wissenschaft ist mir kein Opfer zu schwer. Was soll ich also tun?«

»Wir wollen jetzt gehen. Ziehen Sie Ihre Börse und lassen Sie eine gehörige Anzahl Goldstücke blicken.«

»Zu welchem Zweck denn?«

»Glauben Sie denn nicht, dass er uns bereits längst im Stillen ins Auge gefasst hat? Dergleichen Leute besitzen eine ungemein scharfe Beobachtungsgabe und wissen mit großer Geschicklichkeit ihre Opfer herauszufinden.«

»Da! Wahrhaftig, ich habe es bemerkt, wie er eben einen heimlichen Blick herüberschickte, als ich meine Börse öffnete.«

»Das genügt. Sein Auge ist in derartigen Dingen geübt, der Glanz des Goldes wird ihm nicht entgangen sein. Jetzt kommen Sie, das Übrige findet sich von selbst.«

»Ein köstlicher Spaß«, sagte Schwefelkorn lachend, sich die Hände reibend, als sie sich auf der Straße befanden. »Der Teufelsbraten – um mich in meiner heimatlichen Sprache auszudrücken – ahnt nicht, wie nahe ich ihm bin.«

Am nächsten Abend fand sich Schwalbe allein in dem Restaurant ein. Schwefelkorn hatte ihn etwas metamorphosiert, doch so, dass er leicht wiederzuerkennen war.

Er setzte sich an denselben Tisch, den er gestern innegehabt hatte. Zu seiner Genugtuung bemerkte er, dass auch der Glücksritter bereits wieder am Billard beschäftigt war. Unser Bekannter sah anscheinend unbefangen dem Spiel zu, und ebenso unbefangen schien der andere seine Stöße zu machen. Aber eine gewisse Unruhe gab sich doch bei dem Erscheinen des Doktors bei ihm kund. Heimlich schielte er zu ihm hinüber und endlich warf er den Queue fort.

»Genug für heute!«, sagte er zu seinem Gegner, »morgen stehe ich Ihnen wieder zu Diensten, wenn Sie es wünschen.«

»Aber wir machten doch sechs Partien aus und jetzt, wo ich im Verlust bin, hören Sie plötzlich auf.«

»Das beruht jedenfalls auf einem Irrtum. Wie gesagt, morgen bin ich gern bereit, Ihnen Revanche zu geben.«

»Das finde ich aber sonderbar«, murmelte sein Mitspieler.

»Mein Herr, ich muss bitten, Ihre Ausdrücke besser zu wählen. Sie haben es mit einem Mann von Anstand und Ehre zu tun.«

Der andere sah ihn etwas zweifelhaft von der Seite an.

»Drei Partien, die Partie zu zwei Gulden, macht sechs Gulden.« Er warf das Geld auf den Billardtisch. Den Mann von Anstand und Ehre schien dies nicht im Geringsten zu genieren. Ruhig strich er den Betrag ein. Sich zu dem Aufwärter wendend, rief er: »Kellner, einen Schoppen Geisenheimer!«

»Sogleich, Herr Baron!«

Der Herr Baron schritt inzwischen, die Melodie eines Liedes leise trillernd, im Zimmer auf und ab.

»Wo soll ich den Schoppen hinstellen?«, fragte der Ganymed.

»Einerlei. Dort auf den Tisch, der Herr wird es wohl erlauben.« Er verneigte sich höflich gegen Schwalbe, welcher diese Verbeugung erwiderte.

»Eine unerträgliche Hitze«, bemerkte er, unserem Bekannten gegenüber Platz nehmend, »finden Sie das nicht auch?«

»Nun, es geht. Das Spiel wird Sie wohl etwas aufgeregt haben. Ich habe demselben zugesehen. Sie scheinen ein Meister darin zu sein.«

»Ich spiele zu meinem Vergnügen. Womit soll man die Zeit hinbringen.« »Freilich. Aber Sie spielten ziemlich hoch.«

»Eine Bagatelle, es geschieht nur, um das Interesse etwas zu erhöhen, sonst würde die Sache schließlich doch zu langweilig werden.«

»Es ist doch etwas ganz Eigentümliches, um das Leben in einer großen Stadt«, bemerkte Schwalbe mit ziemlich einfältiger Miene.

»Sie sind also hier fremd?«

»Ich kam erst dieser Tage an.«

»Wenn ich nicht irre, sah ich Sie schon gestern mit einem älteren Herrn hier?«

»Das war mein Oheim, er ist diesen Morgen wieder abgereist.«

»Wahrscheinlich nach der Provinz?«

»Ja, wir wohnen in einem kleinen Städtchen.«

»Und Sie wollen sich zu Ihrem Vergnügen hier aufhalten?«, fragte der Baron mit einer sehr entgegenkommenden Verbeugung.

»Das eben nicht«, antwortete unser Bekannter, indem er seinem Gesicht einen noch linkischeren Ausdruck gab. »Sehen Sie, lieber Herr, ich habe ein kleines Kapital – mein ganzes Besitztum – und da will ich sehen, dass ich es vorteilhaft anlegen und mich an einem Geschäft beteiligen kann.«

»Da seien Sie ja vorsichtig, es gibt hier allerhand Menschen.«

»Freilich, freilich, das hat man mir auch zu Hause schon gesagt, als ich abreiste. Wenn ich nur erst eine paffende Wohnung hätte.«

»Haben Sie denn große Ansprüche?«

»Gott bewahre. Ein hübsch möbliertes Zimmer würde mir genügen.«

»Nun, ich könnte Ihnen vielleicht dabei behilflich sein«, sagte der Glücksritter, und der Ausdruck boshafter Schadenfreude zuckte dabei über sein Gesicht.

»Ach, wenn Sie das wollten, ich würde Ihnen sehr dankbar sein!«

»Bitte, Einer muss dem anderen mit Rat und Tat zur Hand gehen, das ist ja nicht mehr als Pflicht. In dem Haus, wo ich wohne, dicht neben dem meinen, befindet sich nämlich ein solches Zimmer , wie Sie es suchen.«

»Das will ich gleich morgen mieten.«

»Sie werden sich in dem Haus sehr behaglich fühlen. An Entgegenkommen fehlt es nicht, und wenn Ihnen meine Gesellschaft zusagt, so sollen Sie mir stets willkommen sein.«

»Oh, wie gütig Sie sind! Ich weiß nicht, wie ich Ihnen für so viele Freundlichkeit danken soll …«

»Keinen Dank«, bemerkte der Baron abermals mit einer höflichen Verbeugung, »ich lebe sehr zurückgezogen – höchstens einmal eine Partie Whist …«

»Ja, sehen Sie, so eine kleine Partie liebe ich auch, es gehört zum guten Ton, nicht wahr?«

»Allerdings. Man kommt in Gesellschaften oft in die Lage, wo man ein Spiel nicht ausschlagen kann, und ich bin gern bereit, Sie in den Kreis meiner Freunde einzuführen.«

»Nun, das ist doch ein wahres Glück, dass der Zufall mich Ihre werte Bekanntschaft machen ließ.«

»Mit wem habe ich denn das Vergnügen zu sprechen?«

»Ich heiße Glöckner, Herr Baron.«

»Ich bin der Freiherr von Hahnenfeder. Darf ich mir erlauben, Ihnen meine Karte zu überreichen?«

»Oh, die nehme ich mit Dank an. Also Schlossstraße Nr. 26. Nun, ich werde nicht ermangeln, meine Aufwartung zu machen.«

Gar nicht übel gespielt für mein erstes Debüt, dachte Schwalbe, nachdem sich sein Gesellschafter nach einiger Zeit unter einem schicklichen Vorwand entfernt hatte. Der geht sicher auf den Leim. Der Bursche fließt ja vor lauter Vertrauensseligkeit über. Na, ich werde ihm schon Gelegenheit geben, sein Geld vorteilhaft anzulegen und dann fort von hier, ich habe noch ganz andere Pläne im Kopf!