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Schwäbische Sagen 15

Schwäbische-Sagen

Der Junker Jäkele

1.
Eine mündliche Überlieferung aus Wurmlingen bei Rotenburg

Im Obernwald bei Wurmlingen haust der »Junker Jäkele« oder der »Schimmelreiter«. Derselbe hatte eine halbe Stunde von Wurmlingen, in Poltringen, ein Schloss, wo er nach seinem Tod umging und öfters mit der Pfeife im Mund am offenen Fenster rauchend gesehen worden ist. Gewöhnlich aber hält er sich im Obernwald auf, den deshalb, besonders in früherer Zeit, niemand bei Nacht betrat. Einst jedoch wagte es ein Mann aus Wurmlingen des Nachts durch den Wald zu gehen. Da begegneten ihm zwei kleine Hunde, die mit einer Kette zusammengebunden waren. Hundert Schritt weiter kam ihm ein zweites Paar Hunde entgegen. Die waren größer als das erste und ebenfalls zusammengekettet. Nachdem er wieder hundert Schritt weiter gegangen war, traf er ein drittes Paar. Die waren ganz groß und auch mit einer Kette aneinander geschlossen. Unmittelbar auf diese letzten beiden Hunde folgte der Schimmelreiter und machte ein wildes Geschrei und hielt still, als der Mann ihm gegenüberstand. Dem ward es Angst zumute und er wäre gern geflohen, wenn er nicht die großen Hunde gefürchtet hätte. Da betrachtete er sich den großmächtigen Gaul mit gelbem Gebiss und den metallenen Halbmond, der unter dem Zaum hing. An dem Schimmelreiter selbst sah er ein Gewehr an der einen und eine Jagdtasche an der anderen Seite hängen. Wie er endlich aber an dem Mann hinaufblickte, bemerkte er mit Schrecken, dass er geköpft war und seinen eigenen Kopf in einem Teller unterm Arme trug. Das dauerte wohl eine Viertelstunde. Dann ritt er weiter.

Es heißt, der Schimmelreiter ziehe vom Obernwald bis ins württembergische Unterland, indem die sechs Hunde, immer zwei und zwei zusammen, vor ihm herlaufen sollen, und er selbst mit hoher Stimme den Jägerruf. »Hup! Hup!« ausstößt.

2.
Eine mündliche Überlieferung aus Wurmlingen

Es geht auch noch eine andere Sage über den Junker Jäkele, wonach er ein Herr von Presteneck gewesen sei, der auf einem kleinen Hügel bei Wurmlingen ein Schloss hatte. Dieser Schlossplatz und das daran grenzende Ortsviertel heißt noch jetzt die Presteneck. Jener Junker Jäkele von Presteneck war außerordentlich stark. Wenn er zum Beispiel einen steilen Berg herabfuhr, so sperrte er nie, sondern fasste aus dem Wagen nur mit der Hand das Rad an und konnte es festhalten. Auch war er ein sehr wilder Jäger, der selbst am Sonntag während des Gottesdienstes jagte und lärmte. Er ist endlich in einer Schlacht geblieben, man weiß nicht wo und wie. Allein seitdem sieht man ihn bei Tag und Nacht im Felde wie im Walde jagen. Er reitet einen weißen Schimmel. Eine Koppel Hunde, die alle an den Schweif seines Pferdes gebunden sind, läuft hinterdrein. So sieht man ihn gewöhnlich am Sonntag während des Gottesdienstes. Sonst beginnt seine Jagd abends, sobald die Betglocke geläutet wird und dauert bis zur Betglockenstunde des anderen Morgens.


Der Bachreiter bei Lustnau
1.

In dem Bebenhäuser Tal, im Goldersbach, reitet ein Mann auf einem Schimmel alle Nacht auf und ab und trägt seinen Kopf unter dem Arm. Man nennt ihn »Bachreiter« oder auch »Schimmelreiter«. Er ist schon bei hellem Tag gesehen worden, indem er dahin jagte, als ob er fliegen würde. Gewöhnlich aber zeigt er sich abends, gleich nach der Betglocke. Dann hört man ihn laut im Wasser patschen, sodass die Kinder, die sich etwa beim Baden verspätet haben, schnell ihr Zeug ergreifen und damit nach Hause laufen. Der Schimmel ist ganz weiß und mit roten Flecken getupft.

2.

Einst ging ein Bote von Lustnau nach Bebenhausen. Da lief der Schimmelreiter, mit seinem Kopf unterm Arm, zu Fuß neben ihm her, und zwar bald auf der rechten, bald auf der linken Seite, indem er sich immer ganz dicht an ihn herandrängte und ihn in den Graben zu treiben suchte. Das ging so fort bis an die alte Brücke, die seit der Anlage der neuen Straße abgebrochen worden war. Von dieser Brücke rutschte der Mann hinunter, saß mit einem Mal auf seinem Schimmel und ritt schnell und rauschend wie ein Rad den Bach nach Bebenhausen hinauf.

3.
Eine mündliche Überlieferung aus Lustnau

Aus einer Spinnstube (»Lichtkarz«) zu Lustnau gingen einmal bei Nacht mehrere Mädchen an den Goldersbach und sahen alsbald den Bachreiter auf seinem Schimmel.

Da rief eine Beherzte:

»Schäuble, Schäuble,
Mach dich leicht,
Dass du bald Bei mir seist !«

Und so wie sie dies gesagt hatte, kam er augenblicklich auf sie zugeritten und verfolgte sie, als sie fortliefen, bis an ihre Wohnung, woselbst er nun vor dem Fenster hin und her ritt.

Da guckte endlich ein Mann zum Fenster hinaus und sagte: »Alle guten Geister loben Gott den Herrn!«

»Und du auch,« rief der Schimmelreiter, und dann ist er fortgeritten.

4.
Eine mündliche Überlieferung aus Bebenhausen

Der Schimmelreiter hat einen Mantel um und reitet in dem Tal zwischen Lustnau und Bebenhausen hin und her, nie aber weiter. Zuweilen zeigt sich hier auch bloß der Schimmel ohne den Reiter. So weidete einmal dieser Schimmel des Bachreiters auf einer Wiese bei Bebenhausen, und ein kecker Bursche, ein Zimmermann, wagte es, sich darauf zu setzen. Da ging der Gaul eine Strecke weit mit ihm fort. Dann aber warf er ihn ab, dass dem Burschen Hören und Sehen verging.

Einige sagen, der Schimmelreiter sei erlöst und zeige sich nicht mehr. Andere wollen ihn noch in neuerer Zeit gesehen haben.


Der Unhalde-Geist in Betzingen
Eine mündliche Überlieferung aus Betzingen bei Reutlingen

Nach Betzingen kommt zu weiten von der Unhalde her durch das Schnellegäßle ein Mann zu Pferde, den man den Unhalde-Geist nennt, oder »Schimmelreiter«, weil er nämlich auf einem großen Schimmel sitzt. Er reitet dann immer durch das Hippegäßle an den »Leibselesbrunnen« , der mitten im Dorf auf einem Hof liegt und gewöhnlich nach dem Eigentümer Leibsele bezeichnet wird. Hier tränkt der Schimmelreiter jedes Mal seinen Gaul, was oft eine halbe Stunde dauert, während welcher Zeit kein anderes Vieh sich an den Brunnen wagt. Übrigens tut er niemanden etwas zuleide, kommt aber oft auf alte Leute und auf Kinder zugeritten, dass sie erschrecken. Dann ruft er bloß »Hop!«, und im Augenblick setzt der Schimmel über die Menschen hin.

Er klirrt mit Ketten. Auch hat man den Schimmelreiter schon mit einem Säbel und mit einem Gewehr auf dem Rücken herumreiten sehen, denn er soll ein Jäger gewesen sein und durchzieht deshalb auch die Wälder, die er früher unter seiner Aufsicht hatte.

In neuerer Zeit sieht und hört man nicht viel mehr von ihm.


Der Schimmelreiter bei Wankheim
Eine mündliche Überlieferung aus Wankheim, Jettenburg, Kusterdingen und sonst.

Im Elsenwäldle, in einem kleinen Tal zwischen Tübingen und Wankheim, reitet der Schimmelreiter auf einem weißen, großmächtigen Gaul durch das Gehölz und trägt seinen eigenen Kopf wie einen Hut unterm Arm. Gewöhnlich reitet er still und ruhig, oft jagt er auch wie der Blitz dahin. Wenn er langsam ritt, hat es zuweilen schon ein verwegener Bursche gewagt, sich zu ihm aufs Pferd zu setzen, was der Schimmelreiter zum Schein wohl eine Weile duldete, dann aber den Mitreiter jedes Mal jämmerlich vom Pferde warf. Er führte auch die Menschen irre.

Einmal kam ein Mann mit einem Mehlsack von Tübingen her durch das Elsenwäldle, traf den Schimmelreiter und bat ihn, dass er den Sack auf sein Pferd legen dürfe. Dieser sagte weder ja noch nein, doch ließ er es zu. Als aber der Mann so neben ihm herging, war nach einer Weile alles verschwunden. Er ging darauf den Weg zurück und fand den Sack an derselben Stelle, wo er ihn dem Schimmel aufgeladen hatte, am Boden liegen.

Oft wenn man durch das Wäldchen geht, ist es oft so still darin, als ob alles eingeschlafen wäre, weil auch nicht ein Blatt sich regt. Dann wiederum bricht plötzlich ein Sturm los, dass man meint, es müssten alle Bäume zusammenbrechen. Und das kommt bloß von dem Schimmelreiter her.


Der Schimmelreiter bei Ehningen
Eine mündliche Überlieferung aus Ehningen

In der Gegend zwischen Ehningen und Pfullingen zeigte sich früher und selbst noch in der jüngsten Zeit der Schimmelreiter. Er hat seine bestimmten Wege, die man deshalb gern meidet, besonders bei Nacht. Er lässt sich auch zuweilen am hellen Tage sehen. Wer ihn anredet, bekommt einen Schlag, dass er fallen muss, oder er hockt den Leuten auf den Rücken, dass sie ihn eine Strecke tragen müssen und unter der Last beinahe ohnmächtig werden.

Einem Schäfer, der hart an dem gewöhnlichen Weg des Schimmelreiters seine Herde eingepfercht hatte, erwürgte er zwei Schafe, sodass die ganze Herde zitterte und bebte.


Der Schimmelreiter bei Nehren
Eine mündlich Überlieferung aus Immenhausen bei Stockach

Ein Mann aus Stockach bei Tübingen hatte mit seinem Sohn den Markt in Thalheim besucht. Als sie abends heimkehrten und eben bei der Nehrener Kelter waren, sagte der Sohn zum Vater: »Da kommt ein Reiter, wir müssen aus dem Wege gehn!«

Und wie er kaum die Worte ausgesprochen hatte, sauste ein Mann auf einem großen Schimmel an ihnen vorbei, und sie sahen ganz deutlich, dass der Mann keinen Kopf hatte, sondern denselben wie einen Hut unterm Arme trug. Da erschracken sie heftig und konnten den Weg nicht mehr finden. Wie sie aber eine Weile gegangen waren, fielen sie tief einen Berg hinunter, ohne dass sie Schaden genommen hätten. Aber sie konnten schier nicht wieder hinaufkommen. Mit einem Mal standen sie vor einem großen Wasser. Da erschien der Schimmelreiter abermals, jagte an dem Wasser beständig auf und ab, ritt endlich über das Wasser hin und verschwand. Die Männer aber mussten noch die ganze Nacht in der Irre herumlaufen und kamen am anderen Morgen wieder nach Nehren. Da erzählten sie viel von dem, was sie gesehen, und von der Angst, die sie ausgestanden hatten.