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Sagen- und Märchengestalten – Der Adept zu Berlin – Teil 3

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Der Adept zu Berlin – Teil 3

König August war noch immer in Polen, wo der tapfere Schwedenfürst ihn von einer Stadt in die andere trieb. Er fühlte den Thron in seinen Grundfesten wanken, allein er vermochte nicht, der schimmernden Macht zu entsagen, für deren nutzlose Verteidigung das Blut seiner braven Sachsen in Strömen floss. Vergebens hatte er den starrköpfigen Feind durch alle Mittel zu beugen gesucht, die ihm zu Gebot standen. Selbst der in holdem Liebreiz prangenden Aurora von Königsmark blieb das felsenfeste Männerherz König Karls verschlossen. Er versagte der schlauen und verführerischen Fürstenbuhle seine Gegenwart und ließ sie unverrichteter Sache wieder heimziehen.

Nun hatte August sie auf einige Zeit nach Dresden zurückgesandt, und die Spötter wollten wissen, dass die königliche Geliebte von dem Altar, auf welchen blinde Leidenschaft sie gestellt hatte, bereits herabzusteigen beginne. Vielleicht, um diesem voreiligen Gerücht wirksam zu begegnen oder auch des Königs Sache vor den Augen seiner Freunde günstiger darzustellen, als sie war, feierte die Gräfin eines jener glänzenden Feste, wie sie außer dem französischen Hof nur der eine oder andere noch zu schaffen verstand. In strahlendem Kerzenschmuck schimmerten die Gemächer der prächtigen Wohnung, welche die Gräfin innehatte, glänzende Equipagewagen rollten heran, reich gekleidete Diener ließen die Sänften ihrer Herren vor dem hohen Portal halten, und ein beinahe ununterbrochener Zug schön gekleideter Masken wogte die breite Treppe hinauf und erfüllte die weiten duftenden Säle.

Aus der bunten Woge tauchte eine seltsame Gestalt empor, männlich an Gang und Haltung. Doch das weite schwarze Gewand mit den großen herabhängenden Flügeln auf dem Rücken gestattete den Formen des Körpers nicht, deutlich hervorzutreten, und der abenteuerliche Kopfputz mit den langen Mäuseohren um das widerwärtige Antlitz, das mit dünnen, grauen Haaren bewachsen schien, konnte ebensowohldie sanften Züge einer Frau, wie das bärtige Gesicht eines Kriegers verhüllen.

»Welch’ ein hässliches Geschöpf!«, sagte halblaut eine melodische Stimme im Rücken der schwankenden Fledermaus, »seht doch, seht, wie ihm die Arme zappeln, wie ihm die schlottrigen Glieder fast den Dienst versagen.« Die Stimme gehörte einer Maske in griechischer Tracht, deren malerisches Kostüm die herrlich geformte Gestalt in der überraschendsten Weise zeigte.

Die Griechin lehnte an einem Pfeiler, von welchem sich rankendes Gesträuch und duftige Blumen herabsenkten, die der Wirbel des Tanzes leise hin und her wehte, als wollten sie der Lieblichen sich ums Haupt schlingen. So dachte wohl auch der Mönch, der seitwärts stand und sie betrachtete, bis seine Augen durch die Verhüllung brannten, wie die dunklen Sterne der schönen Maske neben ihm.

»Ergötzt es Euch?«, begann die Stimme wieder, »lasst mich Euch unterweisen. Jene strahlende Polin dort mit der kostbaren Diamant-Agraffe am Reiherbusch ist die Gräfin selbst.«

In diesem Moment schwankte die garstige Fledermaus herum, bewegte ihre Flügel, und warf einen Blick auf die Griechin, der diese im Innersten erbeben machte. Da wälzte sich ein buntes Knäuel heran, und die Dame, der es unheimlich werden mochte, ließ sich fortreißen von dem brausenden Strom. An ihre Stelle trat die Fledermaus. Der Mönch, der einen leisen Seufzer zu vernehmen glaubte, schaute verwundert in das hässliche Gesicht. Doch die Fledermaus ergriff seine herabhängende Rechte mit ihrer kleinen, zarten, weichen Hand.

»Hu! Hu!«, sagte sie leise, »Du bist ein Jüngling, ich seh’ es an den Linien hier.«

»Kannst du prophezeien?«, fragte der Mönch und lachte mit dem frohen silbernen Ton der Jugend.

»Ich schaue in die Zukunft wie in einen Spiegel«, sprach die Maske geheimnisvoll, und blickte um sich. »Du willst hinauf, hüte dich! Denn ein neidisches Schicksal reißt unsere Träume oft herab und zertrümmert uns mit ihnen.«

Die Hand des Mönches erzitterte, allein seine Blicke flogen hinüber zu einer glänzenden Gestalt, die ihm zu winken schien, und er riss sich los. Ehe die Fledermaus ihn zurückzuhalten vermochte, war er verschwunden. »Hu! Hu!«, raunte sie im Vorüberfliegen einem grauen Pilger zu, der von der Fensterbrüstung aus den Mönch mit regem Interesse zu überwachen schien und eine rasche Wendung nahm, dem Flüchtigen nachzueilen.

»Sagt«, sprach er zu ihm, »kennt ihr die Fabel vom Fuchs, der mit dem Löwen jagte?«

Doch auch hier verhallte die Warnung ungehört. Mit einem kräftigen Stoß befreite der Pilger sich von der Hand dessen, der ihn zurückzuhalten strebte, und stürzte sich in den Strudel der tausenden Paare.

Mitten im dichtesten Maskenschwarm stand die Griechin aufatmend still und fühlte ihr Herz klopfen. Da berührte leise eine Hand die ihre. Als sie dieselbe zurückzog, wurde ein zusammengefaltetes Papier hineingeschoben.

Begierig öffnete sie und las: »Kommt zu dem Springquell, sobald Ihr es vermögt. Wichtige Mitteilungen harren Eurer.«

Hoch überrascht, blickte die Dame scheu um sich her, ob kein Lauscher sie erspähe. Dann glitt ihre schlanke Gestalt langsam durch den Saal dahin, entschlüpfte gewandt dem Mönch, der ihr zu folgen suchte, und lief endlich in ein Seitenzimmer, welches mit dem Hauptsaal nur durch einen matt erhellten Gang verbunden war.

Hier stand in immergrünen Palmen eine Statue der Liebesgöttin, als wolle sie hinabsteigen zum murmelnden Bad jener klaren Welle, die über Muscheln und bunte Kiesel rollte, genährt von dem hellen Strahl des Brunnens, der aus marmorner Umfriedung wie eine Demantgarbe sich aufschwang. Unentschlossen stand die Griechin still und lauschte. Da regte es sich in dem Bosket, welches die Liebesgöttin umgab, und eine hohe dunkle Gestalt trat hervor, schwach beleuchtet von dem Schein der rosenfarbenen Ampel.

»Seid Ihr’s?«, fragte leise eine wohlbekannte Stimme.

»Und wer soll ich sein?«, entgegnete sie neckisch, als ihre muntere Laune schnell die Oberhand gewann.

»Dieser Ton verrät Euch, Elisabeth, daran erkenne ich Euch!«, flüsterte die Stimme, und eine Hand erfasste sie und zog sie gewaltsam näher und tiefer in das Blumengebüsch.

»Gnädigster Herr!«, stammelte Elisabeth von Fürstenberg und tat, als weiche sie erschrocken zurück. »Jedermann wähnt Euch fern, und seltsam scheint es mir, dass Ihr hier seid.«

»Wichtiges führt mich her, aber ich wünschte Euch zuvor zu sprechen«

»O, mein Fürst!«, erwiderte die Schöne und senkte unter der Maske die glänzenden Augen zu Boden und harrte schweigend. Doch leidenschaftlich ergriff der König ihre Hand und flüsterte verführerische Worte in ihr Ohr, denen sie nur zu willig lauschte. Fast schien es, als fordere er eine Zusage von ihr, und indem Elisabeth dieselbe nur schwach verweigerte, nahten Schritte, und sie wollte entfliehen.

Doch er hielt sie zurück und wiederholte flehend und drohend zugleich: »Wirst du kommen, Elisabeth?«

Sie neigte errötend und bestürzt das Haupt, und wie mit einem unterdrückten Jubelruf sank die Gestalt zurück in die Schatten, aus denen sie aufgetaucht war, und Elisabeth verließ unsicheren Schrittes das Gemach.

Im Hauptsaal wogte geräuschvolle Lust. Einsam lehnte der Mönch in einer der Fensternischen, und seine sehnsuchtsvollen Blicke schweiften über die geschmückte Menge, ohne zu finden, was sie so eifrig suchten. Da trafen Flüsterlaute sein Ohr. »Versenkt Euch nicht zu tief, Meister Bötticher, in den dunklen Abgrund jener Augen, der wohl bessere Schwimmer verschlang.«

Erschrocken wandte sich der Mönch, und die hässliche Fledermaus schüttelte abermals drohend ihre schweren Flügel gegen ihn.

»Habt Ihr Euch den Pilger zum Kammerherrn erlesen?«, fuhr sie hastig fort. »Er folgt Euch auf Tritt und Schritt, und weicht er einmal, so nimmt ein anderer seine Stelle ein. Ihr habt sehr töricht gehandelt, doch Hilfe ist Euch nah.«

Ehe der Erstaunte einer Erwiderung mächtig war, entschwand die Gestalt. Aber dicht an seiner Ferse stand der Pilger, und schwer fiel ihm der Gedanke aufs Herz, dass er diese Maske fast bei jeder Wendung hinter sich erblickte. Sollte er auch von hier fliehen, wo ihm das Leben lieblicher lachte als irgendwo in der Welt? Wie durfte er seinen Aufenthalt in Wittenberg mit dem Zauberduft vergleichen, der ihm jetzt alle Sinne erfüllte, wie Elisabeth, die Fürstentochter, in ihrer anmutigen Schöne mit Bärbchen von Wildung in der plumpen, geschmacklosen Tracht?

Indessen schien das Fest sich seinem Ende zu nähern. In der Mitte des Saals entstand ein leerer Raum, aus welchem ein lautes, fröhliches Lachen ertönte. Bötticher, von der schaulustigen Menge gedrängt, vermochte allmählich dem Kreis näher zu rücken. Es schien, als führe die Fledermaus einen letzten seltsamen Reigen auf, denn mit rauschendem Flügelschlag, unheilvollem Gekreisch und glühenden Augen sauste sie dahin und dorthin, hob und senkte sich, kroch am Boden umher und erweckte dadurch die Fröhlichkeit der schon halb trunkenen Gäste zu lautem Jubel. In dem Kreis stand die schöne Gräfin Königsmark und schaute lächelnd zu. An ihre Seite trat Elisabeth von Fürstenberg, welche des Gedränges halber nicht imstande gewesen war, den Saal zu verlassen.

Der Tanz schien beendet. Aus den weiten Falten ihres Gewandes zog die Fledermaus zwei kunstvoll gearbeitete Kästchen hervor, deren zierliche Schlüssel an seidenem Band schwebten, und überreichte sie mit einer Kniebeugung den beiden Frauen. Dann zog sie sich zurück, und ein Regen duftiger Sträußlein sprühte aus ihren Ärmeln und Flügeln auf die Umstehenden, welche sich begierig darüber hinwarfen und die Fledermaus durch den Gang nach jenem Zimmer entschlüpfen ließen, in welchem der Springbrunnen noch leise plätscherte.

Indes hatte Aurora von Königsmark das Kästchen geöffnet, und neugierig richteten sich die Blicke aller auf den Inhalt desselben. Unter einer reich gestickten seidenen Decke lag in täuschender Nachbildung, aus dem zartesten Wachs geformt, in dem Gewand einer Büßenden ihr Ebenbild. Über dem umschleierten Haupt aber zeigte sich ein schwebender Kranz auf dem Grund des Kastens befestigt, mit der spottenden Inschrift: »Früh gesündigt, Tages Reue, abends Buße.«

»Haltet den Frevler!«, rief die Gräfin zornentbrannt und riss die Samtmaske von ihrem Angesicht, »ich fordere es im Namen des Königs!«

»Wer ruft den König?«, fragte eine mächtige, stolze Gestalt mit blitzenden dunklen Augen und trat aus der Maskenfülle hervor in den freien Raum, der sich bei dem Klang der wohlbekannten Stimme sogleich zu bilden begann.

Einen Augenblick war es, als lähme Überraschung die gewandte Zunge der beleidigten Dame. Doch schnell gefasst, berichtete sie in überstürzter Eile, was ihr geschehen war, und bat mit Tränen um Genugtuung.

»Und Ihr auch?«, wendete der Fürst sich zu Elisabeth von Fürstenberg, die bebend vor ihm stand. »Es freut mich, Euch hier zu sehen. Euer Vater grüßt Euch von Herzen. Doch zeigt, mein Fräulein, was die verwegene Maske Euch gebracht hat.« Damit nahm August lächelnd das Kästchen aus Elisabeths Händen, um es zu öffnen. Selbst die Gräfin vermochte, trotz der erlittenen Kränkung, ihre Augen nicht davon abzuwenden. Auch hier deckte eine silbergestickte Hülle von schwarzen Samt den Inhalt. Als der König sie hinweghob, entschlüpfte den Umstehenden ein Schreckensruf, des Fürsten Wange erbleichte. In dem Kästchen stand ein überaus fein gearbeiteter Sarg mit glänzendem Beschlag, zu Häupten ruhte die Fürstenkrone.

»Meiner Treu!«, rief der König wild, »das ist zu viel für einen Scherz!« Und er nahm den Deckel des Sarges ab. Darin lag eine weiße duftende Rose, deren Kelch die scharfe Schneide eines wunderkleinen Dolches durchschnitt. Um den Blütenstängel schlang sich ein grün-goldenes Band, mit seltsamen Zeichen bemalt.

Elisabeth von Fürstenberg war ohnmächtig zu Boden gesunken, und in der allgemeinen Verwirrung, die daraus entstand, hörte man den lauten Befehl des Königs, den Übeltäter zu ergreifen und vor sein Angesicht zu führen. So drängten alle voll Hast zu jenem Gemach hin, wo die Fledermaus noch kurz zuvor gesehen worden war und wo die Liebesgöttin sich in dem Blumen umgürteten Wasser spiegelte, denn dieses Gemach hatte nur den einen Ausgang, welcher in den Hauptgang mündete. Und wahrlich! In jener finsteren Ecke lauerte die Gestalt des Unholds, dessen Flügel jetzt schlaff herabhingen. Hundert Hände streckten sich aus, ihn an das Licht und zu gebührender Strafe zu ziehen. Indessen leistete die Maske Widerstand, gab plötzlich nach und stürzte zu Boden. Die Fledermaus war mit einem Band an die Mauer befestigt worden. Das lebende Wesen, welches sie zu boshaften Zwecken verwendet hatte, war verschwunden.

Freilich gebot der König, sofort alle Ausgänge zu schließen und die Anwesenden einer genauen Untersuchung zu unterziehen, allein es fand sich nichts Verdächtiges vor, und die Gäste zogen sich zurück.

Elisabeth war in besinnungslosem Zustand in das Haus ihres Vaters zurückgebracht worden, wo ein hitziges Fieber sie ergriff und monatelang an ihr Lager fesselte.

Kurz vor diesem Ereignis hatte der Generalgouverneur von Fürstenberg dem Adepten Bötticher die Ehre eines Besuches gegönnt. Dieser hatte in des Fürsten Gegenwart Proben mit verschiedenen Metallen vorgenommen, die eine glänzende Lösung des wunderbaren Problems erzielten. Seit dieser Zeit wurde dem Jüngling eine schöne und bequeme Wohnung im kurfürstlichen Schloss selbst eingeräumt, ein Hofwagen zu seiner Verfügung gestellt, und wenn er über die verhängnisvollen Fäden des Netzes hinwegsah, welches ihn gefangen hielt, konnte sich der Alchemist kaum ein sorgloseres Leben denken, als das seine war.

Fürstenberg machte sich nun unter dem Lärm und den Gefahren des Krieges auf, seinem königlichen Herrn die erwünschte Kunde selbst zu bringen. Auch in des Königs Gegenwart wurden neue Versuche angestellt, allein vergebens. Zwar erwies sich das mitgebrachte Adeptengold in allen Proben als gediegenes Metall, aber die Silbermünzen, welche August mit eigenen Händen zu vergolden wünschte, blieben unverändert. Er tröstete sich jedoch damit, dass er die Schuld des Misslingens dem mangelhaften Verfahren beimaß. Um den Adepten persönlich zu sehen, ihn mit aller Schärfe zu prüfen, verließ der König auf kurze Zeit das Winterquartier, welches er in Polen bezogen hatte. Den Generalgouverneur ließ er zurück. Vielleicht war ihm die Gegenwart desselben, ungeachtet seiner Treue und Ergebenheit, nicht ganz erwünscht in Dresden. Der Fürst wachte streng über seines Hauses Ehre und empfand keinerlei Versuchung, Elisabeth in gleicher Höhe mit der schönen Aurora von Königsmark zu erblicken.

Es bedurfte nun seiner Nähe nicht. Hatte doch das unholde Geschenk der rätselhaften Maske die Wünsche des Königs sattsam durchkreuzt und alle ferneren Bemühungen desselben um das liebreizende Fürstenkind abgebrochen, an dessen Tür jetzt ein anderer, mächtigerer Freier pochte, der Tod!

Desto eifriger wendete sich der König dem vorgeblichen Zweck seiner Reise zu. Bedurfte er doch zu dem blutigen Streit um Polens Fürstenkrone reicher, unerschöpflicher Mittel, wie England sie dem in seiner Genügsamkeit doppelt furchtbaren Schwedenkönig Karl XII. gefällig bot. Der junge Adept, obwohl er spröde genug sich weigerte und die Enthüllung seines Geheimnisses von einer Zeit zur anderen verschob, sollte ihn von seinen Sorgen befreien. Selbst aus der Ferne noch gelangten verbindliche königliche Handschreiben an den so unentbehrlich Gewordenen, um ihm mit Güte zu entlocken, was er so beharrlich verschwieg. Allein diese Gnade vermehrte nur den schmerzlichen Zwiespalt, in welchen der Jüngling mit sich selbst geriet, schlang nur fester die Bande, denen er, wiewohl vergeblich, zu entkommen suchte. Er begann den Abgrund zu ahnen, der sich vor ihm öffnete. In kindischer Sorglosigkeit, in gedankenloser Unbefangenheit hatte er den Schatz vergeudet, den Laskaris einst zu Berlin in seine Hand gelegt hatte. Mit Verzweiflung im Herzen sann er über ein Mittel nach, sich der Gefangenschaft zu entziehen, die je länger, um so deutlicher zu Tage trat, oder die wundervolle Mischung in einer vom Glück gesegneten Stunde wirklich zu finden.

Aurora von Königsmark lag in ihrem Gemach auf einem Ruhebett und stützte nachdenklich das Haupt in ihre Hand. Das große Abenteuer ihres Lebens schien sich einem frühen und unerwünschten Ende zuzuneigen, und bittere Gedanken der Reue stiegen in dem Herzen des schönen Weibes auf. Fast hätte sie darüber vergessen, dass sie in geheimnisvoller Weise von einem Unbekannten um die Gunst einer Unterredung angefleht worden war.

Der Fremde zeigte eine athletisch gebaute Gestalt, hatte ein männlich-schönes Antlitz und einen freien, offenen Blick. Was mochte er wollen? Sie wies ihn nicht zurück, wie sie sonst wohl getan haben würde. Als sie in ihren tiefen Grübeleien zufällig seiner gedachte, stieg sein Bild wieder deutlich vor ihr auf. Wer war der Fremde? Woher kam er? Für ein verliebtes Abenteuer blickte er zu ernst, für eine Kränkung, wie sie jüngst ihr noch zuteilgeworden war, schien er ihr zu sittig und stolz.

Der leise bewegte Vorhang an der Tür ihres Gemaches weckte sie aus ihren Gedanken. Die Vertraute erschien und meldete den Fremden.

»Fides«, sprach die Gräfin schnell, »nimm deinen Platz ein. Wenn ich ihm trauen darf, gebe ich dir das gewohnte Zeichen. Dann gehst du und schließt sorgfältig das Vorgemach.«

»Wie Ihr befehlt«, erwiderte das Mädchen, neigte sich demutsvoll und entschlüpfte.

Eine hohe Gestalt erfüllte den Eingang der Tür und näherte sich der gefeiertsten Schönheit der Zeit. Wie zauberisch ihre Reize ihm ins Auge leuchten mochten, wusste er sich doch wacker zu bezwingen. Mit ehrfurchtsvollem Gruß sagte er leise, doch bestimmt: »Vergebt, erlauchte Frau, mein Bericht duldet keine Zeugen.«

»Redet ohne Scheu«, entgegnete die Gräfin mit holdem Lächeln, »wir sind allein.« Indessen zögerte der Fremde, und erst nach einer Pause begann er mit gedämpfter Stimme also: »Es wird Euch nicht unbekannt sein, erhabene Frau, dass diese Mauern einen Gefangenen bergen, der in törichtem Übermut sich mit dem Ruhm eines wirklichen Adepten zu schmücken wagte.«

»Sprecht Ihr von Meister Bötticher, Herr?«, unterbrach ihn die Gräfin schnell, »wer seid Ihr? Woher kommt Ihr?«

Der raschen Frage folgte die feste Antwort: »Aus Berlin komme ich und bin ein Freund Johannes Böttichers.«

»Ah«, entgegnete Aurora mit einem Lächeln, das den Preußen vom Wirbel bis zur Zehe in Verachtung hüllen sollte, »ah, ich begreife.«

»Lasst mich ausreden, hohe Frau«, fuhr der Fremde fort, hob voll Stolz das braun gelockte Haupt, während sein Blick mit ruhiger Klarheit auf dem Antlitz der Gräfin weilte. »Wohl fühle und verstehe ich den Sinn Eurer Worte. Ihr haltet mich für einen Abgesandten, und der bin ich allerdings, doch anders als Ihr denkt. Seht hier meine Beglaubigung.«

Er hielt der Gräfin ein Papier entgegen, dessen Unterschrift sie mit raschem Blick überflog.

»Wie?«, rief sie, »Ihr kommt von ihm, von Laskaris? Wo saht Ihr ihn? Was vertraute er Euch an? Was kümmert ihn die Sache Böttichers?«

»Gar viel, gnädige Frau«, entgegnete der Fremde. »Ihr irrt, wenn Ihr meint, Bötticher habe den Stein der Weisen gefunden. Der ehrgeizige Jüngling betrog in seinem Wahn sich und andere. Laskaris war es, der ihm die wundersame Materie mitteilte, durch deren Wirkung Bötticher schon in Berlin, dann in Wittenberg und endlich hier die Verwandlung erzeugte. Er selbst vermag das Elixier nicht zu bereiten, von dem er nichts mehr besitzt und niemals wird er es können. Ihr wisst so gut, wie ich, gnädige Gräfin, welch ein Los den Betrüger erwartet. Ihn, den er durch seine Mitschuld dem Verderben entgegeneilen steht, zu retten, kam Laskaris noch einmal unerkannt zu uns. Er suchte einen Mann, der ihm dazu mit opferfreudiger Selbstverleugnung die helfende Hand bieten möchte.«

Während der Fremde so sprach, hatte sich die Gräfin aufgerichtet. Dann erhob sie sich, verließ das Gemach, kehrte aber bald zurück und nahm ihre frühere Stellung wieder ein. Hierauf begann sie: »Und Ihr ward es, der sich zu der Ausführung erbot? Habt Ihr auch bedacht, was Ihr wagt und wie man mit Euch verfahren wird, wenn der Plan entdeckt würde?«

»Erlauchte Frau«, entgegnete der Fremde, und ein lichtes Rot verklärte seine männlich schönen Züge, »wer allzu viel bedenkt, was mag er leisten? Durch mich wollte Laskaris dem durchlauchtigsten Kurfürsten …«

»Wen meint Ihr?«, unterbrach die Gräfin und drohte mit dem Finger.

»Vergebt!«, sagte der Fremde, der ein leises Lächeln nicht ganz zu unterdrücken vermochte, »vergebt, den König meinte ich. Laskaris bietet durch Schrift und Bürgen dem Könige achtmal hunderttausend Dukaten gemünzten Goldes, wenn Seine Majestät um diesen Preis geneigt sei, den vorwitzigen Jüngling zu entlassen.«

Er hatte nicht nötig, die Wirkung seiner Worte zu erspähen. Wie die goldene Wolke einst den Götterfürsten herab trug in Danaes Arme und Schloss und Riegel machtvoll sprengte, so wich auch hier jegliches Bedenken der alles überwindenden Kraft des Goldes.

Die schöne Aurora von Königsmark erhob sich in fieberhafter Erregung und trat dicht zu dem Fremden, dessen Hand sie ergriff. »Wie sagt Ihr?«, rief sie mit blitzenden Augen, und der warme Hauch ihrer Lippen traf seine gebräunte Wange. »Um des Himmels willen tut dem König nicht diesen Vorschlag! Nichts würde ihn mehr in seinem Sinn befestigen, als ein solcher. Nicht ausliefern würde er den Bötticher, nein, nur fester würde er ihn halten. Wisst Ihr, dass er ihn huldvoll in den Adelstand erhob und dass ihm noch heute sein Patent ausgefertigt wird?«

Der Fremde zuckte verächtlich die Schulter: »Es ist immer nur der Unterschied von Gold und Eisen«, sagte er, »die Kette bleibt dieselbe. Doch seht selbst, hohe Frau. Das Geld ist bereit, in Holland liegt es. Wer es auch sein mag, der den Kerker jenes Unbesonnenen erschließt und ihn der Freiheit wiedergibt, ihm gebührt der Schatz.«

»Wer seid, wie heißt Ihr?«, fragte die Gräfin schnell.

»Pasch«, sagte der Fremde ruhig, »Doktor Pasch.«

»Pasch«, wiederholte sie sinnend, »wo hörte ich diesen Namen? Ah, ich erinnere mich. Seid Ihr ein Verwandter des Bürgermeisters zu Wittenberg, in dessen Haus Bötticher Iebte?«

»Seines Bruders Sohn«, erwiderte er, »doch von jenem Aufenthalt Böttichers wusste ich nichts.«

»So kennt Ihr auch den Geheimschreiber Fürstenbergs«, fuhr die Dame fort, und Pasch bemerkte nicht ohne Schrecken, wie ihre glühende Erregung einem kühlen Nachdenken zu weichen schien. »Hans Gelneck ist ein Vetter oder Schwestersohn des alten Herrn. Wenn Ihr mit ihm über die Sache gesprochen habt, sagt es frei heraus. Ich muss das wissen, ehe ich handeln kann und darf, denn ich kenne Gelneck nur zu gut.«

»Nein«, sprach Pasch mit überzeugender Aufrichtigkeit in Stimme und Blick, »ich kenne ihn nicht, sonst würde ich mich zunächst durch ihn an Euch gewendet haben.«

Die Gräfin lächelte: »Ich warne Euch«, sagte sie schnell, »geht keinen Vertrag mit ihm ein. Ihn plagt der Ehrgeiz, und er würde uns alle verderben, wenn er dadurch zu steigen hoffte. Es ist ein trügerischer Boden, auf dem Ihr wandelt. Traut keinem. Ich will Euch raten, Euch helfen. Doch jetzt verlasst mich, denn ich habe viel zu denken. Wünscht Ihr Euren Freund zu sehen? Der Offizier, der die Wache kommandiert, – Bötticher wird trotz aller Gnade scharf bewacht, – ist mir bekannt und auch ergeben. Nehmt diesen Ring, – sie zog einen einfachen Reif vom Finger, – zeigt ihn vor und sagt, Ihr wünschtet den Adepten zu sprechen. Macht es klug und bringt das Pfand mir zurück, wenn Ihr Morgen um dieselbe Stunde bei mir seid. Gehabt Euch wohl!« Damit reichte sie ihm die schöne Hand zum Kuss, und Pasch schritt hinaus, die wackere Brust geschwellt von fröhlichem Hoffen.

Allein es hegte jeder seine besonderen Geheimnisse an diesem Hof. In der Nacht, welche dem ereignisreichen Tag folgte, schlich sich Gelneck leise aus Fides’, des Kammermädchens Gemach, die ihn an der Tür noch in zärtlichem Umfangen fesselte.

»Ich habe dir Großes anvertraut«, sagte sie flüsternd, »wenn es gelingt, ist dein Glück gewiss.

»Und dir verdanke ich es«, entgegnete er mit einem Kuss, »sei wachsam, meine Geliebte, berichte mir alles, was du von jenem landesverräterischen Plan erforschen kannst. Auch dein Glück hängt davon ab. Sieh, deine Gebieterin, die Gräfin, vermag sich kaum noch auf jener Höhe zu behaupten, zu der die Gunst des Königs sie erhob. In wenigen Monaten steigt sie herab, um einer anderen Platz zu machen. Wir müssen uns unabhängig erhalten von solchem Wechsel und das soll jetzt geschehen.« Dabei küsste er sie von Neuem und löschte damit alle Skrupel, die vielleicht in ihr aufsteigen konnten.

Sie schaute ihm nach, wie er im fahlen Sternenschimmer hinweg eilte, seiner Behausung zu. Dann murmelte sie, ihre Tür schließend: »Was würde sie mir dafür bieten? Geld, nichts als jene elende Münze, welche mein Auge nicht berauscht, mein Herz nicht rascher klopfen lässt. Doch er, er gibt mir Liebe dafür und fröhliche, selige Zukunft. Ihm gebührt der Sieg!«

So sind die Frauenzimmer!, dachte Gelneck, als er fröstelnd vorwärtsschritt. Hält dieses Mädchen ihr Glück in beiden Händen und wirft es für ein paar Küsse und einige hübsche Redensarten fort, – das Schaf!