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Frederick Marryat – Die Sendung – Kapitel 18

Kapitän Frederick Marryat
Die Sendung
Umschlagzeichnung nach Originalentwürfen von Professor Honegger
Neue deutsche Ausgabe. Magdeburger Verlagsanstalt. 1915
Kapitel 18

Unsere Reisenden blieben diesen und den nächsten Tag ruhig liegen, denn die Pferde hatten so sehr Not gelitten, dass ihnen ein paar Rasttage durchaus notwendig waren. Auch tat es unseren Reisenden gleichfalls nicht leid, nach ihrer erschöpfenden Wanderung durch die Wüste ein wenig der Muße zu pflegen. Das Vieh erfreute sich der üppigen Weide. Obschon sich ganz in der Nähe die Spuren der Löwen blicken ließen, blieb die Karawane doch mit den Nachtbesuchen dieser Gäste verschont, weil es nicht an Brennstoff fehlte, um große Feuer zu unterhalten. Die Khoikhoi waren aufs Rekognoszieren ausgezogen und hatten in einer großen Ebene, die etwa eine Stunde entfernt lag, eine Menge Wild gefunden. Unsere Reisenden beschlossen daher, einige Tage an Ort und Stelle zu rasten, wenn sich nicht etwa die Tiere wegschüchtern ließen. Swanevelt hatte über den Fluss gesetzt und brachte die Meldung, dass sich auf der anderen Seite eine große Elefantenherde befinde. Auch seien die Spuren des Nashorns auf beiden Seiten des Flusses zu erkennen.

Am dritten Morgen nach ihrer Ankunft an dem Vaal brachen sie, von den Khoikhoi begleitet, zu der bereits erwähnten Ebene auf. Sie ritten durch großartige Gruppen von Akazien- oder Kameldornbäumen, von denen viele mit den ungeheuren Nestern der geselligen Dickschnäbel bedeckt waren. Sowie sie in die Ebene hinabstiegen, bemerkten sie große Herden scheckiger Gnus, Quaggas und Antilopen, die das Land, soweit das Auge reichen konnte, bedeckten und in Massen hin und her zogen, bald sich vereinigend, bald sich trennend, sodass der ganze Grund zu leben schien.

»Ist dies nicht herrlich?«, rief der Major. »Ein solcher Anblick ist wohl all der Anstrengung wert, der wir uns unterzogen haben. Was würden sie in England sagen, wenn sie eine solche Szene mit ansehen könnten?«

»Es müssen ihrer Tausend und aber Tausende sein«, versetzte Alexander. »Sagt mir, Swinton, wie heißen jene schönen, purpurfarbigen Tiere?«

»Es sind die Purpur-Sessebeis«, versetzte Swinton, »eine der zierlichsten Antilopenarten.«

»Und jene rotgelben Tiere dort draußen?«

»Das sind die Quaggas. Ich möchte wohl, wenn es anginge, ein Weibchen davon besitzen.«

»Schaut!«, rief der Major. »Dort ist eine schöne Straußenherde. Wir wissen gar nicht, wo wir anfangen sollen. Kommt, wir haben die Szene lange genug betrachtet. Jetzt vorwärts, um sie zu verändern!« Sie ritten hinab und befanden sich bald in Schussweite, worauf die Büchsen ihr Werk begannen. Die Khoikhoi zündeten an verschiedenen Stellen Feuer an, und die Tiere, erschreckt durch das Knallen der Gewehre, flüchteten in alle Richtungen, sodass sich der Platz in eine einzige Staubwolke hüllte. Unsere

Reisenden setzten ihre Pferde in Galopp und kamen bald den Flüchtlingen wieder nach, da die große Anzahl die Geschwindigkeit derselben hemmte. Jeder Schuss tat seine Wirkung, denn es war kaum möglich, die Tiere zu verfehlen, und die Khoikhoi, welche zu Fuß nachfolgten, machten den Verwundeten vollends den Garaus. Endlich waren die Pferde zu ermüdet und atemlos, um weiter zu können, weshalb unsere Reisenden die Zügel anhielten.

»Das ist einmal eine Jagd gewesen, Alexander. Meint Ihr nicht?«, fragte der Major.

»Ja, in der Tat ein grand battue in großartigem Maßstab.«

»Es waren auch drei Tiere darunter, die Ihr nicht bemerkt habt«, entgegnen Swinton. »Sie standen aber zu weit weg, als dass wir hätten an sie kommen können, und so müssen wir denn ein anderes Mal auf sie abheben.«

»Was meint Ihr?«

»Drei Elen, die größte Antilopenart«, versetzte Swinton, »welche noch obendrein das beste Fleisch bietet. Sie sind bisweilen vorn neunzehn Faust hoch und wiegen nahezu zweitausend Pfund. Das Tier hat den Kopf einer Antilope, aber sein Leib ähnelt mehr dem eines Ochsen. Es hat herrliche gerade Hörner, die übrigens nicht gefährlich sind, und man kann das Elen leicht niederrennen, da es in der Regel zu fett ist, um vieler Anstrengung gewachsen zu sein.«

»Wir wollen ihm morgen auflauern«, sagte der Major. »Schaut, wie die Geier über uns hinweg schweben. Sie wissen, dass es auf den Abend für sie Knochen abzunagen gibt.«

»Sie dürfen auf mehr als Knochen Rechnung machen«, versetzte Alexander, »denn was können wir mit so viel Fleisch anfangen? Wir hätten Mundvorrat für einen Monat, wenn er sich halten würde. Welche wunderbare Abwechslung bietet nicht die Tierwelt in diesem Land!«

»Ja, sie ist hier zusammengehäuft, weil das übrige Land infolge des Regenmangels als öde betrachtet werden kann. Aber im Bereich von acht oder neun Breitengraden nördlich vom Kap finden wir die größten und kleinsten Gebilde der Schöpfung – unter den Vögeln zum Beispiel den Strauß und den kleinen Baumläufer, unter den Säugetieren den Elefanten mit einem Gewicht von vierzig Zentnern und die schwarze gefleckte Maus, die kaum ein halbes Lot schwer ist. Wir haben die Giraffe mit siebzehn Fuß Höhe und die kleine Viverra, eine Art Wiesel von nur drei Zoll. Ich glaube, es sind bereits dreißig Antilopenspezies bekannt und beschrieben. Achtzehn davon kommen in diesem Land vor und zwar darunter die größte wie die kleinste Gattung, denn wir haben hier das Elen und die Zwergantilope, die nicht über sechs Zoll hoch ist. Auch sehen wir in Afrika die Übergangsglieder vieler Geschlechter, wie zum Beispiel das Elen und das Gnu, ferner den Elefanten, das Nashorn und Wilmots Freund, das Flusspferd, welche gewiss die massenhaftesten Tiere in der Schöpfung sind.«

Bremen kam nun heran, um zu sagen, dass er dicht am Fluss im Gebüsch unter einer Akaziengruppe ein Nashorn entdeckt habe. Der Major und Alexander erklärten, augenblicklich darauf Jagd machen zu wollen, aber Swinton riet ihnen zur Vorsicht, da der Angriff auf ein Rhinozeros eine bedenkliche Sache sei, wenn sie sich nicht gehörig fern hielten. Sie ritten zu der Baumgruppe hinab, wo das Tier verborgen sein sollte, und sandten Bremens Rat zufolge die Hunde ab, um das Tier heraus zu hetzen. Der Major forderte Bremen, der zu Fuß war, auf, sich zu Omrah aufs Pferd zu setzen, damit er schneller fortkomme. Unsere Reisenden blieben auf einem freien Platz, etwa zweihundert Schritte von dem Gebüsch, wo das Nashorn versteckt lag. Die Khoikhoi waren gleichfalls nachgefolgt und hatten Befehl erhalten, um keinen Preis Feuer zu geben, bis sie ihre Posten eingenommen und die Hunde das Tier heraus getrieben hätten.

Sobald Bremen mit den Hunden eine Strecke voraus war, riet Swinton seinen Freunden, sie sollten absteigen und sich unter eine nahe Baumgruppe begeben, wo sie vor dem Tier verborgen waren. Sie riefen Omrah zu, er solle die Pferde unter seine Obhut nehmen, konnten aber seiner nicht ansichtig werden, weshalb sie die Tiere einem der Khoikhoi übergaben, damit er sie eine Strecke weit fortführe.

»Der Gesichtskreis des Nashorns ist so beschränkt«, bemerkte Swinton, »dass es nicht schwer ist, seinen ersten Angriffen auszuweichen. Aber im zweiten ist er in der Regel für das Manöver vorbereitet. Eine Kugel in die Schulter tut die beste Wirkung. Schaut, Bremen hat die Hunde gehetzt.«

Das Bellen der Hunde, welches begann, sobald sie ins Gebüsch gedrungen waren, hatte nicht mehr denn eine Minute gewährt, als ein weibliches Nashorn von der schwarzen Varietät ans dem Dickicht brach, um die zurückweichenden Hunde zu verfolgen Die Khoikhoi, welche an verschiedenen Stellen versteckt lagen, taten mehrere erfolglose Schüsse. Das Tier aber lief weiter und wühlte, sich nach den Feinden nur sehend, mit seinen Hörnern den Boden auf. Endlich bemerkte es einen Khoikhoi, der sich aus einem Busch in der Nähe der Stelle, wo unsere Reisenden verborgen waren, zeigte. Das Nashorn schoss augenblicklich auf ihn zu, wurde aber in seinem Anlauf durch eine Kugel aus Alexanders Büchse auf die Knie gestreckt. Ohne Rücksicht auf Swintons Rufen, der zur Vorsicht aufforderte, weil das Tier noch nicht tot sei, eilten die Khoikhoi heraus und umringten es in der Entfernung von einigen Fuß. Aber es erhob sich wieder und machte einen wütenden Angriff auf Swanevelt, der nur mit knapper Not zu entkommen imstande war. Ein Schuss des Majors machte der Bestie den Garaus, und unsere Reisenden gingen nun auf die Stelle zu, wo das Tier lag, als mit einem Mal ein Schrei Omrahs, der neben dem Fluss stand, ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie bemerkten, dass das Nashornmännchen, dessen Nähe sie nicht wahrgenommen hatten, aus demselben Versteck hervorbrach und auf sie zustürzte.

Alles ergriff augenblicklich die Flucht und viele der Khoikhoi ließen in ihrer Flucht die Muskete fallen. Glücklicherweise ließ ihnen die Entfernung von dem Versteck Zeit, sich im Dickicht zu verbergen, ehe das Tier herankommen konnte. Eine Kugel aus Swintons Büchse gab dem grimmigen Feind, der nun in seiner Wut die Erde aufwühlte und sich nach allen Seiten mit blitzenden Augen nach einem Opfer umsah, eine andere Richtung. In diesem Augenblick, als er noch immer zögernd umherschaute, zeigte sich zum Erstaunen der ganzen Partie Omrah offen auf der anderen Seite des Nashorns und schwenkte das rote Tuch, das er von seinem Kopf abgenommen hatte. Das Nashorn war des Knaben kaum ansichtig geworden, als es wütend auf ihn zuschoss.

»Der Knabe ist verloren!«, rief Swinton.

Aber kaum waren die Worte seinem Munde entwischt, als zu ihrem Erstaunen das Nashorn verschwand und Omrah unter Bocksprüngen entzückt hinaus jubelte. Der Knabe war nämlich, als er unsere Reisenden verließ, zum Fluss hinuntergegangen und unterwegs mit seinem leichten Gewicht über eine Stelle weggekommen, in welcher er eine der tiefen Gruben erkannte, welche die Buschmänner zum Fang dieser Tiere auszuwühlen pflegen. Nachdem er sich von der Richtigkeit dieser Tatsache vollkommen überzeugt hatte, blieb er an der Seite derselben und hielt, während das Nashorn auf ihn zustürzte, die Grube zwischen sich und dem Tier. Er wollte es zum Angriff auf sich reizen, und der Erfolg zeigte, dass die Bestie nur vier Schritte von dem Knaben in die Grube fiel, die für sie gegraben war. Der Ausgang von Omrahs Plan erklärte die Sache mit einem Mal, und unsere Reisenden eilten nun nach dem Platz, wo das Nashorn gefangen war. Sie bemerkten nun, dass es sich an einem großen, in der Mitte der Grube aufgerichteten Pfahl aufgespießt hatte. Eine Kugel des Majors machte der Wut und dem Leben des Tieres ein Ende.

»In meinem Leben war ich nie so aufgeregt«, sagte Alexander. »Ich meinte, der Bube sei toll geworden und verlange durchaus ums Leben gebracht zu werden.«

»Mir erging es ebenso«, versetzte Swinton, »und doch hätte ich ihn besser kennen sollen. Ich denke, Major, wir haben für jetzt genug getan und können zur Karawane zurückkehren.«

»Ja, ich bin wohl zufrieden mit der Jagd des heutigen Tages. Auch fühle ich mich nicht wenig hungrig. Wir wollen es den Khoikhoi überlassen, so viel Wildbret nachzubringen wie sie können. Ihr habt doch Sorge getragen, ihnen wegen der Exemplare für Eure Sammlung die nötigen Weisungen zu geben, Swinton?«

»Ja, Bremen kennt die Tiere, die ich haben möchte, und ist danach aus. Omrah, lauf und sage jenem Burschen, er solle unsere Pferde bringen.«

»Wir haben heute ein großartiges Nachtessen«, sagte Alexander, als sie bei Tisch saßen. »Womit kann ich aufwarten? Mit Quagga, Seffebei oder Nashorn?«

»Danke schön«, versetzte der Major lachend, »ich möchte Euch um eine kleine Portion Rhinozerossteak bitten – doch recht saftig, wenn’s beliebt.«

»Wie seltsam würde dies in Grosvenor-Square klingen!«

»Wenn man nicht etwa die Tiere in Richmond-Park schösse«, sagte Swinton.

»Unsere schuftigen Khoikhoi werden für heute Nacht kein Brennholz sammeln, wenn wir sie nicht dazu zwingen«, sprach der Major. »Sobald es einmal ans Vollstopfen geht, ist nichts mehr mit ihnen anzufangen.«

»Sehr wahr. Es ist daher am besten, wir lassen die Feuer anzünden. Rufe Bremen herbei, Omrah. Es ist Zeit, schlafen zu gehen. Also, gute Nacht.«

Mit der Dämmerung des nächsten Morgens brachen sie, nachdem sie ein hastiges Mahl eingenommen hatten, wieder zu der Ebene auf. Swinton, der mit seinen Präparaten beschäftigt war, begleitete sie nicht. Als sie an dem Ort ihres Zieles anlangten, lag ein dichter Nebel auf der Ebene. Sie warteten eine Weile am südlichen Ende, damit sich die Tiere mehr zum Lager hinziehen mochten. Als endlich der Nebel verschwand, entdeckten sie, dass die ganze Gegend, wie früher, mit wilden Tieren aller Art bedeckt war. Diesmal hatten sie es jedoch auf die Elen-Antilopen abgesehen, weshalb sie einige Zeit stehen blieben, um sich

unter den verschiedenen Tierarten, die in allen Richtungen umher zerstreut waren, die gewünschte Beute auszulesen. Endlich machte Omrah, dessen Augen weit schärfer waren als die der Khoikhoi, auf drei Tiere aufmerksam, die sich unter einem großen Akazienbaum befanden. Sie trabten augenblicklich in diese Richtung, während die verschiedenen Herden Quaggas, Gnus und Antilopen vor ihnen ausrissen und durch das Geklapper ihrer Hufe ein Getöse verursachten, dass man hätte glauben können, ein ganzes Kavallerieheer sei im Ansprengen begriffen. Die Elen-Antilopen verhielten sich ruhig, bis die Jäger nur noch dreihundert Schritte von ihnen abstanden. Dann aber fingen sie, trotz ihres schwerfälligen Aussehens, dermaßen zu galoppieren an, dass die Pferde weit hinter ihnen zurückblieben. Diese Geschwindigkeit war jedoch nicht nachhaltig, und der Major und Alexander fanden bald, dass sie ihnen wieder näher kamen. Die armen Tiere strengten sich vergeblich an. Ihre glatten Felle wurden zuerst blau und dann weiß von Schaum und Schweiß. Endlich aber sahen sie sich zum Stillstehen genötigt und wurden durch die Büchsen unserer Reisenden erlegt, welche sodann abstiegen und auf ihre Opfer zugingen.

»Welch herrliche Tiere!«, rief Alexander.

»Sie sind in der Tat ungemein groß«, sagte der Major. »Betrachtet nur das schöne, edle Auge dieses sterbenden Tieres. Ist es nicht sprechend?«

»Ja, als ob es um Gnade flehte – das arme Geschöpf!«

,,Na, sie sollen gut zu essen sein, und diese drei Tiere wiegen mehr als fünfzig Antilopen.«

»Mehr als fünfzig Springböcke jedenfalls. Aber was fangen wir jetzt an?«

»Wir wollen unsere Pferde verschnaufen lassen und dann sehen, ob wir nicht etwa auf neues Wild treffen.«

»In der Richtung jener Höhe sah ich zwei oder drei Antilopen von ganz anderer Art, als die Sessebeis und Quaggas. Wir wollen uns dahinziehen, sobald die Khoikhoi heraufgekommen sind und unsere Jagdbeute in Empfang genommen haben.«

»Will wohl Swinton eines dieser Geschöpfe für seine Sammlung präparieren?«

»Ich glaube nicht, denn sie sind so schwerfällig. Er sagt, wir werden sie auf unserem Zug in Menge finden, und er wollte die Wagen nicht eher mit einer Haut belästigen, bis wir das Vaal-Tal verlassen und den Rückweg antreten. He, Bremen und Omrah, kommt mit uns.«

Der Major und Alexander drehten sodann die Köpfe ihrer Pferde und ritten langsam auf die erwähnte Anhöhe zu, auf welcher noch immer im Gebüsch die vom Major beobachteten Antilopen sichtbar waren. Bremen sagte, er kenne die Tiere nicht, weshalb der Major nur um so ausdrücklich wünschte, eines derselben zu erlegen, um Swinton damit zu überraschen. Sobald sie sich auf etwa zweihundert Schritte dem Gebüsch, hinter dem sich die Antilopen befanden, genähert hatten, gab Henderson sein Pferd an Omrah und schlich sich vorsichtig allein näher, um zu einem guten Schuss zu kommen. Er erreichte das Gebüsch, ohne die Tiere zu beunruhigen, und die Zurückbleibenden beobachteten in großer Spannung seine Bewegungen, jeden Augenblick des Knalls gewärtig, als der Major plötzlich und in aller Eile zurückkehrte.

»Was gibt es?«, fragte Alexander.

»Genug, um einem für das ganze Leben den Atem zu nehmen«, versetzte der Major. »In meinem Leben

bin ich nie so erschrocken, wie eben jetzt. Ich wollte mich sacht Schritt für Schritt den Antilopen nähern, und war schon im Begriff, meine Büchse abzufeuern, als ich ungefähr drei oder vier Schritte vor mir etwas auf den Boden schlagen hörte. Wie ich niederschaute, bemerkte ich den Schwanz einer Löwin, die glücklicherweise ihren Kopf in eine andere Richtung hielt und so eifrig nach den Antilopen hinsah, dass sie meine Nähe nicht gewahr wurde. Ich schlug nun augenblicklich den Rückzug an, wie Ihr gesehen habt.«

»Nun, und was können wir jetzt tun?«

»Wartet eine kleine Weile, bis ich mich gesammelt habe«, sagte der Major, »und dann will ich an ihr Rache nehmen. Swinton ist nicht hier, um uns Klugheit zu predigen, und so will ich denn eine Löwenjagd abhalten.«

»Ich bin mit Leib und Seele dabei«, versetzte Alexander. »Bremen, wir wollen die Löwin angreifen.«

»Sehr wohl, Sir«, sagte Bremen, »aber dann wird es am besten sein, wir befolgen die Kap-Methode. Wir stellen die Pferde mit den Rücken gegen sie, und Omrah wird sie halten, während wir die Bestie angreifen. Ich denke, nur einer sollte Feuer geben, damit wir zwei Schüsse im Rückhalt haben.«

»Ihr habt recht, Bremen«, entgegnete Alexander. »Ihr und ich, wir beide wollen unsere Kugeln behalten, während der Major seine Büchse an ihr versucht.«

Mit einiger Schwierigkeit wurden die Pferde rücklings gegen das Gebüsch getrieben, bis der Major die Stelle, wo die Löwin lag, in ungefähr sechzig Schritt Entfernung unterscheiden konnte. Das Tier schien noch immer mit dem Wild beschäftigt zu sein und seine Gelegenheit zum Sprung zu erlauern, denn Schwanz und Hinterteil waren unseren Jägern zugekehrt. Der Major gab Feuer, und das Tier stürzte in lautem Gebrüll davon, während die Antilopen mit Windeseile flüchteten. Das Gebrüll der Löwin wurde übrigens von der anderen Seite des Gebüsches her durch ein tiefes Grollen beantwortet. Unmittelbar darauf schoss ein männlicher Löwe heraus, der von den Büschen aus in großen Sprüngen über die Ebene hin zu einem kleinen Mimosenhain setzte, welcher ein paar tausend Schritte entfernt lag.

»Welch ein herrliches Tier«, sagte Alexander. »Seht nur seine schwarze Mähne an, mit der er fast den Boden fegt.«

»Wir müssen ihn haben«, rief der Major, auf sein Pferd springend.

Alexander, Bremen und Omrah taten das Gleiche, worauf sie dem Löwen folgten. Dieser stand kampfbereit unter den Mimosen und maß die Stärke seiner Feinde, indem er ihnen höchst edel und ausdrucksvoll die Stirn bot. Es schien jedoch, als gefalle ihm ihr Aussehen nicht oder sei er mit seiner eigenen Stellung nicht zufrieden, denn während sie vorrückten, zog er sich zurück und fasste Posten auf einem nahe gelegenen Fels, dessen Vorderseite dicht mit niedrigen Dornbüschen bestreut war. Die Akazienbüsche dehnten sich ungefähr auf zweihundert Schritte von der Stelle aus, wo der Löwe stand, der nun voll Verachtung auf das herannahende Häuflein blickte und im stolzen Gefühl seiner eigenen Kraft seine Gegner herauszufordern schien.

Sie stiegen, sobald sie an den Dornbüschen angelangt waren, von ihren Pferden, und der Major feuerte. Die Kugel traf hinter dem Löwen, der mit zornigem Knurren antwortete, den Fels. Henderson nahm hierauf Omrah sein zweites Gewehr ab, und gab abermals Feuer, aber ohne Erfolg, da die Kugel vor den Füßen des Tieres einschlug. Daraufhin schüttelte der Löwe seine Mähne, brüllte zornig und bekundete durch das Funkeln seiner Augen und durch das ungeduldige Peitschen seines Schwanzes, dass er bald als Angreifer handeln werde.

»Ladet Eure beiden Büchsen wieder«, sagte Alexander, »und lasst mich einen Schuss tun, Major.«

Sobald der Major seine Gewehre wieder geladen hatte, nahm Alexander sein Ziel und gab Feuer. Die Kugel zerschmetterte die Vordertatze des Löwen, welche er mit einer Donnerstimme erhob, und in demselben Augenblick stürzte das Tier von dem Felsen zu der Stelle nieder, wo unsere Jäger standen.

»Jetzt ein sicheres Ziel«, rief der Major Bremen zu, indem er zugleich Alexander seine zweite Büchse übergab.

Das Rascheln des zornigen Tiers durch die Dornbüsche kam immer näher, und die Jäger standen auf den Angriff gefasst. Endlich sprang der Löwe mit borstender Mähne und gestrecktem Schwanz heraus, während seine Augen von Wut und Rachsucht funkelten. Er kam auf dem Hinterteil eines der Pferde nieder, welches augenblicklich Reißaus nahm, den kleinen Omrah umwarf und ihn eine Strecke weit schleppte. Der Umstand, dass eine der Löwentatzen durchschossen war, gab Anlass, dass das Tier an der Seite des Pferds wieder herunterrutschte. Es blieb daher auf dem Boden und schickte sich zu einem zweiten Sprung an, als es von Bremen, der hinten stand, einen Schuss in den Rücken erhielt. Mit einem abermaligen furchtbaren Gebrüll versuchte der Löwe auf den Major loszustürzen, der mit seiner Büchse zu dessen Empfang bereitstand. Aber Bremens Kugel war durch die Wirbelsäule gegangen und hatte die hinteren Extremitäten des Tieres gelähmt. Seine Bemühungen waren deshalb vergeblich , und nachdem er zum zweiten und dritten Mal den Vorderleib erhoben hatte, sank er wieder zusammen . Jetzt bohrte sich die Kugel des Majors ihm ins Gehirn. Das edle Tier sank nieder, biss die Zähne in die Erde, scharrte mit den Klauen des unverwundeten Beines den Boden auf und tat nach einigen Sekunden seinen letzten Atemzug.

»Ich bin froh, dass es vorüber ist, Alexander«, sagte der Major, »denn die Sache war doch fast zu aufregend, um angenehm zu sein.«

»Ihr habt recht, der Augenblick war beklemmend genug«, entgegnete Alexander. »Welch ein ungeheures Tier, ich habe noch nie eine so prächtige Haut gesehen.«

,,Sie ist kriegsrechtlich Euer Eigentum«, sagte der Major.

»Nein«, versetzte Alexander, »denn Ihr habt ihm den Gnadenstoß gegeben.«

»Aber wenn Ihr ihm nicht das Bein zerschossen hättet, so dürfte er wohl einigen von uns den Gnadenstoß gegeben haben. Nein, nein, die Haut gehört Euch. Doch die Pferde sind ledig geworden, und wir können nicht nach den Khoikhoi schicken. Sie haben sich von Omrah losgerissen. Dort kommt er mit seinem in Fetzen zerrissenen Hemd zurück.«

»Verlasst Euch darauf, Sir«, bemerkte Bremen, »die Leute werden die Pferde schon einfangen und sie hierher bringen. Sie können dann auch dem Tier die Haut abziehen.«

»Na, wenn das Fell des Löwen mir gehören soll, so muss ich auch das der Löwin haben, Major. Wir müssen die Jagd des heutigen Tages damit schließen, dass wir sie zwingen, ihrem Herrn Gemahl zu folgen.«

»Von Herzen gern.«

»Wartet lieber, bis die Leute mit den Pferden zurückkommen, Sir«, sagte Bremen. »Drei Büchsen sind zu wenig, um einen Löwen anzugreifen … die Gefahr wäre zu groß.«

»Bremen hat recht, Alexander. Wir dürfen uns nicht wieder so bloßstellen. Verlasst Euch darauf, wenn die Tatze des Tiers nicht zerschmettert gewesen wäre, würde uns der Sieg nicht so leicht geworden sein. Wir wollen uns ruhig setzen, bis die Leute herauskommen.«

Nach ungefähr einer halben Stunde machten, wie Bremen vermutet hatte, die Khoikhoi, welche aus den ledigen Pferden den Schluss zogen, dass etwas vorgefallen sein müsse, auf die Tiere Jagd, fingen sie ein und brachten sie in die Richtung, in welche sie unsere Reisenden hatten reiten sehen. Sie waren nicht wenig erstaunt, als sie bemerkten, dass so wenig Leute einen Löwen anzugreifen gewagt hatten und außerdem vorbereitet waren, auch der Löwin zu Leibe zu gehen. Da sie drei der Hunde mitgebracht hatten, so wurde beschlossen, sie in das Gebüsch zu hetzen, in welchem die Löwin gelegen hatte, als der Major auf sie Feuer gab. Die Jäger verließen daher vorderhand den Löwen und machten sich zum Dickicht auf, um zu entdecken, wo sich das zweite Tier befand.

Die Hunde konnten die Löwin im Gebüsch nicht auffinden, und es war augenscheinlich, dass sie sich zu einem anderen Platz zurückgezogen hatte. Swanevelt, der ein alter Löwenjäger war, gab nun seine Ansicht dahin ab, sie werde wahrscheinlich in der Nähe der Stelle zu finden sein, wo der Löwe erlegt wurde. Sie begaben sich daher in diese Richtung und fanden das Tier unter der Mimosengruppe, nach welcher sich der Löwe anfänglich zurückgezogen hatte. Man wollte die frühere Maßregel wieder in Anwendung bringen und die Pferde vorstellen. Die Tiere waren jedoch durch den Angriff des Löwen zu sehr eingeschüchtert worden, um sich dazu bewegen zu lassen. Sie bäumten sich auf und schlugen in einer Weise aus, dass es nur schwer hielt, ihr Losreißen zu verhindern, weshalb man nötig fand, diesen Plan aufzugeben und auf die eigene Stärke zu bauen. Die Khoikhoi umzingelten die Baumgruppe, und die Hunde wurden hinein gehetzt, stürzten aber da und dort wieder vor den Tatzen der Löwin zurück. Die Khoikhoi schossen auf Geratewohl ihre Gewehre ab. Die Salven wurden durch ein lautes Gebrüll beantwortet, ohne dass übrigens die Löwin sich blicken ließ. In dieser Weise verging eine halbe Stunde.

Endlich bemerkte Swanevelt sie auf der einen Seite des Dickichts und tat einen wirksamen Schuss, denn das Tier brüllte laut auf und stürzte heraus, ohne übrigens einen Angriff zu versuchen, da es ihm augenscheinlich blass ums Entkommen zu tun war. Eine volle Salve donnerte ihr nach. Eine Kugel schien gut getroffen zu haben, denn sie ließ den Kopf zu Boden sinken und überpurzelte, richtete sich aber alsbald wieder auf und eilte dem Gebüsch zu, wo man sie zuerst entdeckt hatte.

»Jedenfalls ist sie diesmal tüchtig getroffen worden«, bemerkte der Major.

»Ja, Sir«, versetzte Bremen, »der Schuss war tödlich, möchte ich glauben. Sie ist aber noch nicht tot und kann uns noch viel zu schaffen machen.«

Sie folgten dem flüchtigen Tiere, so schnell sie konnten, zu Fuß, und die Hunde waren bald wieder darüber her. Die Löwin fuhr fort, zu brüllen. Der Ton kam stets von derselben Stelle, sodass man annehmen konnte, sie müsse schwer verwundet sein. Alexander und der Major hatten ihre Schüsse zurückgehalten und näherten sich nun dem Platz, wo die Hunde nicht zwanzig Schritte von dem Dickicht bellten. Ein abermaliges Gebrüll erscholl. Plötzlich stürzte der Körper der Löwin durch die Luft und auf sie zu. Er fuhr jedoch zwischen ihnen durch. Als das Tier den Boden erreichte, fiel es tot auf die Seite. Es war seine letzte Kraftanstrengung gewesen, und die Löwin war in dem Versuch gestorben. Alexander und der Major, die ihr Feuer bereitgehalten hatten, ließen ihre Büchsen nieder, sobald sie bemerkten, dass ihre Gegnerin tot war.

»Ich muss in der Tat sagen«, bemerkte der Major, »dass ich, als ich zum ersten Mal ihren Schwanz sah, weit mehr erschrak, als eben jetzt über ihren Sprung. Die Überraschung hatte mich damals ganz betäubt.«

»Ich zweifle nicht daran. Sie ist ein sehr großes Tier und wird ein schönes Seitenstück zu dem Löwen abgeben. Wenn wir am Leben bleiben und wieder wohlbehalten nach England kommen, so will ich die ausgestopften Exemplare in dem gleichen Kasten nebeneinander aufstellen.«

»Wir wollen hoffen, dass Ihr dazu imstande seid und dass ich kommen kann, um sie zu sehen«, versetzte der Major.

»Das soll mich ungemein freuen, mein lieber Freund. Ich bin ganz entzückt, dass es uns gelang, diese beiden Bestien zu töten, ohne dass Swinton bei uns war, denn er würde uns überredet haben, sie ungeschoren zu lassen.«

»Und hätte auch ganz recht gehabt«, entgegnete der Major. »Wir sind zwei unartige Jungen und werden tüchtig geschmält werden, wenn wir zurückkommen.«

»Ich denke, wir könnten dies sogleich tun, denn für heute haben wir bereits genug Jagd gehabt.«

»In der Tat genug«, erwiderte der Major, aufs Pferd steigend, »um unser ganzes Leben lang davon sprechen zu können. Wir wollen jetzt zu den Wagen galoppieren und von unseren heutigen Großtaten nichts sagen, bis die Khoikhoi die Löwenfelle bringen.