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Der wilde Raubgraf Bruno von Rabenhorst Kapitel 1

Raubgraf-Bruno-von-RabenhorstDer wilde Raubgraf Bruno von Rabenhorst und sein schreckliches Ende in der Teufelsmühle
Oder: Das furchtbare Femgericht um Mitternacht
Eine Geschichte aus den rohen Zeiten des Faustrechts
Um 1860 niedergeschrieben

Kapitel 1

Zwischen Felsenkluft im dunklen Wald,
Da lauert des Grafen Hinterhalt;
Mit dem Schwerte nimmt er des Reichen Gut,
Und vergießt dabei viel schuldloses Blut!

Unheimlich heulte der Sturm durch das Nadelgehölz des großen Forstes, der sich in der Mitte des 15. Jahrhunderts längs der Bergstraße am Odenwald dahinzog, als auf dieser im stark hereinbrechenden Dämmerlicht ein großer Zug berittener Kaufleute von der Frankfurter Messe heimkehrend, bemerkbar wurde. Sie hatten sich wegen der Unsicherheit der Landstraßen eine starke Begleitung berittener Landsknechte mitgeben lassen, die, in zwei Abteilungen geteilt, vor und nach dem Zug vollständig bewaffnet daher ritten.

Der Führer des Zuges, ein stattlicher Kämpfer, schaute dann und wann mit bedenklicher Miene zu den dunkeln Häuptern der Berggipfel hin, die sich majestätisch auf der linken Seite gen Himmel erhoben, und fuhr unwillkürlich mit seiner gepanzerten Rechten zu seinem Schwertgriff, als ahnte er von dorther nichts Gutes.

Der reiche Kaufmann Treumann von Straßburg, welcher mit seiner jüngsten Tochter, die in einer Sänfte die Reise mitmachte, in Frankfurt reiche Einkäufe in kostbaren Seidenstoffen gemacht hatte, dies bemerkend, gab seinem Rappen die Sporen, um den Führer wegen seiner Besorgnisse zu befragen. Doch kaum war er an der Seite desselben angekommen, als plötzlich unter furchtbarem Gerassel ein starker Trupp geharnischter Ritter mit gezückten Schwertern auf den Zug lossprengte und mörderisch auf alles einhieb, bis die meisten tödlich verwundet am Boden lagen oder sich feige dem Blutbad durch die Flucht entzogen.

Nur der wackere Treumann, um den sich noch einige Getreue gesammelt hatten, und der junge Anführer hielten tapfer Widerstand und schlugen die Angreifer von der Sänfte zurück, aus welcher händeringend und wehklagend seine Tochter dem Gemetzel zusah. Schon sank der tapfere Anführer, aus einer tiefen Kopfwunde blutend, besinnungslos zu Boden, und auch Treumann blutete bereits aus mehreren Wunden, als das Pferd desselben, durch einen Lanzenstich verwundet, sich hoch empor bäumte und seinen Reiter weit hinwegschleuderte. Dies verursachte eine allgemeine Flucht, und die Sieger des blutigen Kampfplatzes beeilten sich, ihren Raub in Sicherheit zu bringen.

Sie trieben schnell die schwer beladenen Maultiere zusammen und führten diese, die Toten und Verwundeten ihrem Schicksal überlassend, den steilen Weg ins Gebirge hinauf, der zum Rabenhorst führte. Dort angekommen gab der Burgvogt, der stets solche Raubzüge begleitete, das bekannte Zeichen mit seinem Horn, worauf sogleich die schwere Zugbrücke herunterrasselte, über welche der ganze Tross frohlockend in die Burg einzog.

Raubgraf Bruno saß unterdessen, während seine Leute für ihn raubten und mordeten, mit seinem Burgkaplan in der Zechhalle beim Kartenspiel und sprach fleißig dem Humpen zu, der zu seiner Rechten stand und mit gutem altem Rheinwein gefüllt war.

Als draußen das wohlbekannte Horn ertönte, sprach er zu seinem Hauskaplan: »Aha, da kommen wieder meine braven Raubvögel. Will sehen, ob sie diesmal einen guten Fang gemacht haben. Wäre selbst gern dabei gewesen, allein meine Gebresten am rechten Fuß, die ich neulich bei der verteufelten Saujagd erhielt, und welche Ihr mir mit Euren vermaledeiten Quacksalbereien noch nicht geheilt habt, hat mich leider heute davon abgehalten. Und deshalb muss ich dem Vogt die Hälfte meines Anteils geben. Aber ich sage Euch, wenn Ihr innerhalb einiger Tage meinen Fuß nicht geheilt habt, dann soll Euch der Teufel reiten und Ihr werdet dann sehen, wie ich mit Euch verfahren werde.« Dabei schlug er mit geballter Faust auf den Tisch, dass die Humpen klirrend umfielen und ihren köstlichen Inhalt auf die Steinplatten ausgossen.

»Gestrenger Graf«, begann zitternd der Hauskaplan, »habt nur Geduld und mäßigt Euch im Trunk und im Zorn, dann wird Euer Fußübel bald heil werden!«

Schon wollte Bruno einige heftige Worte erwidern, als er durch den Burgvogt unterbrochen wurde, welcher hereintrat, um den Bericht wegen seines unternommenen Zuges zu machen. Als dies geschehen und Bruno durch den gemachten Raub so ziemlich zufrieden gestellt war, wollte der Vogt zu dem fröhlichen Zechgelage eilen, das jedes Mal nach glücklich vollbrachtem Raubzug erfolgte. Doch Bruno hieß ihn wieder zu sich kommen und flüsterte ihm unter teuflischem Grinsen einige Worte ins Ohr, worauf sich dieser stillschweigend entfernte. Kaum hatte sich dieser entfernt, so erhob sich der Raubgraf Bruno, gestützt auf seinen Hauskaplan, und ging hinunter in die große Zechhalle, wo bereits seine Kumpane und Knappen an der Tafelrunde saßen und die schäumenden Pokale wacker kreisen ließen. Als Bruno eintrat, wurde er mit einem großen Hallo empfangen, und er setzte sich oben an die Tafel, um die ganze Nacht in Saus und Braus zuzubringen.

Während die Zechbrüder zu schlemmen anfingen, war bereits die Tochter des Kaufmanns Treumann aus der Sänfte gestiegen und suchte weinend ihren Vater, den sie auch nach langem Suchen endlich in bewusstlosen Zustand fand. Sie setzte sich auf den Boden, hob das Haupt ihres Vaters auf ihren Schoß und versuchte ihn durch Reiben an den Schläfen wieder ins Leben zurückzurufen, was ihr auch zu ihrer größten Freude gelang.

»Liebster Vater«, begann sie mit wehmütiger Stimme, »wie befindet Ihr Euch, und wie kann ich Euren Schmerz lindern?«

»Teure Elvira«, so hieß seine Tochter, sagte Treumann mit schwacher Stimme, »bete für mich, denn ich fühle mich ganz kraftlos und werde vielleicht nur noch wenige Augenblicke leben, denn der große Blutverlust hat mich gänzlich erschöpft.«

Als Elvira diese Worte vernahm, schluchzte sie laut auf und heiße Tränen rollten von ihren Wangen auf das blutige Angesicht ihres Vaters herunter, das dann und wann durch einen grellen Blitzstrahl beleuchtet wurde, denn der Sturmwind, den wir am Anfang unseres Kapitels erwähnten, hatte ein starkes Gewitter herangetrieben, welches sich unter fortwährendem Grollen über die ganze Gegend verbreitete, als zürne es gleichsam den frevelnden Menschen, die auf der Erde solche Gräuel begehen konnten.

»Meine Tochter«, lispelte der Vater, »ich muss dich hier unter freiem Himmel in einer unbekannten Gegend, mitten unter Toten und Sterbenden allein lassen, aber der Vater, den du durch die Religion hast kennengelernt, wird dich nicht verlassen. Befolge seine Gebote und …«

Hier wurde seine Rede durch das Geräusch einiger Hufschläge unterbrochen, und gleich darauf sprengte der Burgvogt des Bruno mit einigen wilden Gesellen heran, der dem geheimen Auftrag seines Herrn zufolge das junge Fräulein suchte.

Als er sie gewahr wurde, rief er zu seinen Begleitern: »Da seht mal die junge Dirne, wie die sich die Gelegenheit zunutze gemacht hat. Liebäugelt die mit einem Ritter auf offenem Feld! Aber warte, du musst mit mir. Ich will dir das Charmieren vertreiben!«

Er ergriff sie bei ihren hergefallenen Locken.

Sie schrie laut auf und rief mit wehklagender Stimme: »Ach, habt Erbarmen mit meinem sterbenden Vater! Trennt mich nicht von ihm! Bei der Stimme Gottes, die so laut donnernd über uns redet, beschwöre ich Euch, lasst mich hier, um meinem Vater beizustehen.«

»Das Erbarmen musst du wo anders suchen, und dein Vater wird deiner nicht mehr bedürfen«, entgegnete höhnisch der grausame Vogt, riss die zitternde Elvira zu sich aufs Ross und sprengte davon.

Da beleuchtete plötzlich ein lang anhaltender Blitz die Gegend. Man sah beide Arme des schwer verwundeten Treumann zum Himmel empor gestrebt, als rufe er die gerechte Strafe desselben an, um seine Mörder und die Räuber seines Kindes und seiner Habe gebührend zu bestrafen.

Nach kurzem Ritt gelangte der böse Vogt mit seinen Spießgesellen auf Rabenhorst an und trugen ihre schöne Bürde, die nach dem so eben Erlebten mehr tot als lebendig war, in die Zechhalle hinein, die von wildem Geschrei der Zechenden erdröhnte.

»So das ist schön von Euch, edle Jungfrau, dass Ihr mich besucht und an meinem Gelage teilnehmen wollt. Da könnt Ihr auch noch etwas von Eurer Habe profitieren, die mir jetzt ohnedies als Heiratsgut zufällt. Denn Ihr seid von jetzt an meine auserwählte Braut!«

So redete der ruchlose Bruno unter schallendem Beifallsgelächter seiner Kumpane die zitternde Elvira an, die sich kaum aufrecht halten konnte. Sie strafte ihn mit einem verachtenden Blick, sah auf gen Himmel und stürzte ohnmächtig zu Boden.

»Tragt mein Täubchen doch in ein Ruhegemach. Sie wird von ihrer Reise ermüdet sein, und die schnelle Bekanntschaft ihres Bräutigams mag ihr jungfräuliches Gemüt auch etwas erschreckt haben«, sagte grinsend Bruno.

Man gehorchte seinem Befehl und Elvira wurde in ein entlegenes Prunkgemach geschleppt und dort eingeschlossen.

Das Zechgelage dauerte bis gegen Morgen, bis alle berauscht am Boden lagen und dort liegen blieben, bis sich die Knappen so weit ermannt hatten, um ihre Herren in die Schlafgemächer zu bringen.