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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 22

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 22

Die Tigerwacht
Was für ein wunderliches Wild dabei anschlich

Fritz hatte sich zu seinem Sitz einen jungen Waringhk-Baum ausersehen, der mit dem einen Ast gerade über den Platz hinausreichte, wo die Leiche lag, sodass ihm der Tiger, wenn er sich seinem Opfer wieder näherte, jedenfalls zum Schuss kommen musste, während Xuning, mit einiger Rücksicht auf seine eigene Sicherheit, eine niedere Kokospalme wählte, die allerdings dicht an dem Platz, aber doch zu versteckt lag, einen vollkommen guten Blick über das Ganze zu gewähren. Beide saßen etwa fünfzig Schritt voneinander entfernt, aber kein Wort wurde zwischen ihnen gewechselt, das scheue Wild nicht etwa zu warnen vor dem verborgenen Feind. Fritz besonders lauschte mit der gespannten Erwartung in dem mehr und mehr dunkelnden Wald, ob er noch nicht den leise verstohlenen Tritt des Raubtieres vernehmen könne. Der Mond war aufgegangen und warf seinen matten, ungewissen Schein über den schmalen freien Platz und die dort liegende Leiche. Die hohen wehenden Blätter der Palmen warfen ungewisse, unheimliche Schatten über die leise im Lufthauch wogende Pflanzendecke, in die hinein geschmiegt und von ihr halb überragt der Körper ruhte.

Da war es Fritz plötzlich, als ob er dicht neben dem einen Stamm, gar nicht weit von der Palme entfernt, auf der Xuning seinen Platz eingenommen hatte, sich etwas Dunkles regen sähe. Als er rasch nach ihm hinüberschaute, ob dieser den gewissermaßen unter dem Lauf seiner Büchse sich bewegenden Gegenstand nicht ebenfalls bemerkt hätte, konnte er von dem Chinesen auch nicht das Geringste mehr erkennen, obgleich das Licht des Mondes gerade voll in den Palmenwipfel fiel und er noch wenige Minuten früher den blanken Kopf seines Jagdgefährten deutlich von dort hatte herüber schimmern sehen. Was in aller Welt war aus Xuning geworden?

Der Gegenstand da unten nahm aber seine Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, sich viel um den Chinesen zu bekümmern. Still und geräuschlos nach seiner Waffe sehend, dass diese auch in gutem Stand sei und ihm im entscheidenden Augenblick der Schuss nicht versage, schob er das Rohr vorsichtig über einen, rechts von ihm auszweigenden Ast hin, auf dem er eine gute Ruhe für den Lauf finden konnte, und suchte nun den fremden lebendigen Gegenstand, was es auch sein mochte – richtig aufs Korn zu bekommen.

Das war aber keineswegs so leicht, denn in dem dichten Schatten konnte er nicht einmal das äußere Ende des Rohrs, vielweniger das darauf befindliche Korn erkennen. Unten war jetzt alles auch wieder so still und regungslos geworden, dass er schon zu glauben anfing. er habe sich getäuscht gehabt, das vom Wind verursachte Schwanken irgendeines Blattes oder Zweiges für die willkürliche Bewegung eines lebenden Wesens gehalten. Darüber sollte ihm aber bald jede Täuschung genommen werden, denn den Schatten des Busches jetzt verlassend, sah er bald deutlich und unverkennbar, wie sich irgendein dunkler Gegenstand, langsam zwar, aber in gerader Richtung und nur dicht in das Gras geschmiegt, der dort ausgestreckten Leiche näherte, als ob er die Beute wohl wittere, aber der Ruhe derselben noch nicht recht traue, sich erst überzeugen wolle, ob sie gänzlich gefahrlos sei.

Rätselhaft blieb Fritz das gänzliche Verschwinden seines Jagdgefährten. Er glaubte am Ende, der wäre auf seinem, doch gewiss nicht so sehr bequemen Sitz in dem Palmenwipfel eingeschlafen.

Nur einen flüchtigen Blick jedoch dort hinüberwerfend, begünstigte ihn jetzt der Mond, der ihm gerade vorn auf den Lauf fiel. Eben noch suchte er sich den besten Punkt am Körper des anschleichenden Besuches, als sein Auge dicht daneben noch einen anderen, ebenfalls sich regenden Punkt entdeckte.

Es waren zwei und welches nun der rechte? Wunderlich – er hatte nie davon gehört, dass zwei Tiger zusammen auf Raub ausgehen. War es möglich, dass der eine den anderen vielleicht zu der schon erlegten Beute geholt hatte, um sie mit ihm zu teilen? Dann musste der Erste jedenfalls der Menschenfresser sein. Ohne weiter zu zögern, suchte er mit dem Korn seines Gewehrs gutes Abkommen auf den vorderen dunklen Körper, zielte lang und vorsichtig und drückte ab.

Der Schuss donnerte dröhnend durch den mächtigen Wald, aber lauter noch fast antwortete ihm ein gellender Aufschrei menschlicher Stimmen. Während der eine Körper, auf den er geschossen hatte, still und regungslos liegen blieb, hoben sich plötzlich dunkle Gestalten von allen Seiten der Lichtung. Ehe der zu Tode erschreckte junge Mann nur daran denken konnte, sein Gewehr wieder zu laden, fühlte er am Schaukeln des Astes, auf dem er saß, dass seine nächtlichen Feinde, leicht die Situation erratend, in der er sich befand, schon den nämlichen Baum erklommen hatten und darauf anfingen, ihn zu fangen.

Die Nähe der Gefahr gab ihm aber auch in demselben Augenblick seine ganze Geistesgegenwart wieder. Rasch eine Patrone, die er sich schon vorher zu seiner vermeintlichen Jagd gemacht hatte, den Lauf hinunter stoßend, behielt er eben noch Zeit, ein Kupferhütchen aufzusetzen, als auch schon der Erste von einem überhängenden Ast zu ihm niedersprang und im nächsten Moment, von dem fast seinen Körper berührenden Gewehr, durch die Brust geschossen, heulend niederstürzte und unten, tiefstöhnend, aufschlug. Aber mehr rückten nach. Raum, den Kolben zu gebrauchen, blieb ihm nicht, denn er hatte selber Mühe, sich da oben im Gleichgewicht zu halten. Das Gewehr deshalb fallen lassend, riss er seinen Klewang aus der Scheide und rief um Hilfe, seine Stellung dort zu verteidigen, bis ihm Xuning, der doch von dem Schießen jedenfalls aufgewacht sein musste, entweder zu Hilfe eilen konnte oder die Freunde im Fort selber den Kampf hörten und herbeikamen. Aufspringend auf den Ast, auf dem er bisher gesessen hatte, und einen anderen, sich zu stützen ergreifend, schwang er die scharfe gewichtige Waffe gegen den Ersten, der sich ihm näherte. Durch seine Stellung begünstigt, in der ihn niemand im Rücken angreifen konnte, schlug er den nieder und würde sich vielleicht mit Erfolg hier gegen eine wirkliche Übermacht haben halten können, hätte nicht einer der Feinde denselben Ast über ihn hinaufsteigen wollen, an dem er sich mit der linken Hand im Gleichgewicht hielt.

Dieser war zu schwach für die Last, knickte ein und stürzte mit ihm zusammen durch das Laub- und Zweigwerk prasselnd zu Boden nieder.

Wo aber war Xuning in der ganzen Zeit? Hatte er wirklich geschlafen auf seiner Tigerwacht, und schlief er noch, dass er keinen Schuss auf die andrängenden Feinde herüber feuerte? Gott bewahre – des Chinesen scharfes Auge hatte in der dicht unter ihm kriechenden Gestalt gleich vom ersten Moment an einen ganz anderen Feind, als den erwarteten Tiger erkannt. Wie er rechts und links um sich her die Büsche lebendig werden sah und überall schleichende, in das Laub gedrückte Gestalten erkannte, glitt er leise und vorsichtig in den Wipfel seiner Palme zurück, sich wohl hütend, auch nur durch die geringste Bewegung ein Lebenszeichen zu geben, das ihn unrettbar in die Gewalt der Feinde gebracht haben würde.

Was kümmerte ihn die Gefahr des Nachbarn, wo es seine eigene Haut galt! Der konnte um Hilfe rufen, solange er Lust hatte. Xuning rührte und regte sich nicht und warf nur ärgerliche Blicke nach dem Mondlicht hinauf, das ihn vielleicht im Blitzen seines Gewehrlaufs verraten konnte.

Als Fritz, den der Sturz betäubt hatte, wieder zu sich kam, fand er sich gebunden unter einem Baum liegen. Nicht weit davon loderte ein großes Feuer, um das fünfzehn bis zwanzig dunkle Gestalten teils lagen, teils kauerten und in eifriger hitziger Beratung schienen. Im Anfang konnte er sich auch gar nicht besinnen, ob das, was ihn hier umgab, Wirklichkeit sei, oder ob er eben irgendein tolles Fieber austräume, das ihm in wirrem Spiel die wildesten abenteuerlichen Gedanken vorgaukele. Als er aber die Augen wieder und wieder schloss und öffnete und die Stirn an der Baumwurzel rieb, an der er lag, denn seine Hände konnte er nicht gebrauchen, seine Umgebung immer noch nicht wanken und weichen wollte, da begriff er denn wohl, dass hier von Träumen keine Rede mehr sein konnte und er der Gefangene eines Stammes wäre, der jetzt wahrscheinlich aufmerksam und eifrig nur noch darüber beratschlagte, ob er seine Beute braten oder vielleicht nur mit Pfeffer und Salz verzehren solle.

Mit dieser Gewissheit durchzuckte ihn aber auch die Lust zu leben, die Angst vor einem vielleicht nahen und martervollen Tod. Der kalte Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er versuchte, so leise wie möglich wohl, aber mit Anstrengung aller seiner Kräfte, sich von seinen Fesseln zu befreien und durch die Flucht mitten in den Wald hinein, gleichviel wohin, der Macht der Wilden zu entgehen.

Seine Bewegung war aber keineswegs so unbeobachtet geblieben, wie er anfangs geglaubt hatte, denn zu seinen Füßen tauchte plötzlich eine dunkle Gestalt empor, die dort im Schatten des dichten Laubes gelegen und sich jetzt, die blitzenden Augen fest auf ihn gerichtet, über ihn beugte. Ein scharf ausgestoßener Schrei unterbrach dabei schon im nächsten Augenblick die am Feuer geführte Unterhandlung. Die dort lagernden Eingeborenen sammelten sich im Nu um den Gefangenen.

Fritz warf den Blick mürrisch im Kreise herum, versuchte vergebens sich aufzurichten. Seine Fesseln hielten ihn noch fest an der Wurzel des Stammes, an dem er lag. Sein Wächter aber, auf einen Zuruf eines der Insulaner, vielleicht des Häuptlings, nahm sein wunderlich gebogenes Messer aus der Scheide und löste, ohne ein Wort zu sagen, seine Fesseln. Dann aber, den jungen Weißen bei der Hand ergreifend, führte er ihn langsam zum Feuer und zeigte ihm einen dorthin gewälzten Holzklotz, indem er ihm ein Zeichen gab, sich darauf niederzulassen. Wenige Minuten später hatte sich die ganze Bande um sie versammelt. Der Häuptling, oder jedenfalls der, der auf dieser Expedition den Oberbefehl zu führen schien, befahl ihm nun, wieder aufzustehen und mehrere Fragen zu beantworten, die er an ihn richten würde.

Fritz gehorchte dem Befehl, den er mehr durch die ihm beigegebenen Gestikulationen als die Worte selber verstand. Die Sprache, obgleich dem Malaiischen ähnlich, hatte aber eine solche Masse fremder, ihm vollkommen unbekannter Wörter, dass er, wenn er auch hier und da einen Ausdruck verstand oder zu verstehen glaubte, doch nicht imstande war, den vollen Sinn der an ihn gerichteten Fragen zu begreifen und also auch keine genügende Antwort geben konnte. Außerdem schien es mehr als wahrscheinlich, dass man von ihm besonders die Lage und Stärke des fremden Lagers erforschen wolle, welches die, von solchen Trupps gewöhnlich ausgesandten Spione jedenfalls schon entdeckt oder in den vielen rings umher dem Wald eingedrückten Zeichen vermutet hatten. Ihm aber lag natürlich daran, sie so wenig wie möglich den wahren Zustand desselben ahnen zu lassen, oder doch wenigstens nichts zu verraten, was den unglücklichen Leidensgefährten zum Nachteil gereichen konnte. Er begriff bald, dass er am besten tun würde, die Rolle völligen Nichtverstehens unverdrossen durchzuführen und seine jetzigen Herren damit wenigstens glauben zu machen, dass er nicht imstande wäre, ihnen eine genügende Auskunft zu geben.

Das gelang ihm auch vollkommen, aber sie gaben es deshalb keineswegs auf ihn mit Fragen zu martern und zu quälen. Als er endlich gar nicht mehr antworten wollte, banden sie ihn ohne Umstände wieder an den nächsten Baum, wo er im Licht ihres Feuers blieb, und begannen ihre Unterhandlung von vorhin auf das Lebendigste. Diese schien aber auch jetzt sogar einen entschiedeneren Charakter angenommen zu haben, denn zweimal standen Einzelne von der Gruppe auf und kamen zu dem Gefangenen, ihn an den Schultern und Rippen zu befühlen.

Fritz überlief es kalt, denn er durfte kaum zweifeln, dass er von den braunen Schurken als Schlachtvieh behandelt wurde. In der Angst der Verzweiflung riss er wieder an seinen Fesseln. Vergebens – der Bast war stärker als seine Sehnen, er schnitt in sein Fleisch ein, aber er vermochte nicht, ihn zu sprengen und sank endlich, erschöpft und blutend, selbst mit einer gewissen trotzigen Resignation am Fuß des kleinen Stammes nieder.

Eine halbe Stunde mochte er etwa so gelegen haben, als Bewegung in die Sumatraner kam. Es war augenscheinlich, dass sie zu irgendeinem Beschluss gekommen sein mussten, denn sie sahen nach ihren Waffen und ordneten sich in zwei Trupps, deren Führer noch verschiedene Anordnungen trafen und Befehle gaben. Fritz durfte zuletzt kaum noch zweifeln, dass die Leute beabsichtigen, seine Schiffskameraden zu überfallen, um sich dann vielleicht mit der Gesamtbeute wieder zu ihrem heimatlichen Dorf zurückzuziehen.

Weit konnte ihr kleines Lager nicht von dem Ort entfernt sein, wo sie sich gerade befanden. Wenn er bei dem Aufbruch der Sumatraner im ersten Moment eine schwache Hoffnung geschöpft hatte, so mischte sich dieser jetzt wieder bange Besorgnis um das Schicksal der Freunde, die sich vielleicht, durch Xunings und seine Abwesenheit noch überdies geschwächt, in törichter Sicherheit dem Schlaf überließen, wo sie die Augen weit, recht weit offen haben sollten, dem listigen und so viel stärkeren Feind zu begegnen und seinen Angriff abzuwehren. Aber sie mussten doch wenigstens seine Schüsse gehört haben, und Pulo-Pulo war nicht der Mann, sich so leicht überraschen zu lassen.

Dass man übrigens etwas Ernstliches beabsichtige, sah er bald an der geringen Bedeckung, die man bei ihm selber zurückließ. Nur zwei Mann blieben zu seiner Wache – genug, ihn, den Gebundenen, an jeder Flucht zu hindern, während die ganze übrige Gruppe in zwei verschiedenen Trupps, ja sogar in zwei verschiedenen Richtungen aufbrach. Wäre das Lager weit entfernt gewesen, so hätten sie wenigstens im Anfang zusammen eine Richtung beibehalten.