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Der Freibeuter – Der Freiherr Görz von Schlitz

Der-Freibeuter-Zweiter-TeilDer Freibeuter
Zweiter Teil
Kapitel 6

Kapitän Norcroß umarmte den Lord und rief: »Wer hätte denken sollen, dass wir uns nach wenigen Tagen in diesen Gewässern wiedersehen sollten! Doch wir dürfen nicht mit dem Schicksal rechten. Ich bin schon froh, dass ich Euch nur wieder habe, Herr Major. Denn fürwahr, als ich erfuhr, Ihr hättet Euch auf der Insel Rügen absetzen lassen, gab ich die Hoffnung verloren, Euch je wiederzusehen. Ich hielt Euren Aufenthalt hier nur für Maske. Was hättet Ihr denn auch auf dieser einsamen traurigen Insel anderes beginnen wollen, als vor Trübsal zu sterben?«

»Ich ging nach Rügen«, versetzte der Lord, »um mit keinem schwedischen Schiff in einen dänischen Hafen einzulaufen, was mir und dem Führer des Schiffs Unannehmlichkeiten zuwege bringen konnte. Von Rügen konnte ich leicht mit einem dänischen Schiff nach Kopenhagen gehen, und das war mein Plan. Doch wo ich auch weilen mochte, ich hätte Eurem König Nachricht von mir gegeben, das hatte ich ihm geloben müssen, und auch Euch hätte ich geschrieben. «

»Fast fürchtete ich, Eure Neigung zum Wechsel hätte Euch unserer guten Sache wieder entfremdet oder die Liebe Euch andere Interessen eingeflößt. Und gerade jetzt beginnt unser Weizen zu blühen. Schweden wird sicherlich mit Russland Frieden schließen. Der Zar Peter ist für die Sache des Prätendenten gewonnen, Frankreich stimmt bei. Dänemark wird erst gedemütigt, und ist das glücklich vollbracht, so tritt Karl XII. als Restitutor der alten Königsdynastie in England auf.«

Der Lord gab dem Kapitän seinen Beifall zu erkennen, und beide ergingen sich in gegenseitiger Mitteilung der wunderlichen Schicksale, die sie seit ihrer Trennung im Angesicht des Hafens von Stockholm erlebt.

»Als ich das letzte Mal den Sund passierte«, sprach Norcroß, indem er auf die in der Ferne aufdämmernden dänischen Inseln deutete, »war der Zar gerade von Kopenhagen abgereist, und die vor dem Sund liegende englische Flotte hatte sich zerstreut. Ich ging mit englischer Flagge herrlich hindurch, meine Fregatte galt für ein zur Flotte gehöriges Schiff. Lasst sehen, ob’s diesmal ebenso gelingt, oder ob wir in der Falle gefangen werden. Ertappen sie uns, so retirieren wir uns nach Schonen.«

Hierauf befahl der Kapitän, sich in Verteidigungszustand zu versetzen. Diejenigen Matrosen, welche englisch sprachen, mussten vor, Lord Palmerston erhielt eine englische Lieutenantsuniform, Norcroß kleidete sich als englischer Kapitän. Die englische Flagge wurde aufgehisst und so die Abenddämmerung abgewartet, weil zu dieser Zeit, wie Norcroß wohl wusste, die dänischen Zollwächter im Sund am nachlässigsten waren. So kamen sie ohne Anstand bis zur Zollbude und wurden auf ihr Vorgeben, sie seien ein englisches, von Estland kommendes Schiff, durchgelassen. Sobald sie der Gefahr entronnen waren, gingen sie um Jütland herum und dann mit vollen Segeln den holländischen Küsten zu.

Kaum waren sie im Haag angekommen, als sich Kapitän Norcroß beeilte, dem Baron Görz, der sich als Privatgesandter des Königs von Schweden dort aufhielt (öffentlich stand er nie in schwedischen Diensten), um ein Anlehen bei den Generalstaaten zu bewirken, die Briefe des Königs zu überreichen.

Der größte Staatsmann seiner Zeit, der treueste Freund Karls XII., nahm den ihm bekannten Kaperkapitän mit der ihm eigentümlichen Freundlichkeit auf, aber kaum schatte er des Königs Handschreiben erbrochen, als die Züge seines einnehmenden Gesichts von starrem Ernst ergriffen wurden.

»Ihr habt einen jungen Mann mitgebracht, für welchen sich des Königs Majestät zu interessieren scheint«, sagte der Freiherr nach dem Durchlesen des Briefes und heuchelte die frühere Unbefangenheit. »Wisst Ihr etwas Näheres von ihm?«

Norcroß erzählte die Art und Weise ihrer Bekanntschaft und behauptete, dass sein Begleiter der einzige Sohn des Palmerston sei.

»Und weiter wisst Ihr nichts von ihm?«

»Nichts weiter, Ew. Exzellenz, als dass er ein eifriger Anhänger der Stuarts ist, für den Prätendenten gefochten hat und bereit ist, Blut und Leben von Neuem für die heilige Sache der Wahrheit und des Rechts einzusetzen. Deshalb befahl auch Se. Majestät, ihn zu Ew. Exzellenz zu bringen.«

»Es ist gut, Kapitän Norcroß«, versetzte der Baron mit einem durchdringenden Blick auf Norcroß’s ruhiges Gesicht. »Schickt mir den jungen Mann. Er soll mir seine Schicksale selbst erzählen. Der König erwähnt auch Euer lobend in seinem Brief und rühmt Eure feste Anhänglichkeit an den rechtmäßigen König von England. Zum einstweiligen Lohn Eurer Treue und zu Eurer Beruhigung kann ich Euch im Vertrauen sagen, dass die Angelegenheit der Jacobiten trefflich geht. Mein guter Plan nähert sich seiner Erfüllung. Dann haben wir gewonnen!«

»Darf ich mich unterstehen, als ein echter Jacobit, Ew. Exzellenz mit der Frage lästig zu fallen, welches ihr Plan im Einzelnen ist? In Umrissen hat mir Seine Majestät selbst einiges davon mitgeteilt.«

»Ihr sollt alles wissen, denn Eures Beistandes bedarf ich zur Ausführung. Ich kenne Euch als einen kühnen und verschwiegenen jungen Mann. Die Restituierung der Stuarts auf den großbritannischen Thron war seit Langem mein Lieblingswunsch, weil mit dessen Erfüllung die von uns beabsichtigte Größe Schwedens unzertrennlich verknüpft ist. Verdankt uns England seinen König, so sind wir die Herren der Nordsee. Sind wir mit dem russischen Zar einig, so teilen wir mit ihm die Herrschaft der Ostsee. Dänemark ist unrettbar verloren. Es ist unser, es ist eine Provinz des Schwedenreichs. Um Dänemark, Schwedens Erbfeind zu verderben, ist also die Wiedereinsetzung der Stuarts erste Bedingung. Nach dem nicht genugsam vorbereiteten Einfall des Prätendenten in Schottland und dessen unglücklichem Ausgang, dachte ich daran, die Sache klüger anzufangen und einmal ohne den Prätendenten anzufangen, der sein Spiel immer selbst verdorben hat. Ich verband mich deshalb mit den schwedischen Gesandten in London und Paris, Graf Erik Sparre und Graf Carl Gyllenborg, und beide mussten sich im Stillen nach den Jacobiten umsehen. Es sind ihrer in England mehr als ich geglaubt hätte. Nach Frankreich ist eine ansehnliche Zahl ausgewandert. Mit Vorsicht lässt sich ein Heer von zehn bis zwölftausend Mann zusammenbringen. Schottsand ist ganz unser, es stellt eine noch größere Armee. Dazu führt unser König, sobald das Frühjahr angebrochen ist, ein Heer von zwölftaufend Schweden aus Göteborg nach Schottland, mit Russland schließen wir jetzt Frieden, es zahlt Subsidien, die Jacobiten haben bereits zwanzigtausend Guineen zu dem Unternehmen gezahlt, und ich hoffe noch mehr Geld dafür aufzutreiben. Ich muss sagen, die Nachrichten, welche mir des Königs Majestät mitteilt, machen einige Änderungen in diesem Plan nötig, doch bleibt er im Ganzen derselbe. Euch, Kapitän Norcroß, gedenke ich zu einer sehr wichtigen Sendung an die königliche Witwe von England Maria in St. Germain, der Ihr ja persönlich bekannt seid, zu gebrauchen. Doch sollt Ihr diese Reise nicht vor dem Frühjahr machen. Auch sollt Ihr mir Depeschen an einige schottische Barone bringen. Ich bedarf eines kühnen und entschlossenen Mannes und Ihr seid mir nicht um Eure persönlichen Eigenschaften halber der Liebste, sondern auch des Umstandes wegen, dass Ihr ein Engländer und eifriger Jacobit seid.«

Der Freiherr fügte noch manches für den Freibeuter Schmeichelhafte hinzu, und Norcroß versetzte in hoher Freude, dem endlichen Gelingen seiner Pläne so nahe zu sein und selbst tätig dabei wirken zu können, dass er Leib und Leben aufopfern wollte, um Sr. Exzellenz in dieser Sache zu dienen.

»Reist jetzt mit Gott nach Schweden zurück. Wagt Euch aber nicht wieder durch den Sund. Es ist Tollkühnheit. Wenn Euch die Dänen erwischt und die Briefe gefunden hätten, unser ganzer Anschlag wäre verraten gewesen.«

»Auf diesen Fall war ich gefasst, Exzellenz«, versetzte der Kapitän, »ich hätte des Königs Brief verschluckt.«

»Fürwahr schlau genug!«, entgegnete darauf der Baron lachend. »Und allen anzuraten, die dergleichen Papiere zu tragen haben. Doch geht Ihr diesmal nach Göteborg oder Marstrand, und reist zu Land nach Stockholm.«

»Ich tue nach Ew. Exzellenz Befehl.«

»Wohlan denn, so bringt mir jetzt den jungen Lord. Ich bin auf seine Bekanntschaft begierig.«

Der Kapitän beurlaubte sich und eilte frohbewegt zum Gasthof. Dort teilte er seinem Landsmann erst all das Erfreuliche mit, was er vom Baron Görz erfahren hatte. Palmerston umarmte den Kapitän jubelnd, und beide leerten eine Flasche des besten Weins auf die baldige Restitution der Stuarts in England. Hierauf begleitete der Kapitän seinen Freund zum Hotel des Barons. Sie waren kaum in das Vorzimmer getreten, als Görz hastig aus seinem Kabinett trat, den Lord mit einem starren Blick maß und mit außerordentlicher Höflichkeit hineinkomplimentierte, indem er den Kapitän mit einem freundlichen Kopfnicken entließ, sodass dieser, nachdenkend über die Ungewöhnlichkeit dieses Empfangs, das Hotel verließ. Nach mehreren Stunden kehrte auch der Lord dahin zurück und verkündete dem Kapitän mit freudestrahlendem Gesicht, dass der Freiherr ihn in seinem geheimen Büro mit diplomatischen Arbeiten beschäftigen und bis zur Expedition nach Schottland bei sich behalten werde. Er traf denselben Tag noch Anstalt, mit Courtin das Hotel des Barons zu beziehen. Dem Kapitän war vieles unbegreiflich und wurde ihm noch rätselhafter, als er von Görz zur Tafel geladen worden war, dort den Lord den Ehrenplatz einnehmen und vom Wirt mit der ausgesuchtesten Höflichkeit behandeln sah. Seine Verwunderung stieg aufs Höchste, als er Palmerston im Galakleid neben dem Baron im Staatswagen des Letzteren durch die Straßen der Stadt fahren sah, und wenn er sich denselben jungen Mann dachte, wie er ihn vor einigen Wochen in Hamburg im Kaffeehaus unter den dänischen Werbern gesehen hatte, so wollte es ihn selbst bedünken, als wenn derselbe mit übernatürlichen Kräften ausgestattet sei.

Als er auf seine Fregatte zurückgekehrt dem Lieutenant Gad und dem Schiffschirurgus Habermann seine Verwunderung über das schnelle Emporkommen Flaxmanns beim Baron Görz nicht verhehlen konnte, riefen beide einstimmig: »Er ist ein Hexenmeister, ein Magier, ein Schwarzkünstler. Das haben wir nun schon zu oft bestätigt gefunden«.

Gad setzte mit einem Seufzer hinzu, als wäre ihm eine schwere Last vom Herzen gewichen: »Ich bin froh und in meinem Schöpfer vergnügt, dass uns der Mensch nicht wieder auf das Schiff kommt. Ich hatte in seiner Nähe stets eine Witterung von Pech und Schwefel und von noch etwas, was mir stets übel und weh machte.«