Der bayerische Hiesel – Teil 14
Friedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht
Das lebendige Stroh
In einem der vielen Gefechte mit streifenden Jägern, Soldaten und Gerichtsdienern, die Hiesel fast täglich zu bestehen hatte, war kürzlich einer von seinen besten Kameraden, durch den Kopf geschossen, auf dem Platz geblieben.
Aus besonderem Hass gegen Franz Joseph Laner, Beständner auf dem Hauserhof, unweit Minsterhausen, hatte jemand dem Hiesel den Argwohn beigebracht, dieser Laner habe den Wildschützen erschossen und sich dieser Tat in öffentlichen Wirtshäusern gerühmt, ja sogar freventlich beigefügt, er werde es demnächst dem Hiesel um kein Haar besser machen.
Das hieß freilich Öl ins Feuer gießen, denn der gereizte Hiesel brach in die entsetzlichsten Verwünschungen gegen den Laner aus und schwur ihm die grässlichste Rache.
»Kameraden«, begann er eines Morgens in der Mitte seiner Gesellen. »Wir sind freie Menschen, die sich, um ihr tägliches Brot zu gewinnen, allen Gefahren aussetzen, ja täglich ihr Leben in die Schanze schlagen. Hitze und Kälte, Donner, Blitz und Stürme halten uns nicht ab, die Fährte des edlen Wildes zu verfolgen, bis es unter unseren Kugeln stürzt.
Allein die Menschen vergönnen uns diesen mühsamen Unterhalt nicht. Mit Feuer und Schwert folgen sie unserer Spur und suchen uns wie reißende Tiere auszurotten. Jäger, Soldaten und Gerichtsdiener müssen gegen uns ausziehen, und dennoch rächen wir uns an ihnen, so oft wir es vermögen, weil sie unsere Feinde sind, obgleich sie nur ihre Pflicht tun. Was soll aber einem elenden Kerl geschehen, der weder Jäger, noch Soldat, noch Gerichtsdiener ist, sondern nur Beständner auf einem Bauernhof, der sich aus purem Mutwillen an eine Streife anschloss und einen unserer tapfersten Kameraden getötet, ja sogar sich erfrecht hat, zu prahlen, er werde es nächstens auch mir, eurem Hauptmann, um kein Haar besser machen.«
»Er sterbe, der Hund, er sterbe!«, schrien sie alle wie aus einem Munde.
»Ja, er sterbe!«, erwiderte Hiesel. »Auf zum Hauserhof!«
Mit 14 bewaffneten Kameraden zog Hiesel zur Rache aus und traf den Laner in der Scheune, wo er gerade mit seinen Leuten Korn drosch.
»Da bist du ja, du Spitzbube, der mir meinen Martin erschoss. Jetzt kannst du einen Gruß für ihn von mir in die Ewigkeit mitnehmen und kannst ihm erzählen, auf welche Weise Hiesel die Mörder seiner Brüder bestraft. Du musst sterben!«
Verzweiflungsvoll stürzte Laner auf seine Knie und schwur bei Gott und der heiligen Jungfrau, dass er niemals mit einer Streife ausgezogen, niemals ein Gewehr gegen irgendeinen Menschen abgeschossen und niemals ein unrechtes Wort gegen Hiesel gesprochen habe.
»Dein Leugnen hilft dir nichts, elende Kanaille!«, fuhr ihn Hiesel an. »Fass, Tiras!«
Sogleich riss ihn der Hund zu Boden und schlug seine spitzen Zähne in die Lenden des Unglücklichen, der einen durchdringenden Jammerschrei ausstieß.
Die anderen Drescher waren durch eine von Getreidegarben versteckte Hintertür entsprungen.
Nun legten die Wildschützen den Laner auf die Tenne hin, streuten ganz dünn Getreide auf seinen Leib und droschen mit ihren Hirschfängern solange unbarmherzig auf ihn los, bis er kein Lebenszeichen mehr von sich gab.
»Jetzt hängt den Schurken am Ast des nächsten Baumes auf«, befahl Hiesel.
Mit wilder Mordlust schleppten sie ihn vor die Scheune hinaus und befestigten bereits einen Strick mit einer Schlinge an einem Lerchenbaum, um ihr Opfer daran aufzuziehen, als Hiesel auf dem Steinrand des Ziehbrunnens den Trüffelhund sitzen sah, der ihm düsteren Blickes mit dem Finger drohte.
Augenblicklich befahl Hiesel seinen Kameraden, von Laner abzulassen, indem er gerade erfahren habe, dass ein Streifenkommando gegen ihn heranziehe.
Unwillig, aber doch dem Befehl ihres Hauptmanns gehorsam, gaben die blutdurstigen Menschen ihr Opfer los und folgten eilenden Schrittes dem Hiesel, der sie dem nächsten Wald zuführte.
Laner wurde mit vieler Mühe vom Tode errettet, blieb aber, so lange er lebte, ein unglücklicher Krüppel.
***
Ein falscher Argwohn hat auf der Welt schon manches Unheil veranlasst. Darum prüft jede Einflüsterung der Laute und glaubt niemals geradezu, was sie euch sagen. Wenn sie euch auch nicht absichtlich täuschen, so können sie doch selbst im Irrtum sein. Sehr oft machen schlechte Menschen, welche andere verleumden wollen, von diesem Mittel Gebrauch und lachen schadenfroh ins Fäustchen, wenn ihnen ihr Plan gelingt, die Leute untereinander zu hetzen. Das Beste ist freilich immer, auf Ohrenbläserei und Klatscherei gar nicht zu achten, in keinem Fall aber die Sache gleich für gewiss anzunehmen. Einem wahrhaft Christlichen ziemt keine Rache, und auf einen bloßen Verdacht hin Rache zu nehmen, ist höchst unrecht und lädt eine große Schuld auf das Gewissen. Späterhin folgt dann gewöhnlich eine fruchtlose Reue nach. So ging es einst Herzog Ludwig dem Strengen von Bayern, der im Jahr 1256 seine unschuldige Gemahlin, Maria von Brabant, zu Donauwörth enthaupten ließ, weil er sie im Verdacht der Untreue hatte. Als aber ihre Unschuld nach ihrem Tod sonnenklar wurde, ergriff ihn eine solche Reue, dass seine Haare in einer einzigen Nacht ergrauten.