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Das Geisterschiff und der Fliegende Holländer Teil 6

Das-Geisterschiff-und-der-fliegende-HollaenderDas Geisterschiff und der Fliegende Holländer
Lebendig im jüngsten Gericht oder Rache bis über das Grab hinaus
Eine höchst schaudervolle Geschichte höllischer Bosheit

Der verhängnisvolle Brief

Am anderen Morgen wurde Philipps Mutter begraben. Vom Kirchhof heimgekehrt, beschloss er, nun das verschlossene Zimmer zu öffnen und zu untersuchen. Nach der Trennung der hinteren Wand von jenem Kasten, mit welchem er sich schon früher beschäftigt hatte, fand er in einem verborgenen Schubfach einen großen, ziemlich verrosteten Schlüssel mit einem daran befestigten, von der Hand seiner Mutter geschriebenen Zettel, worauf stand, dass dieser Schlüssel das Zimmer aufschließe, welches bis zu ihrem Tod verschlossen bleiben solle, und worin er in einem eisernen Kasten viel Geld und auf einem Tisch einen verhängnisvollen Brief finden werde.

Philipp öffnete das Zimmer, welches ein Viereck von 12 bis 14 Fuß bildete, und die Fensterläden des einzigen Fensters geschlossen waren. Der eiserne Kasten enthielt in kleinen ledernen Beuteln Geld, dessen Betrag mindestens auf zehntausend Gulden anzuschlagen war, bei welchem Anblick er mit einer fast heiteren Aufregung an Poots bezaubernd schöne Tochter dachte. Er überließ sich schon süßen Träumereien, froh, keinen verhängnisvollen Brief gefunden zu haben, als er auf dem Boden eine Handarbeit seiner Mutter liegen sah, und unter derselben, zu seinem Entsetzen – den gefürchteten Brief!

Mutig brach er das schwarze Siegel, und las:

An Maria.

Einer von jenen barmherzigen Geistern, welche über die Verbrechen der Sterblichen unaufhörlich weinen, hat die Ermächtigung erhalten, mir das einzige Mittel zur Aufhebung des über mich ausgesprochenen Urteils zu offenbaren.

Wenn ich auf dem Deck meines eigenen Schiffes jene heilige Reliquie, bei der ich so frevelhaft geschworen, mit einem demutsvollen Kuss berühren und eine einzige Träne der Reue auf das heilige Holz hinab weinen kann, nur dann, nur dann werde ich zur Ruhe kommen können.

Ich weiß nicht, wie dies zu vollbringen ist, wer diese schauderhafte Aufgabe zu lösen vermag. Ach Maria, wir besitzen zwar einen Sohn – doch nein, nein! Sprich nicht mit ihm von meinem Schicksal, sondern bete für mich und lebe wohl!

Wilhelm J. Vandendecken.

Philipp erkannte nun die Wahrheit des schrecklichen Loses seines armen Vaters. Er sank auf seine Knie, küsste die heilige Reliquie und schwor bei ihr gottvertrauend einen hohen Eid, den über den armen, unglücklichen Vater verhängten grauenvollen Ausspruch zu heben, sollte dies auch mit dem Opfer seines eigenen Lebens geschehen.

Wie toll rannte Philipp hinaus ins Freie und wanderte verwirrt und bestimmungslos fort und fort bis an ein dichtes Gebüsch am Saum eines Waldes, wo er sich erschöpft niederließ und in allerlei Gedanken brütend bis Anbruch der Nacht verweilte.