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Das Geisterschiff und der Fliegende Holländer Teil 3

Das-Geisterschiff-und-der-fliegende-HollaenderDas Geisterschiff und der Fliegende Holländer
Lebendig im jüngsten Gericht oder Rache bis über das Grab hinaus
Eine höchst schaudervolle Geschichte höllischer Bosheit

Das verschlossene Zimmer

»Lieber Sohn«, begann sie, »die Stunde meines Todes naht. Deshalb will ich von deinem Vater mit dir reden und dir das Geheimnis des verschlossenen Zimmers enthüllen.«

»Ist mein Vater nicht in der See ertrunken?«

»Ach nein, – nein, nein!«

»Aber wo ist er denn?«

»Lebendig im Jüngsten Gericht!«, antwortete die Mutter in geisterähnlichem Ton, während ein Schauder ihren ganzen Leib durchzuckte.

»Möge das traurige Schicksal deines Vaters dir zur Lehre dienen, Philipp«, fuhr sie fort. »Er war ein kühner und erfahrener Seemann. Obwohl in Amsterdam geboren, wollte er, als ein guter Katholik, nicht dort wohnen. Vor 17 Jahren segelte er auf dem schönen Schiff, der Amsterdamer, das er mit seinen Ersparnissen gekauft hatte, mit einer wertvollen Ladung nach Indien, wo er schon zweimal gewesen war. Nach dieser dritten Reise, wenn er sie glücklich vollendete, wollte er sich als reicher Mann zur Ruhe begeben. Wir liebten uns innig, und meine Sehnsucht nach seiner Heimkehr war endlos. Nach den ersten 6 Monaten seiner Abreise lag noch ein volles trauriges Jahr des Erwartens vor mir.

»Eines Abends, als ich an deinem Bett, Philipp, der du meine einzige Freude, mein einziger Trost warst, meine Andacht verrichtet hatte, ging ich in das seitdem verschlossene Zimmer hinab und las in einem Buch. Nach Mitternacht tobte ein gewaltiger Orkan um das Haus. Ein Windstoß schleuderte Fenster und Fensterladen in das Zimmer und löschte das Licht aus. Die Furcht entpresste mir einen Schrei. Dennoch ging ich zum Fenster, um es zu verschließen. Da erblickte ich eine entsetzliche Erscheinung – deinen eintretenden Vater!«

«Barmherziger Gott!«, flüsterte Philipp.

»Obgleich es ganz finster war, erkannte ich doch seine Gestalt und Züge wie in einem gespensterhaften Schimmer. Nach seinem Eintritt in das Zimmer hatten Fenster und Fensterläden sich wieder geschlossen, wie durch eine unsichtbare Hand, das Licht brannte wieder. Vor der Erscheinung eines Geistes fiel ich in Ohnmacht auf den Boden hin. Erwachend lag ich auf meinem Bett. Eine eisige Hand hielt meine Hand. Die Kleider meines Gatten waren kalt und nass.

»Ist auch dein Schiff verloren, Wilhelm«, rief ich aus, »so bist doch du wieder bei mir!«

»Mein Schiff ist nicht verloren«, erwiderte er mit hohler Grabesstimme, »ich selbst habe alles verloren. Ich bin nicht tot, doch auch nicht lebendig. Ich schwebe zwischen dieser Welt und dem Geisterreich. Höre! Alle Elemente hatten sich verschworen, mir die Umschiffung des Kaps der guten Hoffnung unmöglich. zu machen. Und da dies mir in 18 Wochen der größten Anstrengung dennoch nicht gelungen war, brach ich in die gräulichsten Gotteslästerungen aus. Weil ich nach dem Wunsch des Schiffsvolkes nicht an die Tafelbay zurückkehren wollte, forderte der Steuermann die Leute auf, mich zu binden. Ich versetzte ihm einen so unglücklichen Stoß, dass er über Bord stürzte und in den Wellen versank. Auch durch diesen unwillkürlichen Mord nicht erschüttert, schwor ich bei der heiligen Reliquie, dem Splitter vom heiligen Kreuz, die ich zum hohen Preis kaufte und du um den Hals trägst, dass ich allen Mächten des Himmels und der Hölle zum Trotz meinen Willen vollziehen wolle, wenn auch in einem bis zum Jüngsten Gericht dauernden Kampf, mit den Wellen.

Da warf sich der Sturm mit rasender Gewalt auf das Schiff, zerfetzte Segel, Wogenberge stürzten über uns hin. Eine rabenschwarze Wolke senkte sich auf Klafterlänge herab wie eine flache Wand und zeigte in Flammenzügen die entsetzlichen Worte: Bis zum jüngsten Gericht!

Eine einzige Hoffnung habe ich noch, die es mir erlaubt, vor dir zu erscheinen. Lies diesen versiegelten Brief, den ich auf deinen Tisch lege, Maria, und rette mich, wenn du es vermagst. Lebe wohl, meine Zeit ist vorüber!«

Rasch öffneten sich wieder Fensterladen und Fenster. Das Licht erlosch, im Finstern verschwand mein Wilhelm. Jammernd stürzte ich ihm nach zum Fenster, das sich von selbst schloss, das Licht brannte wieder, ich war allein!«

Eine kurze Pause trat ein.

»Heiliger Gott, barmherziger Gott«, ächzte nun die arme Maria, »ach, mein Gehirn tobt! Philipp, lieber Philipp, ich beschwöre dich, geh nicht von mir.«

Wie wahnsinnig umschlang sie ihren Sohn, einige Minuten lang, ohne sich zu rühren. Philipp fühlte sich von Angst erfasst. Er brachte sie sanft auf ihr Bett. Da neigte sie ihr Haupt mit den erstarrten Augen. Die Anstrengung des langen Sprechens und die auf sie einstürmenden schmerzlichen Gefühle hatten ihren Tod beschleunigt.