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Frederick Marryat – Die Sendung – Kapitel 17

Kapitän Frederick Marryat
Die Sendung
Umschlagzeichnung nach Originalentwürfen von Professor Honegger
Neue deutsche Ausgabe. Magdeburger Verlagsanstalt. 1915
Kapitel 17

Die Nacht verlief ohne Störung, und am anderen Morgen wurden die Ochsen eingespannt, um die Richtung nach Norden einzuschlagen. Zuvor hatte man das Vieh zum Fluss hinunter zur Tränke geführt und es zwei Stunden weiden lassen, denn es galt nun einem Zug von mehr als 24 Wegstunden durch ein unfruchtbares Land, in welchem man weder Gras noch Wasser zu finden hoffen durfte. Sie hatten noch keine Stunde zurückgelegt, als die Landschaft ihr Aussehen änderte. So weit das Auge reichen konnte, ließ sich nirgends eine Spur von Bäumen blicken, und der Boden war mit niedrigem, verkümmertem Gebüsch und großen Steinen bedeckt. Hier und da zeigten sich kleine Gruppen von Tieren, meistens Quaggas. Während unsere Reisenden vorausritten, schreckten sie sechs oder sieben Strauße auf, von denen eine Kugel aus der Büchse des Majors einen zu Boden streckte. Die Übrigen liefen mit einer Geschwindigkeit davon, die vom schnellsten Pferd kaum hätte übertroffen werden können.

»Das war ein guter Schuss, Major«, sagte Alexander.

»Ja«, versetzte Swinton. »Aber seht Euch vor, wie Ihr Euch dem Vogel nähert. Ihr habt ihm den Schenkel zerschossen, und er könnte gefährlich werden, denn die Strauße sind sehr wild. Wie ich mir′s dachte. Hier ist sein Nest. Lasst Bremen den Vogel vollends töten, denn er versteht sich besser darauf, als Ihr, Major. Es ist das Männchen – die Entwischten sind lauter Weibchen.«

»Welch eine Menge von Eiern«, sagte Alexander. »Ist das Nest gemeinsam?«

»Ja«, entgegnete Swinton. »Alle diejenigen, welche mit aufwärts gedrehten Spitzen in der Mitte liegen, sind die Bruteier. Lasst einmal sehen – es sind ihrer sechsundzwanzig, und Ihr bemerkt, dass eben so viele rund um das Nest herumliegen. Diese dienen den jungen Straußen, sobald sie ausgekrochen sind, zur Nahrung. Wir wollen ihnen übrigens diese Mühe sparen. Bremen muss die Eier außen am Nest für uns sammeln, und kann die anderen den Khoikhoi geben, die es nicht sehr genau mit ihrer Kost nehmen und sich nichts daraus machen, ob die Eier frisch sind oder nicht.«

»Ein edler Vogel«, sagte der Major, »und er hat auch einige schöne Federn. Ich denke, wir lassen Bremen die Federn ausziehen. Der Körper mag liegen bleiben.«

»Ja, denn ich brauche ihn nicht. Aber Bremen wird wohl die Haut haben wollen, da sie auf dem Kap etwas wert ist.«

Die Khoikhoi bemächtigten sich der Eier, und Bremen zog den Strauß ab. Dieses Geschäft dauerte nur wenige Minuten, worauf sie wieder weiter ritten. Swinton sagte sodann: »Der männliche Strauß hat gewöhnlich drei bis sieben Weibchen, welche alle in das gleiche Nest legen. Er sitzt so gut wie die Weibchen und verrichtet dieses Geschäft in der Regel bei Nacht, um die Eier gegen die Angriffe der Hyänen oder anderer Tiere zu bewahren.«

»Ihr wollt damit doch nicht sagen, dass er gegen so große Tiere kämpfen kann?«

»Ja, und tötet sie auch. Der Strauß hat zwei gewaltige Waffen – einmal seine Flügel, deren Schlag einem Menschen das Bein zerschmettern kann, und dann seine Füße, mit deren Zehen er Tiere und Menschen zu töten imstande ist. Ich selbst sah einmal im Namaqua-Land einen Buschmann, den der Fuß eines Straußes auf die Brust getroffen hatte. Rippen und Magen waren ihm aufgerissen, sodass seine Eingeweide auf den Boden heraushingen. Ich brauche kaum zu sagen, dass der arme Tropf tot war.«

»Dies hätte ich kaum geglaubt«, bemerkte Alexander.

»Die Buschmänner ziehen dem Strauß die Haut ab und spannen sie über ein Weidenflechtwerk, indem sie zugleich Kopf und Hals durch einen Stock aufrecht erhalten. Die Haut befestigen sie sodann an einer ihrer Seiten und tragen Kopf und Hals in der einen Hand, während sie in der anderen Bogen und Pfeile halten. In dieser Vermummung – natürlich ist die gefiederte Seite dem Tier zugewendet, dem sie nahe kommen wollen – geht nun der Buschmann weiter, pickt mit dem Kopf an den Büschen und ahmt die Bewegungen des Straußes nach. Durch eine derartige Kriegslist gelingt es ihm oft, den übrigen Straußen oder den Quaggas und Gnus, welche mit diesen Vögeln Kameradschaft unterhalten, auf Schussweite nahe zu kommen.«

»Dies möchte ich doch auch mit ansehen«, sagte der Major.

»Ihr würdet ebenso sehr über die Treue der Nachahmung erstaunen wie ich. Ich hätte noch bemerken sollen, dass sich der Buschmann die Beine mit Ton weiß färbt. Immerhin bleibt es übrigens ein gefährliches Geschäft, denn ich habe, wie ich bereits angab, selbst mit angesehen, wie ein Mann von einem männlichen Strauß getötet wurde. Auch sagten mir die Eingeborenen, es komme nicht selten vor, dass die Straußjäger sehr ernstliche Beschädigungen erleiden.«

Mittlerweile war die Karawane nachgekommen und sie zogen wieder weiter. Das Land wurde immer unfruchtbarer und zuletzt ließ sich nirgends mehr ein Tier blicken. Da es für die Ochsen nichts zu fressen gab, so setzten sie ihren Weg den ganzen Tag über fort und machten erst nachts halt, worauf das Vieh wieder an die Wagen gebunden wurde. Brennholz konnte nicht beigeschafft werden, weshalb die eine Hälfte der Khoikhoi die Nacht über wachen musste, um mit ihren Musketen wilde Tiere wegzuscheuchen. Indes war, wie Swinton bemerkt hatte, wenig Störung von Löwen oder anderen Bestien zu befürchten, da sie nun zu weit vom Wasser weg waren und sich weit und breit kein Wild befand, auf das die Raubtiere Jagd machen konnten. Der Erfolg bewies, dass der Mann der Wissenschaft recht hatte, denn die ganze Nacht über hörten sie nicht einmal das Geschrei einer Hyäne oder eines Schakals. Mit dem ersten Aufdämmern des Lichtes wurden die Ochsen wieder eingespannt. Unsere Reisenden hofften gegen Abend den Vaal-Fluss zu erreichen. Die Relais-Ochsen mussten nun diejenigen ablösen, welche am meisten gelitten hatten. Gegen Mittag war die Hitze furchtbar, und die Pferde, welche den Mangel an Wasser nicht so gut ertragen konnten wie die Ochsen, schlichen sehr niedergeschlagen dahin. Unsere Reifenden setzten ihren Zug ungefähr zwei Stunden lang fort und bemerkten endlich einige niedrige Bäume. Begum, welche kein Wasser erhalten hatte, damit sie sich anstrengen möge, welches aufzufinden, brach, so schnell sie konnte, auf, und Omrah folgte ihr nackt. Nachdem sie eine Strecke gegen die Bäume zugelaufen waren, änderten sie ihre Richtung ostwärts nach einigen zackigen Felsen hin. Die Karawane langte an den Bäumen an, welche an den Ufern des Flusses Alexandria wuchsen, über den sie, wie sie wohl wussten, setzen mussten. Aber nirgends war ein Tropfen Wasser zu entdecken. Wie sie noch umherspähten, kam plötzlich Begum kreischend zurück und umklammerte mit allen Merkzeichen des Entsetzens den Major, wie sie in der Regel zu tun pflegte, wenn sie Angst hatte.

»Wo ist denn der Buschmannknabe?«, fragte Bremen.

»Es muss ihm etwas zugestoßen sein«, rief Swinton. »Kommt alle mit Euren Gewehren.«

Die ganze Partie, Khoikhoi und alles, eilte zu den Felsen, wo Omrah und Begum nach Wasser gesucht, und hatten sich denselben ganz atemlos von Hast bis auf fünfzig Schritte genähert, als sie mit dem »Qua, qua, qua« einer Pavianherde begrüßt wurden, die auf dem Rand des Felsens saßen und, auch auf ihren Vorderbeinen stehend, in ihrer gewöhnlichen Weise mit einem Angriff drohten.

»Was ist da anzufangen?«, fragte der Major. »Sollen wir Feuer geben? Glaubt Ihr, sie haben sich des Knaben bemächtigt?«

»Wenn dies der Fall ist, so werden sie ihn wieder gehen lassen. Aber gebt immerhin Feuer. Wir sind ihnen jetzt zu zahlreich, und verlast Euch darauf, sie werden sich auf keinen Kampf einlassen. Wir wollen gut zielen und ihnen eine tüchtige Salve geben.« »Wohlan, so nehme ich jenen ehrwürdigen alten Kunden aufs Korn, der der Führer und Urgroßvater das ganzen Haufens zu sein scheint«, sagte der Major. »Seid Ihr alle fertig? – Feuer!«

Die Salve erzielte ihre Wirkung. Drei oder vier der Tiere stürzten tot zusammen, viele waren verwundet, und die ganze Herde nahm unter lautem gellendem Geschrei Reißaus. Die Verwundeten schleppten sich den anderen nach, so gut es gehen wollte.

Die ganze Partie stieg nun die Felsen hinauf, um nach Omrah zu sehen – alle, bis auf Begum, die es nicht wagen wollte. Sie hatten kaum den Gipfel erreicht, als sie von unten Omrahs Stimme hörten, ohne übrigens seiner ansichtig werden zu können.

»Dort ist er, Sir«, sagte Swanevelt, »dort unten.« Swinton und der Major stiegen wieder hinab und kamen endlich, durch das Schreien des Knaben geleitet, an eine schmale, etwa zwanzig Fuß tiefe Kluft in dem Gestein, auf deren Boden sie den Knaben zwar hören, aber nicht sehen konnten. Die Kluft war so schmal, dass keiner der Männer hinunterkriechen konnte, weshalb Swinton einen Khoikhoi zurückschickte, damit er einige lederne Riemen oder ein Stück Tau holte. Während dieses Zögerns fragte Bremen Omrah, ob er Schaden genommen habe, und erhielt eine verneinende Antwort. Sobald das Tau angelangt war, wurde es niedergelassen. Omrah ergriff es und die Khoikhoi zogen ihn herauf. Er hatte augenscheinlich ein wenig gelitten, denn das Haar war ihm in großen Büscheln ausgerissen und sein Hemd flatterte in Fetzen. Indes hatte er mit Ausnahme einiger Risse, die ihm durch die Nägel der Paviane versetzt worden waren, keinen ernsten Schaden genommen. Omrah erklärte den Khoikhoi, welche seine Sprache verstanden, Begum und er wären nach der Kluft gekommen und hätten entdeckt, dass sich auf dem Boden derselben Wasser befinde. Begum sei heruntergegangen und er nachgefolgt, als die Paviane, welche am Wasser unten gewesen waren, auf sie zugekommen seien. Begum sei wieder hinaufgesprungen und entwischt, ohne dass er ihrem Beispiel habe folgen können. Die Tiere hätten ihm dann nachgesetzt, bis er so in die Kluft eingeklemmt gewesen war, dass er nicht weiter hinabsteigen konnte. Dann hätten sie ihm das Haar ausgerauft und sein Hemd zerrissen.

Nachdem Omrah seine Geschichte vorgetragen und unsere Reisenden sich überzeugt hatten, dass ihm kein ernstlicher Nachteil zugestoßen war, begaben sie sich wieder zu der Stelle, wo sie die Paviane geschossen hatten. Zwei davon waren tot, der alte aber, auf welchen der Major gefeuert hatte, noch am Leben, obwohl ernstlich verwundet, denn er hatte zwei Schüsse abbekommen, einen im Arm und den anderen im Bein, das durch die Kugel zerschmettert worden war. Alle Wildheit schien das arme alte Tier verlassen zu haben. Es war augenscheinlich vom Blutverlust sehr schwach und saß an den Felsen gelehnt da. Hin und wieder richtete es sich auf, um nach der Wunde seines Beins zu sehen und das Loch zu untersuchen, wo die Kugel eingedrungen war. Dann hielt es den verwundeten Arm mit der anderen Hand und sah unsere Reisenden fragend ins Gesicht, als wollte es sagen: »Warum habt ihr dies getan?«

»Das arme Geschöpf!«, entgegnete daraufhin Alexander. »Wie sehr sind seine Bewegungen denen eines menschlichen Wesens ähnlich. Sein stummes Flehen bietet einen wahrhaft peinlichen Anblick.«

»Sehr wahr«, versetzte der Major, »aber dennoch würde es Euch ohne diese Wunden in Stücke reißen, wenn es könnte.«

»Das ist zuverlässig wahr«, entgegnete Swinton, »aber dennoch ist der arme Affe ein Gegenstand des Mitleids. Er kann sich nicht wieder erholen, und es wird daher am besten sein, wenn wir seinem Elend ein Ende machen.«

Er forderte nun Bremen auf, das Tier durch den Kopf zu schießen. Danach begaben sich unsere Reisenden zur Karawane zurück. Als sie an den Ufern des Flusses anlangten, bemerkten sie, dass Begum in dem festgebackenen Schlamm des Flussbettes scharrte.

»Was treibt die Prinzessin?«, fragte Alexander.

»Ich weiß!«, rief Omrah, der augenblicklich dahin lief, um dem Pavian Beistand zu leisten. Nach einigem Scharren brachten sie eine lebendige Schildkröte heraus, die ungefähr einen Fuß lang war.

»Ich habe gehört, wenn die Flussbetten austrocknen, bleiben die Schildkröten im Schlamm, bis sie sich wieder mit Wasser füllen«, sagte Swinton.

»Sind sie essbar, Swinton?«

»Vortrefflich.«

»Schildkrötensuppe in der Wüste – das ist etwas Unerwartetes.«

Die Khoikhoi gingen nun gleichfalls ans Werk und entdeckten fünf oder sechs weitere derartige Tiere, welche sie heraufschafften. Sie versuchten sodann dem Wasser in der tiefen Kluft beizukommen. Da aber dies unmöglich war, so setzte die Karawane ihren Weg fort.

»Wie weit haben wir noch in dieser Wüste zu gehen«, fragte Alexander, »ehe wir an den Fluss kommen?«

»Ich fürchte, wir werden ihn vor morgen Abend nicht erreichen«, antwortete Swinton, »wenn wir nicht auch die Nacht über reisen, was vielleicht das Zweckmäßigste sein dürfte; denn wie sehr auch die Tiere der Ruhe bedürfen mögen, werden sie sich nur um so mehr aufreiben, wenn sie noch einen Tag ohne Wasser unter einer glühenden Sonne zubringen müssen. Auch ertragen sie bei Nacht die Arbeit leichter und wir gewinnen nichts durchs Haltmachen, da sie sich nur umso mehr erschöpfen, je länger sie auf der Reise sind.«

»Ich bin wahrhaftig wegen der Pferde besorgt, die bereits sehr gelitten haben.«

»Heute Abend waschen wir ihnen die Lippen mit einem in Wasser getränkten Schwamm. So viel können wir schon für die armen Geschöpfe erübrigen.«

»In den Wüsten Afrikas hat man sich stets mit drei schweren Plagen herumzuschlagen«, sagte Swinton, »mit wilden Menschen, wilden Bestien und Mangel an Wasser.«

»Die Letzte ist die Schlimmste von allen«, versetzte der Major. »Wir werden heute Nacht für einige Stunden Mondlicht haben.«

»Ja, und wenn auch nicht, so wäre es von keiner Bedeutung. Die Sterne verbreiten Licht genug, und wir haben hier nur wenig von wilden Tieren zu befürchten. Wir sind jetzt in Wassernot und sobald wir uns diese Gefahr vom Hals geschafft, werden wir die anderen wieder zu bestehen haben.«

Die Sonne ging endlich unter, und die armen Ochsen schleppten sich mit weit heraushängenden Zungen weiter. Mit Einbruch der Nacht wurden die Relais-Ochsen eingespannt, welche ihren Weg im Sternenlicht fortsetzten. Die Pferde hatte man nach Swintons Vorschlag erfrischt. Sie waren aber viel zu erschöpft, um zum Reiten zu dienen, und unsere Reisenden gingen nun auf dem sandigen Grund, ihre Gewehre auf den Schultern, neben den Wagen her. Zugleich hatte man die Hunde losgelassen, damit sie von jeder Gefahr Nachricht geben konnten. Die Sterne funkelten herrlich und sogar das ermattete Vieh fühlte in der beziehungsweisen Kühle der Nachtluft Erleichterung. Alles war still, das Knarren der Wagenräder und das gelegentliche Stöhnen der erschöpften Ochsen ausgenommen.

Sie reisten wieder eine ermüdende Stunde weiter, als mit einem Mal Begum einen Schrei ausstieß und den Wagen vorauseilte. Die Ochsen erhoben ihre Köpfe gegen den Wind, und bald rissen sich diejenigen, welche nicht in den Jochen zogen, von ihren Hütern los, um davon zu galoppieren. Die Pferde, Schafe und Hunde folgten ihnen. Auch die Ochsen im Joch wurden nun unruhig und versuchten sich von den Strängen loszumachen.

»Sie wittern Wasser, das nicht mehr fern sein kann, Sir«, sagte Bremen. »Ich denke, es ist am besten, wir spannen sie aus und lassen sie gehen.«

»Ich bin damit einverstanden«, versetzte Alexander.

Die armen Tiere waren so ungeduldig, dass es schwer wurde, sie auszuspannen, und viele rissen los, noch ehe sich dies bewerkstelligen ließ. Sobald sie sich befreit sahen, folgten sie ihren Kameraden in gleich schnellen Schritten.

»Jedenfalls werden wir bald erfahren, wo wir sie zu finden haben«, sagte der Major lachend. »Ich fühlte so sehr für die armen Geschöpfe, dass es mir in der Tat ist, als wäre ich so durstig gewesen wie sie, und lösche jetzt meinen Durst. Es ist fast Tag.«

Sie folgten im Dämmerlicht der Richtung, welche die Tiere eingeschlagen hatten, und konnten bald die Bäume unterscheiden, die in einer Entfernung von etwa einer Stunde den Fluss säumten. Mit dem Heller werden des Tages bemerkten sie, dass die ganze Landschaft ihren Charakter verändert hatte. Schon auf ihrem Weg war der Boden mit Grün bedeckt und in der Nähe des Flusses wucherte die Vegetation in üppigster Fülle. Nach allen Richtungen erblickte man hohe Mimosenbänume und in der Ferne große Waldungen. Alles prunkte im grünen Gewand und kam ihnen im Gegensatz zu der Wüste, die sie abends zuvor durchwandert hatten, wie ein Paradies vor. Als sie an den Ufern des Flusses anlangten, wurden sie von dem lebhaften Gesang der Vögel begrüßt, die ihre Morgenhymnen sangen. Das Vieh, welches nun seinen Durst gelöscht hatte, weidete ruhig im üppigen Gras.

»Wohl konnten der Psalmist und die Propheten von der Schönheit der strömenden Flüsse sprechen«, sagte Alexander. »Wir fühlen jetzt die Wahrheit und Schönheit ihrer Sprache, und man möchte fast glauben, die heiligen Schriften seien in diesen Wildnissen abgefasst worden.«

»Wenn auch nicht gerade in diesen, so war es doch zuverlässig in denen des Morgenlandes der Fall, welche mit unserer Umgebung große Ähnlichkeit haben«, entgegnete Swinton. Ihr habt übrigens recht, wenn Ihr sagt, man könne die Schönheit ihrer Schriften nur dann völlig würdigen, wenn man durch ein ähnliches Land gezogen ist. Wir kennen nie den wahren Wert einer Sache, bis wir empfunden haben, was es heißt, ihrer beraubt zu sein, und in einem gemäßigten Klima, wo fast jedes Haus seinen Brunnen hat, vermag man unmöglich den Wert der »strömenden Flüsse« nach Gebühr anzuschlagen.«

Da nun die Khoikhoi gleichfalls angelangt waren, so wurde das Vieh wieder zu den Wagen zurück getrieben und eingespannt, um die ganze Karawane nach einem Platz bringen zu können, den sie sich für ihr Lager ausersehen hatten. Mittlerweile legten sich unsere Wanderer, die nach ihrem Nachtmarsch ermüdet waren, dicht an den Flussufern unter einem großen Mimosenbaum nieder.

»Wir werden natürlich einen oder zwei Tage hier bleiben«, sagte der Major.

»Ja, um des Viehs willen. Die armen Geschöpfe verdienen wohl ein paar Tage Ruhe.«

»Seht Ihr, wie auf der anderen Seite des Flusses die Mimosen ausgerissen sind?«, bemerkte Swinton. »Die Elefanten sind kürzlich in sehr großer Anzahl hier gewesen.«

»Warum reißen sie wohl diese Bäume aus?«, fragte Alexander.

»Es geschieht wegen der langen Wurzeln, die sehr süß sind. Auf diese Weise geht eine ungeheure Anzahl kleinerer Bäume zugrunde.«

»Wir müssen wohl noch einmal eine Elefantenjagd bestehen«, sagte der Major.

»Ich hoffe, wir haben hier die Wahl in den unterschiedlichsten Jagden«, entgegnete Swinton. »Wir sind jetzt in dem eigentlichen Paradies der wilden Tierwelt, und je weiter wir gehen, desto mehr werden wir finden.«

»Welch große Veränderung kann in diesem Land nicht eine einzige Tagereise bewirken!«, sagte Alexander. »Gestern Morgen noch ließ sich kein lebendes Wesen erblicken und alles war so stumm wie der Tod. Aber hört jetzt, welchen Lärm die Vögel machen, und was die wilden Bestien betrifft, so werden wir uns vermutlich nicht lange danach umzusehen haben.«

»Nein, denn dort ist eben ein Flusspferd aufgetaucht. Jetzt ist es wieder hinunter – mit einem einzigen Blick kann man Proviant für vierzehn Tage überschauen«, rief der Major.

»Wie sich die Pferde und Schafe gütlich tun -sie wollen sich für die verlorene Zeit schadlos halten. Doch da kommen die Wagen.«

»So will ich aufstehen und mein Departement verwalten«, sagte der Major. »Vermutlich haben wir wieder Besuche von unseren Freunden, den Löwen, zu gewärtigen.«

»Wo Löwenkost ist, muss man auch den Löwen erwarten, Major«, sagte Swinton.

»Sehr richtig, und auch Brennstoff, um ihn abzuhalten. Beiläufig, die Schildkrötensuppe zum Mittagessen nicht zu vergessen. Sagt es doch Mahomed.«

»Ich will dafür Sorge tragen«, entgegnete Alexander. »Aber wir müssen auch etwas zum Frühstück haben, sobald ich mich am Fluss ein wenig gewaschen

habe. Ein Bad wäre mir noch lieber, aber ich habe Respekt vor den Flusspferden.«

»Ja, diese werdet Ihr so bald nicht vergessen«, entgegnete Swinton lachend.

»Gewiss nicht, solange ich einen Atem in meinem Leib habe, denn eine derartige Bestie hätte mir ihn ums Haar für immer genommen. Wollt Ihr mit mir gehen, Swinton, und an dem Flussufer Eure Toilette machen?«

»O ja, von Herzen gern, denn ich bin noch ganz vom Sand der Wüste bedeckt.«