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Der Teufel auf Reisen 30

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Sechstes Kapitel – Teil 5
Die Familie Purps

Als Heidenreich fort war, warf sich Schwefelkorn aufs Sofa und begann fürchterliche Gesichter zu schneiden.

»Was haben Sie denn?«, fragte der Doktor.

»Was ich habe? Ich ärgere mich, dass ich so ein dummer Teufel bin. Was Ihr Menschen gut nennt, nennen wir schlecht, worüber Ihr Euch freut, das erregt bei uns Gewissensbisse. Nun jetzt eben mache ich mir darüber Vorwürfe, dass ich mich unwiderstehlich angeregt fühle, diesem armen Schreiber zu helfen. Überhaupt, je länger ich mich hier auf Erden herumtreibe, desto mehr kommen auch bei mir alle die Einflüsse zur Geltung, welche die Handlungen von Euch armen Sterblichen bestimmen. Am besten wird es wohl sein, wenn ich sobald wie möglich wieder in die Hölle zurückkehre. Denn lange ich dort in einem so defekten Zustand an, so muss ich gewärtig sein, dass man mich ausweist.«

»Na, na, so schlimm wird es wohl nicht werden«, entgegnete darauf Schwalbe lachend. »Ich möchte Ihnen übrigens gern Quartier bei mir anbieten, denn meine Philosophie kann das vertragen. Mein Pfarrer aber hat eine sehr feine Nase, und wenn der erst wittert, wer Sie sind, so treibt er Sie ohne Weiteres aus, das weiß ich bestimmt.«

Schwefelkorn lachte. »Der Prozedur will ich mich doch nicht unterwerfen, ich danke also bestens für die angebotene Gastfreundschaft.«

Etwa vierzehn Tage nach den hier geschilderten Vorfällen saß Frau Purps eines Nachmittags in ihrem Wohnzimmer und hatte ihrem Mann, da sie noch immer sehr verdrießlicher Laune war, eben eine lange Strafpredigt gehalten, als plötzlich an der Tür geklopft wurde und auf das »Herein!« ein Herr von einigen fünfzig Jahren eintrat, dessen etwas auffallender Anzug und dessen freies Auftreten ihm ein ziemlich fremdartiges Ansehen gaben, sodass sich die würdige Dame auch veranlasst fand, einen misstrauischen Blick auf ihn zu werfen.

»Willkommen«, sagte der Unbekannte, indem er leicht an seinem breiten Strohhut rückte und zugleich, ohne hierzu erst die Einladung abzuwarten, nach einem Stuhl griff. »Nochmals willkommen! God dam, ist ja heute eine Hitze gerade wie bei uns!« Dabei warf er seine Kopfbedeckung ungeniert auf den Tisch und trocknete sich mit einem seidenen Foulard die Stirn.

Frau Purps riss ihre Uhuaugen weit auf und stand im Begriff, dem sonderbaren Gast einen gerade nicht einladenden Blick zuzuschicken, als sie eben noch rechtzeitig einen prächtigen Rubin an seinem Finger bemerkte und eine kostbare Diamantnadel an seinem Busenstreif gewahr wurde.

Dies änderte natürlich die Situation. Ihre Stirn glättete sich wieder und im zuvorkommenden Ton fragte sie: »Womit kann ich dem Herrn dienen? Wünscht derselbe vielleicht ein oder zwei Zimmer zu mieten?«

»Kennt mich wohl nicht mehr?«, stellte der Fremde lachend eine Gegenfrage. »Ist aber auch eine verdammt lange Zeit her, dass wir uns nicht mehr gesehen haben! Lass mich nachrechnen. Ja wahrhaftig, glaube bestimmt, es werden schon zwanzig Jahre sein.« »Ich erinnere mich durchaus nicht«, murmelte die dicke Frau verwirrt.

»Scheint so. Ist das der kleine Purps? Nun Purps, wie geht’s? Leidet, wie ich sehe, noch immer an Dünnleibigkeit.«

»Hi, hi«, antwortete unser Bekannter lachend, indem er sich die Hände rieb, »will freilich nicht so recht bei mir anschlagen.«

»Werdet, wie mir’s scheint, verdammt knapp gehalten, wie?«

»Na, wie man’s nimmt«, murmelte der kleine Mann, indem er einen scheuen Blick auf seine Gattin warf.

»Er hat alles im Überfluss«, bemerkte diese, »es fehlt ihm nur an der richtigen Bewegung, um naturgemäß zu verdauen.«

Das arme Männchen machte ein Gesicht, als ob er sagen wollte: »Ich bin von früh bis spät auf den Beinen, und jetzt soll es mir doch noch an Bewegung fehlen.«

»Kommt mir ganz so vor, als wenn Sie ihm den Schweiß aus den Poren treiben«, bemerkte der Fremde lachend. »Na, nichts für ungut, kümmere mich um die häuslichen Angelegenheiten anderer Leute nicht!«

Frau Purps zog ein grimmiges Gesicht, hielt aber doch an sich. »Noch wissen wir immer nicht, was Sie hierher führt, mein Herr«, begann sie.

»Ja, so, hätte es beinahe vergessen. Komme direkt aus Amerika.«

Die Amazone horchte hoch auf, eine dunkle Ahnung stieg bei ihr auf.

»Glaub’s schon, dass ihr den Vetter Daniel nicht mehr kennt, ist schon lange her, dass ich überschiffte.«

»Wie, Vetter Larsen?«, rief nun Frau Purps aufspringend. »Ach, du mein Herr, wie oft habe ich von Ihnen geträumt!«

»Kann mir’s denken«, sprach dieser grinsend, »sahen mich wohl bis an den Hals im Gold sitzen?«

»Oh, schämen Sie sich – was denken Sie!«

»Na, meinte nur so, komme übrigens nicht mit leeren Händen. Dies ist nur eine Kleinigkeit.«

Er öffnete ein umfangreiches Portefeuille, welches mit Banknoten vollgepfropft war. Die Augen der dicken Frau funkelten, habgierig richteten sich ihre Blicke nach den vor ihr ausgebreiteten Schätzen.

»Oh, Vetter, was freue ich mich, Sie wiederzusehen!«, rief sie in den einschmeichelndsten Tönen. »Es ist wahrhaftig kein Tag vergangen, wo ich nicht an Sie gedacht und des Himmels Segen auf Sie herabgefleht habe. Dies hier ist meine Tochter Therese. Stehe auf, Therese, und reiche dem Herrn Vetter die Hand.«

»Ich gratuliere Ihnen zu einer solchen Tochter«, sagte dieser, »das ist ja eine wahre Wunderblume.«

Madame Purps knickste, zugleich bildete sich aber eine neue Kombination in ihrem Kopf. »Der Herr Vetter schmeicheln«, flötete sie, »aber Sie selbst sehen ja noch sehr stattlich aus.«

»Na, man hat sich konserviert.«

»Oh, mehr als konserviert! Manches junge Mädchen würde sich glücklich schätzen …«

»Ans Heiraten denke ich eben nicht«, konterte Larsen lachend, »darin habe ich ein Haar gefunden. Was sagt Ihr dazu, alter Purps?«, fuhr er, sich zu diesem wendend, mit einem boshaften Blick fort.

»Ja, ja «, antwortete das kleine Männchen, sich verlegen die Hände reibend, »heiraten ist gut, nicht heiraten ist vielleicht noch besser, wie der Apostel sagt.«

»Verdammt spitzfindig!«, brummte Larsen.

»Werden der Herr Vetter sich hier niederlassen?«, fragte die Amazone, nachdem sie die ihr gereichte Pille mit möglichstem Anstand hinuntergewürgt hatte.

»Ich habe diese Absicht. Vielleicht kaufe ich mich an. Hauptsächlich führt mich aber ein anderer Grund nach Europa zurück.«

Die Augen der dicken Frau glänzten. »Sie können eigentlich auch nichts Besseres tun, als dass Sie Ihre Tage im Kreis Ihrer Sie zärtlich liebenden Verwandten beschließen«, sagte sie so einschmeichelnd wie möglich.

»Hm … ja … aber es ist doch noch etwas anderes, was mich hierher zog.«

»Darf man fragen?« –

»Als ich fortging, ließ ich ein kleines Patchen zurück, an das ich seitdem stets mit vieler Liebe gedacht habe. Es muss jetzt ein großer Mensch geworden sein. Ich beabsichtige dasselbe an Kindesstatt anzunehmen und ihm, wenn ich sterbe, meine Reichtümer zu hinterlassen.«

Frau Purps ließ plötzlich die Unterlippe bedeutend hängen. »So?«, stieß sie sehr gedehnt heraus und geschraubt setzte sie hinzu: »Darf man nach dem Namen dieses Glückskindes fragen?«

»Joseph Heidenreich. Wie ich höre, soll er Bürochef bei einem Advokaten sein.«

Die dicke Frau wurde feuerrot und dann leichenblass. Therese beugte sich tief auf ihre Arbeit und der kleine Purps rieb sich sehr pfiffig die Hände.

»Kennen Sie Joseph Heidenreich?«, fragte Larsen.

Die Dame hatte inzwischen Zeit gehabt, sich von ihrer Überraschung zu erholen. In ihrem Kopf war nun schnell ein anderer Plan fertig geworden.

»Gewiss kenne ich ihn«, antwortete sie scheinbar ruhig. »Es ist ein sehr fleißiger junger Mann. Wie ich höre, soll er nächstens eine Stelle am Gericht bekommen.«

»Nun, das freut mich, dass ich Gutes von ihm höre. Jetzt leben Sie wohl, Cousine, wenn Sie es erlauben, besuche ich Sie recht bald wieder.«

»Große Ehre für uns, vergessen Sie nicht den Herrn Paten mitzubringen.«

»Es soll geschehen, Cousine. Auf baldiges Wiedersehen also.« Der Vetter reichte ihr die Hand und entfernte sich.

Kaum war er fort, als Frau Purps, kirschrot im Gesicht, aufsprang und drohend die geballte Hand erhob. »Wieder der nichtsnutzige Advokatenschreiber! … Der Erbschleicher, der Dieb, stiehlt uns fort, was uns gehört!«

»Es ist aber nicht zu ändern«, sagte Purps, der zum ersten Mal zu opponieren wagte.

»Das weiß ich, du Blindschleiche. Und ich will dir noch mehr sagen: Man muss gute Miene zum bösen Spiel machen.«

»Hm, der Ansicht bin ich auch.«

»Wenn der Vetter nun einmal so einfältig ist, sein Geld an fremde Herumlungerer wegzuwerfen, so muss man wenigstens daraus den größtmöglichsten Vorteil zu ziehen suchen.«

»Ein Schwiegersohn von einer halben Million wäre wahrhaftig nicht so übel«, bemerkte der kleine Mann.

»Das meine ich auch. Umstände ändern die Sachen. Deshalb habe ich einen Auftrag für dich, Purps.«

»Ja, ja«, sagte dieser in seiner gewöhnlichen gehorsamen Weise, »worin besteht denn derselbe?«

»Du musst zu dem Lump, zu dem Heidenreich gehen und die Sache von letzthin wieder in Ordnung bringen. Da er den Vetter beerbt, so ist das jetzt etwas anderes. Meinetwegen mag er denn das Mädel nehmen, wenn sie nun einmal beide nicht voneinander lassen können.«

Der kleine Purps fand es für angemessen, sich noch etwas zu sträuben. »Ein delikater Auftrag«, murmelte er.

»Delikat hin, delikat her! Du gehst und damit ist es abgemacht.«

»Na, wie du willst, ich meinte nur bloß …«

»Du hast nichts zu meinen, das merke dir ein für allemal.«

»Gut, gut«, und unser Bekannter rieb sich wieder stillvergnügt die Hände.

Am anderen Tag trabte der Vater Thereses mit einer Eile, als ob er eine Staatsdepesche von größter Wichtigkeit zu befördern hätte, die Müllerstraße hinunter. Sein gutmütiges Gesicht war in ein höchst befriedigendes Lächeln gehüllt, aus welchem eine versteckte Pfiffigkeit hervorblickte. In der Steinstraße Nr. 16 angekommen, stand er einen Augenblick still, um Atem zu schöpfen. Dann betrat er den Hof und kletterte sehr behände die ihm wohlbekannten drei steilen Treppen hinauf.

»Hurrah!«, rief er, in das Zimmer Heidenreichs stürzend und seine Mütze schwenkend. »Hurrah, die Schlacht ist gewonnen!«

»Der Friede jedoch noch nicht abgeschlossen«, erwiderte dieser lachend, »inzwischen präsentiere ich Ihnen aber als Grundsage für denselben hier meine Anstellung als Gerichsaktuar.«

Purps machte einen Sprung, der als ein Salto mortale gelten konnte. »So steht also Eurer Verbindung, meine Kinder, nichts mehr im Wege!«

»Wie, also auch die Gnädige aus dem Ministerium, die Tochter des Geheimen Kanzleirats Piepenmeier hätte sich bekehrt?«

»Piepenmeier hin, Piepenmeier her«, tönte unser Bekannter lachend, »der Vetter aus Amerika ist endlich angelangt.«

»Mein Pate?«

»Ja, ja, und er besteht darauf, dass er Sie zum Erben einsetzen will.«

»Nun, und das hat wieder zur Folge gehabt?«, fragte Heidenreich lachend.

»Dass mein Feldwebel plötzlich anderen Sinnes geworden ist«, ergänzte Purps, ebenfalls in ein Gelächter ausbrechend. »Er schickt mich jetzt hierher und lässt Frieden und Versöhnung anbieten.«

»Beides sei bewilligt«, antwortete der junge Mann humoristisch.

»Der Vetter besteht darauf, dass die Verlobung schon am nächsten Sonntag gefeiert werden soll.«

»Werde mich pünktlich einfinden«, prustete lachend der neue Aktuar hervor.

»Diesmal habe ich mir den Rücken gedeckt«, bemerkte der kleine Mann, sich sehr vergnügt die Hände reibend. »Vetter Larsen übernimmt alle Verantwortlichkeit.«

»Er erschien noch gerade zur rechten Zeit, nicht wahr, Papa?«

»Ei ja, die Sachen standen schlimm genug.«

Purps trabte, nachdem er sich in dieser Weise seines Auftrages entledigt hatte, wieder zur Müllerstraße zurück und stattete Bericht ab.

»Ich füge mich der Notwendigkeit«, sagte die böse Frau mit einem neidischen Gesicht, »die halbe Million gebührt uns eigentlich und ein alter schäbiger Filz bleibt der Vetter doch immer, denn bis jetzt hat er mir nicht einmal ein Geschenk angeboten.«

»Das kommt gewiss noch nach«, antwortete Purps mit einem boshaften Blick, »ganz leer wirst du auf keinen Fall ausgehen. Wer weiß, was dir noch für eine Überraschung vorbehalten ist.«

Die Anstalten waren so getroffen, dass mit der Verlobung gleichzeitig das dreimalige Aufgebot in der Kirche erfolgen sollte.