Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Ein tropischer Regenschauer

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 8

Ein tropischer Regenschauer

Als dem armen unglücklichen Smythje nach einiger Zeit das Bewusstsein vollkommen zurückkehrte, nahmen seine Gedanken eine andere Richtung. Er machte nun keine weiteren Versuche mehr, hinauszuklettern. Die vielen misslungenen Anstrengungen hatten ihn vollkommen von der Unmöglichkeit überzeugt, und er glaubte nun, dass seine einzige Hoffnung darauf beruhe, dass Quashie oder ein anderer des Weges käme. Solch ein Zufall war allerdings schwerlich zu erwarten, denn sollte selbst wirklich jemand bei dem verdorrten Baum vorübergehen, wie sollte er es wissen, dass Smythje darin steckte? Wie sollte er nur auf den Gedanken kommen, dass der außen grüne Baum innen hohl und dass in dieser zylindrischen Höhlung gar ein menschliches Wesen eingeschlossen und in dem aufrechten hölzernen Sarkophag lebendig begraben sei?

Freilich hätte ein Vorübergehender wohl die auf dem Boden neben dem Baum liegende Flinte sehen müssen, aber das allein hätte immer noch nicht zur Entdeckung ihres Eigentümers führen können.

Gesehen zu werden war also keine Aussicht vorhanden. Seine einzige Hoffnung musste daher sein, dass er vielleicht gehört werden könnte. Sobald er diesen Gedanken gefasst hatte, begann er aus allen Kräften mit lauter Stimme zu schreien.

Jetzt bedauerte er sehr, dass er dies nicht schon zuvor getan hatte, da während der Zeit bereits jemand hätte vorübergehen können.

Wohl hatte er gleich nach dem Hereinfallen in den ersten Augenblicken der Überraschung und des Schreckens verschiedene Male laut und heftig geschrien, doch während der Versuche hinaufzuklettern, hatte er dies unterlassen.

Jetzt, wo er die Notwendigkeit, Lärm zu machen, noch mehr einsah, beschloss er, die frühere Nachlässigkeit gut zu machen. Deshalb begann er mit aller Kraft seiner Lungen einen Schrei nach dem anderen auszustoßen.

Mehrere Minuten lang schrie er unaufhörlich. Aber trotz des gellen Schreiens hatte er immer Angst, nicht gehört zu werden. Denn selbst wenn jemand vorüberginge, würde seine Stimme ihn wohl erreichen? Die Baumrinde um ihn herum war durchaus nicht dünn, denn aus dem Umfang des Stammes zu schließen, musste zwischen ihm und der freien Luft eine dicke und feste Holzmauer vorhanden sein, gar nicht die Bedeckung von Weinreben und Schlingpflanzen gerechnet, die doch den Schall abschwächten.

Während solche Erwägungen an seinem Geist vorüberzogen, war die Befürchtung, dass er gar nicht gehört werden könne, fast schon zur Gewissheit geworden. Das fürchterliche Schreckensbild, das die Verzweiflung erzeugte, stand abermals vor ihm, grässlicher und entsetzlicher denn je zuvor.

Auch lähmte es ihn vollständig und beraubte ihn gänzlich der Stimme, aber die Notwendigkeit trieb ihn dennoch zu erneuten Anstrengungen. Die einzige Möglichkeit, sein Leben zu retten, lag noch darin, dass er gehört wurde. Hiervon überzeugt, erhob er wiederum seine Stimme, deren Töne vom Schreien zu einem wahren Heulen übergingen.

Fast eine Stunde setzte er diese melancholische Cavatine fort, ohne eine andere Antwort als das Echo seiner eigenen Stimme zu erhalten, die in der Baumhöhle in dumpfen Klagetönen wiederhallte – ein in der Tat höchst klägliches Selbstgespräch aus abwechselndem Stöhnen und Heulen mit zeitweiligen kleinen Pausen, in denen der Rufer auf eine Antwort horchte.

Aber es erfolgte keine Antwort und auch keine Veränderung fand in seiner ganzen Lage statt, ausgenommen eine, welche diese nur noch erbärmlicher und hilfloser machte. Gleich, als hätten seine jämmerlichen Klagetöne den Dämon des Sturmes geweckt, so wurde der Himmel plötzlich mit dichten schwarzen Wolken überzogen, aus denen ein Regen herabströmte, wie er etwa während der vierzig Tage der Sintflut gefallen sein mag!

Es war einer jener tropischen Schauer, wo das Wasser nicht in einzelnen unterscheidbaren Tropfen, sondern in langen zusammenhängenden Strömen niederfällt, als wäre das Himmelsgewölbe ein großes ungeheures Sturzbad, dessen Schnur angezogen und festgebunden ist.

Obwohl gut vor dem Wind geschützt, hatte der unglückselige Smythje doch kein Dach, keine Bedeckung einer Art, um sich dem Regen zu entziehen, der auf sein geweihtes Haupt herabstürzte, als wäre das Rohr einer mächtigen Pumpe an die Höhlung des abgestorbenen Baumstammes angelegt worden. In der Tat trug die trichterförmige Öffnung, die bedeutend weiter als das Übrige der Höhlung war, viel dazu bei, eine größere Masse Regen hineinzuleiten. Hätte das Wasser nicht dadurch einen Ausfluss gefunden, dass es durch die Masse trockenen Moders durchsickerte, Herr Smythje hätte wirklich mehr in Gefahr eines plötzlichen Todes durch Ertrinken, als eines langsamen durch Verhungern sich befunden.

Wenn er auch nicht ertrank, so erhielt er doch ein gehöriges Sturzbad. Nicht ein trockener Faden verblieb ihm, denn er wurde bis auf die Haut durchnässt. Der seidensamte Jagdrock, die Purpurweste und was noch von den rehledernen Beinkleidern übrig, alles war in gleicher Weise eingeweicht und vollständig nass. Selbst sein Backenbart hatte seine krause Steifigkeit verloren, die gewundenen Locken an den Spitzen des Schnurrbarts waren ausgefallen. Das Kopfhaar war seines früheren Glanzes beraubt und alles hing tröpfelnd und schmutzig herunter.

Um in dieser traurigen Gestalt, die zitternd und schauernd in dem hohlen Baum stand, Herrn Montagu Smythje, den zierlichen und elegant ausgerüsteten Jäger vom selben Morgen wiederzuerkennen, wäre jedenfalls eine bedeutende Dosis Einbildungskraft nötig gewesen.

So kläglich und trübe aber auch seine Blicke, seine Gedanken waren es noch viel mehr. Zu Zeiten freilich wurde er böse und zornig – zornig auf sein Missgeschick – zornig auf Quashie – zornig selbst auf Herrn Vaughan, weil er ihm einen so unaufmerksamen Begleiter mitgegeben hatte. Dann war er boshaft und trotzig genug, zu schimpfen und zu fluchen. Ja, in dieser verzweifelten Lage fluchte Smythje ganz gotteslästerlich und der Eigentümer von Willkommenberg wie Quashie waren wechselweise der Gegenstand seiner Verwünschungen. Auch Jamaika wurde von ihm hierbei nicht vergessen, so wie seine Tauben und Perlhühner und vor allen Dingen seine wilden Truthähne!

»Diese scheußliche Insel!«, rief er wiederholt in seiner trübseligen Angst aus, und verwünschte den Tag, an dem er zuerst den Fuß auf sie gesetzt hatte. Was hätte er jetzt nicht gegeben, um nur einmal wieder in seiner deuren Metropole zu sein. Gern würde er sein Baumgefängnis für eine Kammer im Königsgefängnis (Kings Bench) in London ausgetauscht haben – ja selbst die schlechteste Zelle in Old Bayley, einem der schlechteren Gefängnisse Londons, wäre ihm lieber gewesen.

Der arme Smythje! Noch hatte er keineswegs den Höhepunkt seines Jammers und seiner Qualen erreicht! Noch ein neues Leiden erwartete ihn, eins, mit dem die bisherigen im Vergleich höchst leicht zu ertragen gewesen waren. Erst dann, als das glatte Wesen über seine Füße kroch und anfing, sich um seine Knöchel zu winden, während die kalte Berührung durch die seidenen Strümpfe peinvoll fühlbar wurde, erst dann empfand er recht eigentlich ein wirkliches Gefühl wahrhaften Schreckens!

Er stand in dem Augenblick ruhig, sprang aber sogleich in die Höhe, als ob ihm plötzlich glühende Kohlen unter die Fußsohlen geschoben wären. Doch das Aufwärtsspringen half ihm nichts, da er sogleich an dieselbe Stelle niederfiel. Hierbei fühlte er deutlich, sich zu seinen Füßen krümmend, den schlüpfrigen und glatten Körper einer Schlange!