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Das Geisterschiff und der Fliegende Holländer Teil 2

Das-Geisterschiff-und-der-fliegende-HollaenderDas Geisterschiff und der Fliegende Holländer
Lebendig im jüngsten Gericht oder Rache bis über das Grab hinaus
Eine höchst schaudervolle Geschichte höllischer Bosheit

Ein habgieriger Arzt

Voll Entsetzen stürzte Philipp zur Tür hinaus, die Nachbarn um Beistand für seine Mutter zu bitten, und als er einige mitleidige Personen um die Leidende sich annehmen sah, rannte er fort zu einem ziemlich weit entfernt wohnenden, geschickten, aber äußerst habgierigen Arzt namens Poots, den er aufforderte, ihm sofort zu seiner todkranken Mutter zu folgen.

»Nun ja, ich werde kommen«, erwiderte der erbärmliche Geizhals nach einigem Zögern. »Aber wer wird mich bezahlen, Mijnheer Vandendecken?«

»Mein Oheim nach seiner Rückkehr.«

»Der Schiffer Vanbrennen? Ei, der schuldet mir ohnehin schon seit langer Zeit 4 Gulden. Auch kann ja sein Schiff scheitern.«

»Verlasst Euch darauf, von ihm die 4 Gulden zu erhalten, und auch die Zahlung für den jetzigen Besuch. Euer Zögern kann meiner Mutter den Tod bringen.«

»Jetzt gleich aber kann ich nicht kommen«, entgegnete Poots, »da ich zuvor das Kind des Herrn Bürgermeisters zu Terneuse besuchen muss.«

»Nehmt Euch in acht, Mijnheer van Poots«, donnerte ihm Philipp zornglühend zu, »entweder geht ihr gutwillig mit mir oder ich schleppe Euch mit Gewalt fort.«

Der Arzt erbebte, da die ganze Gegend die Entschlossenheit des Philipp Vandendecken recht wohl kannte. »Ei, ich bin ja Willens zu kommen«, versetzte er, »sobald es nur an mir liegt. «

»Fort mit mir in diesem Augenblick«, tobte der Jüngling, packte ihn am Kragen und zerrte ihn zur Tür hinaus.

»Mord! Mord!«, kreischte ängstlich der kleine Poots, während Philipp ihn mit Ungestüm fortschleppte. Da er jedoch bemerkte, dass niemand zu Hilfe kam und sein Entführer sich nicht um sein Geschrei kümmerte, rief er zornig: »Weg mit der Hand, Ihr dreht mir ja den Hals um! Ich will ja mit Euch gehen. Aber für Eure Gewalttat werdet Ihr heute noch ins Gefängnis wandern. Und um Eure Mutter will ich mich nicht annehmen, durchaus nicht.«

»Wohl an«, sagte Philipp, und ließ ihn los, »Ihr seid jetzt frei. Bei Gott im Himmel schwör’ ich, Euch augenblicklich zu ermorden, wenn Ihr nicht mit mir geht. Sorgt Ihr nicht für meine Mutter, so gut ihr es vermögt, so erdrossele ich Euch dort. Dass ich Wort halte, ist Euch bekannt. Deshalb nehmt meinen guten Rat an und geht ruhig mit mir. Ihr sollt dafür gute Bezahlung bekommen, soll’ ich auch meinen Rock verkaufen müssen.«

Weit mehr als Philipps Drohung bewog seine Zusicherung der Bezahlung den geldsüchtigen Poots zum gutwilligen Mitgehen. Eigentlich blieb ihm auch keine andere Wahl. Die Kranke war wieder zur Besinnung gekommen. Zwei gutherzige Nachbarinnen rieben ihr die Schläfe mit Weinessig ein. Auf Anordnung des Arztes wurde sie in das obere Stockwerk getragen und zu Bett gebracht. Dort flößte Poots ihr säuerliche Tropfen in den Mund und eilte dann mit Philipp fort, um diesem die nötigen Heilmittel zu besorgen.

Er gab ihm ein mit Arznei gefülltes Fläschchen mit den Worten: »Eure Mutter soll dies ohne Verzug einnehmen. Nach meinem Besuch bei dem Kind des Bürgermeisters komme ich wieder zu Euch.«

»Ihr täuscht mich doch nicht?«, fragte Philipp mit drohendem Blick.

»Nein, Mijnheer Philipp, in einer Stunde bin ich wieder bei Eurer Mutter, denn ich vertrau auf Euer wegen der Bezahlung gegebenes Wort mehr, als auf Euren Oheim Vanbrennen. Verliert aber jetzt keine Zeit.«

Die Arznei stillte sogleich den Blutsturz der Kranken, die nach einer halben Stunde schon wieder leise reden konnte. Poots hielt seine Zusage, kam, untersuchte den Zustand seiner Patientin und sagte zu Philipp, der ihn beim Fortgehen begleitete, im Küchenzimmer unten: »Mijnheer Philipp, ich habe für Eure schwerkranke Mutter mein Möglichstes getan, darf Euch aber meine geringe Hoffnung ihrer Genesung nicht verschweigen. Sie kann nur noch einen, höchstens zwei Tage leben. An mir liegt es nicht, das dürft ihr mir glauben.«

»Nein, nein, es ist Gottes Wille!«, erwiderte Philipp tief betrübt.

Nach einem kurzen Wortwechsel über Poots Bezahlung für diesen und die künftigen ärztlichen Besuche bei Philipps Mutter trennten sich beide. Am anderen Morgen hatte sie hinreichende Kraft, mit ihrem Sohn zu sprechen.