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Der bayerische Hiesel – Teil 10

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Der Rächer naht

Es ist eine bekannte Sache, dass selbst wilde Tiere, wenn sie einmal die bändigende Hand des Menschen empfunden haben, zahm und zugetan werden.

So ging es auch mit Tiras, der bald der treueste Anhänger Hiesels wurde und Tag und Nacht nicht von seiner Seite ging. War Hiesel im Wirtshaus, so lag Tiras auf dem Tisch vor ihm und starrte jeden Eintretenden, der nicht zur Bande gehörte, mit funkelnden Augen an. Ein Wink von Hiesel, und der, dem er galt, lag schon am Boden. Es ging auch das Gerücht um, der Teufel begleite den Hiesel in Gestalt dieses Hundes, und werde ihn selbst zerreißen, wenn der Vertrag zu Ende ginge.

Hiesel fand seinen Vorteil dabei, die Leute auf diesem Glauben zu lassen. Unter der Hand ließ er selbst allerlei abenteuerliche Gerüchte ausstreuen, welche durch verbreitete Furcht sein eigenes Ansehen vergrößerten. Wurde ihm verraten, es sei eine Streife gegen ihn im Anzuge, so begab er sich mit einigen Kameraden in ein Wirtshaus mitten unter die Bauern, plauderte und trank mit ihnen, und gebot plötzlich Ruhe. Natürlich wagte keiner mehr einen Laut. Dann nahm er seinen Hut vom Kopf und hielt ihn an das linke Ohr, machte aber allerlei Mienen, wie jemand, dem etwas erzählt wird, was ihm sehr wichtig scheint. Den erstaunten Bauern machte er dann weiß, sein Schutzgeist habe ihm gerade wieder entdeckt, dass eine Streife gegen ihn heranziehe, wie stark sie sei usw. Und da die Bauern sich später überzeugten, dass alles so eintraf, so hielten sie Hiesels Worte immer für ein Evangelium, und ihn selbst für ein mächtigeres Wesen, als ein gewöhnlicher Mensch zu sein pflegt.

Sie hielten ihm auch bei jeder Gelegenheit die Stange, teils aus Furcht vor seinen Gewalttätigkeiten gegen jeden, der seinem Tun und Treiben etwas in den Weg legte, teils zu ihrem eigenen Vorteil, weil er mit seinen Kameraden das Wild wegschoss, welches ihre Getreidefelder verwüstete. Manche nahmen auch ein hübsches Stück Geld ein für den Verkauf des von der Bande erlegten Wildes. Solange die Landleute auf Hiesels Seite waren, mussten alle Streifen vergeblich sein, indem er immer sogleich zur rechten Zeit davon in Kenntnis gesetzt wurde, sohin alle Verteidigungsmaßregeln dagegen ergreifen konnte.

Das erste Opfer der Rache, welches Hiesel allen Jägern geschworen hatte, war Franz Baur, Sohn des Jägers von Tussenhausen, der spät abends mit seinem Bruder im Wald die mittelst Rosshaarschlingen gefangenen Vögel einsammelte und der Rotte in den Weg kam.

Hiesel schrie ihm schon von Weitem ein donnerndes »Halt!« zu. Allein Baur hielt es für besser, die Flucht zu ergreifen.

In raschen Sprüngen setzte ihm der gehetzte Tiras nach und holte ihn auch gleich ein, riss ihn zu Boden und bewachte ihn, bis Hiesel mit vier Kameraden ankam, welche ihn mit Hieben und Stößen bedienten, dann seiner Flinte, des Hirschfängers und Pulverhorns beraubten.

Nachdem der arme Mensch lange genug in Todesangst geschwebt hatte, schenkte ihm Hiesel die Freiheit und drohte ihm unter einigen Rückenhieben mit flacher Klinge mit dem Tode, wenn er jemals irgendetwas gegen ihn unternehmen würde.

In den österreichischen Waldungen, wohin sich nun Hiesel mit seiner Bande hinunterzog, war ihm der Schrecken seines Namens vorangegangen. Die Behörden hatten an alle Jäger, Forstwärter und Gerichtsdiener die strengsten Befehle erlassen, den Wildschützen-Hauptmann und seine Bande mit der größten Tätigkeit zu verfolgen. Die einbrechende Kälte vereitelte ihre Bemühungen. Unter dem Schutz der Landleute trieb sich Hiesel völlig sicher herum.

Mit dem ersten Grün des Frühlings, im Jahre 1757, erschien Hiesel, der Sohn des Waldes, wieder in den Wäldern mit seinen Gefährten. Im weiten Umkreis von Augsburg verkündete er bald durch Freveltaten seine Gegenwart. Im Waldbergerforst stieß er in dem sogenannten Münsterbau ganz unvermutet, nur von 5 Kameraden begleitet, auf ein beträchtliches Kommando Jäger und Soldaten. Hiesel sah ein, wie ungleich dieser Kampf sei, und zog sich zurück. Der Jägerssohn von Waldberg, Johann Geyer, der sich wahrscheinlich nichts Geringeres vorgenommen hatte, als den Hiesel lebendig zu fangen oder zu töten, verfolgte ihn unvorsichtig, indem er sich von den Übrigen trennte. Da legte Hiesel auf ihn an und schoss ihn nieder. Absichtlich hatte er nur auf seine Verwundung, nicht auf seinen Tod gezielt.

Ergrimmt über den Verlust eines Kameraden, welcher der Streife in die Hände gefallen war, ohne Hoffnung, ihn retten zu können, durchstreifte Hiesel den Waldischen Jagdbezirk und traf dort den Jägerknecht Anton Farison, den er seiner Rache opfern wollte, jedoch in übergroßer Hast verfehlte. Durch diesen Fehlschuss nur noch mehr gereizt, ruhte er nicht, bis er seinen Hass befriedigen konnte.

Es war gegen Mittag, als Hiesel unter den schrecklichsten Flüchen in die Stube des Messners zu Steinenkirchen, Namens Eustach Layd,trat, der damals zu seinem größten Glück gerade nicht zu Hause war.

»Wo ist euer Vater, der verfluchte Hund, der mich verraten hat ?,«schrie er den sieben kleinen Kindern zu, die eben am Tisch ihr karges Mittagbrot verzehrten, während die hochschwangere Mutter noch in der Küche das Essen für ihren Mann bereitete, den sie von Augenblick zu Augenblick erwartete. Die armen Kinder, von der drohenden Miene des furchtbaren Hiesels und seiner trotzigen Kameraden aufs Äußerste erschreckt, fingen an zu weinen, zu bitten und zitternd zu beten. Das einst so weiche Herz Hiesels blieb ungerührt, ja selbst das Weib des Messners, das sich händeringend ihm zu Füßen warf und um Schonung ihres unschuldigen, verleumdeten Mannes flehte, indem sie wie wahnsinnig seine Knie umklammerte, vermochte nicht, den rachsüchtigen Hiesel zu erweichen. Er tobte über die Abwesenheit des Layd und schwur die grässlichsten Eide, ihm eine Kugel durch den Leib zu jagen, wo er ihn treffen werde, und sei’s in der Kirche. Dann setzte er das Gewehr mit gespanntem Hahn der jammernden Mutter auf die Brust und drückte es zweimal ab, fluchend, dass es jedes Mal versagte. Er wusste zwar, dass es nicht geladen war; allein der Schrecken wäre schon hinreichend gewesen, die Unglückliche auf der Stelle zu töten.

Durch seine rohen Gesellen ließ er nun alle Fenster einschlagen, brach bei den herzzerschneidenden Klagen der Messnerin und bei dem einen Tiger erweichenden Geheul der unschuldigen Kinder in ein höllisches Gelächter aus und entfernte sich endlich unter den fürchterlichen Drohungen , indem er die Geängstigte ermahnte, fleißig zu beten, weil in kurzer Zeit die Welt in Feuer und Flammen aufgehen werde.

 

***

 

Diese Freveltat aus Hiesels Leben muss jedes Mitleid mit seinem endlichen Schicksal aus den Herzen der menschlich fühlenden Leser verbannen. Bisher sahen wir ihn Mann gegen Mann aus Notwehr sich verteidigen, obgleich ein Verbrecher, der durch seine strafbaren Taten sich der Verfolgung des Gesetzes Preis gibt, nie von jener erlaubten Notwehr Gebrauch machen kann, welche dem mit Unrecht Angegriffenen zusteht. Aber hier erscheint er zuerst als ein Ungeheuer, der seine rohe Macht gegen unschuldige Kinder, gegen ein schwaches Weib wendet, das schon in ihren gesegneten Leibesumständen einen gerechten Anspruch auf Schonung hatte. Sein verwahrlostes, leidenschaftliches, zur Rache geneigtes Herz, verleugnet alles menschliche Gefühl und erniedrigt ihn selbst tief unter das Tier.

Nur der erste Schritt zum Laster ist schwer, wer sich aber auf dieser Bahn vorwärts wagt, der rennt mit Riesenschritten allen Gräueltaten und endlich seinem Verderben entgegen. Darum hütet euch, liebe Leser, stets vor dem ersten Schritt zum Bösen, und seid sorgfältig bemüht, schon in der frühesten Jugend alle bösen Keime in den Herzen eurer Kinder zu unterdrücken, und sie durch gute Lehren und besonders durch euer eigenes gutes Beispiel auf der Bahn der Tugend einem glücklichen Leben entgegen zu führen!