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Der Teufel auf Reisen 28

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Sechstes Kapitel – Teil 3
Die Familie Purps

Inzwischen hatte sich der kleine Purps unter dem Vorwand, ein Glas Bier in der Nachbarschaft zu trinken, von seinem Cerberus Urlaub für den Abend erbeten. Da die Dame, weil sie den Traum ihrer ehrgeizigen Hoffnungen um ein Bedeutendes der Wirklichkeit näher gerückt glaubte, besonders guter Laune war, so wurde ihm derselbe in Gnaden mit dem Bedeuten gewährt, sich aber pflichtschuldigst Punkt zehn Uhr wieder einzufinden. Purps versprach feierlich, doch aber mit einem Gesicht, welches deutlich genug ein böses Gewissen verriet, das in ihn gesetzte Vertrauen nicht zu missbrauchen, hing seinen langen spanischen Mantelkragen um und trabte dann, als ob er Kurierdienste zu verrichten hätte, oder als ob er irgendeinem bösen Geist entfliehe (ob das eine oder das andere, schien zweifelhaft) die Straße entlang. Madame Purps, nachdem sie die jungen Purpse zu Bett gebracht hatte, setzte sich in den alten ledernen Lehnstuhl und braute sich ein mächtiges, schon einer kleinen Bowle ähnliches Glas Grog, welches sie zuerst sehr liebevoll anblinzelte, dann aber, wohl im Hinblick auf die Hinfälligkeit aller irdischen Dinge, in langen behaglichen Zügen in dem Katarakt ihrer Speise- respektive ihrer Getränkeröhre verschwinden ließ- Die Dame ministeriellen Ursprungs liebte es, in Stunden, wo sie sich unbelauscht wusste, dem Bacchus derartige Weiheopfer zu bringen und es war sogar schon vorgekommen, dass der kleine Purps von ihr beschuldigt wurde, heimlich den steinernen Krug, in welchem der Wachholderbranntwein aufbewahrt wurde, geleert zu haben, während er doch ganz bestimmt wusste, dass ihm seine Gattin nicht mehr als drei kleine Schnäpschen während einer ganzen Woche gereicht hatte. Je mehr nun der Cerberus von dem heißen duftenden Getränk zu sich nahm, um so mehr rötete sich dessen dicke, raubvogelartig gebogene Nase, und um so größere Dimensionen nahmen die Gebilde an, welche seine Phantasie hervorzauberte. Bereits rasselte sie als die künftige Schwiegermutter des ministeriellen Bürochefs in einer eleganten Equipage durch die Straßen, schon erteilte sie Audienzen und nahm Bittschriften entgegen. Endlich kam sie sogar auf den Gedanken, sich sämtlicher geheimen Fonds zu bemächtigen, um damit eines Tages ebenso geheim zu verschwinden. Gerade als Mutter Purps bei dem schönsten ihrer Träume angelangt war, dabei aber mit einem tiefen Seufzer bemerkte, dass das vor ihr stehende Glas bereits um mehr als zwei Drittel geleert war, wurde draußen der alte rostige Klingelzug in so heftige Bewegung gesetzt, dass die Dame, trotz ihres vortrefflichen Nervensystems, ordentlich zusammenfuhr. Brummend erhob sie sich und ihr erster Gedanke war, dass Purps sich ein Räuschchen angetrunken habe und in seiner Unzurechnungsfähigkeit dieses strafbare Attentat begehe. Dann aber tauchte plötzlich ein Gedanke bei ihr auf, vor dem die Blitze, welche bereits über ihr grau-schwarzes Antlitz zuckten, verschwanden und dagegen milder Sonnenschein hervortrat. Wenn es nämlich, so dachte sie, der fabelhafte Vetter aus Amerika wäre, der ihr noch am späten Abend diese Überraschung bereitete und nun käme, um seine angehäuften Schätze in ihren breiten, nicht eben einladenden Schoß zu schütten? Freilich fand sich Frau Purps auf das Bitterste enttäuscht, als sie schließlich öffnete. Ein Geheimnis wurde ihr ganz unerwartet offenbar, welches sie mit fürchterlichem Gekrach auf einmal viele tausend Klafter aus dem Himmel ihrer phantasiereichen Träume herabstürzte. Wie sie nun in ihr Zimmer zurückkehrte, zuckten furchtbare Blitze über ihr Antlitz und ihre Stimme ahmte in so grausenerregender Weise das Rollen des Donners nach, dass die kleinen in der Nebenstube schlafenden Purpse erschrocken emporfuhren und um Hilfe schrien. Worin die Eröffnungen bestanden, welche der Dame gemacht worden waren, müssen wir den Lesern vorläufig noch verschweigen, aber aus dem Zustand, in welchem sich die würdige Frau befand, ließ sich schon schließen, dass dieselben haarsträubender Natur gewesen sein mussten. Ein Glück für den kleinen Purps, dass sich derselbe in diesem Augenblick nicht anwesend befand, denn dieser war, wie wir wissen, bei jeder Gelegenheit der Prügeljunge des ehelichen Zornes und wer weiß, ob er nicht in diesem Augenblick bis auf den letzten Rest ausgeprügelt worden wäre. Da er aber, in Folge des erhaltenen Urlaubs, zu seinem Heil nicht erschien , so musste sich die Amazone vorläufig damit begnügen, alle zehn Finger in einer Weise auszustrecken, als ob sie jemand mitten ins Gesicht springen wollte. Dann braute sie sich, um in eine noch gehobenere Stimmung zu kommen, ein neues Glas Grog. Schließlich löschte sie das Licht aus, zog sich in den entferntesten Winkel des Zimmers zurück und lauerte dort wie eine alte Kreuzspinne, die jeden Augenblick bereit ist, sich auf ihr Opfer zu stürzen.

Inzwischen war das Theater beendet und die Zuschauerräume begannen sich zu leeren. Therese hatte sich köstlich amüsiert und dieses Vergnügen war durch den Austausch sehr zärtlicher Blicke und sehr warmer heimlicher Händedrücke mit Heidenreich noch gesteigert worden, von denen die argwöhnische Julie allerdings einige unter dem Eindruck eines rachsüchtigen Neides auffing. Der junge Bürochef zögerte absichtlich, mit der Menge sogleich das Haus zu verlassen. Er gab vor, dass das Gedränge zu groß sei, und dass es geraten erscheine, dasselbe zu vermeiden, um den Damen keine Unbequemlichkeiten zu bereiten. Schließlich aber musste er doch auch aufbrechen. Als man ins Freie trat, war kein Fiaker mehr zu haben.

»Fatal«, bemerkte Heidenreich, »und jetzt gerade fängt es an zu regnen.«

»Aber wir können doch hier nicht warten«, warf Julie ein, die sich in sichtbar übler Stimmung befand.

»Das wollen wir auch nicht«, erwiderte der junge Mann. »Nun, so kommen Sie, wir sind an das Gehen gewöhnt und die halbe Stunde werden wir bald zurücklegen.«

»Wie , zu Fuß? Was würden Sie von meiner Galanterie denken? Nein, das gebe ich auf keinen Fall zu!«

»Nun, was wollen Sie denn tun?«

»Hier in der Nähe ist ein Halteplatz, dort treffe ich bestimmt einen Wagen. Bitte, nehmen Sie einstweilen meinen Regenschirm, wir werden gleich wieder zurück sein.«

Ehe Julie noch dagegen Protest einzulegen vermochte, war der junge Mann mit Therese, deren Arm in dem seinen ruhte, in der Dunkelheit verschwunden, während Julie allein zurückblieb und beiden misstrauisch nachblickte.

»Er mag sich in acht nehmen, wenn er mich hintergeht«, murmelte sie trotzig mit dem Fuß stampfend, »es ist nicht alles richtig zwischen den beiden, das habe ich längst bemerkt. Wenn ich ihm heute vielleicht unbequem geworden bin und er mich gern los sein möchte, so soll ihm das schlecht bekommen!«

Sie wartete eine Viertelstunde, sie wartete eine halbe Stunde und immer drohender und finsterer wurde ihr Gesicht.

Es unterliegt ja gar keinem Zweifel, dachte sie, das ist ein mit kalter Überlegung ausgedachtes Komplott! Man hat mich also beseitigen wollen, ich bin dem Pärchen unbequem geworden, aber – und hier schlugen die Flammen der Eifersucht bei ihr empor – ich werde ihnen einen Strich durch die Rechnung machen und sie sollen ihre Falschheit gebührender Maßen büßen!

Mit Blicken, die nichts Gutes weissagten, machte sie sich nun auf den Weg. Mit Rache im Herzen kam sie bei der elterlichen Wohnung an. Bereits herrschte auf dem großen weiten Hof vollständige Stille, alle Fenster waren dunkel und auch in der eigenen Wohnstube brannte kein Licht mehr.

»Mama scheint bereits zu Bett gegangen zu sein«, murmelte Julie, »sie geht stets früh zu Bett. Aber heute will ich für sie wachen! Etwas passiert, dies ahne ich, und morgen soll die Mutter alles erfahren! Die Hinterlistigen … aber ich werde sie mit gleicher Münze bezahlen und müsste ich die ganze Nacht hier zubringen!«

Mit diesen Worten huschte das junge Mädchen hinter einen großen Holzstoß, welcher dicht am Torwege aufgehäuft war und drückte sich dort in die verborgenste Ecke, mit dem Vorsatz, die Rückkehr Heidenreichs und ihrer Schwester abzuwarten.

Diese beiden hatten inzwischen, als sie Julie verließen, bald die nächste Straßenecke erreicht. Dort tauchte plötzlich der kleine Purps wie ein Gnom hinter einem Pfeiler auf.

»Sind Sie es, Papa?«

»Ia«, flüsterte dieser ängstlich, »aber beinahe wäre ich wieder umgekehrt. Es ist doch gar zu schrecklich …«

»Nun, es wird ja nicht gleich den Kopf kosten. Mama schläft längst und erfährt daher auch nicht, wann wir zurückgekehrt sind.«

»Aber es könnte doch möglich sein! … Wenn sie uns nachgeschlichen käme oder uns an einer Straßenecke auflauerte … Kam da nicht jemand? …« Der kleine Mann sah sich scheu um.

»Lieber Vater«, sagte Therese Mut einsprechend, »ich riskiere ja dasselbe wie du?«

»Schon recht, schon recht, indessen ein Komplott bleibt es immer.« ^

»Wie kann das ein Komplott sein, wozu du deine Einwilligung gegeben hast«, fuhr das junge Mädchen fort. »Du warst bisher der stille Mitwisser unseres Geheimnisses, du hast unsere Liebe gebilligt und jetzt, wo wir einmal ein paar frohe Stunden verleben wollen, verlierst du den Mut. Und doch, sprich Papa, sind deine glücklichen Augenblicke nicht auch gezählt?«

»Freilich«, sagte der kleine Mann den Kopf senkend und an das Kreuz, welches ihm auferlegt war, denkend. »Freilich, du weißt ja, dass sie mir kaum die Luft, welche ich einatme, gönnt.«

»So kommen Sie, Papa«, fiel hier Heidenreich ein, »und schlürfen Sie heute einmal Champagner. Beim Champagner erteilen Sie mir und Therese dann ihren Segen.«

»Den habt Ihr ja schon längst«, sagte Purps mit einer Mischung von Jovialität und Rührung.

»Nun gut, im Bunde mit Ihnen trotzen wir dem mütterlichen Zorn und überwinden schließlich alle Hindernisse.«

»Nein, nein«, rief Purps, eine abwehrende Bewegung machend, »mich lasst aus dem Spiel. Ich habe so schon diesen Abend zu viel gewagt, und Gott weiß, wie derselbe noch enden wird.«

»Nun hoffentlich ganz gemütlich, wie er begonnen hat«, sagte der junge Mann.

»Mir ahnt aber nichts Gutes. Es war ein Fehler, die Julie so in den April zu schicken.«

»Nun, die wird den Weg schon allein nach Hause finden. Hatten wir nicht verabredet, ganz ungestört unter uns zu sein? Also fort mit den Grillen und Sorgen, Papa, es wird ja den Kopf nicht gleich kosten!«

»Mir zu Liebe sei heute einmal recht heiter«, sagte schmeichelnd Therese.

»Alles gut«, meinte der kleine Purps und kratzte sich sehr bedenklich am Kopf, »aber eine Haut hat man nur, und wenn man die zu Markte trägt …«

»Und wer A sagt, muss auch B sagen«, fiel Heidenreich lachend ein, »und hier sind wir an Ort und Stelle, und nun wollen wir es uns bestens schmecken lassen.«