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Der Marone – Ein Sonntagsjäger

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 5

Ein Sonntagsjäger

Dass Herr Montagu Smythje die gewünschte Zusammenkunft gefunden hatte, und dass ihr Ergebnis ihm höchst schmeichelhaft gewesen war, hat man ohne Weiteres aus dem selbstgefälligen Lächeln schließen können, das auf seinem Gesicht glänzte, als er das Haus verließ. Deshalb ging er auch, während er den zwei- bis dreihundert Schritte offenen Grund zurücklegte, welcher das Wohnhaus von dem bewaldeten Abhang des Bergrückens trennte, mit gemessenem stolzen Tritt, und sah sich zuweilen um, ob er auch beobachtet werde.

Und er wurde in der Tat beobachtet. Zwei Gesichter spähten an einem Fenster. Eins von ihnen war das Käthchen Vaughans und das andere von etwas dunklerer Farbe das des Mädchens Yola.

Auf beiden Gesichtern lag ein mutwilliges Lächeln. Ob das Mädchen lächelte oder nicht, war Herrn Smythje gewiss ziemlich gleichgültig. Jedoch er bildete sich fest ein, er könne einen höchst freundlichen Ausdruck auf dem Antlitz der Herrin wahrnehmen. Freilich war er zu weit entfernt, um hierüber vollkommen in Gewissheit sein zu können, doch er zweifelte durchaus nicht daran, dass ihm auf seinen, mit der anmutigen Haltung ausgeführten zierlichen Schritten fortwährend ein stiller Blick der lebhaften Bewunderung nachfolge.

Wäre er nahe genug gewesen, um den wahren Gesichtsausdruck erfassen zu können, so würde in ihm wohl einiger Zweifel aufgestiegen sein, ob er wirklich der Gegenstand solcher Bewunderung sei. Hätte gar die von Yola ihrer Herrin gemachte Bemerkung zugleich mit dem durch sie hervorgerufenen schallenden Gelächter sein Ohr erreicht, sein Zweifel würde dann unbedingt eine niederschlagende und sein hohes Selbstbewusstsein sehr herunterdrückende Bestätigung erfahren haben.

»Er sehr stattlich, Missa!«, sagte das Mädchen. »Er wie ein Pfennighahn, der ein Gelbschwanz geworden!« Ein eigentümliches Pflanzersprichwort, dessen Bedeutung ist, dass der gemeine und gering geschätzte kleine Fisch, der Pfennighahn, sich in den glänzenden und höchst geschätzten Prachtfisch verwandelt habe, der unter den Schwarzen als Gelbschwanz bekannt ist.

Da der Jäger weder diese Bemerkung noch das dadurch hervorgerufene Gelächter hörte, so vermochte er auch mit der vollen Würde unverletzten Selbstbewusstseins in den Wald zu treten.

Ihm auf den Fersen folgte ein Diener, ein Bursche, dessen einziger Anzug in einem Osnabrücker Hemd bestand, mit einem großen, von seinen Schultern bis an seine Lenden herabhängenden Wildbretkorb.

Das war der wahrhaftige Quashie, Postbube, Pferdebube und Faktotum.

Quashies Aufgabe war es nun, den englischen Buckra zum besten Schießgrund zwischen den Hügeln zu führen und das getötete Wild fortzuschaffen. Da kein Hund vorhanden war – Tauben und Perlhühner zu schießen, bedarf es nicht der Hilfe eines solchen scharf spürenden Tieres – sollte Quashie auch zugleich den Auffinder und Zutreiber machen.

Eine volle Stunde über Hügel und Tal, durch Dorngebüsch, Dickicht und Sumpf schweifte der eifrige Jäger mit seinem äthiopischen Diener Quashie, der dem großen Buckra wie sein Schatten folgte. Aber bisher war noch keine Wildbretfeder erwischt worden. Tauben waren selten und sehr scheu, und von dem schönen gesprenkelten Huhn – der exotischen Numida meleagris – war auch nicht ein Einziges zu erspähen. Sein gellendes Geschrei, fast wie das durchdringende Geräusch einer großen Holzsäge, konnte zuweilen fern im Wald kreischend gehört werden, und deshalb lockte die Hoffnung, endlich wirklich ein solches zu erblicken, den Jäger immer tiefer in den Wald.

Abermals wurde eine weitere Stunde mit gleichen fruchtlosen Anstrengungen verbracht. Nach einigen Tauben, die sich hatten sehen lassen, war freilich geschossen worden, aber der dicke, die Brust dieser hübschen Vögel bedeckende Federpanzer schien vor dem Schuss einer Flinte undurchdringlich zu sein, wenigstens waren sie es vor der doppelläufigen prachtvollen Mantonflinte des Londoner Jägers.

Noch eine weitere Stunde wurde verbracht, aber nichts getötet.

Diese gänzliche Erfolglosigkeit hinderte den Jäger nicht, hungrig zu werden. Nach Ablauf der dritten Stunde fing er an, im Magen eine gewisse Leere zu verspüren, die unbedingt nach einigem Fleisch verlangte. Er wusste, dass der von Quashie getragene Korb ein gutes Frühstück enthielt, das von dem Hausmeister von Willkommenberg sorgfältig eingepackt war. Es schien ihm nun Zeit zu sein, dies näher zu untersuchen. So setzte er sich in den Schatten eines mächtigen Baumes und beorderte den Schwarzen, den Korb heranzubringen.

Hierzu war Quashie auch gar nicht abgeneigt, denn das Gewicht des Korbes, das er mehrere Stunden sehr deutlich empfunden hatte, versprach auch etwas für ihn zu enthalten, nachdem der große Buckra seinen Hunger gestillt haben würde.

Wirklich schien auch für beide hinlänglich vorhanden zu sein, denn beim Auspacken des Wildbretkorbes erschien ein ganzer Kapaun mit verschiedenen Schnitten Brot, Schinken und Zunge, nebst all den übrigen notwendigen Zutaten wie Salz, Pfeffer und Senf.

Eine Flasche trefflichen französischen Rotweins fand sich auch im Korb an. Diese und das kleine Fläschchen mit Branntwein, das der Jäger selbst bei sich führte und das er nun der Bequemlichkeit wegen zur Seite legte, enthielten jedenfalls Flüssiges genug, um die schmackhaften, von dem sorgsamen Hausmeister eingepackten Dinge gehörig hinunterspülen zu können.

Messer und Gabel wurden ebenfalls ausgepackt. Da Herr Smythje in der Handhabung dieser Waffen unbedingt viel geschickter war als in der einer Flinte, so war der Kapaun auch in einem Nu in geeignete Stücke zerlegt. In eben so kurzer Zeit verschwanden diese auch sofort in Begleitung verschiedener Schnitte Schinken und Zunge zwischen seinen Zähnen.

Quashie war nicht eingeladen, teilzunehmen, sondern saß zu den Füßen des großen Buckra und bewachte aufmerksam dessen Bewegungen, ganz wie ein Hund bei ähnlicher Gelegenheit die seines Herrn.

Da die Kaukräfte und Verdauungsfähigkeiten des Sonntagsjägers keineswegs gering waren, so verriet Quashies Blick bald einige Verwunderung, zugleich mit stets wachsender Angst, dass das wenige, wozu er etwa eingeladen werden dürfte, immer geringer und unbedeutender, ja zuletzt sich vielleicht gar in nichts verwandeln würde. Halb war der Kapaun mit einem großen Teil der Schinken- und Zungenschnitte bereits spurlos verschwunden.

»Ich glaube gar, der Teufelsbuckra isst das alles auf, alles zusammen«, war Quashies nicht gerade sehr fröhliches Selbstgespräch. Und trinken tut er dazu, kein Tropfen bleibt übrig!, fuhr er in Gedanken fort, als er Herrn Smythje ein volles Glas Rotwein ohne abzusetzen hinunterstürzen sah.

Bald nachher wurde abermals ein Glas voll in denselben geräumigen Schlund hinabgegossen, denn die ungewohnte starke Bewegung, zugleich mit der großen Wärme des Tages, hatte des Jägers Kehle bedeutend ausgedörrt und ihn sehr durstig gemacht.

Zu großem Verdruss Quashies und zu nicht geringem Ärger des Herrn Smythje selbst ereignete sich mit dem übrig bleibenden Rotwein ein arger Unfall. Beim Niedersetzen der Flasche nach dem Auffüllen des zweiten Glases zeigte sich der Jäger höchst ungeschickt, die Flasche verlor ihr Gleichgewicht, stürzte um und der ganze übrige Rest Rotwein floss ins Gras.

Quashies Gleichmut und Geduld wurden bei all diesem stark auf die Probe gestellt, allein zuletzt, als des großen Buckras Appetit vollständig gestillt war, fielen ihm doch die noch immer ansehnlichen Überreste dieses lukullischen Waldmahles zu, denn nun endlich wurde er angewiesen, ebenfalls zuzugreifen und sein Bestes zu tun.

Der Schwarze war auch sofort hierzu bereit, und aus der Art und Weise, wie er hierbei zu Werk ging, wurde es unbezweifelt klar, dass, falls Herr Smythje nach dem Frühstück nicht besser schoss, als vor demselben, der Wildbretkorb ganz sicher um vieles leichter nach Hause gebracht werden würde.

Während Quashie noch mit kauen beschäftigt war, entschloss sich der nun frisch gestärkte Jäger, dessen Mut und Kraft durch den genossenen Rotwein bedeutend gewachsen war, einstweilen auf eigene Hand umherzustreifen. Zeit war übrigens nicht mehr viel zu verlieren, da die Notwendigkeit, mit leerem Korb nach Willkommenberg zurückzukehren, bereits als drohend erschien. Da nach den zuversichtlichen, jedenfalls durch seinen großen Jagdanzug erregten und noch durch einige kleine beim Abschied vorgebrachte Prahlereien vermehrten Erwartungen ein gänzliches Fehlschlagen, diese nur etwas zu erfüllen, unbedingt für ihn demütigend sein musste.

Deshalb wollte er nun die Jagd sogleich wieder beginnen, und zwar mit größerer Aufmerksamkeit, um womöglich das Fehlgehen am Morgen wieder gut zu machen.

Es war ein Uhr, und so hatte er noch drei ganze Stunden, bevor er genötigt war, nach Hause zurückzukehren. Das Mittagsessen sollte um fünf sein, denn seit seiner Ankunft zu Willkommenberg war die für dies wichtige Geschäft bestimmte Zeit von drei auf fünf verlegt worden, um sich den modernen Gewohnheiten des aristokratischen Gastes besser anzuschließen.

Der Jäger hing sich Horn und Tasche um, ergriff seine Flinte und ging davon, während er seinen ihm beigegebenen Auftreiber emsig beschäftigt zurückließ, die übrig gebliebenen Knochen des Kapauns bestmöglichst glattzumachen.