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Marshal Crown – Band 12

MC012-Die-Station-des-TeufelsDie Station des Teufels

Es war kurz vor Mittag, als Jim Crown den Toten entdeckte. Der Mann lag auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht. Mit der rechten Hand hielt er eine Wasserflasche umklammert, während sich die Finger seiner Linken tief in den Sand gekrallt hatten. Das Licht der Sonne, die einer weißglühenden Scheibe gleich fast senkrecht am Firmament stand, brach sich an den silbernen Knöpfen seiner ärmellosen Kalbfellweste und an den Sporen seiner Stiefel.

Die Leiche lag neben einem Wasserloch inmitten der Ausläufer des Cap Rock Plateaus, einem gottverlassenen Landstrich knapp dreißig Meilen von Rath City entfernt. Es war purer Zufall, dass Jim Crown den Toten inmitten der zerklüfteten Sandsteinfelsen entdeckt hatte.

Normalerweise verirrte er sich kaum in diese abgelegene Gegend. Warum auch? Als Stadtmarshal von Rath City hatte er in der Ecke des Countys keinerlei Befugnisse.

Der Grund, warum er sich dennoch hier aufhielt, war ebenso einfach wie banal.

Er hatte einen Kater, der sich von schrieb, Kopfschmerzen und Durst, unsäglichen Durst.

Schuld an allem war Elizabeth, die neue Frau an Joshua Miles Seite.

Joshua, seines Zeichens Pferdezüchter und einer der besten Freunde des Town Marshals, hatte die Absicht, am kommenden Sonntag zu heiraten, und deshalb ihn und eine Handvoll weiterer Männer zu einem zünftigen Junggesellenabschied auf seine Ranch eingeladen. Da Jim aus Erfahrung wusste, dass sich solche Feiern meistens bis tief in die Nacht hineinzogen, hatte er in wohlweißlicher Voraussicht das Schicksal von Rath City in die Hände seines Deputys gelegt und sich zwei Tage freigenommen.

Inzwischen wusste er, wie richtig diese Entscheidung war. Er wäre niemals in der Lage gewesen, noch in der Nacht in die Stadt zurückzureiten. Selbst jetzt, als alle Steaks verdaut und Miles’ Selbstgebrannter bis auf den letzten Tropfen aus den Poren geschwitzt war, spürte er noch die Nachwirkungen des feuchtfröhlichen Abends. Vor allem aber verspürte er Durst, und genau das hatte ihn hierher gebracht.

Er wusste, dass hier der Sweetwater Creek seinen Ursprung hatte. Was er nicht wusste, war, dass er an der Quelle des kleinen Flusses auf einen Toten stoßen sollte.

Suchend blickte sich Crown um, während er instinktiv die Sicherungsschlaufe vom Abzug seines Navys nahm. Nach ein paar Minuten, in denen er nichts Verdächtiges entdecken konnte, glitt er aus dem Sattel und ging auf den Toten zu.

Die Leiche schien noch nicht lange hier zu liegen. Die Totenstarre war trotz der Hitze nicht voll ausgeprägt und auch die Geier und die anderen Aasfresser hatten sich noch nicht mit ihm beschäftigt. Nachdenklich ging Crown vor der Leiche in die Knie.

Der Mann schien ungefähr in seinem Alter zu sein. Er trug eine zerschlissene, sandfarbene Hose und ein flaschengrünes Hemd mit geflickten Ärmeln und durchgescheuertem Kragen. Das Leder seiner Stiefel war brüchig und die Absätze schief gelaufen. Ein Kugelloch verunstaltete die Krone des braunen Texashuts, der neben ihm auf dem Boden lag. Außerdem war die Krempe der Kopfbedeckung, wie Crown deutlich erkennen konnte, an mehreren Stellen eingerissen. Alles in allem machte der Mann eher einen vernachlässigten Eindruck.

Das einzig wirklich Gepflegte an ihm schienen sein Waffengurt und der sorgfältig eingeölte Remington-Revolver zu sein.

Nachdenklich ließ Jim seinen Blick über den Toten gleiten. So, wie er am Boden lag, mit der Wasserflasche in der Rechten, hatte ihn sein Ende ziemlich unverhofft ereilt.

Crown bückte sich, packte die Leiche an der Weste und drehte sie auf den Rücken. Im selben Augenblick löste sich ein gelbliches achtbeiniges Etwas aus dem Hemd des Toten, fiel zu Boden und wieselte im Zickzack über den Sand, bis es hinter einem Felsen verschwunden war. Obwohl alles blitzschnell vor sich ging, hatte Crown genug gesehen, um zu wissen, was passiert war. Dieses Etwas war nichts anderes als ein sogenannter Arizona Bark Skorpion. Ein Tier, das bei einem Menschen unmittelbar, nachdem es zugestochen hatte, Atemnot auslöste und diese, je nach Konstitution des Betroffenen, innerhalb kürzester Zeit zum Tode führte. Der rote Punkt auf dem linken Handgelenk des Toten sprach eine deutliche Sprache.

Allem Anschein nach war der Mann unvorsichtig gewesen, als er sich auf den Boden gekniet hatte, um seine Flasche aufzufüllen.

Gerade in einer wüstenähnlichen Gegend wie dieser war an einem Wasserloch immer mit Schlangen, Skorpionen oder giftigen Taranteln zu rechnen.

Crown richtete sich wieder auf und hielt nach dem Pferd des unbekannten Toten Ausschau.

Aber es war weit und breit nichts zu sehen. Wahrscheinlich, wenn er die Spuren an der Wasserstelle richtig deutete, hatte es irgendein wildes Tier in die Flucht geschlagen. Luchs, Büffelwölfe, Pumas oder wilde Brasadastiere waren in dieser Gegend keine Seltenheit.

Mit einem Schulterzucken tauchte der Marshal seinen Hut ins Wasser, nachdem er sich vergewissert hatte, dass er vor solchen Überraschungen verschont blieb, und ließ sein Pferd daraus saufen. Danach löschte er seinen Durst und füllte die Wasserflasche wieder auf.

Schließlich bückte er sich und hob den Toten hoch. Mit einem lästerlichen Fluch auf den Lippen trug er ihn langsam zu seinem Pferd.

Der Mann war nicht schwer, trotzdem war der Marshal schweißgebadet, als er ihn vor dem Sattel auf seinen Buckskin lud. Der Junggesellenabschied steckte ihm immer noch in den Knochen.

Nach einem letzten Blick auf die Wasserstelle zog sich Crown auf den Rücken seines Pferdes, ergriff die Zügel und schnalzte mit der Zunge.

Langsam setzte sich das Tier in Bewegung. Die Arme und Beine des Toten schwangen dabei im Takt der Huftritte mit. Jim wusste, dass die Leiche in der Sonne schon bald zu riechen anfangen würde. Deshalb ritt er mit seinem Pferd nicht gen Süden in Richtung Rath City, sondern nach Westen auf die nächste Postkutschenstation der Butterfield Overland Line zu.

 

***

 

Nachdem Crown die Ausläufer der Berge hinter sich gelassen hatte, lenkte er den Buckskin auf die Wagenstraße, die das Land von Norden nach Süden durchschnitt. Der ausgefahrene Weg war steinig und die Sonne stieg stetig höher. Es wurde unerträglich heiß.

Der Leichengeruch machte das Pferd mit jeder Meile nervöser, und deshalb war er froh, als am Horizont endlich die Umrisse der Poststation vor ihm auftauchten.

Das Anwesen bestand aus einem rechteckigen Haupthaus und zwei Ställen sowie einem angrenzenden Korral, in dem einige Pferde standen.

Der Marshal ritt auf den Hof und saß ab. Er führte sein Pferd zur Tränke vor dem Haus und ließ es mit hängenden Zügeln stehen.

Das Tier senkte sein Maul schnaubend in die Brühe der Tränke, Crown lockerte den Colt in seinem Halfter und ging auf den Eingang zu.

Bevor er die Tür erreichte, wurde sie geöffnet. Ein Mann erschien auf der Schwelle.

Sam Baker, der Betreiber der gleichnamigen Station, war ein stämmiger, untersetzter Mann mit Armen so dick wie Crowns Oberschenkel, einem Bauchansatz wie eine Kanonenkugel und einem kugelrunden Schädel, der nur noch von einem spärlichen weißen Haarkranz umgeben war.

»Tot?«, sagte er anstelle einer Begrüßung und deutete auf die leblose Gestalt, die quer über Crowns Buckskin lag.

»Ja«, sagte der Marshal.

»Was ist passiert?«

»Ich habe ihn oben in den Bergen an der Quelle vom Sweetwater Creek gefunden. Scheinbar hat ihm niemand gesagt, wie giftig ein Arizona Bark ist.«

Baker zuckte mit den Schultern. »Pech, und was wollen Sie jetzt hier mit dem Kerl?«

»Ihn begraben, er beginnt nämlich langsam zu riechen.«

Der Stationer schüttelte derart den Kopf, dass Crown befürchtete, dieser würde ihm jeden Moment von den Schultern fallen. »Das kommt überhaupt nicht infrage. Ein frisches Grab ist so ziemlich das Letzte, was ich hier gebrauchen kann. Wenn Sie ihn schon unter die Erde bringen wollen, dann bitte hinter den Hügeln da, damit man es von der Station aus nicht sehen kann.«

»Haben Sie etwas gegen den Toten?«

»Gegen ihn nicht, aber gegen das Holzkreuz, das nachher aus der Erde ragt. Hören Sie, ich lebe hier draußen hauptsächlich von dem, was die Leute, die mit der Kutsche kommen, während ihres Aufenthalts essen und trinken. Ich glaube kaum, dass es gut für mein Geschäft ist, wenn diese Leute dabei ständig auf ein frisches Grab starren. Oder kennen Sie jemanden, der sein Essen gerne auf einem Friedhof einnimmt?«

Bevor Crown auf die Argumente von Baker eingehen konnte, spuckte der Hauseingang drei weitere Gestalten aus. Die erste war die Frau des Stationers, ein knochiges Weib mit einem einfachen Leinenkleid und einer schmuddeligen Küchenschürze, die um ihren Bauch gebunden war. Danach trat ein weizenblonder Endvierziger über die Schwelle und schließlich noch eine große Frau mit hochgesteckten, rabenschwarzen Haaren und einem eng auf Taille geschnittenen Rüschenkleid. Mit ihren aufgeklebten Wimpern, der Schminke und dem Schmollmund mit den kirschroten Lippen wirkte sie wie das fleischgewordene Abbild eines typischen Saloongirls.

Die Frau in dem Leinenkleid wischte sich ihre nassen Hände an der Schürze ab und starrte den Stationer fragend an. »Was ist los Sam, was will dieser Mann hier?«

Bakers Gesicht verzerrte sich zu einer abfälligen Miene. »Stell dir vor Mary, er hat einen Toten in den Bergen gefunden und will ihn hier auf der Station begraben.«

»Was ist daran so ungewöhnlich? Schließlich hat jeder Christenmensch das Recht auf ein anständiges Begräbnis.«

»Bist du verrückt geworden, Weib?«, schnappte der Stationer. »Das hier ist eine Pferdewechselstation mit Gaststätte und Schlafgelegenheiten und keine Grabstelle. Was glaubst du wohl, was unsere Kundschaft dazu sagt, wenn wir hier einen Friedhof eröffnen?«

Mary zuckte die Schultern und blickte hilflos in die Runde.

Bevor sich jemand von den anderen zu Wort melden konnte, sagte die Frau mit den rabenschwarzen Haaren: »Das weiß wahrscheinlich niemand. Aber haben Sie sich schon einmal überlegt, was Ihre Kundschaft wohl sagen wird, wenn sie erfährt, dass Sie sich geweigert haben, hier einen weißen Christenmenschen begraben zu lassen?«

»Was soll das, muss ich mir jetzt schon von einer dahergelaufenen Saloonschlampe sagen lassen, was ich auf meinem eigenen Grund und Boden zu tun oder lassen habe?«

»Baker!«, sagte der Marshal ungehalten und seine Stimme klang dabei wie gesprungenes Glas. »Wenn Sie nicht augenblicklich aufhören, diese Dame zu beleidigen, stoße ich Ihnen jedes Ihrer Worte wieder einzeln in den Hals zurück.«

Der Stationer öffnete den Mund und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.


Die vollständige Story steht als PDF, EPUB und MOBI zur Verfügung.

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