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Frederick Marryat – Die Sendung – Kapitel 14

Kapitän Frederick Marryat
Die Sendung
Umschlagzeichnung nach Originalentwürfen von Professor Honegger
Neue deutsche Ausgabe. Magdeburger Verlagsanstalt. 1915
Kapitel 14

Am anderen Frühmorgen wurden die Wasserfässer gefüllt, die Ochsen angespannt und die Karawane brach von den Ufern des Cardock oder schwarzen Flusses auf, um durch das Land der Buschmänner mehr nach Norden zu ziehen. Da übrigens unsere Reisenden wohl wussten, sie könnten, wenn sie den Strom ganz verließen, kein Wasser finden, bis sie den Vaal oder gelben Fluss erreichten, so beschlossen sie, eine Zeit lang in westlicher Richtung dem Lauf des Cardock zu folgen und erst später sich dem Vaal zuzuwenden, in dessen Nähe sie viel Wild, namentlich aber die Giraffe und das Rhinozeros zu finden erwarteten.

Bis Mittag waren sie ungefähr sechs Stunden westwärts gekommen. Je weiter sie vorrückten, desto mehr Wasser fanden sie im Fluss, weshalb sie ihr Vieh ausspannten, um es bis zum Abend weiden zu lassen, denn es war zu gefährlich, des Nachts loszubinden. Da sie keine Eile hatten, so beschlossen sie, fortan bloß von Tagesanbruch bis Mittag zu reisen. Der Nachmittag und der Abend sollten zur Jagd verwendet, nachts aber das Lager gesichert und das Vieh wie früher untergebracht werden.

Infolge dieser Maßregel wurden die Gespanne nicht durch übermäßige Anstrengung erschöpft, und unsere Abenteurer fanden Zeit, den Zweck ihrer Reise zu verfolgen – nämlich der Jagd auf die wilden Tiere obzuliegen, von denen es in der Gegend wimmelte, wodurch sie nebenbei einen beharrlichen Proviantzuwachs für sich und ihr Gefolge gewannen.

Nachdem sie nun so weit gewandert waren, wie sie es wünschten, machten sie am Fuß eines ansteigenden Grundes Halt. Die Stelle lag einige Tausend Fuß vom Flussufer entfernt und grenzte an eine lange Gruppe von Mimosen und anderen Bäumen. Sobald das Vieh ausgespannt und an den Fluss zur Tränke geführt war, ließen unsere Reisenden ihre Pferde satteln. Das Ufer war auf ihrer Seite niedrig, weshalb sie die Anhöhe heranritten, um das jenseitige Land zu betrachten und sich zu überzeugen, welche Art von Wild sich blicken ließe.

Sobald sie die Höhe erreicht hatten und die Bäume hinter sich hatten, deutete Omrah auf einen abgebrochenen Zweig, indem er sagte: »Hier nicht lang Elefant gegangen.«

Bremen erklärte, dass Omrah recht habe, und die Tiere vor nicht mehr als einer Woche aufgebrochen sein müssten. Wahrscheinlich waren sie der Richtung des Stromes gefolgt. Jetzt bemerkte Omrah den Abdruck eines anderen Fußes und deutete darauf. Da er aber den Namen des Tieres weder in englischer noch in holländischer Sprache anzugeben wusste, so ahmte er dessen Bewegungen nach.

»Meint er ein Gnu?«, fragte Alexander.

Omrah schüttelte dm Kopf, erhob seine Hände und deutete durch Zeichen an, dass das Tier zweimal so groß sei.

»Kommt her, Bremen – welche Spur haben wir hier?«, fragte Swinton.

»Die eines Büffels, Sir – frischer Abdruck -war erst letzte Nacht da.«

»Das ist ein Tier, welches ich gar zu gerne erlegen möchte«, sagte der Major.

»Nehmt Euch aber sehr in acht, dass es nicht Euch erlegt«, versetzte Swinton, »denn es ist eine sehr gefährliche Bestie – fast ebenso gefährlich wie ein Löwe.«

»Jedenfalls dürfen wir nicht ohne eine derartige Jagdbeute zurückkehren«, sagte Alexander; »auch nicht ohne einen Löwen, sobald wir einen allein finden können. Diejenigen, welche wir bisher bei Tag gesehen haben, waren stets zu dritt und viert, und ich glaube doch, dass dies zu viel ist für unsere Partie. Wie wir aber dem ersten einzelnen Löwen treffen, so wollen wir, ich lege das feierliche Gelübde ab, einen Versuch auf seine Haut machen.«

»Ich bin dabei«, entgegnete der Major. »Was sagt Ihr dazu, Swinton?«

»Ich muss wohl gleichfalls ja sagen. Da ich übrigens hierher gekommen bin, um mich nach anderen Dingen umzusehen als nach Löwen, so möchte ich doch für meine Person bemerken, dass der bessere Teil der Tapferkeit in der Klugheit liegt. Doch verlasst Euch darauf, wenn Ihr einem Löwen nachgeht, werde ich dabei sein. Ich habe oft der Löwenjagd beigewohnt, wie sie von den Boern betrieben wurden. Da wir aber keine Pferde übrig haben, so dürfen wir uns nicht gerade ihre Methode als Beispiel nehmen.«

»Und wie jagen sie die Löwen?«, fragte Alexander.

»Es geschieht mehr zur Selbstverteidigung als um des Vergnügens willen«, antwortete Swinton. »Aber an den Grenzen der Kolonie werden die Löwen den Herden so schädlich, dass die Kolonisten sie vertilgen müssen. Sie ziehen in der Regel zu zehnt oder zwölft – womöglich nie weniger – aus und nehmen ihre langen Gewehre mit. Ihr müsst dabei bemerken, dass die Boern nicht nur sehr kaltblütige, mutige Leute, sondern auch vortreffliche Schützen sind, und ich fürchte, wir werden die genannte Zahl unter unserer Partie nicht auffinden können. Da sind einmal wir drei, dann Bremen und Swanevelt – aber ich glaube nicht, dass unter den übrigen nur ein einziger Mann ist, der einem Löwen stehen würde. Wenn wir also diesen Wüstenkönig angreifen, wird es unter nachteiligen Verhältnissen stattfinden müssen.

»Sobald sich die Boern überzeugt haben, wo der Löwe liegt, nähern sie sich dem Gebüsch bis auf mäßige Entfernung, steigen dann ab und binden ihre Pferde mit den Zügeln aneinander. Das ist gefährlich, denn bisweilen springt der Löwe plötzlich heraus, und wenn dies der Fall ist, werden wahrscheinlich nicht nur Pferde, sondern auch Menschenleben zum Opfer. Bleibt übrigens der Löwe ruhig, was gewöhnlich der Fall ist, so nähern sich ihm die Pflanzer bis auf ungefähr dreißig Schritte, denn bekanntlich macht er in der Regel seinen Sprung auf die Hälfte dieser Entfernung. Aber beim Vorrücken decken sie sich durch die Pferde, die sie vor sich hintreiben, damit der Löwe zuerst auf die Rosse springe.

»Der Löwe fasst sie anfangs ruhig ins Auge und wedelt sehr oft, wie in scherzhafter Laune, mit dem Schwanz. Aber wie sie näher kommen, brüllt er, gleichsam um sie zu warnen. Kommen sie noch näher, so zieht er allmählich seine Hinterbeine unter den Körper und macht sich zum Sprung fertig. Man sieht dann nichts von ihm als seine borstende Mähne und die wie Feuer funkelnden Augen; denn er ist jetzt in voller Wut und darauf gerüstet, im nächsten Augenblick seinen Satz zu machen.

»Dies ist ein kritischer Augenblick, und die Hälfte der Jäger erhält jetzt das Signal, Feuer zu geben. Glückt es nicht, ihn mit der ersten Salve zu töten, so stürzt er wie ein Donnerkeil auf die Pferde los. Jetzt gibt die andere Hälfte Feuer und trifft ihn in der Regel so, dass ihm der Garaus gemacht ist. Aber oft kommen dabei einige Pferde um oder werden doch so verwundet, dass der Tod unausbleiblich ist. Bisweilen, obschon selten, trifft sich’s auch, dass ein oder mehrere Jäger das gleiche Schicksal teilen. Ihr seht also, auch unter den vorteilhaftesten Umständen ist der Feldzug mit großer Gefahr verbunden, weshalb man ihn nicht ohne gebührende Vorsicht unternehmen sollte.«

»Sehr wahr, Swinton, aber es geht nicht an, dass wir zum Kap zurückkehren, ohne einen Löwen geschossen zu haben.«

»Nun, meinetwegen; aber selbst dies würde weit besser sein, als von einem Löwen umgebracht zu werden und gar nicht zurückzukehren. Meine Ansicht ist übrigens, Ihr werdet einen Löwen zu schießen kriegen, ohne dass Ihr ihn aufsucht, und zwar ehe Ihr noch viel weiter gewandert seid. Sie sind hier herum dem Hundert nach zu treffen – wohl in eben so großer Menge, wie in dem Namaqua-Land.«

»Schaut Meister!«, rief Bremen, indem er auf sieben oder acht herrliche Antilopen deutete, die etwa eine halbe Stunde entfernt waren.

»Ich sehe«, versetzte der Major. »Was ist dies?«

»Gämsböcke«, entgegnete Swinton. »Na, ich werde es Euch Dank wissen, wenn Ihr mir eines dieser schönen Tiere kriegen könnt. Wir müssen absteigen und unsere Pferde hier lassen. Dann kriechen wir von Baum zu Baum und von Busch zu Busch, bis wir in Schussweite kommen.«

»Es sind in der Tat edle Tiere. Betrachtet nur einmal jenes große Männchen, das der Führer und König der Herde zu sein scheint. Welch herrliches Gehörn!«, rief Alexander.

»Überlasst Omrah und Swanevelt die Pferde. Bremen soll mit uns gehen. Pst – nicht ein Wort. Sie schauen in unsere Richtung«, sagte der Major.

»Vergesst mir nicht, es auf das große Männchen abzusehen, das ich besonders gerne haben möchte«, bemerkte Swinton.

»Meister«, sagte Bremen, »wir müssen kriechen, bis wir jenes Gebüsch zwischen uns und dem Wild haben. Dann können wir durch das Dickicht schleichen und gut zu Schuss kommen.«

»Ja, das wird der beste Plan sein«, entgegnete Swinton. »So leise, wie wir nur können, denn es sind sehr scheue Tiere.«

Sie krochen etwa dreihundert Schritte weit hintereinander her, bis sie das Gebüsch und die Ebene zwischen sich und die Herde gebracht hatten, worauf sie ein wenig Halt machten, um zu rekognoszieren. Die Antilopenherde hatte zu weiden aufgehört, und die Tiere richteten jetzt ihre Köpfe nach dem Gebüsch in derselben Richtung, in welcher sie verborgen lagen. Das große Männchen stand ein wenig vor den übrigen. Seine langen Hörner waren vorwärts gestreckt, und feine Nase schnupperte an dem Boden. Unsere Partie hielt sich eine Weile still und beobachtete die Herde. Keines der Tiere rührte sich von dem Platz, und das Männchen stand so unbeweglich da, wie eine Statue.

»Sie müssen uns gewittert haben«, flüsterte Alexander.

»Nein, Sir«, versetzte Bremen, »denn der Wind bläst von ihnen gegen uns her. Ich kann mir nicht denken, was ihnen ist, aber vielleicht haben sie uns gesehen.«

»Jedenfalls gewinnen wir nichts damit, wenn wir hier bleiben«, bemerkte der Major. »Wir werden noch mehr verborgen sein, wenn wir hinabsteigen und ihnen näher rücken.«

»Das ist wahr. Kommt also mit, aber schleicht wie die Mäuse«, sagte Swinton.

Sie taten dies und erreichten endlich das letzte Gebüsch, das zwischen ihnen und den Antilopen lag. Sie schauten eben durch die Zweige und krochen umher, um eine Öffnung zu finden, durch welche sie feuern konnten, als sich von innen ein Rasseln vernehmen ließ. Bremen berührte den Ärmel des Majors und winkte ihm als auch den übrigen zum Rückzug. Aber noch ehe sie zu einem Entschluss kommen konnten, da sie nicht wussten, warum der Khoikhoi diesen Vorschlag machte – denn er sprach nicht, sondern legte nur die Hand an seinen Mund, um sie zum Schweigen aufzufordern, – ließ sich aus einer Entfernung von etwa drei Schritten aus dem Gebüsch ein donnerndes Brüllen und ein rauschendes Getöse vernehmen, das sich nicht verkennen ließ. Es war das Brüllen und der Sprung eines Löwen. Erstaunt und betäubt blickten sie umher, um zu sehen, wer das Opfer sei.

»Barmherziger Himmel!«, rief Alexander. »Und niemand verwundet!«

»Nein, Meister, der Löwe sprang nach der Antilope. Wir werden ihn jetzt auf der anderen Seite des Gebüsches finden und ihn leicht töten können, wenn seine Augen geschlossen sind.«

Bremen ging um das Gebüsch voran, und unsere Reisenden folgten ihm. Sie gelangten bald mit bereitgehaltenen Gewehren auf die andere Seite. Wie sie aber ankamen, bemerkten sie zu ihrem Erstaunen, dass der Löwe und der Gämsbock nebeneinanderlagen. Die Antilope war tot, der Löwe aber noch am Leben, obschon die Hörner des Gämsbocks durch seinen Leib gedrungen waren. Bei dem Anblick der Jäger erhob der Löwe, durchbohrt, wie er war, mit lautem Gebrüll den Kopf, holte mit den Tatzen aus, als wolle er sie an sich heranziehen, und seine Augen glänzten wie glühende Kohlen, während er deine furchtbaren Zähne zeigte.

Alexander feuerte zuerst und die Kugel drang durch das Gehirn des edlen Tieres, sodass es tot auf den Körper der Antilope niedersank.

»Das ist der schönste Anblick, der mir je vorgekommen ist«, bemerkte Swinton. »Ich habe wohl schon gehört, dass die Hörner des Gämsbocks dem Löwen bisweilen verderblich werden, konnte es aber kaum glauben. Sie haben fast den ganzen Körper durchdrungen, denn die Spitzen sind unter der Haut fühlbar.«

»Wir wissen nun, Meister, warum der Gämsbock seine Nase an den Boden hielt und sein Gehörn vorstreckte«, sagte Bremen. »Er sah den Löwen und focht mit ihm, um seine Herde zu retten.«

»Ich bin noch immer ganz betäubt«, bemerkte Alexander. »Welch ein edles Tier! Nun, jedenfalls kann ich jetzt sagen, ich habe einen Löwen geschossen, und das ist mehr, als Ihr Euch nachzurühmen vermögt, Major.«

Unsere Reisenden waren völlig zufrieden mit der Jagd des Tages und warteten noch eine Weile, bis die Khoikhoi den Tieren die Haut abgezogen hatten, worauf sie zur Karawane zurückkehrten. Omrah nahm eine Portion Fleisch vom Gämsbock mit, um es unseren Reisenden beim Nachtessen auftischen zu lassen.

Auf dem Rückweg bemerkten sie in großer Entfernung eine Büffelherde. Sie nahmen sich daher vor, am anderen Tag von ihrem Halteplatz aus Jagd auf diese Tiere zu machen, falls sie dieselben in tunlicher Entfernung träfen. Beim Nachtessen wurde das Fleisch der Antilope für besser erklärt als das des Gnus. Nachdem das Vieh besorgt und die Feuer angezündet waren, machte Alexander den Vorschlag, dass Swinton Afrikaners Geschichte beenden solle.

»Wenn ich mich recht erinnere, brach ich ab, als Afrikaner und seine Leute nach dem Namaqua-Land entwichen, wo er ein Häuptling wurde. Man machte vermiedene Versuche, ihn gefangen zu nehmen und zu der Kolonie zu bringen, aber ohne Erfolg. Eine Expedition um die andere schlug fehl und Afrikaner wagte es sogar, sich dem Gebiet der Kolonisten zu nähern. Endlich wandten sich Letztere an die Griqua und boten ihnen eine große Belohnung, wenn sie Afrikaner einbrächten.

Die Griqua, die unter einem berühmten Häuptling, namens Behrend, standen, machten mehrere Versuche, in deren Folge ein grausamer Krieg zwischen Behrend und Afrikaner entstand, ohne dass eine oder die andere Partie besondere Vorteile erzielte. Sobald übrigens Afrikaner die Entdeckung machte, dass die Kolonisten Behrend zum Krieg gegen ihn bestochen hatten, wandte er seinen Zorn gegen diese. Ein holländischer Boer fiel als Opfer seiner Wut. Auch raubte Afrikaner den Kolonisten viel Vieh und wurde zuletzt der Schrecken der ganzen Kolonie. Nun begannen auch die Eingeborenen des Namaqua-Landes an ihm Plünderung zu üben, aber er gab es ihnen mit Wucherzinsen zurück, sodass endlich jeder Stamm vor seiner Annäherung floh und sein Name allenthalben Entsetzen verbreitete. Afrikaner und seine Brüder entfalteten in ihren verschiedenen Gefechten einen höchst merkwürdigen Mut, aber es würde zu viel Zeit wegnehmen, wenn ich alle seine Abenteuer erzählen wollte. So viel ist gewiss, dass er nicht nur gefürchtet, sondern auch um der Schonung willen, die er bei mehreren Gelegenheiten übte, geachtet wurde.

Im Jahre 1810 kamen die Missionare in das Namaqua-Land und es musste sich Unglücklicherweife treffen, dass sich über einiges von Afrikaners Eigentum ein Zwist entspann. Man bemächtigte sich desselben und zu gleicher Zeit verlor er auch einiges Vieh. Die Wilden, welche mit Afrikaner in Streit lebten, hatten ihre Wohnplätze in der Nähe des Missionspostens, und unklugerweise wurde auch denen, welche zur Mission gehörten, erlaubt, den anderen Beistand zu leisten.

»Dies weckte Afrikaners Zorn. Er gelobte Rache zu nehmen an der Mission und an den Leuten, die in deren Nähe wohnten oder mit derselben in Verbindung standen. Er begann seine Angriffe gegen die Namaqua und rückte gegen die Station vor, sodass die Missionare entweichen und nach der Kolonie zurückkehren mussten. Afrikaner nahm bald nachher von dem Missionsposten Besitz und brannte die Häuser nieder.

»Da durch diesen Angriff Afrikaners der Missionsposten für einige Zeit aufgelöst war, so schrieb Mr. C., ein Missionar, welchem darum zu tun war, ihn wieder herzustellen, an den Häuptling einen Brief und erhielt eine günstige Antwort, weshalb ein gewisser Mr. E. nach Afrikaners Wohnplatz geschickt wurde. Einige Zeit nachher ließ sich der Letztere mit seinen zwei Brüdern und einer Anzahl anderer taufen.

Man muss zugeben, dass ihre Bekehrung zum Christentum anfänglich keine große Besserung in ihrem Benehmen zur Folge hatte. Dies war aber hauptsächlich dem Umstand zuzuschreiben, dass das Missionswerk einem Mann übertragen worden war, der für eine derartige Aufgabe nicht hätte gewählt werden sollen. Nachdem er abgezogen und ein besser geeigneter Diener des Evangeliums an seine Stelle getreten war, ließ sich an Afrikaner bald eine große Veränderung bemerken, denn früher hatte er schonungslos seiner Rache gelebt – war ein Feuerbrand gewesen, der Zwietracht, Krieg und Feindseligkeit unter den benachbarten Stämmen verbreitete – aber jetzt zeigte er sich äußerst fügsam NNW war zu jedem Opfer bereit, wo es galt, Kampf und Blutvergießen zwischen feindlichen Stämmen zu vermeiden.

›Seht mich an‹, pflegte er zu sagen. ›Wie viele Schlachten habe ich gekämpft, wie viel Vieh habe ich hinweg genommen. Aber was ist mir anders davon geblieben, als das Gefühl der Scham und des Leidwesens?‹

Kurz, von dieser Zeit an bis zu seinem Tod war er ein Vermittler des Friedens und ein Christ beides in Wort und Tat. Er weihte sein ganzes Leben Handlungen der Liebe und des Erbarmens – der Belehrung und der Ermahnung, in dieser Weife eifrig den Vorschriften dessen folgend, für den er gläubig lebte und starb.«

»Ihr habt uns hierin in der Tat einen merkwürdigen Beweis geliefert, Swinton, dass die Missionsarbeiten nicht immer weggeworfen sind, und wir danken Euch, dass Ihr Euch auf unsere Bitte so bereitwillig finden ließet.«

»Das Beispiel ist um so merkwürdiger, wenn man bedenkt, wie viele Hunderte von Menschenleben wahrscheinlich noch als Opfer gefallen wären, wenn Afrikaner die Laufbahn des Blutvergießens und des Raubes weiter verfolgt hätte. Und wie viele Leben sind dadurch verschont geblieben, dass er als Vermittler des Friedens handelte, während er früher nur dem Krieg und dem Gemetzel Vorschub tat.«

»Swinton«, sagte Alexander, »ich muss Euch eine Frage vorlegen, die ich beinahe vergessen hätte. Ihr erinnert Euch, dass Bremen uns sagte, der Löwe habe den Gämsbock ergriffen – er müsse nun die Augen schließen, ehe man ihn schießen könne.«

»Ja, und er hatte ganz recht in dieser Angabe, denn ich habe mich durch den Augenschein davon überzeugt. Wenn der Löwe ein großes Tier, z. B. einen Ochsen, ein Pferd oder, wie diesen Nachmittag, einen Gämsbock ergreift, so packt er es mit seinen furchtbaren Krallen und hält es mit seinen Tatzen nieder, bis es tot ist. Sobald er nun seinen Raub erfasst hat, schließt er die Augen und öffnet sie erst wieder, wenn seine Beute keine Lebenszeichen mehr gibt. Ich erinnere mich eines Khoikhoi, der, nachdem ein Löwe in dieser Weife einen Ochsen gepackt hatte, auf die Bestie zuging und in einer Entfernung von zwei Schritten auf sie Feuer gab. Der Löwe achtete jedoch nicht auf den Knall des Gewehres, sondern fuhr fort, feine Beute festzuhalten. Der Khoikhoi lud wieder und schoss abermals fehl. Erst nachdem er zum dritten Mal geladen hatte, gelang es ihm, die Kugel dem Löwen durch den Kopf zu jagen.«

»Wie gar sonderbar.«

»Allerdings, und ich kann keinen Grund dafür angeben, aber die Sache verhält sich einmal so, wie wohl bekannt ist. Vielleicht vertieft sich das Tier nach langem Fasten ganz und gar in den lieblichen Geschmack des Blutes, das ihm ins Maul fließt, während sein Opfer sich unter seinen Krallen windet. Überhaupt bietet der Löwe viele auffallende Züge, welche bekunden, dass er ein viel edleres und einsichtsvolleres Tier ist, als die meisten Leute sich denken, und ich habe mir eine Summe von Tatsachen in Betreff Sr. bestialischen Majestät gesammelt, die Euch überraschen würde. Die Buschmänner kennen ihn und seine Gewohnheiten so genau, dass sie selten von ihm beschädigt werden, obschon sie in einem Landewohnen, in welchem, wie ich glaube, die Löwenbevölkerung weit größer ist, als die menschliche!«

»Hat es seine Richtigkeit, dass sich der Löwe so gut wie andere Tiere vor dem Auge des Menschen fürchtet?«, fragte der Major. »Könnt Ihr mir diese Frage beantworten?«

»Allerdings kann ich dies«, antwortete Swinton, »und ich muss sagen, dass es zuweilen der Fall ist, zuweilen auch nicht. Ihr werdet übrigens dies besser aus dem entnehmen, was ich Euch aus meinen gesammelten Notizen mitteilen kann. Ich bin der Ansicht, dass der Löwe in diesem Lande wie überhaupt in allen anderen, wo es keine Feuerwaffen gibt, weit gefährlicher ist, als in Gegenden, in welchen man sich der Schießgewehre bedient. Es mag sonderbar erscheinen, aber doch lebe ich der Überzeugung, dass der Löwe einen Begriff von der tödlichen Natur der Feuerwaffen hat und dass er sich deshalb mehr vor den Menschen fürchtet. Ihr erinnert Euch einer Geschichte, die ich Euch von einem Löwen erzählte, welcher zwei Tage lang einen Menschen bewachte, ohne ihn zu töten, obschon er ihm nicht erlaubte, nach seinem Gewehr zu greifen. Auch ist es zur Genüge erwiesen, dass der Löwe an einem Menschen, der eine Büchse in der Hand trägt, vorbeigeht, ohne ihn anzugreifen, wenn dieser nur nicht anzuschlagen versucht. Sobald er aber seine Waffe erhebt, tut die Bestie ihren verhängnisvollen Sprung.«

»Ihr glaubt also, dass der Löwe die verhängnisvollen Wirkungen der Feuerwaffen kenne?«, fragte der Major.

»Es schein wenigstens so – nicht bloß deshalb, weil sie so zornig sind, wenn man auf sie anlegt oder in ihrer Nähe nur nach einem Schießgewehr greift, sondern auch, weil sie in Gegenden, wo Feuerwaffen üblich sind, den Menschen mehr respektieren. In der Kolonie zum Beispiel benehmen sie sich gegen den Menschen ganz anders als in der Wildnis.

Doch wie ich bereits sagte, der Löwe ist in dem Land der Buschmänner viel gefährlicher, einmal, weil er stets erfolgreich mit denen kämpft, die ihm keine sehr kräftigen Waffen entgegenzusetzen haben, und deshalb nicht in Furcht gehalten wird – zweitens, weil er hier zu oft Menschenfleisch gekostet hat, das der Löwe jeder anderen Nahrung vorzieht, sobald er einmal weiß, wie es schmeckt.

Man behauptet, wenn es einem Löwen einmal gelungen sei, irgendeinen unglücklichen Buschmann aus seiner Höhle zu holen, so versäume er nicht, jede Nacht regelmäßig zurückzukehren, weil er abermals auf einen derartigen Braten hoffe, und dies setze er fort, bis die Horde so eingeängstigt sei, dass sie aufbreche, um sich eine andere Zuflucht zu suchen. Auch hat man mir versichert, aus Furcht vor derartigen Angriffen pflegen die Buschmänner ihre alten und betagten Leute nachts vor den Eingang der Höhle zu legen, damit, wenn der Löwe komme, das wertloseste und unnützeste Glied ihrer Gemeinschaft zuerst die Beute des Tieres werde.«

»Wenn man dem Löwen gestattet, sich in dieser Weise zu bedienen, so kann er natürlich nicht viel Furcht vor den Menschen haben«, bemerkte Wilmot. »Aber sein nächtliches Umherschleichen tut doch dem edlen Charakter, welchen Ihr ihm beizumessen geneigt seid, großen Abbruch.«

»Keineswegs«, entgegnete Swinton. »Allerdings schleicht und lauert der Löwe in der Regel auf seinen Raub, aber dies ist ein charakteristisches Merkmal des Katzengeschlechts, als dessen Haupt er betrachtet werden kann. Auch hat ihn die Natur eben für diese Art zu jagen ausgestattet. Der Wolf, der Hund und ähnliche Tiere sind mit einem scharfen Geruchssinn ausgestattet und imstande, ihre Beute durch eine lange Jagd zu ermüden. Die Katzen dagegen können außerordentliche Anstrengungen von Tätigkeit und Eile nur sehr kurze Zeit aushalten. Gelingt es ihnen nicht, ihren Raub auf den ersten Sprung oder nach einigen gewaltigen Sätzen zu erhaschen, so geben sie in der Regel die Verfolgung ganz und gar auf.

Ich bin der Ansicht, dass der Löwe sich im Allgemeinen vor den Menschen zurückzieht. Dies tut er aber nicht in der feigen Weise der Leoparden, der Hyäne und anderer. Er schleicht nie von hinnen, sondern mustert ruhig seinen Gegner, als wolle er dessen Tapferkeit messen. Ich möchte sagen, der Löwe scheint instinktartig zu fühlen, dass der Mensch nicht sein natürlicher Raub ist, und obschon er ihm nicht immer Platz macht, so wird er ihn doch nicht angreifen, wenn der Mensch erstens keine Zeichen von Furcht und zweitens keine Merkmale von Feindseligkeit blicken lässt.

Freilich darf man auf diese instinktartige Ehrfurcht vor dem Menschen nicht immer mit Sicherheit rechnen, denn das Tier kann sehr hungrig, sehr zornig, ärgerlich wegen einer entronnen Beute oder vielleicht von dem Weibchen und den Jungen begleitet sein. Mit einem Wort, ein Tier hat auch seine Launen, und in diesem Falle wird er gefährlich.

Ein alter Namaqua-Häuptling, mit dem ich mich unterhielt, und der von Kindheit auf an die Löwen gewöhnt war, bestätigte diese Ansichten vollkommen und behauptete außerdem, dass in dem Auge des Menschen etwas liege, vor dem der Löwe zurückbebe. Er versicherte mir ferner, er greife selten einen Menschen an, wenn er nicht gereizt werde, obschon er sich demselben in der Regel bis auf einige Schritte nähere und ihn mit stetigem Blick mustere. Bisweilen versucht er, hinter ihn zu kommen, als könne er seinem Blick nicht standhalten und wolle deshalb unversehens auf ihn losspringen. Der Behauptung des Namaqua zufolge würde der Mensch die größte Gefahr laufen, wenn er in einem solchen Fall zu fliehen versuche. Hat er aber Geistesgegenwart genüg, dem Tier stets die Stirne zu bieten, so wird es sich fast immer nach kurzer Zeit zurückziehen. Es steht mir übrigens ein maßgebender Beleg zu Gebote. Ein Bur namens Gyd war mit einem seiner Nachbarn auf der Jagd. Als er an eine Quelle kam, die wie gewöhnlich mit hohem Schilf und Binsen umgeben war, händigte Gyd seinem Begleiter sein Gewehr ein und stieg ab, um zu sehen, ob noch Wasser vorhanden sei. Aber wie er sich der Quelle näherte, sprang dicht neben ihm ein ungeheurer Löwe auf und packte ihn am linken Arm. Obgleich im größten Schrecken blieb Gyd regungslos stehen, denn er wusste, dass der geringste Fluchtversuch seinen augenblicklichen Tod zur Folge haben musste. Das Tier blieb gleichfalls unbeweglich und hielt Gyd mit seinen Krallen am Arm fest, ohne übrigens einen ernstlichen Biss zu tun. Zu gleicher Zeit schloss es seine Augen, als könne es den festen Blicken seines Opfer nicht widerstehen.«

»Welch eine schreckliche Lage!«

»Während sie so dastanden, hatte Gyd seine Geistesgegenwart wiedergewonnen. Er winkte feinem Kameraden heran, dass er den Löwen durch den Kopf schieße. Dies hätte sich leicht ausführen lassen, denn das Tier hielt noch immer die Augen geschlossen, und Gyds Körper verbarg jeden sich nähernden Gegenstand. Aber der Nachbar war ein elender Feigling, der, anstatt Gyd Beistand zu leisten, vorsichtig einen Felsen hinaufkletterte, um sich gegen Gefahr zu schützen. Geraume Zeit flehte Gyd seinen Kameraden durch Gebärden an, ihm zu Hilfe zu kommen, und der Löwe blieb in der Zwischenzeit vollkommen ruhig, aber der Bur kehrte sich nicht an die stumme Bitte seines bedrängten Kameraden.«

»Ha, wie kocht mir das Blut bei dem Benehmen dieses Schurken«, sagte der Major. »Selbst zugegeben, dass die erste Furcht überwältigend wirkte, ist es doch ein maßlos schimpfliches Benehmen, einen Kameraden so lange in einer derartigen Lage zu lassen. Ich denke, wenn Gyd entkam, so muss er gute Lust gefühlt haben, den Elenden selbst niederzuschießen.«

»Die Löwenjäger versichern, wenn Gyd noch ein wenig Stand gehalten hätte, so würde das Tier zuletzt den Arm losgelassen und Gyd nichts zuleide getan haben, denn der Löwe habe mehr aus Furcht, der Mensch werde ihm etwas tun, als weil er wünschte, den Menschen zu beschädigen, angegriffen. Ich glaube, dass sie in dieser Ansicht recht haben. Gyd aber, der über die Feigheit seines Kameraden in Zorn geriet und an dem Löwen die Geduld verlor, zog endlich sein Jagdmesser, das alle Buren stets an ihrer Seite führen, und stieß es mit der vollen Kraft seines rechten Arms dem Löwen in die Brust.

Der Stoß war tödlich, denn Gyd war ein kühner, kräftiger Mann und hatte gut gezielt. Dennoch konnte dadurch sein Leben nicht gerettet werden, denn der wütende Löwe, der in seinem Todeskampfe mit Gyd zu ringen suchte, obschon ihn dieser mit der Kraft der Verzweiflung auf Armeslänge von sich zurückhielt, zerfleischte mit seinen Krallen die Brust und die Arme des unglücklichen Buren, dass die Knochen bloß dalagen.

Endlich stürzte der Löwe tot zusammen, und Gyd fiel mit ihm. Sein feiger Kamerad, der den furchtbaren Kampf von dem Felsen aus mit angesehen hatte, ermutigte sich nun so weit, heranzukommen, und trug den verstümmelten Körper zum nächsten Haus. Trotz der schnell angewandten ärztlichen Hilfe starb der Unglückliche drei Tage nachher am Wundstarrkrampf. Dies war das tragische Ende eines Abenteuers, das nur durch die Feigheit von Gyds Kameraden so unglücklich ausfiel.«

»Von dieser hypnotischen Wirkung des menschlichen Auges kann ich selbst ein Beispiel angeben, aus welchem erhellt, dass es sich nicht bloß auf den Löwen beschränkt «, sagte der Major. »Einer unserer Offiziere in Indien, der in den Dschungeln, welche an das britische Lager stießen, umherstreifte, traf mit einem Mal auf einen bengalischen Tiger. Diese Begegnung war augenscheinlich beiden Teilen sehr unerwartet, denn sie machten Halt und sahen sich gegenseitig scharf an. Der Offizier hatte keine Feuerwaffe bei sich, sondern nur einen Ordonnanzdegen an der Seite, und er wusste wohl, dass diese Wehr wertlos war, wenn es galt, mit einem so furchtbaren Gegner auf Leben und Tod zu kämpfen. Er war jedoch ein Mann von unerschrockenem Mut und hatte gehört, dass sogar ein bengalischer Tiger sich einschüchtern lasse, wenn man ihm stetig ins Auge sehe.

Seine ganze Artillerie beschränkte sich also, wie die der Damen, auf seine Augen, und er richtete sie scharf auf den Tiger. Eine Büchse wäre ihm freilich unendlich lieber gewesen, da er doch nicht wissen konnte, ob nicht vielleicht das Feuer seiner Augen versagte. Nach einigen Minuten jedoch, während welcher der Tiger sich zum Sprung geduckt hatte, schien das Tier unruhig zu werden. Es schlich sich auf die Seite und versuchte dann, hinter den Offizier zu kommen.

Dies wollte natürlich der Offizier nicht zugeben, und er drehte sich bei jeder Wendung des Tigers mit derselben Beharrlichkeit, mit welcher sich, wie Thomas Moore sagt, die Sonnenblume der Sonne zuwendet. Die Bestie schoss sodann ins Dickicht und versuchte ihren Raub aus einer anderen Richtung durch Überwachung zu gewinnen. Man kann sich übrigens denken, dass unser Offizier sehr auf der Hut war, und als der Tiger fand, dass es nicht gehen wollte, so ging er endlich selbst. Der Offizier folgte seinem Beispiel und eilte so schnell er konnte dem Lager zu.«

»Es freut mich, diese Geschichte von Euch zu hören, Major«, versetzte Swinton, »denn über die Frage in Betreff der Gewalt, welche das menschliche Auge zu üben imstande ist, sind viele Zweifel erhoben worden, und Euer Fall dient zur wesentlichen Bekräftigung.«

Der Major erhob sich und machte die Runde, um den Khoikhoi aufzusuchen, welchem die Unterhaltung des Feuers übertragen war. Der Bursche schlief und musste durch einige tüchtige Rippenstöße geweckt werden.

»Habt Ihr die Wache?«

»Ja, Mynheer«, versetzte der große Adam, indem er aus seiner Karosse herauskugelte.

»Na, Ihr haltet sie so gut, dass Ihr beim nächsten Austeilen keinen Tabak kriegen werdet.«

»Gentlemen alle auf und halten Wach’. So ich geh’ zu schlafen ein wenig«, versetzte Adam, indem er sich auf die Beine half.

»Seht nach Euren Feuern, Mensch«, entgegnete der Major und begab sich sodann zu seinem Wagen.