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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 18

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 18

Der Schiffbruch

Die Zeit rückte heran, in der Fritz seine neue Stellung antreten sollte. Man hatte bis jetzt erst das Eintreten des Süd-Ost-Mosuns abgewartet, eine Prau mit einer Menge Güter für die Plantage bestimmter Gegenstände nach Bangka hinüberzusenden. Fritz sollte diese begleiten. Voll frischer Hoffnungen für ein neues tätiges Leben, von dem ihn selbst die Beschreibungen des ungesunden Klimas dort, die ihm Tji-kandi gab, nicht abschrecken konnten, traf er seine wenigen Vorbereitungen und war, als der Monsun seine erste Meldung in einem tüchtigen Süd-Osten über die Wasser sandte, fix und fertig zum Aufbruch.

Diesen ersten Sturm mussten sie allerdings vorüberlassen – in dieser Zeit hat sogar ein tüchtiges Schiff im Toben der Elemente sich flott zu halten, viel weniger eines dieser Küstenboote. Als sich aber das Wetter wieder klärte, die frische scharfe Brise eine schnelle und glückliche Reise versprach, wurde der letzte Proviant, mit Wasser und sonstigem Bedarf an Bord geschafft – eine Drehbasse dabei nicht zu vergessen, da seeräuberische Praue mit frechem Mut oft sogar das von Kriegsschiffen durchkreuzte Fahrwasser zum Schauplatz ihrer wilden und mörderischen Angriffe machten. Nach herzlichem Abschied von Wilson und Herrn Evans, den er erst noch in Samarang besuchte, aber immer noch sehr leidend vorfand, lichteten sie die Anker und gingen mit frohem frischem Mut in See.

Die Bemannung der Prahu oder Prau bestand aus dem Kapitän, einem Araber, sieben Malaien als Matrosen, einem Chinesen als Koch, Fritz und Tji-kandi, der ihn unter keiner Bedingung als Passagier verlassen wollte. Tji-kandi wurde jedoch unter der Bedingung mit an Bord genommen, dass er unterwegs, wenn es nötig werden sollte, hilfreich zur Hand ging.

Die Entfernung von Samarang nach Bangka ist gar nicht so bedeutend und beträgt in der Tat nur wenige Grade, sodass ein irgend gutes Fahrzeug in dem günstigen Monsun die Reise ungemein rasch zurücklegen kann. Der erste Tag gab ihnen auch die beste Hoffnung, die Luft war rein und der Wind blies so scharf von Süd-Ost, dass sie kaum alle die gewaltigen Mattensegel führen konnten. Das kleine Fahrzeug strich nur so durch die Wellen. Der nächste Tag sollte aber manches ändern. Als sich der Horizont im Osten lichte, wuchs die Brise. Die Wolken jagten, als ob sie zu spät zum jungen Tag kämen, die See brauste hohl und unheimlich. Segel wurden klein gefaltet – denn reffen können diese Art Boote nicht – und das Schiff lenzte jetzt vor dem Wind über zehn Knoten die Stunde.

Der Monsun ist aber ein gefährlicher Gast, wenn er gerade im Wechseln die Backen einmal voll nimmt. Der alte Nord-West-Monsun hat die Mucken von früher auch noch nicht ganz vergessen und heult oft noch seinen Abschiedsgruß über die aufgerüttelte See, wenn der neue Herr, der Süd-Ost-Monsun eben schon alle Hände voll zu tun hat, die See rein zu fegen von Schaum und Wogenkämmen. Begegnen sich dann die beiden, so tanzen die Schiffe wild.

Hei, wie er über die Flut heulte und brauste und durch die Blöcke und das Takelwerk der Prahu pfiff. Die Segel waren schon so klein gelegt wie nur möglich und doch drohte er den Mast noch aus seinen Spuhren zu reißen, durch die Gewalt, mit der er an ihm zerrte.

Die Malaien sind vortreffliche Matrosen bei ruhigem Wetter. Da aber, wo es gilt, zuzufassen und dem tobenden Element die Existenz abzugewinnen, verlieren sie meist den Kopf oder greifen doch wenigstens lange nicht so zu, wie in solcher Zeit zugegriffen sein will.

Die See hob sich dabei mehr und mehr, die Wellen wurden schon so hoch, kamen mit solcher Wucht hinter ihnen her, dass sie mehr Segel setzen mussten, um ihnen zu entgehen, wenn sie sich nicht der Gefahr preisgeben wollten, ihr Deck einmal von einer tüchtigen See (Woge) vollkommen reingespült zu bekommen und alles zu verlieren, was eben oben stand.

Trotz des Sturms hissten sie deshalb ihr Segel noch mehr auf, aber es blähte zum Zerspringen, und der Mast ächzte und stöhnte und das Schiff arbeitete, als ob es aus allen Fugen bersten wollte.

Mit Sonnenuntergang nahm dabei das Wetter eher noch zu als ab. Der Orkan heulte seine Bahn entlang und einer jener furchtbaren Typhoons, der Schrecken des Seemanns, rüttelte an den Pforten des Meeres, als ob er sich in seine Tiefen Eingang erzwingen wollte. Die See glühte dabei mit jenem wunderbaren phosphorischen Licht, aber in einer Pracht, wie sie der Schiffer, selbst in diesen Breiten, selten sieht. Die aufgewühlte Flut warf nicht mehr nur einen lichten Schein, durch den das Fahrzeug seine feurige blitzende und funkelnde Bahn brach und einen glühenden Streifen Silber hinter sich ließ in dunkler Nacht, nein, der ganze Ozean schien aus lebendigem Feuer zu bestehen bis in sein Innerstes hinab. Als die Wogen sich hinter ihnen hoben und bäumten, warfen sie ein strahlendes Licht bis in die entferntesten Winkel und Räume.

So herrlich nun aber das Glühen des Meeres bei ruhigem Wetter aussieht und einen so prachtvollen Anblick das Blitzen und Funkeln der wie von tausend Leuchtkugeln durchzogenen Wogen gewährt, einen so unheimlich wilden Anblick bietet es im Sturm, tritt es dann noch, wie hier, in so ungewöhnlicher Stärke auf, mag es wohl geeignet sein, die Herzen der ohnedies abergläubischen Eingeborenen mit Furcht und Entsetzen zu füllen.

Tji-kandi, sonst noch einer der Vernünftigen, saß neben dem Steuerruder in stummer Verzweiflung auf dem Boden. Als ihm Fritz – der die Gefahr, in der sie überhaupt schwebten, allerdings noch gar nicht in ihrem ganzen Umfang kannte, sich dabei aber auch nicht sattsehen konnte an der wilden furchtbaren Herrlichkeit, die sie umwogte – Mut einsprechen wollte, schüttelte er mit dem Kopf und meinte, das sei ihr Letztes, das Schiff erreiche im Leben nicht seinen Hafen, denn die Pforten der Unterwelt wären offen und man könnte durch das klare Wasser hinuntersehen bis in ihren glühenden Schlund.

Solange das Mattensegel hielt, war noch Hoffnung da, dass sie dem Sturm entgehen konnten, denn die Prahu lief vortrefflich. Nur die Spitzen der nachstürmenden Wogen erreichten gewöhnlich das Deck, das sie mit einem Feuerregen überschütteten. Ihre Lage wurde aber mit jeder Minute gefährlicher, der Wind fing dabei an sich zu drehen und der arabische Kapitän lag in seiner Kajüte mit der Stirn auf dem Boden und betete zu Allah – Tji-kandi konnte nicht einmal mehr beten. Der einzige Ruhige an Bord von der Mannschaft war der Heide, der Chinese. Dieser, als er sah, wie alles den Kopf verlor und der Mann am Steuer selbst mehr hinter sich, zu den donnernden Sturzseen als vor sich auf sein Schiff schaute, ging hin und nahm ihm das Steuer, das ihm jener nur zu willig überließ, ab und lenkte von da an selber das Schiff mit ruhiger, sicherer Hand. Der Mann Chinas drehte der Sturzsee seinen Zopf zu, ließ sie hinten nachbrausen, soviel sie wollte. Wenn Masten und Segel hielten und das Wetter nicht noch ärger wurde, kamen sie durch.

Der Wind drehte mehr und mehr nach Osten um, dabei durften sie jedoch nicht wagen, aus dem Kurs zu kommen, denn in dem Falle hätten sie die See von der Seite bekommen und das blieb ein gefährliches Experiment. Jedenfalls musste aber die Rahe angebrasst werden, und doch ließ sich der Kapitän, dem die Führung des Schiffes ja anvertraut wurde, nicht ein einziges Mal an Deck sehen.

Xuning, so hieß der Chinese, wollte endlich die Verantwortlichkeit nicht länger auf sich allein nehmen und bat Fritz, der neben ihm stehen geblieben war, hinunterzugehen und den Araber heraufzuholen. Fritz, selber nicht recht mit dem Betragen des Alten einverstanden, verließ rasch das Deck, war aber kaum unter der Kajütsluke verschwunden, als es oben prasselte und brach, im nächsten Augenblick eine fürchterliche Flut über die Planken und in die noch geöffnete Luke schoss, dass er den Fußhalt verlor und sofort nach unten gewaschen wurde. Noch hatte er kaum Zeit gehabt, sich nur wieder aufzurichten, als eine zweite See, mit noch größerer Gewalt und jetzt voll gegen die Flanke des armen Fahrzeuges schlug, während Fritz, mehr in dem Instinkt der Gefahr, in der er sich hier befand, als in dem vollen Bewusstsein derselben, zurück nach oben an die freie Luft drängte, fühlte er sich plötzlich von hinten gefasst und zurückgerissen mit der wieder einstürzenden Flut. Über ihn weg sprang gleich darauf, ihn rücksichtslos nach unten tretend, der Araber, das eigene Leben feige zu retten.

Was dem jungen Mann anfangs zu Verderben drohte – die Kajüte war schon fast gefüllt und das Fahrzeug sank rasch – war seine Rettung geworden, denn kaum erreichte der Araber das Deck, als ihn eine neue Welle ergriff, gegen den noch stehenden Mast schlug, dass er betäubt liegen blieb und über Bord wusch, während Fritz, als er ihm jetzt folgte, das oben locker geschlagene leichte Bambussparrenwerk fasste und sich im nächsten Augenblick ebenfalls draußen in offener See im Aufruhr der Elemente treibend fand.

Die Prahu war verschwunden und an ihrer Stelle trieben auf Brettern und Bambus zehn mit den Wellen kämpfende Menschen im Aufruhr der Elemente.

Es ist eine merkwürdige, aber nichtsdestoweniger doch Tatsache, dass es manchmal recht scheint, der Sturm sich nur ein besonderes Ziel gesetzt habe, als ob er irgendeine Beute ergreifen und vernichten wolle und dann zufrieden mit seinem Tagewerk, in Heulen und Toben nachlässt. Das schwerste Gewitter macht oft stillem und heiterem Himmel Platz, wenn der Blitz einmal recht tüchtig in irgendein friedliches Dach eingeschlagen hat, während die Gebäude in Flamme und Rauch auflodern, die Menschen von dem entsetzlichen Schlag noch zitternd und wie betäubt stehen, teilen sich die Wolken, die Sonne bricht durch und leuchtet von einem friedlich blauen Himmel auf den Schauplatz der Verwüstung.

So auch hier. Als ob die See nur das eine kleine Opfer, die schwache Prahu der Insulaner gefordert hatte, um sich ruhig und zufrieden in ihre alten Grenzen zurückzuziehen, oder als ob der Sturm erschreckt sei über das Unheil, das er mit dem munter tanzenden Spielzeug angerichtet hatte, so rasch, ja fast plötzlich, ließ er in seinem Grimm nach. Die Wogen schleuderten wohl noch eine Zeit lang so wild empor wie vorher. Diese einmal beschworene Macht ließ sich nicht gleich wieder von oben dämmen. Sie wollte austoben, wenn auch der Trieb nachließ, der sie in Bewegung gesetzt hatte. Aber der Nerv fehlte, sie darin zu halten und langsam, nach und nach, wie eine ausschwingende Schaukel, wurden sie kleiner und schwächer, ihre Oberfläche glättete sich und auf den herandrängenden und zusammenschmelzenden Wogen trieb die Mannschaft des Fahrzeugs auf dem Bambusgitterwerk sie vom Untergang zu retten.

Und war das eine Rettung? Wäre es nicht zehntausend Mal besser gewesen, dass dieselbe Woge, die ihr Fahrzeug verschlang, auch sie zu gleicher Zeit mit hinabgerissen hätte, als das sie jetzt langsam und elend hier verkommen sollten in Durst, in Hunger und Erschöpfung? Hieß das nicht tausend Tode sterben, wo ein einziger rascher Ruck den Faden abgeschnitten hätte, den sie jetzt Faser für Faser sollten reißen sehen? Nein, das arme Menschenherz hängt am Leben und begrüßt noch als Heil und Segen das, was ihm vielleicht noch Rettung bringen könnte, während der schnelle Tod es gewiss jener dunklen Welt entgegenführt, von der herüber noch keine Kunde zu uns gedrungen war. Solange eine Sehne unseres Körpers noch ihre Kraft und Zähigkeit behält, so lange klammern wir uns an die Möglichkeit der Existenz. Ein entsetzlicher Augenblick ist es dann, wenn auch die letzte Hoffnung schwindet, der Unglückliche sich mit dem leise gehauchten Vorbei dem Schicksal und dem Tod überlässt.

Es war eine furchtbare Nacht, die Wolken teilten sich, als der Orkan nachließ, sie zu festen Massen zusammenzuballen. Der Mond warf sein stilles friedliches Licht auf das unter ihm wogende Feuermeer, das Unheimliche der ganzen wilden Szene eher noch erhöhend als mildernd. An den Balken und Stangen hingen die Unglücklichen, den nahenden Tag fast so viel erhoffend als fürchtend. Wie lange waren sie imstande, mit den schon jetzt geschwächten Kräften sich in dem schweren Wogengang noch oben zu halten? Und was musste ihr Schicksal sein, wenn nicht ein anderes Schiff ihnen Hilfe brachte?

Niemand wusste dabei, wie weit sie noch vom Land entfernt sein konnten und in welch gefährlicher Nachbarschaft befanden sie sich im allergünstigsten Fall, zwischen den Seeräuber-Prahus des ganzen Archipels und den wilden erbarmungslosen Stämmen Sumatras, die, durch die steten Angriffe und Belästigungen der Weißen außerdem schon gereizt, auch noch beschuldigt waren, Kannibalen zu sein. Es ist ein trauriges Ding, wenn man an einem Stück leichtem Holz auf dem Wasser schwimmt und nur die Aussicht hat, von dem Meer oder einem fast eben so unersättlichen Hai verschlungen, oder dem Wasser entzogen und als Sklave verkauft, ja vielleicht gefressen zu werden.

»Dort ist Land!«, rief plötzlich Fritz, der, als der erste Kampf mit den Wellen vorüber war und er Zeit und Kräfte gewann, sich etwas umzuschauen, selbst in dem schwachen und ungewissen Mondlicht deutlich den hohen düsteren Bergrücken erkannte, der nach Westen zu den Horizont begrenzte. Sein Ruf machte Tji-kandi, der dicht neben ihm hing, darauf aufmerksam. Es ließ sich nicht nur kaum mehr verkennen, dass das die Küste sei, sondern dass sie der Sturm auch ungemein nach Westen und in die Nähe des Landes getrieben haben müsse, was sie recht gut am nächsten Tage erreichen konnten.

Xuning und zwei Malaien trieben auf einem anderen kleinen Floß nicht weit von ihnen entfernt. Sie konnten ihren antwortenden Ruf hören, dass sie auch Land entdeckt hätten. Mit Schwimmen und Stoßen gegen sie hinarbeitend, kamen sie dicht neben sie. Von den Übrigen ließ sich nichts weiter hören oder erkennen, ihre Rufe wurden nicht weiter beantwortet. Der Chinese meinte, er habe einzelne davon nach dem Untergang der Prahu schwimmend gesehen und der anbrechende Morgen könnte sie vielleicht in Sicht bringen.

Das Meer war, wie sich das denken lässt, noch immer unruhig, oder ging hohl, wie die Seeleute sagen. Das Brechen oder Überstürzen der Wogen, das Gefährlichste für arme Schiffbrüchige, hatte so ziemlich nachgelassen und die Dünung des Wassers – eben dieses Wogen und Fluten – trieb sie, mit der im Süd-Ost-Monsun dem Wind auch folgenden westlichen Strömung, scharf und gerade auf die Küste zu.

Als im Osten der Tag dämmerte, konnten sie auch klar und deutlich nicht nur die hohen, kühn ausgezackten Gebirgsrücken, nein schon den flachen Palmenstreifen erkennen, der das hohe Land umschloss. Wenige Stunden mussten hinreichend sein, sie an das Ufer selber zu bringen, wenn nicht ein tückischer Hai die armen Schiffbrüchigen vielleicht eher entdeckte und seine Beute unter ihnen suchte.

Natürlich war ihre ganze Aufmerksamkeit dem Festland zugekehrt und mit wahrhaft peinlicher Spannung beobachteten sie die Konturen der dem Wasser am nächsten liegenden Gebirgsausläufer, das palmige Land, um nach dem mehr und mehr Auftauchen der Gegenstände am Ufer ihr Näherkommen berechnen zu können. Wohnungen menschlicher Wesen ließen sich nirgends erkennen, würden aber auch nicht von See aus sichtbar gewesen sein, wäre die Küste selbst bewohnt gewesen, da die Hütten der Eingeborenen stets versteckt liegen. Aber auch nicht einmal aufsteigender Rauch, der doch sonst fast an jeder Küste des Fremden Auge mit der Gewissheit des Daseins menschlicher Wesen erfreut, war zu sehen. In dunkelgrüner düsterer Herrlichkeit lag die Wildnis vor ihnen ausgebreitet und deckte mit grünem undurchsichtigen Schleier die Rätsel, die sie barg.

»Ein Segel – ein Segel!«, rief in dem Augenblick Xuning, der zufällig den Blick zurück gewandt hatte. Deutlich konnten sie, gar nicht weit von sich entfernt, das hellgelb glänzende Mattensegel einer inländischen Prahu, vielleicht eines Fischerfahrzeugs erkennen, mit halbem Wind an der Küste hinauf zu laufen schien. Es war ein ziemlich starkes Fahrzeug, mit zwei Masten und kühn und selbst graziös geschnittenem Vor- und Hinterbau und segelte wie ein Pfeil durch die noch keineswegs beruhigte See, dass es manchmal, wenn auf eine der hohen Wogen gehoben, wie von der Luft darüber weggetragen, der nächsten zusprang, um dann gleich darauf von dem gähnenden Wellental wie eingesogen zu werden, eben noch die oberen Spitzen der Segel sichtbar ließen.

Fritz sah übrigens kaum das Segel, als er sich in wilder Eile bemühte, auf die Bambussparren, über die er bis jetzt gelegen, hinaufzuklettern und denen an Bord ein Zeichen zu geben, dass sie nicht etwa an ihnen vorübersegelten, ohne sie zu bemerken. Tji-kandi behielt aber eben noch Zeit, ihn zurückzuziehen. Den Kopf schüttelnd meinte er, das ganze Fahrzeug gefiele ihm nicht, sie täten wahrscheinlich besser, im Wasser die paar Stunden noch auszuhalten und dann festen Boden zu betreten, als die Burschen in der Prahu mehr von sich wissen zu lassen, als sie gegenwärtig schon zu wissen schienen. In demselben Moment gab ihnen auch Xuning von dem anderen Floß aus ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten. Fritz, das fremde Boot jetzt aufmerksam betrachtend, sah nun selbst mit bloßen Augen, wie es rings herum für Ruder eingerichtet und vorn sowohl wie hinten mit Drehbassen versehen war. Es blieb wohl kein Zweifel, dass sie es hier mit einem der gewöhnlichen malaiischen Piratenboot zu tun hatten, die den ganzen Archipel durchkreuzen und nicht allein plündern, was ihnen auf der See unter die Fänge fällt, sondern oft auch an kleinen schlecht beschützten Inseln landen, dort plündern, sengen und brennen, Männer und Frauen mit in die Sklaverei schleppen.

Bis jetzt befanden sie sich übrigens noch im Vorteil. Verhielten sie sich ruhig, so war die Möglichkeit, ja sogar die Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass sie gar nicht bemerkt wurden, denn das niedrige auf dem Wasser treibende Floß mit den dunklen, ebenfalls nur wenige Zoll darüber hinausragenden Gestalten konnte von Bord aus ohne ein gutes Fernrohr kaum entdeckt werden. Überdies betrug die Entfernung, in der sich die Prahu noch von ihnen befand, doch jedenfalls wenigstens eine englische Meile, hatte sie auch jetzt schon passiert und musste nun mit jeder Minute die Distanz vergrößern, die sie von ihnen trennte.

»Allah sei gepriesen«, flüsterte Tji-kandi, als er dem schnellen Fahrzeug nachschaute, wie es mit den Wogen stieg und sank, »ich hätte da nicht als Passagier an Bord gehen mögen … aber … halt … was ist das? … Sie können uns ja doch nicht mehr von dort aus sehen!«

»Sie wenden!«, rief Fritz in demselben Augenblick, und in der Tat luvte das rasche Fahrzeug noch, während sie sprachen, scharf gegen den Wind an und ging über Stag, über den anderen Bug gerade in den Wind hin aufzulaufen. Was es dort tat, ließ sich von hier aus unmöglich erkennen, denn plötzlich wurden die Segel back gebrasst. Als sie wieder herumflogen, glaubten die Schiffbrüchigen im ersten Augenblick, dass es zurückgehen würde in seinen alten Kurs.

»Es muss ein Mann über Bord gegangen sein, der ganzen Bewegung seiner Segel nach«, sagte Fritz.

Tji-kandi schüttelte aber mit dem Kopf und meinte, wenigstens nicht von ihrem eigenen Fahrzeug, denn die Prahu sei beim Wenden querweg aus ihrem Fahrwasser gelaufen. »Und nun werden wir sie wohl hierher kriegen«, setzte er in keineswegs freudiger Erwartung hinzu.

»Sie laufen wieder den alten Kurs«, rief jetzt einer der Malaien von Xunings Floss.

»Kaga«, sagte der Chinese in dem breiten singenden Ton. »Ist nicht wahr, sie gehen nochmals über Stag und den nächsten Besuch werden wir bekommen.«

»Aber sie können uns ja gar nicht gesehen haben«, rief Fritz.

»Ist auch gar nicht nötig«, brummte der Chinese. »Er wird die anderen aufgelesen und erfahren haben, dass wahrscheinlich noch mehr von uns hier herumschwimmen. So aus reiner Menschlichkeit biegt er sich jetzt aus seinem Kurs, um uns aufzulesen.«

»Vielleicht verfehlt er uns doch noch, wenn wir uns recht ruhig verhalten«, sagte Fritz. Tji-kandi schüttelte aber misstrauisch mit dem Kopf und bald zeigte es sich auch, dass er recht gehabt hatte. Nach ein paar Gängen, in denen das fremde Fahrzeug ziemlich dicht an sie herankam, wurde es plötzlich an Deck lebendig und der Kurs gerade auf sie zu geändert. Wenige Minuten später hielt die Prahu dicht an ihrer Seite und das Ganze war jetzt ein Gewirr von Rufen und Schreien, ausgeworfenen Tauen und an Bord ziehen der schon erschöpften Schiffbrüchigen, die erst jetzt ihre Schwäche fühlten, als sie ihrem Körper eine andere Bewegung zumuten sollten.

Die Prahu war mit dem treibenden Floß dem Land so nahe gekommen, dass sie nun alles aufbieten mussten, wieder davon abzukreuzen. Erst dann, als die Fremden wieder sichere Entfernung zwischen sich und die drohenden Klippen gebracht, – denn in so hoher See ließen sich die Ruder nicht gebrauchen – bekümmerte man sich um die Geretteten.