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Felsenherz der Trapper – Teil 6.2

Felsenherz-der-TrapperFelsenherz der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922

Band 6
Die Goldgräber der Jicarilla-Berge

Zweites Kapitel
Die Bärenfänger

Gewandt wie eine Pantherkatze schwang sich nun eine mittelgroße, hagere Gestalt, die in einen Lederanzug mit sehr weiten, geschlitzten Hosen gekleidet war und an den kurzschäftigen Stiefeln mächtige Sporen trug, von Ast zu Ast bis auf den Erdboden herab.

Felsenherz und seine beiden Freunde schauten den Fremden neugierig in das bartlose, tief gebräunte und sehr faltige Gesicht, dessen dunkle Augen einen seltsamen Ausdruck von Schwermut zeigten.

»Verzeiht, Master«, sagte der Fremde dann zu Felsenherz, indem er seinen ebenfalls an die Tracht der mexikanischen Vaqueros erinnernden großen Strohhut zog. »Ich musste nach den vorausgegangenen Ereignissen jedoch annehmen, dass Ihr einer der Buschklepper ward, die vor einer Stunde dort jenseits der Prärie am Waldrand auf meine beiden Maultiere aus dem Hinterhalt gefeuert hatten. Deshalb schickte ich Euch die beiden Pfeile zu.«

»Oh, ein solcher Irrtum kann vorkommen«, meinte Felsenherz leichthin. »Da wir Euch nach nichts fragen sollen, Fremder, will ich Euch nur anheimstellen, Euch uns anzuschließen. Wir sind nämlich selbst hinter weißen Buschkleppern her. Möglich, dass es dieselbe Bande war, die Euch angegriffen hat.«

Der Fremde war lediglich mit einer doppelläufigen, recht langen Pistole, Messer, Tomahawk und Bogen nebst Köcher bewaffnet. Das Lasso hatte er um die Hüften geschlungen.

Er erwiderte darauf, indem er die beiden Pfeile aufhob und sie in den Lederköcher zurücksteckte: »Ich nehme Euer Anerbieten an, Master Felsenherz. Wenigstens für so lange, bis ich mir wieder ein Reittier verschafft habe.«

»Gut«, erklärte der blonde Trapper. »Dann wollen wir weiter! Ihr könnt bei Ben und Sepp bleiben. Im Übrigen lasst das ›Master‹ als Anrede weg. Wir verkehren ganz zwanglos miteinander. Ben, ich reite also wieder voraus. Wir wollen den Häuptling nicht zu lange warten lassen.«

Er trabte davon.

Sepp, Ben und der geheimnisvolle Vaquero folgten ihm nach zehn Minuten.

Felsenherz’ Gedanken beschäftigten sich jedoch weiter mit dem Fremden. Der Mann hatte auf ihn einen ganz besonderen Eindruck gemacht. Der junge Trapper sagte sich, dass dieser Mensch sehr viel Schweres im Leben durchgemacht haben müsse, denn das Gesicht dieses Unbekannten war gleichsam ein Bild des verkörperten Seelenleides.

Felsenherz hatte sich mittlerweile, stets durch Buschwerk und Bodensenkungen gedeckt, dem Wald bis auf hundert Meter etwa genähert.

Nun machte er halt und lugte hinter einem Gebüsch hervor, um zu sehen, ob die Krähenscharen noch immer über dem Wald unruhig hin- und herflogen.

Zweierlei gewahrte er so: Erstens kreisten die Geier jetzt ganz niedrig, und zweitens schwebte die eine Krähenschar, und zwar geradewegs nach Norden zu, genau so aufgeregt über den Baumwipfeln wie vorhin.

Durch diese Beobachtung gewann Felsenherz die Überzeugung, dass hier an seiner Seite des Waldes die Gegend nicht ganz geheuer war, während drüben nach Süden zu, wo der Schwarze Panther den Wald durchsuchen wollte, nichts Verdächtiges mehr vorhanden sein konnte.

Er hatte also alle Ursache, seinen Weg nun mit genauester Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln fortzusetzen. Zunächst stieg er ab und band den Braunen in einem Gebüsch fest. Dann näherte er sich in weitem Bogen nach Norden dem Wald, der sich genau von Nord nach Süd hinzog und nach Westen zu den Vorbergen eines sonst kahlen Höhenzuges bedeckte.

Als er den Waldrand erreicht hatte, blieb er wohl fünf Minuten regungslos hinter einer Eiche stehen und lauschte.

In der Ferne vernahm er das misstönende Krächzen der Krähenschar. Im Übrigen lag der Wald, dessen Bäume ziemlich weit auseinander standen, still und friedlich da.

Doch Felsenherz traute dieser friedlichen Stille nicht!

Er kannte die Wildnis und die Tücke ihrer roten Bewohner nur zu gut. Er vermutete, dass dort im Wald Indianer lagerten.

Felsenherz wurde plötzlich durch das leise Knacken eines trockenen Astes auf ein Dornengestrüpp aufmerksam, das sich rechts von ihm um eine mitten im Wald liegende Felsengruppe wie ein Wall herumzog.

Er musterte die Steinblöcke scharf und gewahrte auch bald einen bis auf die Skalplocke kahl geschorenen Schädel eines mit den Kriegsfarben bemalten Apachen, der sich lautlos durch die Dornen vorwärts schob.

Also Apachen! Das war für den Trapper keine angenehme Feststellung! Denn gerade mit dem Oberhäuptling der Apachen, dem großen Bären, hatte Felsenherz noch vor Kurzem weiter südlich eine sehr gefährliche Begegnung gehabt. Nur durch eine Reihe glücklicher Zufälle war er damals den Apachen entflohen. Ob diese nun etwa hier in das Quellgebiet des Colorado River vorgedrungen waren, um ihn zu fangen? Ob sie wussten, dass er gerade hier zu finden war? Er konnte dies kaum annehmen.

Inzwischen war dem ersten Apachen noch ein zweiter gefolgt.

Felsenherz lag lang am Boden hinter niederem Gestrüpp.

Die beiden Apachen, ältere, kräftige Krieger, schienen sich zu beraten.

Irgendetwas fesselte ihre misstrauischen Blicke, das sich gerade vor ihnen befinden musste. Sie krochen nach einer Weile lautlos vorwärts, und zwar auf ein paar Tannen zu, deren untere Äste mit ihrem Vorhang von Schlinggewächsen wie eine wirre, grüne Masse aussahen.

Die Apachen hatten seltsamerweise nur ihre Messer und Tomahawks mit. Felsenherz war gespannt, was sie wohl vorhaben könnten. Er bemerkte, dass die beiden Rothäute jeder in der linken Hand noch ein aufgerolltes Lasso trugen, dessen Schleifen hinter ihnen herschleppten.

Er begriff noch immer nicht, weshalb sie den Tannen so große Beachtung schenkten. Für alle Fälle wollte er jedoch näher an sie heran. Es konnte nur zweckdienlich sein, wenn er sie gefangen nehmen würde. Vielleicht erfuhr er von ihnen Näheres über die Stärke und Absichten der Apachenabteilung.

Die beiden hatten lediglich für die fünf Tannen Interesse, die ungefähr im Kreis standen. Was hinter ihnen vorging, blieb ihnen verborgen.

Felsenherz kroch von Strauch zu Strauch, bis er nur noch drei Schritte von ihnen entfernt war.

Da – mit einem Mal erklang aus dem Tannendickicht ein wütendes Brummen hervor.

Ein Bär steckte also dort – ein grauer Bär! Felsenherz kannte dieses Brummen des Grizzly, des grauen Bären, dieses gefährlichsten Raubtieres des Wilden Westens, nur zu gut!

Was aber beabsichtigten die beiden Apachen? Wollten sie den Grizzly etwa nur mit Messer und Tomahawk angreifen? Und wozu die Lassos!

Plötzlich tauchte in des jungen Trappers Gedächtnis eine Szene auf, die mit seiner letzten Gefangenschaft bei den Apachen zusammenhing. Damals hatte er mitten im Lager gefesselt gelegen und vier Krieger hatten ihn bewacht …

Und … zwei dieser Wächter sah er hier nun wieder vor sich! Er erkannte sie an den Narben, die ihren nackten Oberarme als Zeichen ihrer Tapferkeit schmückten.

Einer der beiden hatte nun einen Stein in das Tannendickicht geworfen. Gleich darauf erscholl ein wütendes Fauchen, und kaum drei Sekunden später brach ein mächtiger Grizzly aus der Dickung hervor. Die Apachen waren blitzschnell hinter zwei nahe gelegenen Eichen geglitten. Der Grizzly richtete sich auf den Hinterbeinen auf und kam wiegenden Ganges auf einen der Krieger zu. Die beiden Eichen, hinter denen sie Schutz gesucht hatten, standen etwa fünf Meter voneinander entfernt.

Der andere Apache schleuderte nun sein Lasso. Er musste ein Meister im Lassowurf sein, denn die Schlinge fiel dem Bären gerade über den Kopf.

Felsenherz war erstaunt über die unbegreifliche Verwegenheit der beiden alten Krieger. Es machte fast den Eindruck, als ob sie den Grizzly lebend fangen wollten.

Der Bär packle das Lasso mit den Krallen. Der Apache hatte die Schlinge jedoch bereits mit so starkem Ruck zugezogen, dass der Grizzly zur Seite taumelte.

Mit zornigem Fauchen schnellte sich die Bestie nun nach rechts, wo der Apache das Lasso rasch um den Raum geknüpft hatte. Er floh, und zwar lief er in kurzem Bogen dem Dickicht zu.

Der Bär warf sich herum. Die Sprünge eines Grizzly sind so lang, dass eine solche Bestie es spielend leicht mit einem galoppierenden Pferd aufnimmt.

Der Bär musste den Apachen also mit zwei Sprüngen eingeholt haben.

Aber der Fliehende verließ sich fraglos auf die Haltbarkeit des um die Eiche geknüpften Lassos und auf den Beistand seines Gefährten.

Beides jedoch erwies sich als trügerisch.

Gewiss – der andere Apache schleuderte nun ebenfalls sein Lasso. Die Schlinge glitt hinter dem Bären zu Boden.

Nun straffte sich das Lasso, das der Bär um den Hals hatte, straffte sich mit einem Ruck, erklang fast wie eine Bogensaite, und … riss.

Der Grizzly hatte den fliehenden Apachen erreicht. Ein Hieb mit der Vorderpranke, und der Indianer brach zusammen.

Der Bär hielt sich mit diesem Opfer nicht eine Sekunde auf. Im Moment war er herumgefahren. Seine tückischen Augen erspähten den anderen Apachen, der sich auf die Eiche flüchten wollte.

Der Grizzly kann nicht klettern. Hierdurch gelingt es manchem Jäger, der ihn nicht sofort tödlich trifft, ihm zu entgehen.

Diese Hoffnung hatte auch den Apachen auf den Baum getrieben. Er hatte nur eins nicht bedacht, dass der Bär imstande ist, gut zwei Meter hoch emporzuspringen, wenn er sich auf den Hinterpranken zusammenduckt und dann hochschnellt.

Der Apache wollte gerade das linke Bein nachziehen, als der Bär ihm im Sprung das Gebiss in den linken Fuß schlug und im Niederfallen den tollkühnen Krieger mit vom Baum herunterriss.

Schwer krachte des Apachen Körper unten auf. Der Grizzly ließ den Fuß los, holte schon zum Tatzenhieb aus.

Inzwischen hatte Felsenherz schon das eigene Lasso, ein Geschenk seines roten Bruders, des Schwarzen Panthers, von der Schulter und der Hüfte losgewunden.

Diese Bärenjagd mit Lasso reizte ihm. Er bewunderte auch den Mut der beiden Apachen, die so verwegen ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten. In diesem Augenblick vergaß er ganz, dass es seine Todfeinde waren, denen er zu Hilfe kommen wollte.

Die Lassoschlinge wirbelte durch die Luft. Felsenherz zog das Lasso dann so scharf an, dass der Grizzly mit der zweiten Schlinge um den Hals nach hinten taumelte, bevor er den Apachen noch mit der Pranke den Schädel einschlagen konnte. Das freie Ende des Lassos in der Hand lief der junge Trapper nun mehrmals um eine junge Eiche herum, die, wenn der Bär ihm dann nachsetzte und das Lasso sich spannte, dem Druck elastisch nachgeben musste.

Kaum hatte er noch einen Knoten geschlungen, als die Bestie auch schon heranschoss. Felsenherz nahm hinter einer alten Eiche Deckung. Der Bär konnte im Sprung nicht so schnell die Richtung ändern.

Da spannte sich das Lasso auch schon …

Und … es hielt den Ruck aus …!

Die Schlinge zog sich so fest zu, dass der abermals nach hinten geschleuderte Grizzly sie mit den Krallen nicht mehr lockern konnte.

In seiner Todesangst raste er blindlings weiter.

Ein neuer Ruck … Der schon halb erdrosselte Bär sauste wiederum zu Boden.

Und nochmals wiederholte sich dasselbe Spiel. Nun blieb der Bär jedoch liegen. Er hatte sich offenbar das Genick gebrochen.

Als Felsenherz zu den beiden Apachen hinschaute, saß der mit dem schweren Biss am Fuß aufrecht da. Der Trapper schritt auf ihn zu. Der Apache hatte zum Tomahawk gegriffen.

Felsenherz winkte und rief leise: »Der Krieger der Apachen kennt mich. Ich bin nicht sein Feind. Weshalb wolltet Ihr beide den Bären mit den Lassos erlegen?«

»Der große Jäger hat uns ehrlos gemacht«, erklärte der Apache dumpf. »Wir waren vier Wächter, die dich bewachen sollten. Zwei, die jünger waren, hat der große Bär zur Strafe, weil du uns entflohen warst, mit dem Tomahawk getötet. Wir beide sollten, so beschloss es der Rat der Krieger, einen Grizzly mit den Lassos erwürgen. Dann würden wir unsere Medizin und unsere Ehre zurückerhalten.« (Die Medizin trägt der Indianer in einem Ledersäckchen um den Hals. Sie ist ihm das Heiligste und Wertvollste, was er besitzt).

Felsenherz nickte. »Dann wirst du also deine Medizin zurückerhalten. Warte!

Er ging zu dem Bären hin, nahm die Schlinge seines Lassos ab und legte der Bestie die Lassoschlinge des Apachen um.

Dann erklärte er weiter: »Der Krieger der Apachen soll nicht meinetwegen ehrlos bleiben! Felsenherz wird niemandem erzählen, was hier vorging. Felsenherz redet nie mit zwei Zungen.«

Er schritt aus den anderen Apachen zu. Auch dieser lebte noch und war nur bewusstlos. Als er darauf sich dem Ersten wieder zuwandte, saß dieser noch mit einem Gesicht da, als könnte er gar nicht recht an diese Großmut des Blassgesichts glauben.

Felsenherz fragte nun: »Was tun die Apachen hier am Colorado? Wünschen sie Krieg mit den Comanchen?«

»Nein«, erwiderte der Apache bereitwillig. »Der große Bär hat erfahren, dass die Schwester des Schwarzen Panthers, die blaue Taube, mit zwei Blassgesichtern sich in der Llano Estacado am Apache Spring aufhalten soll. Sie war schon einmal in unserer Gewalt. Der große Jäger weiß es, denn er hat die blaue Taube befreit. Der große Bär aber will die blaue Taube abermals gefangen nehmen.«

»Habt ihr vorhin die Schüsse am Waldrand weiter südlich gehört?«, forsche Felsenherz weiter.

»Ja. Es waren Freunde des großen Bären, die einen Händler überfielen – Blassgesichter – so viele!« Er hob die zehn Finger hoch. »Der Händler ist ihnen aber entkommen. Nur sein Packtier haben sie erschossen. Sie waren bis vor einer halben Stunde dort in unserem Lager. Dann ritten sie nach Nordwest weiter.«

»Wie heißt du?«

»Ich habe jetzt keinen Namen, großer Jäger. Ich muss mir erst wieder einen erwerben.«

»So nenne dich fortan der kleine Bär. Lebe wohl, kleiner Bär! Felsenherz ist kein Feind der roten Kinder Manitus! Du bist tapfer gewesen. Du wirst auch deine Ehre zurückerhalten. Ihr beide habt eure Ehre gerettet. Das sage ich, Felsenherz! Lebe wohl!«

Er schritt schnell davon, bevor der Apache sich noch bedanken konnte.