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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 17

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 17

Krokodilaberglaube der Malaien,
wie die Affen die Krabben fangen

Die nächsten Monate fiel weiter nichts Außerordentliches vor, denn mit Mr. Evans in den Wäldern umherstreifend, widmeten sie ihre ganze Zeit wissenschaftlichen Forschungen und sammelten Pflanzen und Steine, dass sie oft schwer bepackt nach Hause kamen und die Javanen die Köpfe schüttelten, was die tollen Menschenkinder da draußen bei Wind und Wetter, bei Tau und Regen herumzukriechen hätten, um sich zum Schluss mit welken Pflanzen und losgebrochenen Steinen zu bepacken, als ob das Gold und Edelsteine wären. Mr. Evans Gesundheit litt aber zuletzt darunter. Ein Fieber fürchtend, dem er vielleicht noch mit guter ärztlicher Hilfe vorbeugen konnte, kehrte er mit Fritz nach Samarang zurück.

Der junge Bursche, dem das müßige Leben im Hotel nicht zusagen wollte, während es ihm auch zugleich ein drückendes Gefühl war, so mit Nichtstun seine Tage zu verbringen, verlangte wieder nach einer Tätigkeit. Willkommen war ihm die Einladung eines Amerikaners, den er in Samarang kennenlernte, ihn in Djaraka, einem kleinen, dicht bei Samarang liegenden Ort, zu besuchen und dort seine Zeit nach besten Kräften anzuwenden.

Djaraka lag an der See und das Haus des Amerikaners, eines Mr. Wilson, überschaute, von dichten Kokospalmen und Bananen umgeben, die weite von unzähligen Segeln und Booten belebte Meeresfläche. Es war ein reizendes Plätzchen in dem wunderschönen Java. Der kleine Ort selber mit seiner wunderlich gemischten Bauart, den ärmlichen Bambushütten der Eingeborenen, die geräumigen und eleganten Wohnungen der Europäer, diente nur dazu, die herrliche Vegetation und üppige Farbenpracht der Fruchthaine, die es rings umgaben, mehr hervorzuheben.

Fritz richtete sich nun dort ganz häuslich ein, legte eine Sammlung von Vogelbälgen und Insekten, Käfern und Schmetterlingen an, und verwendete einen großen Teil seiner müßigen Zeit darauf, sich mit den Verhältnissen und der Kultur des Landes vertraut zu machen, was ihm bald so gelang, dass ihm nach Verlauf von sechs Monaten etwa Mr. Wilson den Vorschlag machte, bei einem Schwager von ihm, einem holländischen Pflanzer auf der Insel Bangka bei Sumatra, die Aufsicht über dessen Plantage zu übernehmen. Fritz ging gerne darauf ein und die Zeit seiner Abreise wurde auf den nächsten Monat festgesetzt, da erst dann eine Prahu segelfertig war, die zugleich der kleinen Kolonie einige Maschinen und andere Bedürfnisse zuführen sollte.

In dieser Zeit – und er benutzte seine Tage noch recht ordentlich, um in der Nachbarschaft umherzustreifen – hörten sie, dass etwa fünf Paalen oder englische Meilen westlich an der Südküste hinauf ein Mann von einem Krokodil verschlungen worden wäre und ein malaiischer Zauberer dort das Krokodil am nächsten Tag zur Rechenschaft ziehen und wahrscheinlich auch töten wolle.

Das war eine Gelegenheit, etwas von den Sitten und dem Aberglauben dieses wunderlichen Volkes zu sehen, die Fritz Wildau nicht unbenutzt vorübergehen lassen wollte. Da aber Mr. Wilson gerade keine Zeit hatte, ihn zu begleiten, musste er sich schon allein aufmachen und trabte noch an dem nämlichen Morgen, von einem malaiischen Diener begleitet und mit einem Empfehlungsbrief an den dortigen Mandoor versehen, dem bezeichneten Platz zu, den er nach kaum zweistündigem Ritt auch glücklich erreichte.

Der Malaie, der ihn begleitete, sprach übrigens genug englisch, sich mit ihm recht gut verständigen zu können. Er hätte sich deshalb auch keinen besseren Dolmetscher zu wünschen brauchen. Außerdem war es aber auch noch ein alter Bekannter von dir, lieber Leser, und zwar niemand Geringeres, als Mr. Evans kleiner dicker Malaie, der sich mit seinem alten Herrn, seit dem Tag, wo er mit den Tamarinden über Bord gefallen war, nie wieder so gut vertragen konnte, ihn deshalb vor vier Wochen etwa verlassen und Fritz, den er immer gern leiden gemocht, aufgesucht hatte.

Der Bursche machte unendlich wenig Ansprüche, brauchte noch weniger und schien eine wirkliche Anhänglichkeit an den jungen Mann zu haben. Wir können Fritz nämlich jetzt recht gut einen solchen nennen, denn das letzte Jahr hatte ihn an Körper wie Seele gereift und er sah sogar älter und männlicher aus, als er in der Tat war.

Auf ihren kleinen Pferdchen ritten sie also lustig vor das Haus des Mandoors. Fritz übergab seinen Brief, wurde auf das Freundlichste empfangen und musste, er mochte beteuern, wie er wollte, dass er erst vor etwa einer Stunde eine tüchtige Mahlzeit eingenommen hatte, sich nicht allein wieder an einen Tisch setzen, auf den ihm mehrere Mädchen eine förmliche Unmasse von Gerichten der verschiedenen Art auftrugen, sondern auch zulangen. Der Mandoor hörte nicht auf mit Nötigungen. Der kleine Mann war so freundlich dabei, so zuvorkommend und machte stets ein so entsetzlich trauriges Gesicht, wenn Fritz eine der unzähligen Schüsseln, oder besser Tellerchen, zurückwies, dass dieser sich wohl oder übel den Magen überladen musste und nur auf einen Ritt nach Tisch hoffte, seinen Körper wieder ein wenig in Ordnung zu bringen.

Sobald übrigens der Mandoor sah, dass er ordentlich im Gange war, kauerte er sich neben ihm auf die Erde nieder und aß erst – auf der Erde – nachher von den Speisen, die Fritz übrig gelassen hatte. Es war dem jungen Mann dabei wirklich unheimlich, hier so ehrfurchtsvoll bedient zu werden. Unwillkürlich kam ihm oft der Gedanke, wie er, vor gar noch nicht sehr langer Zeit selbst ein Diener, an Bord des Piraten behandelt worden war. In Indien adelt aber die Farbe und wir in Europa dürfen das gerade nicht so entsetzlich sonderbar finden, denn gingen wir bei uns oft zu dem Quell dessen zurück, was einen Teil des Volkes vor dem anderen in den Staub wirft, so kämen dabei, wenn nicht gar noch wunderlichere, doch gewiss eben so wunderliche Dinge zum Vorschein.

Nach dem Essen, oder eigentlich schon während des Mahls, bekam er auch Kaffee. Aber dieser wurde hier auf andere Weise zubereitet, wie er es gewohnt war.

Eines der Mädchen schüttete nämlich einen Löffel voll gemahlenen Kaffee in seine Tasse und goss dann das kochende Wasser oben darauf. Es war ihm allerdings ein wenig unbequem, den Satz zwischen die Zähne zu bekommen, aber er hätte um die Welt nichts gesagt, denn sein gastfreier Wirt wäre imstande gewesen, den ganzen Kampong (Dorf) umzudrehen, eine andere Art aufzufinden, um ihn zufriedenzustellen.

Fritz interessierte nun vor allen Dingen der Krokodilzauberer, und er erwartete ungeduldig den Augenblick, dorthin aufzubrechen. Der Mandoor hatte aber auch schon dafür gesorgt und einen Boten geschickt, der sich von dem Stand der Dinge unterrichten sollte.

Dieser kehrte bald darauf zurück, und Fritz erfuhr nun, dass es der Zauberer für eine Ehre ansehen würde, wenn der Weiße hinüberkommen wolle, um der Beschwörung beizuwohnen. Man würde jedenfalls bis gegen Abend damit warten, damit er Zeit genug habe, dort einzutreffen.

War das der Fall, dann durfte er aber auch nicht mehr lange zögern. Frische Pferde wurden gleich darauf gebracht. Im Galopp, den kleinen dicken Malaien auf einem Gladack oder Dienerpferd hinter sich, mit noch einem ganzen Schwarm anderer, die der Mandoor für seine eigene Begleitung nötig hielt, trabten sie bald darauf durch einen Hain der herrlichsten Kokospalmen am Strom hinauf, einem kleinen ärmlichen Fischerdörfchen zu, das sie nach etwa halbstündigem scharfen Ritt erreichten.

Die ganze Bevölkerung war hier schon, trotzdem die Sonne noch ziemlich hoch stand, auf den Beinen. Der Mandoor aber ritt gleich vor eins der größten, mit einer langen Veranda versehenen Bambushäuser, sprang vom Pferd, half Fritz aus dem Sattel und führte ihn, nachdem er in der Tür von einem alten Mann auf das Feierlichste begrüßt worden, in das Innere der Hütte zu – einer langen, wieder von oben bis unten mit Speisen und Getränken besetzten Tafel, wo sich, wie es schien, die ganze Festivität von vorhin wiederholen sollte. Das war dem jungen Mann aber denn doch zu spaßig. Er erklärte jetzt, allerdings lachend, aber doch allen Ernstes, dass er nicht imstande sei, auch nur einen einzigen Bissen zu sich zu nehmen. Trotz allem Zureden mussten diesmal die Eingeborenen die Speisen allein verzehren. Sein Gastfreund von kurz vorher setzte sich wieder und ließ sich auch in der Tat gar nicht merken, dass er an dem Tag schon überhaupt einmal etwas gegessen hätte.

Das Mahl wurde übrigens rascher beendet, als die Zahl der kleinen Schüsseln anfänglich erwarten ließ. Die meisten der Eingeborenen waren bereits zum Seestrand hinuntergegangen, und Fritz stahl sich nun leise mit seinem Malaien aus der Hütte fort, die Zeremonien der Krokodilbezauberung nicht des ewigen Essens und Trinkens wegen zu versäumen. Der Bursche hieß Tji-kandi, nach dem Ort, aus dem er stammte.

Tji-kandi erklärte ihm aber jetzt auch unterwegs die eigentliche Bedeutung der Zeremonie, die ihren Ursprung eigentlich in einem Aberglauben oder besser gesagt vielleicht in dem religiösen und gutmütigen Sinn der Eingeborenen hatte. Diese halten nämlich das Krokodil für geheiligt. Allah, denn fast alle Javanen sind Mohammedaner, hält es unter seinem besonderen Schutz, und es wird keinem Javanen einfallen, ein Krokodil zu töten, außer eben unter den jetzigen absonderlichen Umständen.

Allah nämlich hat den Krokodilen, die seine Kinder sind, streng verboten, seine anderen Kinder, die Menschen, zu fressen oder auch nur zu töten. Die Krokodile sind viel zu vernünftige Geschöpfe, um solch ein Verbot zu überschreiten. Ja sie halten aus Ordnung untereinander, und manche Menschen wollen sogar behaupten, dass manche der Krokodile, selbst gegen einen Einzelnen ihrer Gruppe, der das Verbot übertreten wolle, verteidigt worden wären.

Schlechte nichtsnutzige Individuen gibt es aber in allen Sekten, unter allen Menschen, warum nicht auch unter den Krokodilen. Es kommt allerdings manchmal, wenn auch sehr selten, vor, dass ein solches liederliches und gottloses Tier, Allahs Gesetze vergessend, einen Menschen anfällt, tötet und verzehrt. Allah ist aber langmütig, die Strafe folgt nicht gleich, der Sünder wird gewarnt und hat jetzt noch Zeit sich zu bessern. Verbotene Früchte schmecken aber am besten und Menschenfleisch ist süß. Hat einmal ein Krokodil wirklich einen solchen Fehltritt begangen, dann sieht es nachher meist böse mit der Besserung aus. Dem nächsten Menschen, den es erwischen kann, reißt es, zehn gegen eins zu wetten, gewiss wieder ein Bein oder einen Arm aus, oder frisst ihn auch ganz, und Allah, jetzt ernstlich böse über solch unverbesserlichen Sünder, sagt sich los von ihm, überlässt nicht allein den Menschen, es zu bestrafen, sondern verlangt dies sogar von ihnen. Die Menschen gehorchen dann und töten das böse Krokodil.

Tji-kandi war übrigens kaum mit seiner kleinen Erzählung fertig, als sie rasche Hufschläge hinter sich hörten. Der Mandoor mit seinem ganzen Gefolge kam nachgesetzt. Sie hatten den ihrer Obhut empfohlenen Weißen vermisst und sich in aller Angst nur gleich auf die Pferde geworfen, ihn einzuholen, ehe ihm vielleicht etwas passieren konnte. Allerdings machten sie ihm nun zärtliche Vorwürfe, dass er ihnen einen solchen Schreck eingejagt hatte. Fritz ritt lachend dem Strand zu, wo die Malaien in ehrerbietiger Entfernung vom Wasser selber versammelt standen und den Worten eines alten Eingeborenen zu lauschen schienen, der ihnen mit wunderlichen Gestikulationen und lauter Stimme etwas erzählte.

Es war der Zauberer. Der junge Weiße wurde ihm flüchtig vorgestellt und er wandte sich dem Meer zu, wohin ihm alle übrigen ganz augenscheinlich in ängstlicher Spannung folgten.

Der Platz lag an der Grenze eines kleinen, mit weidenartigen Büschen bewachsenen und von zahlreichen Lagunen durchzogenen Sumpfes oder flachen Landes, das hier jedoch durch den von den Hügeln kommenden Streifen festen Sandes scharf abgeschnitten wurde. Dieser Sand bildete gewissermaßen den Fuß der nach innen zu aufsteigenden Hügelkette und lief fest und hart in einer Art Landzunge an den Sumpf vorbei.

Hier war ein Lieblingsaufenthalt der Krokodile, denn in den Lagunen und unter den Weidenbüschen hin konnten sie vortrefflich versteckt zum Ufer kommen, wenn sie ungesehen zu reisen wünschten oder sich auch auf dem Nachbarstreifen der harten Sandbank zu jeder beliebigen Zeit in der Sonne rösten. Hier hatte das Krokodil den Mann, der am Rand des Sumpfes sein Kanu bestieg, heimtückischerweise gefasst und unter Wasser gezogen und sollte jetzt auch hier seine Strafe erleiden.

Fritz erstaunte übrigens nicht wenig, als er nirgends auch nur die Spur eines solchen Tieres sah. Er hatte geglaubt, der Menschenfresser sei gefangen worden und werde, bis zur Stunde seiner Exekution, eingesperrt gehalten. Nun sagte ihm Tji-kandi, dass sich das bestimmte Opfer noch sehr wohl irgendwo im Meer befinde, jedenfalls aber kommen werde, sobald es gerufen würde, denn darin lag ja gerade die Zauberei – ein Krokodil totzuschlagen, das in einem Käfig liege, sei nicht so schwer, das könne er auch.

Der Zauberer verlor übrigens keine Zeit weiter mit langen Vorbereitungen, denn auf die Sandbank hinaustretend, sodass er aber noch immer zehn oder zwölf Schritt trockenen Raum zwischen sich und dem Wasser behielt (und er hatte die Ebbezeit zu dieser Zeremonie gewählt) – stieß er einen lang gezogenen gellenden oder schrillen Laut aus und begann dann ein leises monotones Lied zu singen, zu dem er langsam den Takt mit den Händen schlug. Von Zeit zu Zeit wiederholte er dabei den sirrenden Ton, der mit einem ganz eigentümlichen Ausdruck über das Wasser zitterte, dann neigte er das Haupt nach Osten und Westen, begann seinen Gesang von Neuem.

Da regte es sich im Wasser – von der Weidenspitze her und oben von der Sandbank herunter tauchten – ein paar dunkle Körper empor. Wie Stücke verkohlten Holzes lagen sie auf der Oberfläche und kamen langsam ohne eigentlich sichtbare Bewegung herangetrieben. Dort drüben näherten sich noch mehr – dem Weidensumpf gegenüber, – vier und fünf auf einmal hoben sie sich langsam aus der Tiefe heraus, und jedes Mal wenn der schrille Ruf wieder ertönte, war es fast, als ob all jene dunklen Gestalten an Drähten gehalten würden. Mit einem gemeinsamen Ruck preschten sie nach vorn, solange der Ton dauerte. Ließ er nach, fielen sie auch mehr und mehr, als der Laut verklang, in die alte Bewegung zurück. Es war augenscheinlich, dass der Mann einen merkwürdigen und im ersten Augenblick in der Tat unerklärlichen Einfluss auf die Tiere ausübte, denn unverkennbar folgten sie allein seinem Ruf, näherten sich so allmählich dem Strand und blieben jetzt, mit ihren Köpfen größtenteils aus dem Wasser, während hier und da auch wohl ein recht großes Tier mit dem halben gepanzerten Rücken über die Oberfläche hinausragte, förmlich aufmarschiert und wie weiterer Befehle harrend, liegen.

Der alte Zauberer war aber nicht gesonnen, seine Zuschauer sogleich in die Geheimnisse seines ganzen Verfahrens einzuweihen, denn vor den dort lagernden Tieren hin begann er jetzt einen langsamen und feierlichen Tanz, bei dem letzten beginnend das in Sicht war, während die Zuschauer langsam und noch schüchtern etwas näher heranrückten, um die Worte zu verstehen, welche er dabei mehr murmelte als sang, schien er auf die übrigen gar nicht mehr zu achten, sondern beschäftigte sich jetzt einzig und allein mit den Tieren.

Fritz verstand übrigens auch nicht eine Silbe von der ganzen Beschwörung. Tji-kandi aber, der sich so nah wie möglich neben dem alten Zauberer hielt, was ihm auch, da der Europäer neben ihm stand, gestattet wurde, erklärte ihm, wie der alte Mann nun jedes einzelnen Tieres Tugenden und Vorzüge priese und ihnen sage, wie Allah mit ihnen zufrieden wäre und seine Sonne gern auf ihre Rücken niederscheinen lasse – und das sie solch anständige mäßige Krokodile bleiben und sich nicht verführen lassen sollten von schlechten Beispielen – er wolle keine Namen nennen.

»Du bist der Bravste«, sang er zu einem großen tüchtigen Burschen kommend, der mit halb geschlossenen Augen da lag und träg und schläfrig nach ihm hinaufschmachtete. »Du bist der Beste von allen, du hältst sie in Respekt und ich weiß, dass du meinem Sohn hast beigestanden gegen den Nichtsnutz, den wir im vorigen Jahr getötet haben.«

»Du bist noch jung«, fuhr er dann zu einem anderen fort. »Aber ich fürchte, aus dir wird nichts Gutes. Schlimme Dinge habe ich gehört von dir, schlimme Dinge, bessere dich, bessere dich …«

»Und ihr seid brav«, sang er den anderen vor, »und sollt Geschenke haben, die euch euer Vater bringen wird – huh ih uh …« Der lange Ton schallte wieder über das Wasser, dass die Tiere die Köpfe aufhoben und sich umschauten. Es klang gerade, als ob er von allen Seiten käme.

Jetzt aber nahm der Tanz eine andere Form an. Er wurde lebendiger und ausdrucksvoller und bewegte sich fast ausschließlich einem ziemlich großen Tier mit besonders sehr breitem Kopf zu, das fast mit dem halben Leib aus dem Wasser lag und den Alten mit den kleinen tückischen Augen wie lauernd anblitzte. Das war der Verbrecher, und dem sagte er jetzt von der Leber weg seine Meinung.

Guter Allah, wie er vor dem ausspuckte – das war nämlich nicht der erste derartige Fehltritt gewesen. Zweimal schon, einmal wegen ziemlich begründeten Verdachts, das zweite Mal wurde er auf frischer Tat ertappt, wurde ihm der Text gelesen und die unausbleibliche Folge solchen Treibens vorgehalten. Nun aber war das Maß seiner Sünden voll und die Strafe musste folgen.

Das Krokodil, als ob es verstünde, um was es sich handle, und jedenfalls mit einem bösen Gewissen, ähnlich erlebten Vorfällen gegenüber, hob erst den gewaltigen im Inneren rosaroten Oberkiefer empor und schnappte ihn wieder nieder, als ob es Langeweile hätte. Aber nach und nach fing es doch an, sich langsam in das Wasser zurückzuziehen. Es fühlte sich nicht recht heimisch mehr in der Vertiefung. Das merkte aber der Alte kaum, der übrigens kein Auge von ihm verwandte, als er wieder sein hui uh ih, und zwar noch durchdringender als das erste Mal ertönen ließ, und das Krokodil lag still und regungslos.

Der Alte winkte jetzt, und mehrere Malaien mit Körben kamen heran und brachten Futter für die Tiere. Das eine bekam ein Stück Fleisch, das andere einen Fisch, das Dritte einen Klumpen Reis, es war in der Tat ein ordentliches Traktament. Für den Verbrecher hatte man aber einen ganz besonderen Bissen zurechtgemacht, der in nichts weniger als einem großen Stück Fleisch mit einem starken Haifischhaken darin bestand. Dies trug der alte Zauberer – und dieser Teil der Zauberei war natürlich genug – zu dem breitköpfigen Krokodil und warf erst seinem Nachbar ein gutes Stück vor, seinen Neid zu erregen und dann ihm den Haken. Fleisch und Haken verschwanden auch in demselben Augenblick, der emporgeworfene Arm des Zauberers war das Zeichen für die Malaien, das schlaffe Tau, an welchem der Haken hing, etwas mehr anzuziehen – straff durfte es aber nicht werden. Der Alte stand auch unten selber darauf und nun, als das gefangene Tier doch wohl merken mochte, wie es irgendetwas Ungewöhnliches verschluckt habe, unruhig zu werden begann, fing der Alte seine Strafpredigt von Neuem an, machte die anderen darauf aufmerksam, wie sie mit eigenen Augen die Folgen des Ungehorsams gegen Allahs Verbot sehen könnten und gab dann mit einem laut ausgestoßenen, aber anders als zuvor klingenden Schrei, das Tau frei.

Im Nu hingen einige zwanzig Malaien daran und liefen damit landeinwärts, und das gefangene gewaltige Tier, so plötzlich und gewaltsam seinem Element entrissen, peitschte mit dem Schwanz das Wasser, machte einen Heidenlärm. Aber es half ihm nichts, der Haken saß fest und der Alte, der nun seine erst so feierlich langsame Bewegung ganz aufgab und mit rüstigen Sätzen neben dem Kopf des Tieres hersprang, riss zugleich seinen Kris heraus und stieß ihm denselben in die Gurgel. Dann zurücktretend überließ er das wirkliche Töten des Tieres den übrigen, die nun mit ihren Klewangs rasch hinzusprangen und ihm auch bald, durch das Anziehen des Taues dabei noch unterstützte, den Kopf vom Körper trennten, der noch eine Zeit lang im Sand herumzuckte.

Die übrigen Krokodile zogen sich, als sie sahen, welche Wendung die Dinge hier im Allgemeinen zu nehmen schienen, langsam wieder in das Wasser zurück, ohne das sich irgendjemand weiter um sie bekümmert hätte.

Tji-kandi glaubte nun allerdings an die übernatürliche Macht des Zauberers. Er war in dem Glauben auferzogen und das entschuldigt manches. Fritz hatte aber alle Ursache zu vermuten, dass der alte Bursche die Krokodile, zu deren Priester und Schützer er erwählt worden, täglich von seiner Hütte aus beobachte und die halb zahmen Tiere dann und wann fütterte. Das Herbeikommen der Tiere ist dadurch schon leicht zu erklären. Immer aber bleibt dieses Verständnis zwischen den doch sonst gerade nicht eben rücksichtsvollen Bestien und dem Mann eigentümlich und beruhte jedenfalls auf einer gestatten Kenntnis derselben, ja einem Studium der verschiedenen Charaktere unter den Krokodilen, das natürlich nur lange Erfahrung mit Geduld und Ausdauer geben konnte.

Der Mandoor, der jetzt ebenfalls herankam, freute sich augenscheinlich, dass die Exekution so gut gelungen und vorübergegangen war. Der weiße Mann bekam dadurch doch jedenfalls eine gewisse Achtung vor seinen Landsleuten. Er erzählte Fritz noch eine Menge Beispiele von solchen böse gewordenen Krokodilen, die Allah sämtlich in ihre Hand gegeben habe und was für ein merkwürdig gescheiter Mann ihr Zauberer sei, der auch noch außerdem Wettermachen und mehrere andere Kleinigkeiten verstünde.

Der Abend war ziemlich herangerückt, und am Strand hinaufgehend näherten sie sich einem kleinen Dickicht von Manga- und Ramputan-Bäumen, aus denen einzelne hochstämmige Kokos und Arenpalmen herausragten. Es war ein alter verlassener Kampong. Gleich dahinter begann wieder der wild durchwachsene Urwald.

Bis dicht an den alten Kampong herangekommen, wollten sie eben wieder umkehren, denn der Mandoor versicherte, das Abendessen würde bereitstehen und Fleisch und Kaffee, mit allen anderen Herrlichkeiten sonst kalt werden, als ein junger Bursche aus dem Dickicht kam und dem Mandoor einige Worte sagte. Dieser wandte sich lachend an Fritz und fragte ihn, ob er schon einmal gesehen hätte, wie die Affen Krabben fingen. Fritz verneinte das und seine Hand ergreifend, führte ihn der Mandoor leise und vorsichtig durch das verwilderte Dorf der Stelle zu, die ihm der junge Bursche bezeichnet hatte, wo die alten, früher hier angelegten Hecken der rosa sinensis (oder kambang sapatoe, Schuhblume, wie sie die Eingeborenen nennen, weil sie den Europäern die Stiefel damit schwarz und glänzend machen) ein Anschleichen an jenen Platz ungemein begünstigten.

Endlich erreichten sie den Rand der früheren Ansiedlung. Trockener sandiger Boden und Strandfläche, wo jede Vegetation aufhört. Nur ein einzelner hoher Pandanusbaum, dessen über der Erde hängende Wurzeln mit Schlingpflanzen dicht durchflochten waren, bildete hier gewissermaßen den Vorposten des Pflanzenreiches. Hinter diesen schlichen sie sich an. Vorsichtig die Köpfe hebend sahen sie mehrere Affen in etwa zwei- bis dreihundert Schritt Entfernung, die teils den Strand auf und ab suchten, teils still und regungslos auf einer Stelle saßen. Es war die braune langgeschwänzte Art. Fritz bedauerte schon, dass er kein Fernrohr bei sich hatte, das Treiben dieser wunderlichen Wesen mehr in der Nähe zu beobachten, als einer der Truppe, ein großer tüchtiger Bursche, anfing, ihnen näher zu rücken. Aufmerksam den Boden betrachtend, über den er, auf allen vieren natürlich, schlich, blieb er nur manchmal sitzen, um sich zu kratzen oder nach irgendeinem Insekt zu haschen, das ihn umsummte. So nahe kam er dabei, dass Fritz schon und nicht mit Unrecht fürchtete, er würde sie wittern, dann Alarm geben und die Übrigen mit verscheuchen, als er plötzlich über eine kleine mit dürrem schilfigem Gras bedeckte leise Erhöhung gehend, ein Nest von Krabben entdeckte, die auf dem heißen Sand hin und her spazierten. Mit einem Satz war er mitten zwischen ihnen, aber doch nicht schnell genug, auch nur einen einzigen zu erwischen, denn wie ein Blitz fuhren die sonst so unbehilflich aussehenden Tiere in lauter kleine Löcher oder Höhlen, die den Boden dort einem Sieb gleich machten und mit der Hand konnte der Affe nicht nachfahren, die Öffnungen waren zu eng. Der Mandoor stieß Fritz leise an, um ihn aufmerksam zu machen. Sie sahen, wie sich der Affe, nachdem er ein paar Mal den kleinen Platz hin und her überschritten und in die verschiedenen Löcher, die Nase dicht an die Erde gedrückt, hineingeschaut hatte, plötzlich ganz ernsthaft neben eines derselben, das er wahrscheinlich für passend gefunden hatte, hinsetzte. Er hob dabei seinen langen Schwanz herum, steckte das Ende desselben so tief in die Höhlung hinein, bis er Widerstand fühlte, und schnitt plötzlich ein Gesicht, dass Fritz fast laut aufgelacht hätte. Der Mandoor hob aber warnend den Finger. Gleich darauf zog der Affe seine wunderliche Angel mit einem Ruck wieder heraus. Unten daran hing aber, festgeklammert mit einer ihrer Scheren, die ersehnte Beute, eine fette Krabbe. Sie mit einem Schwung auf den Boden niederschlagend, dass sie betäubt losließ, nahm er sie mit der linken Pfote, griff mit der rechten einen Stein auf und schlug ihre Schale auseinander, aus der er dann mit augenscheinlichem Wohlgefallen den inneren Saft sog.

Vier oder fünf fing er so nacheinander, jedes Mal, wenn die Krabbe unten zuzwickte, ein ergeben schmerzhaftes Gesicht schneidend. Jedes Mal aber gelang ihm auch der Fang und er fand in der Rache für das Kneifen und dem Wohlgeschmack des guten Bratens doch jedenfalls reichliche Entschädigung für den Schmerz – er hätte sonst nicht immer mutwillig wieder angefangen.

So war er, ganz in seine Jagd vertieft und ohne auch nur einen Blick vom Boden selber zu verwenden, bis auf kaum zwanzig Schritte von den hinter dem Pandanusbaum Versteckten herangekommen. Hier zeigte sich der Grund ebenfalls hinlänglich durchlöchert. Sich den besten Platz nach Vermuten aussuchend, legte er seine Angel wieder ein und mochte auch wohl fühlen, dass irgendetwas Lebendiges darin sei, denn er wartete in der ersten Minute mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf das Resultat.

Die Sache dauerte aber länger, als er erwartet hatte, doch schon ziemlich gesättigt durch den erfolgreichen Fang, zog er die Knie heran, legte die langen Arme darum hin, bog den Kopf hinten über, schloss die Augen halb, spitzte das Maul und machte, sich dabei auf seinem Hinterteil balancierend, ein so ernsthaft langweiliges, aber doch auch so unendlich komisches Gesicht, wie es wirklich unter diesen Verhältnissen nur ein Affe imstande zu machen ist.

Aus dieser Ruhe sollte er aber bald auf so unerwartete wie fatale Weise aufgestört werden. Irgendwo an einer Wolke musste er einen höchst interessanten Punkt entdeckt haben, denn er starrte eben aufmerksam da hinauf, als er auf einmal einen wilden Schrei ausstieß, seine Knie losließ, mit beiden Händen nach der Schwanzwurzel fuhr und einen Satz in die Höhe machte, als ob der Boden unter ihm zu brennen angefangen hätte. Unten am Schwanzende hing, gewaltsam aus ihrem Schlupfwinkel herausgerissen, eine riesige Krabbe. Fritz konnte sich nicht mehr helfen, er musste laut heraus lachen.

Der Mandoor blieb noch ernsthaft. Als aber der Affe, durch den fremden Laut erschreckt, trotz seines Schmerzes emporschaute, die Menschen erblickte und nun, ohne natürlich imstande zu sein, sich selber von seinem Gefangenen zu befreien, in vollen Sätzen, die Krabbe fest verbissen hinten dran hängend, davonklapperte, da vermochte auch dieser nicht länger an sich zu halten. Die beiden lachten, dass ihnen die Tränen an den Wangen herunterliefen.

Der Affe floh über den schmalen Sandstreifen weg, von allen übrigen gefolgt, dem Wald zu und bald war kein Einziger mehr von ihnen auf dem freien Strand zu sehen.